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Der Erfolg des Montrealer Protokolls

Dieses Abkommen und seine nachfolgenden Verschärfungen dämmen durch ein Produktionsverbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen die Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht ein. Doch bis zur Unterzeichnung mußten zahlreiche Widerstände überwunden werden.

Im Jahre 1987 wurde mit dem Montrealer Protokoll ein internationales Umweltregime geschaffen, das den völligen Ausstieg aus der Produktion ozonzerstörender Substanzen einleitete (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 62). Von 1986 bis 1992 wurde die Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) weltweit bereits halbiert (Bild). Bis heute haben mehr als 150 Staaten dieses Abkommen unterzeichnet. Auffallend ist der große Einfluß wissenschaftlicher Expertise auf das Zustandekommen dieses Regimes, das im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht.

Im Vergleich zu anderen Bereichen, in denen staatliche Regulierungen stattfinden, sind bei umweltpolitischen Themen oft keine Interessengruppen vorhanden, zwischen denen durch Umverteilung von Ressourcen ein Kompromiß geschlossen werden könnte. Statt dessen befindet sich auf der einen Seite die Industrie, bei der sich die Kosten von Regulierungen konzentrieren; auf der anderen Seite stehen die Interessen zum Schutz der Umwelt, die weit gestreut und deshalb äußerst schwer zu organisieren sind. Daraus ergibt sich ein struktureller Ausgangsvorteil für die Industrie, der nur verringert oder aufgehoben werden kann, wenn die diffusen Interessen durch Sprecher in der öffentlichen Debatte repräsentiert werden. Gelingt ihnen dies in glaubhafter Weise, so muß sich auch die Industrie den vorgebrachten Argumenten öffentlich stellen und sich ihrerseits durch Sprecher repräsentieren.

Umweltpolitische Kontroversen haben eine Besonderheit: Entscheidungen müssen letztlich unter Unsicherheit getroffen werden. Die Industrie verweist in solchen Fällen gern auf die fehlende wissenschaftliche Basis für Regulierungen. Dadurch erfolgt zwangsläufig eine Selbstbindung an die Ergebnisse eines Prozesses, der auf wissenschaftlichen Erkenntissen und ihrer Interpretation beruht. Die Industrie, die generell das strafrechtliche Prinzip der Unschuldsvermutung für die von ihr produzierten Stoffe geltend macht, gerät vor allem dann unter Druck, wenn Sprecher des Vorsorgeprinzips auftreten und die Umkehr der Beweislast fordern. Dieser Druck wird besonders stark, wenn Wissenschaftler diese Rolle übernehmen: Dadurch entsteht ein gemeinsames Schlachtfeld mit der Industrie, ohne aufwendige Organisierung von Betroffeneninteressen, durch die normalerweise bestimmte Forderungen überhaupt erst in die Debatte eingebracht würden.

Die Regulierung ozonzerstörender Substanzen kann als Paradefall einer solchen Konstellation gelten. Auf das Problem aufmerksam machten F. Sherwood Rowland und Mario Molina, zwei Chemiker der Universität von Kalifornien in Irvine. Sie stellten 1974 in der Zeitschrift "Nature" die Hypothese auf, daß die seit den fünfziger Jahren industriell hergestellten und mittlerweile in vielen Anwendungsgebieten – beispielsweise als Treibgas in Spraydosen, für das Verschäumen von Kunststoffen und als Kühlmittel – eingesetzten FCKWs eine langfristige Abnahme der globalen Konzentration des Ozons in der oberen Stratosphäre zur Folge haben könnten, was wiederum schädliche Auswirkungen auf biologische Systeme hätte (zum Beispiel durch vermehrt auftretenden Hautkrebs).

Die beiden Wissenschaftler publizierten nicht nur ihre Ergebnisse in der Fachliteratur, sondern entfachten eine politische Debatte, in der sie sich für eine Emissionsminderung dieser Chemikalien einsetzten. Wenngleich sie anfangs nur wenig Unterstützung von Forscherkollegen erhielten, konnte schließlich eine Regulierungsempfehlung der National Academy of Science die Regierung von der Notwendigkeit einer vorsorglichen Politik überzeugen – bereits 1977 verboten die Vereinigten Staaten FCKWs als Treibgas in Spraydosen.

Diese Maßnahme verminderte die Welt-FCKW-Produktion um etwa ein Viertel. Das Verbot wurde nicht aufgrund des wissenschaftlichen Nachweises der Kausalhypothese erlassen, sondern weil sie der Öffentlichkeit und den Entscheidungsträgern als glaubwürdig erschien. Die Industrie beharrte zwar darauf, die FCKW-Ozon-Hypothese sei nur reine Spekulation, doch vermochte sie das Aersolverbot nicht zu verhindern. (Mittlerweile haben sich die Ansichten der beiden Autoren allgemein durchgesetzt, und ihnen wurde 1995 gemeinsam mit dem Holländer Paul Crutzen, der sich am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz ebenfalls um die Erforschung der atmosphärischen Zusammenhänge verdient gemacht und sich als politischer Warner betätigt hat, der Nobelpreis für Chemie verliehen.)

