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Abbildung einer Wasserstoffwolke aus der Frühzeit des Universums

Mit einer geschickten Methode ist es gelungen, die Ausdehnung einer der Wasserstoffwolken, die in großer Zahl das frühe Weltall bevölkerten, direkt zu beobachten. Informationen über die größe und Masse solcher Wolken helfen klären, wie die Galaxien entstanden sind.


Zunehmend bessere Beobachtungsmöglichkeiten durch größere Teleskope und empfindlichere Detektoren ermöglichen es der Astronomie, immer weiter in die Tiefen des Universums und damit in seine Frühgeschichte zu schauen. Was man dabei zu finden hofft, sind insbesondere Hinweise darauf, wie die das heutige Weltall dominierenden Galaxien entstanden sind – eine der wohl wichtigsten Fragen der Kosmologie.

Seit vielen Jahren kennt man den sogenannten Lyman-Wald ( Lyman Forest), einen dichten Verhau von schmalen Wasserstoff-Absorptionslinien, der in die an sich glatten Emissionsspektren entfernter Quasare ein wildes Zackenmuster einkerbt (Bild 1). Die Zacken rühren fast ausnahmslos daher, daß Wasserstoffwolken, die sich zwischen uns und dem Quasar befinden, elektromagnetische Strahlung einer ganz bestimmten Frequenz absorbieren. Diese Absorption entspricht einer elektronischen Anregung des Wasserstoffatoms und wird als Lyman-alpha-Linie bezeichnet. Im Labor tritt diese Linie bei 121,57 Nanometern (millionstel Millimetern) auf, in Quasarspektren aber wird sie wegen der hohen Fluchtgeschwindigkeit der Wolken durch den Doppler-Effekt bis in den sichtbaren Bereich hinein verschoben – ein als Rotverschiebung bekanntes Phänomen, das man gemäß der Urknalltheorie als Maß der Entfernung eines kosmischen Objekts interpretiert.

Jeder Zacken (jede Absorptionslinie) im Lyman-Wald entspricht also einer Wasserstoffwolke, deren Entfernung durch die Frequenz gegeben ist, bei der die Lyman-alpha-Linie auftritt. Je weiter aber ein kosmisches Objekt entfernt ist, desto länger dauert es, bis Licht von ihm zu uns gelangt. Damit ist die Entfernung auch ein Maß für das Alter. Wegen ihrer hohen Rotverschiebung zeigen alle Wolken des Lyman-Waldes das Universum demnach in einem sehr jungen Zustand.

Aus umfangreichen Untersuchungen weiß man, daß die Wasserstoffwolken hochgradig ionisiert sind: Auf ein neutrales Wasserstoffatom kommen 100000 ionisierte, die nicht zur Lyman-alpha-Linie beitragen. Die Wasserstoff-Säulendichte – die Zahl der Wasserstoffatome in einem gedachten Zylinder von einem Quadratzentimeter Querschnitt entlang der Sichtlinie durch die Wolke – liegt zwischen 1012 und 1018. Da es bei hoher Rotverschiebung deutlich mehr Wasserstoffwolken als bei kleineren Werten gibt, erhebt sich die Frage, was aus den Wolken geworden ist, die das frühe Universum so zahlreich bevölkerten. Hat sich ihr Ionisationsgrad noch weiter erhöht, so daß sie bei der Wellenlänge der Lyman-alpha-Linie kaum noch absorbieren? Oder haben sie sich mit anderen Wolken zu großen Klumpen vereinigt, die massereich genug waren, sich unter dem Einfluß der eigenen Gravitation zu Galaxien oder anderen Sternsystemen zu verdichten?

Um das Schicksal dieser Wolken und ihre Bedeutung bei der Entstehung von Galaxien beurteilen zu können, müßte man ihren typischen Durchmesser und ihre Form kennen, da beides zusammen mit der Säulendichte ihre Masse bestimmt. Aber just diese primären Eigenschaften sind immer noch strittig; denn in den Spektren der Quasare wird jeweils nur ein punktförmiger Ausschnitt der Wolken sichtbar. Durch Vergleich der Lyman-Wälder in Spektren dicht benachbarter Quasare, in denen teils dieselben Wolken auftauchen, hat man abgeschätzt, daß es sich um Gebilde von etwa der Größe unserer Milchstraße (die sich in der galaktischen Ebene über rund 100000 Lichtjahre erstreckt), aber mit sehr viel geringerer Masse handelt. Doch sprechen andere Beobachtungen eher für relativ kleine, dichtere Wolken mit Durchmessern von nur wenigen Parsec (1 Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren).

