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Interview: Altersrekord im All

Anna Frebel studierte in Freiburg Physik, promovierte in Australien in Astrophysik und erhielt unter anderem den Ludwig-Biermann-Preis der Astronomischen Gesellschaft.
Anna Frebel vor einem der Magellan Teleskope in Chile

Anna Frebel vor einem der Magellan Teleskope in Chile | Anna Frebel reist mehrmals im Jahr zu den größten Teleskopen der Welt, wie zum Beispiel nach Chile zu den Magellan Teleskopen mit 6,5 Meter großen Spiegeln, um nach den ältesten Sternen im Universum Ausschau zu halten.
Sterne und Weltraum: Frau Frebel, wie sind Sie zur Astronomie gekommen? Gab es vielleicht eine besondere Begebenheit oder eine Person, die Sie in diese Richtung beeinflusst hat?

Anna Frebel: Solange ich mich erinnern kann, hat mich der Weltraum fasziniert. Es gab nicht irgendein Schlüsselmoment. Irgendwann habe ich als Teenager dann den Beschluss gefasst, Astronomin zu werden, und deswegen Physik studiert.

Und dabei ist es geblieben, und nach Ihrem Physikstudium haben Sie ernst damit gemacht?

Dann bin ich nach Australien an das Mount Stromlo Observatory gegangen, um zu sehen, ob es wirklich meine Sache ist, in der Astronomie praktische Arbeit zu leisten. Ich habe alle meine Ersparnisse zusammengekratzt, um mir das Flugticket dafür zu kaufen. Im August 2002 habe ich dort mit meinem ersten Projekt angefangen und einzelne Sterne in einer Zwerggalaxie aus Fotometriedaten des Hubble-Weltraumteleskops herausgesucht, um deren Helligkeiten zu bestimmen. Inzwischen arbeite ich auch wieder mit Zwerggalaxien – allerdings mittels Spektroskopie. Insofern ist es nett, dass ich damit in Australien anfing, selbst wenn ich es danach zunächst einmal nicht weiter verfolgt habe.

Wie kam es zu einem Wechsel ihres Arbeitsgebiets? Gab es da einen größeren Einschnitt?

Am 18. Januar 2003 ist das Observatorium abgebrannt. Das hat uns alle sehr plötzlich getroffen. Auf einmal gab es das Mount-Stromlo-Observatorium so in seiner Form nicht mehr. Das ist mir natürlich sehr im Gedächtnis geblieben. Es hat jahrelang gedauert, alles wieder aufzubauen, und wir mussten dann erst einmal von unserem Berg runter und auf dem Campus der Australian National University in Canberra einquartiert werden. Dort lernte ich Norbert Christlieb kennen, der auch aus Deutschland stammt. Bei ihm habe ich mit der Suche nach den metallarmen Sternen begonnen. Er war damals führend auf diesem Gebiet und ist es auch heute noch.

Was bedeutet »metallarm« bei Sternen?

Metalle sind hier nicht im chemischen Sinn zu verstehen; wir Astronomen fassen alle Elemente außer Wasserstoff und Helium unter diesem Begriff zusammen. Das ist eine Vereinfachung, die sich anbietet, da alle Elemente aus dem Periodensystem, die schwerer als Helium sind, im gesamten Universum deutlich seltener vorkommen als die beiden leichtesten. Die Sonne bezeichnen wir zum Beispiel als metallreichen Stern, weil sie – relativ gesehen – viel von allen Elementen besitzt. Tatsächlich sind es aber auch nur 1,4 Prozent an schweren Elementen! Wir suchen nun nach Sternen, die noch wesentlich weniger von diesen Elementen haben, und benutzen die Sonne als Vergleichsstern.

Warum sind diese metallarmen Sterne so interessant?

Weil es die ältesten Sterne sind, die wir beobachten können. Sie lassen sich für die so genannte stellare Archäologie nutzen, um Details über das frühe Universum zu lernen.

Handelt es sich dabei um die ersten Sterne überhaupt?

Nein, die allerersten Sterne können wir nicht mehr direkt beobachten. Die waren sehr massereich, 100-mal schwerer als die Sonne. Solche schweren Sterne haben nur eine ganz kurze Lebensdauer von wenigen Millionen Jahren. Die Sterne der ersten Generation sind also schon sehr schnell – nach astronomischen Zeitskalen – wieder als Supernovae explodiert und existieren längst nicht mehr.

Was kann man von den ältesten beobachtbaren Sternen, die bereits der zweiten Generation angehören, über die erste Generation und die Bedingungen im frühen Universum lernen?

