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Gina Kolata: Das geklonte Leben. Ein Jahrhundert-Experiment verändert die Zukunft des Menschen.

Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. Diana, München 1997. 320 Seiten, DM 44,–.


Gina Kolata ist die Wissenschaftsjournalistin, die am 23. Februar 1997 in der "New York Times" als eine der ersten über das Schaf Dolly berichtete (Spektrum der Wissenschaft, April 1997, Seite 18). Auf die Nachricht von der erfolgreichen Klonierung eines Säugetiers aus einer adulten differenzierten Zelle ergoß sich zunächst eine Flut populistischer Artikel in den Zeitungen; es folgten pseudowissenschaftliche Veröffentlichungen wie das Buch "Am Anfang war Dolly. Geklont und manipuliert – Leben als Spielzeug der Wissenschaft" von Ingeborg und Josef Cernaj (Heyne, München 1997). Dagegen ist Gina Kolatas Buch ein Lichtblick.

Wer fertige Antworten sucht auf die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit des Klonierens, wird es enttäuscht weglegen. Wer jedoch Hintergrundwissen sucht, um für sich selbst Antworten finden zu können, dem möchte ich das Werk ans Herz legen. Sein Hauptanliegen ist es, die einzigartige Bedeutung dieses Experimentes klarzumachen.

Gina Kolata beschränkt sich nicht auf die ethische Seite des Problems, sondern vermittelt eindrücklich dessen wissenschaftliche Bedeutung. Dabei konzentriert sie sich auf die für dieses Experiment wohl wichtigste Frage: Ist die Differenzierung einer Zelle umkehrbar oder endgültig?

Ihr Gang durch die Geschichte der Klonierung liest sich streckenweise wie ein Wissenschaftskrimi. Zwischen den ersten Überlegungen zur Differenzierung bei den antiken Gelehrten Aristoteles (384 bis 322 vor Christus) und Seneca (4 vor bis 65 nach Christus) und dem gelungenen Klonierungs-Experiment durch Ian Wilmut und Keith Campbell vom Roslin-Institut in Roslin bei Edinburgh liegen die Namen bekannter Wissenschaftler, geniale Hypothesen und Experimente, widersprüchliche Interpretationen der Ergebnisse und zwei Geschichten, die zu ihrer Zeit beträchtliche Erregung auslösten: Im Frühjahr 1978 behauptete der angesehene Wissenschaftsjournalist David Rorvik, Zeuge der Klonierung eines Menschen – eines exzentrischen, nicht namentlich genannten Millionärs – geworden zu sein; und im Januar 1981 gab der hochgeachtete Wissenschaftler Karl Illmensee, damals an der Universität Genf, die Klonierung von drei Mäusen bekannt. Beide konnten ihre Behauptungen weder beweisen, noch konnten sie einer Falschaussage überführt werden. Gina Kolata weicht auch bei der Darstellung dieser spektakulären Fälle nicht von ihrem hohen Niveau ab. Sie läßt die Aussagen von Zeitzeugen und Dokumenten für sich sprechen.

Mit dem Skandal um Illmensee verabschiedete sich die Elite der Molekularbiologen aus der Klonierungsforschung bei Säugetieren. Die meisten Wissenschaftler hielten sie für aussichtslos. So erklärt Gina Kolata, wie ein erstrangiges Thema, dem sich jahrelang Wissenschaft und neu entstehende Bioethik gleichermaßen gewidmet hatten, fast unbemerkt in zwei abgelegenen Labors verschwand und erst mit der Nachricht von Dolly wieder an eine gleichermaßen überraschte und entsetzte Öffentlichkeit gelangte.

Wie sehr die allgemeine Wissenschafts- und Technikskepsis die Einschätzung des Experiments beeinflußt, stellt Gina Kolata überzeugend dar, indem sie neben der wissenschaftlichen Chronik Zeitströmungen mit Science-Fiction-Romanen und -Filmen sowie mit Zitaten von nicht unmittelbar Beteiligten belegt. Wäre Dolly zwanzig Jahre früher geklont worden, die breite Öffentlichkeit hätte Wilmut wahrscheinlich zu Füßen gelegen.

Gina Kolata relativiert damit jede plakative Antwort auf die ethischen Probleme der Klonierung als eine Reaktion auf die Zeitströmung. Sie setzt diesen Gedanken fort in den Kapiteln, die sich nun explizit mit der Frage auseinandersetzen, wie mit dem neuen Wissen umzugehen sei. Befürworter und Ablehner der neuen Techniken kommen gleichermaßen zu Wort, darunter zwei Theologen, welche die gleiche Genesis-Stelle für und gegen ein Verbot der Klonierung anführen.

Die Autorin greift die existentiellen Ängste der Ablehner ebenso auf wie die Hoffnungen der Befürworter, die ein neues medizinisches Zeitalter anbrechen sehen; sie verurteilt jedoch an keiner Stelle eine der Seiten. Was sie aber verurteilt, ist die Gleichgültigkeit gegenüber den eigentlichen Fragen, die sich uns nun stellen. Reiner Pragmatismus, wie sie ihn in Ian Wilmut verkörpert sieht, ist ihr ebenso unheimlich wie bequemliche Gedankenlosigkeit oder vorschnelles Urteilen. Die ethischen Fragen sind dafür zu wichtig und komplex. Stefanie Glaser Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1998, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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