Nun kennt man seit einigen Jahren Radio-Galaxien, die von riesigen Emissionslinien-Gebieten umgeben sind. Die fernsten von ihnen senden Strahlung im Bereich der Lyman-alpha-Linie aus, die gerade so weit rotverschoben ist, daß sie in die sichtbare Spektralregion fällt und von optischen Detektoren erfaßt werden kann. Beim Studium solcher Objekte kamen wir darauf, daß sich die im Lyman-alpha-Wellenlängenbereich sichtbaren Emissionsgebiete als Leuchtschirme eignen müßten, vor denen sich die Wasserstoffwolken als Schatten abzeichnen; damit wäre es möglich, deren Ausdehnung direkt zu bestimmen.

Leider sind diese Gebiete extrem leuchtschwach und geben ihre Strahlung auch nicht wie Quasare in einem breiten Spektralbereich, sondern nur bei einer bestimmten Wellenlänge ab, die normalerweise nicht mit der Frequenz der Lyman-alpha-Linie in davorliegenden Wasserstoffwolken übereinstimmt. Wenn sich eine Absorptionswolke aber relativ nahe (das heißt höchstens wenige Millionen Parsec) vor dem ausgedehnten Emissionsgebiet befindet, so daß sie etwa dieselbe Fluchtgeschwindigkeit hat, überschneidet sich ihre Lyman-alpha-Absorptionslinie teilweise mit der Emissionsline, und sie sollte als dunkle Silhouette vor der leuchtenden Wolke zu erkennen sein. Anhand der Dichte des Lyman-Waldes in den Quasarspektren schätzten wir die Chancen, eine derartige Absorptionswolke im Bild eines ausgedehnten Emissionslinien-Gebiets ausmachen zu können, als nicht schlecht ein.

Als ideales Objekt für solch eine Beobachtung erschien uns das Lyman-alpha-Emissionsgebiet um 4C41.17, die am weitesten entfernte unter den bekannten Radio-Galaxien. Die Rotverschiebung des Objekts von 3,800 entspricht einer Distanz von mehr als 10 Milliarden Lichtjahren, und mit mehr als 10 Bogensekunden Ausdehnung hat das Emissionsgebiet einen Durchmesser von mehr als 100 Kiloparsec. Zudem liegt die Lyman-alpha-Linie wegen der hohen Rotverschiebung bei der für Detektoren gut zugänglichen Wellenlänge von 583 Nanometern. All dies waren günstige Voraussetzungen für die geplante Untersuchung.

Wir machten also mit dem 3,50-Meter-Teleskop des Calar-Alto-Observatoriums in Südspanien eine Vielzahl von Aufnahmen des Emissionslinien-Gebiets bei leicht unterschiedlichen Wellenlängen im Bereich der Lyman-alpha-Linie; dazu setzten wir in den Strahlengang ein Fabry-Pérot-Etalon als durchstimmbares Schmalbandfilter, das jeweils nur Licht der gewünschten Wellenlänge passieren ließ. Während wir so die Lyman-alpha-Linie abtasteten, bildete sich bei 583,0 Nanometern Wellenlänge tatsächlich ein Einschnitt in der Helligkeitsverteilung des Emissionslinien-Gebiets, der beim weiteren Verändern der Wellenlänge wieder verschwand (Bild 2). Die Analyse der Daten bestätigte, daß die vorübergehende Abdunklung eines Teils des Emissionslinien-Gebiets am besten mit einer dicht davorliegenden Absorptionswolke zu erklären ist. Nach Ausdehnung und Tiefe des Einschnitts zu urteilen, sollte er von einer rund 10 x 40 Kiloparsec großen Gaswolke von etwa 100 Millionen Sonnenmassen herrühren. Ob es sich dabei um eine von der Seite gesehene scheibenförmige Wolke oder um eine zigarrenförmige handelt, bleibt offen.

Dieser Befund stützt die aus den Studien an Doppelquasaren abgeleitete Vermutung, daß die Gaswolken, die vor 10 Milliarden Jahren das Universum bevölkerten, sehr ausgedehnt waren, aber eine zu geringe Masse hatten, um allein eine Galaxie bilden zu können.

Allerdings mußten wir uns wegen der geringen Leuchtstärke des Emissionslinien-Gebietes auf eine spektrale Auflösung beschränken, bei der nur relativ massereiche, ausgedehnte Wasserstoffwolken mit intensiver Lyman-alpha-Linie als Schattenriß zu entdecken sind. Nun werden die Linien im Lyman-Wald mit abnehmender Intensität aber immer zahlreicher. Aus diesem Grunde sollte bei höherer spektraler Auflösung eine zunehmende Zahl sich vermutlich teilweise überlappender Absorptionswolken vor den Emissionslinien-Gebieten auftauchen. Doch erst leistungsfähigere künftige Teleskope werden so lichtstarke Bilder der Emissionslinien-Gebiete liefern, daß man sie mit noch schmalbandigeren Filtern als den von uns benutzten analysieren kann. Auf den resultierenden Aufnahmen, die das ganze Größenspektrum der Wasserstoffwolken aufdecken, dürften diese Gebiete dann löchrig wie Schweizer Käse aussehen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1993, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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