Die alten Sterne dienen uns sozusagen als Konserve der chemischen Signatur der ersten schwereren Elemente, die überhaupt im Universum produziert wurden. Denn die allerersten Sterne bildeten sich aus Gas, das nur aus Wasserstoff und Helium bestand – so wie das Universum direkt nach dem Urknall eben war –, und produzierten erst in ihrem Inneren schwerere Elemente wie zum Beispiel Kohlenstoff und Eisen. Als dann die allerersten Supernovae explodierten, verschmutzten sie das primordiale Universum aus Wasserstoff und Helium mit diesen Elementen. Dadurch hat sich alles verändert: Die Bedingungen für Sternentstehung etwa, und auch Galaxienbildung trat dann ein. Das muss eine sehr spannende Zeit gewesen sein. Wir können also die Konserve in Form der alten Sterne aus dem Schrank holen und gucken, was da drin ist: So lässt sich nachvollziehen, was für physikalische Bedingungen in diesem Gas geherrscht haben müssen oder was seine Zusammensetzung war. Das können wir dank der metallarmen Sterne und deren Häufigkeitsmuster nachbasteln.

... mit Modellrechnungen am Computer?

Wir können die beobachteten Häufigkeiten mit Vorhersagen von Modellen zur Supernova-Nukleosynthese vergleichen. Das ist dann spannend: Sehen wir tatsächlich die Fingerabdrücke dieser ersten Riesen in unseren metallarmen Sternen? Meist ist die Antwort ›Ja‹. Die wenigen Ausnahmen sind aber auch interessant, weil sie auf spezielle Nukleosyntheseprozesse hinweisen, die eventuell nur sehr selten aufgetreten sind. Dennoch ist es wichtig, genau diese Ausnahmen zu verstehen, damit wir irgendwann ein vollständiges Bild der frühesten Stadien der Elementproduktion im Universum erhalten können. Das wiederum hilft zu rekonstruieren, wie die allerersten Sterne gelebt haben und gestorben sind.

Wie haben Sie Ihre ersten Kandidaten für alte, metallarme Sterne ausgewählt?

Wir haben den Hamburg-ESO-Survey benutzt, der schon in den 1980er oder 1990er Jahren durchgeführt worden war. Das war eigentlich eine Durchmusterung, um Quasare zu finden. Die darin aufgenommenen Spektren enthalten die Fraunhoferlinie des Kalziums bei 393,3 Nanometern, die auch in metallarmen Sternen vorkommt. Daher eigneten sie sich für unsere Suche.

Nach welchen Kriterien wählt man solche Kandidaten aus dem Katalog aus?

Zunächst nach Helligkeit, Farbe und geschätzter Metallhäufigkeit. Dann musste ich die Spektren von etwa 5000 Kandidaten mit meinen eigenen Augen überprüfen, um Fehlklassifikationen auszusondern. Ich habe dann aus der ersten Stichprobe 1800 Sterne ausgewählt und mit dem 2,3-Meter-Teleskop des Siding-Spring-Observatoriums einzeln nachbeobachtet, mit speziellem Augenmerk auf die Kalziumlinie stellvertretend für die übrigen schweren Elemente. Wenn diese Linie besonders schwach ist, deutet das darauf hin, dass der Stern eine niedrige Kalziumhäufigkeit hat und wahrscheinlich im frühen Universum geboren wurde. Zum Schluss war dann noch eine Hand voll Sterne übrig, auf die dieses Kriterium zutraf. Es waren auch ein paar Rekordhalter darunter, wie sich später herausstellen sollte. Wenn man diese guten Kandidaten gefunden hat, dann muss man sich auf Teleskopzeit bewerben, um mit den größten Observatorien der Welt, zum Beispiel den 8-Meter-Teleskopen der Europäischen Südsternwarte in Chile oder den zwei 10-Meter-Keck-Teleskopen auf Hawaii oder den 6,5-Meter-Magellan-Teleskopen, auch in Chile, eine genauere Spektralanalyse zu betreiben und herauszufinden, welche Elemente in welchen Mengen in dem Stern vorhanden sind. Erst so findet man heraus, ob der Stern wirklich einer der ältesten ist mit den niedrigsten Werten an diesen schweren Elementen wie Kohlenstoff und Eisen.

Und so haben Sie auch den ältesten jemals beobachteten Stern gefunden?

Ab und zu hat man Glück und findet einen ganz besonderen Stern, wie etwa vor einigen Jahren HE 1523-0901. Dieser Stern ist aus einer ganz besonderen Gaswolke entstanden, die im frühen Universum wahrscheinlich von einer speziellen Art der Supernova-Explosion angereichert wurde: Sie hat unter anderem auch die radioaktiven Elemente Thorium und Uran erzeugt. In dem Stern ist also auch ein bisschen radioaktives Material vorhanden, das nach einem physikalischen Gesetz zerfällt. Damit konnten wir diesen Stern auf 13,2 Milliarden Jahre zurückdatieren, und das ist schon ganz schön alt. Fast so alt wie das Universum selbst, von dem wir annehmen, dass es 13,7 Milliarden Jahre alt ist.

Der Stern ist also in der Frühzeit recht bald nach dem Urknall gebildet worden?

Ja, das kann man schon sagen. Wir können zudem aus verschiedenen Gründen weiter ableiten, dass alle metallarmen Sterne so alt sind. Das ist toll, denn diese Sterne mit Thorium und Uran sind extrem selten. Man muss sie wie eine Nadel im Heuhaufen suchen. Aber wenn wir nun sagen können, dass metallarme Sterne generell so alt sind, können wir auf diese Weise das frühe Universum erforschen!

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