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Kosmologie: Das elegante Universum.

Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. Siedler, Berlin 2000. 512 Seiten, DM 49,90.


Dieses Buch hat mich begeistert und geärgert. Begeistert vor allem, weil es zahlreiche Effekte der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie sowie einige seines Hauptthemas, der Stringtheorie, klar, witzig und einsehbar darstellt. Man liest diese Passagen, die vielleicht die Hälfte des Buches ausmachen, mit Freude. Geärgert hat mich, dass der Autor mit allen Mitteln, auch irrationalen, Propaganda für seinen Gegenstand macht. Nichts gegen seine Lobgesänge auf die Stringtheorie, an deren Erforschung er wesentlich beteiligt war, auch wenn nicht alle Physiker in dieses Lob einstimmen werden. Aber er übertreibt seine lobpreisenden Behauptungen so sehr, dass sie sich bei dem Versuch ihrer Erhärtung als unbegründet erweisen oder gar zurückgenommen werden müssen.

Die Grundvorstellungen der Stringtheorie sind schnell dargestellt. Nach dem bislang gültigen Standardmodell sind die kleinsten Bausteine der Materie ausdehnungslose Punktteilchen; die Vielfalt der Welt kommt dadurch zu Stande, dass zwischen diesen Teilchen verschiedene Kräfte wirken. Die Stringtheorie hingegen sagt, dass unterhalb einer gewissen Länge, die kein bisher denkbarer Beschleuniger erforschen kann, eine ganz andere Welt sich auftut. Eine nämlich, die durch schwingende Saiten anschaulich beschrieben werden kann.

Die Stringtheorie vereinigt und versöhnt die beiden großen bislang unvereinbaren Theorien der Physik: die Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie. Abgesehen von Nebenströmen ist sie zudem gegenwärtig die einzige Theorie mit dieser Eigenschaft. Ob nun experimentell bestätigt oder nicht, das ist ein Jahrhunderterfolg und rechtfertigt die enorme Aufmerksamkeit, welche die Stringtheorie findet.

Mit Spannung kann erwartet werden, wie die in dem Buch beschriebene Debatte zum Informationsverlust durch Schwarze Löcher (Spektrum der Wissenschaft 6/1997, S. 58) ausgehen und was die Stringtheorie zu dem allfälligen Ergebnis beitragen wird. Ob die zusätzlichen "aufgerollten" Raumdimensionen, welche zur Theorie gehören, in gegenwärtig geplanten Experimenten ihre Spuren hinterlassen werden: Man wird sehen (Spektrum der Wissenschaft 4/1998, S. 62).

Soweit also keine Kritik. Die Darstellung ist sogar brillanter als gewöhnlich, was die bekannten Erklärungshilfen angeht – der zweidimensionale Raum als Darsteller des dreidimensionalen; die Geometrie auf einer rotierenden Scheibe; die Lichtuhr; das Gummituch als Modell für gekrümmte Räume, und so weiter.

Sowie aber Greene von den Voraussetzungen der Stringtheorie zur Theorie selbst kommt, werden solche Erklärungen rar und treten zumeist hinter abstrakten Erörterungen und Geschichten aus dem Forscherleben zurück. Nur mangelt es anscheinend an drallen Forscherpersönlichkeiten und den zugehörigen Anekdoten; so reicht es gerade mal zu Physik am Küchentisch, Spaziergängen im Garten und einem Sixpack Bier. Der Personenkult, den Greene mit dem unangefochtenen Star der Szene, Edward Witten, betreibt, wirkt eher abstoßend und sogar anrüchig: Immerhin hat Witten gute Posten zu vergeben.

Sehen wir über diese Geschmacksfragen hinweg und konstatieren, dass das Buch für interessierte Laien sowie für Physiker anderer Gebiete – wie mich – ungemein lehrreich ist. Zahlreiche Passagen, besonders aber die Fußnoten, sind gehaltvoll und präzise. Diese Qualität ist auch in der Übersetzung erhalten geblieben, was dieses Buch vor zahlreichen verwandten Werken auszeichnet. Der Physiker Markus Pössel, der einige Fußnoten übersetzte so-wie die wissenschaftliche Oberaufsicht führte, hat gemeinsam mit dem Übersetzer Hainer Kober erstklassige Arbeit geleistet.

Dagegen wird das allgemeine Publikum als der eigentliche Adressat des Buches zuweilen von der Fachsprache überfordert. Wer andererseits dem Rat des Autors, zur Not ganze Abschnitte zu überschlagen, rigoros folgt, lässt sich Perlen der Erläuterung entgehen.

Richtig ärgerlich ist jedoch die maßlose Übertreibung dessen, was für des Autors Lieblingskind spricht. Aus der Stringtheorie ergibt sich zwingend die Existenz der Schwerkraft; neben der Versöhnung von Quantenmechanik und Allgemeiner Relativitätstheorie ein grandioser Erfolg. Im Prinzip, bisher aber auch nur im Prinzip, ist sie "in der Lage, die fundamentalsten Eigenschaften der Natur zu erklären".

Nehmen wir zum Vergleich die Quantenelektrodynamik (QED), von der man gerne sagt, durch sie werde die Chemie auf die Physik zurückgeführt. Das gilt auch nur im Prinzip; aber hier ist das einzige Hindernis die Kompliziertheit der Rechnungen. Verglichen damit ist die Stringtheorie noch weit spekulativer. Greene selbst schreibt: "Obwohl die Stringtheorie die Voraussetzungen hat, zur voraussagefähigsten Theorie zu werden, die es jemals in der Physik gegeben hat – eine Theorie, die in der Lage ist, die fundamentalsten Eigenschaften der Natur zu erklären –, ist es bisher nicht gelungen, aus ihr Vorhersagen abzuleiten, die so genau sind, dass man sie mit experimentellen Daten konfrontieren könnte."

Er weiß es doch – warum formuliert er dann im Überschwang so sorglos, dass man nur allzu leicht dem Irrglauben verfällt, die Stringtheorie sei über alle vernünftigen Zweifel erhaben? Das ist sie nicht, und deswegen ist sie in der Fachwelt auch durchaus umstritten.

Es hätte dem Ruhm des Autors keinen Abbruch getan und seinem ansonsten hervorragenden Buch einen hässlichen Makel erspart, wenn er in diesem Punkt auf dem Boden der Tatsachen geblieben wäre.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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