Obwohl die USA versuchten, auch andere große Erzeugerländer – insbesondere die Europäische Gemeinschaft – zu einem FCKW-Produktionsstopp zu bewegen, mochten sich diese nicht einer Vorreiterrolle anschließen; lediglich Staaten ohne eigene FCKW-Herstellung (Kanada, Norwegen und Schweden) erließen dieselbe Maßnahme. Die europäischen Hersteller hatten Mitte der achtziger Jahre einen Wettbewerbsvorteil auf Kosten der USA erreicht, den sie nicht kampflos aufgeben wollten. Zur Legitimation der ablehnenden Haltung führten sie erwartungsgemäß wissenschaftliche Erkenntnisse an, welche die Lage entdramatisierten, wodurch politische Eingriffe als nicht geboten erschienen. Die Europäische Gemeinschaft reduzierte 1980 den Einsatz von FCKWs im Aerosolbereich nur um 30 Prozent und war lange Zeit lediglich bereit, über eine künftige Produktionsbeschränkung zu sprechen.

Nach 1985 geriet diese Abwehrhaltung durch zwei Faktoren unter Druck: Die Entdeckung des sogenannten Ozonlochs über der Antarktis rief die Brisanz der Situation auf dramatische Weise ins Bewußtsein; hatten bis dahin die Prognosen über langfristige Ozonabnahmen zwischen null und 20 Prozent geschwankt, war nunmehr bereits ein aktueller lokaler Schwund von 50 Prozent festzustellen. Ferner verschärften sich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Differenzen über eine gemeinsame Linie. Die Bundesrepublik zeigte sich aufgeschlossen gegenüber den weitreichenden amerikanischen Reduktionsvorschlägen, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien hingegen nicht. Weil Entscheidungen der EG auf dem Umweltsektor damals Einstimmigkeit erforderten, definierten damit die ablehnenden Länder die gemeinsame Haltung.

Interessant ist die Rolle der Wissenschaftler als öffentliche Sprecher diffuser Interessen. In den USA traten sie – wie erwähnt – bereits ab 1974 auf, wobei sich ab 1985 auch zunehmend solche Forscher beteiligten, die bis dahin passiv geblieben waren. Insbesondere die Stellungnahmen der NASA als großer Forschungsinstitution fanden weltweit Beachtung.

Auch in Großbritannien und in der Bundesrepublik hoben Wissenschaftler öffentlich die Gefährdung durch FCKWs hervor. In Deutschland griffen interessierte Politiker die Problematik auf und gründeten die Enquetekommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre", die zu umfassenden Regulierungen riet und maßgeblich die deutsche Umweltaußenpolitik bestimmte. Die Arbeit dieser Kommission beeinflußte andere europäische Länder, vor allem Großbritannien. Dort war zusätzlich eine Verschiebung im öffentlichen Engagement der Wissenschaftler festzustellen: Taten sich die englischen Forscher in den siebziger Jahren noch als Sprecher für die Industrie hervor, indem sie die Gefahren für die Ozonschicht herunterzuspielen suchten, setzte sich nunmehr der Entdecker des Ozonlochs, Joseph Farman, an die Spitze der öffentlichen Warner. Waren sich britische Wissenschaft, Industrie und Regierung zuvor einig, mit Regulierungen so lange abzuwarten, bis eindeutige wissenschaftliche Beweise vorliegen würden, schloß sich Großbritannien schließlich 1988 der fortschrittlichen deutschen Linie in der EG an. In Frankreich, Italien und Spanien hatte keine vergleichbare öffentliche Debatte oder öffentliches Engagement von Wissenschaftlern stattgefunden; diese Länder gaben aber im Gefolge von Großbritannien ebenfalls ihren Widerstand auf.

Indes wäre es verfehlt zu glauben, daß sich bei diesem Prozeß wissenschaftliche Erkenntnis in politische Entscheidungen transformiert, mithin ein Sieg der (ökologischen) Vernunft über (ökonomische) Interessen stattgefunden habe. Die Vernunft muß das Nadelöhr ökonomischer Kalküle und politischer Macht passieren, wenn sie Einfluß gewinnen will. Erstaunlicherweise gelingt ihr dies manchmal, ohne daß eine komplette Beweisführung vorliegt, sondern erhebliche wissenschaftliche Unsicherheiten fortbestehen. Bei der Vertragsunterzeichnung in Montreal gab es keinen Konsens über wesentliche wissenschaftliche Fragen.

In zwei Schüben gelang es den Regulierungsbefürwortern, die Glaubwürdigkeit ihrer Argumente immens zu steigern: Im Jahre 1986 änderte der weltgrößte FCKW-Hersteller DuPont seine Haltung, und die Bundesrepublik schloß sich der amerikanischen Forderung nach strengen Maßnahmen an; 1988 schließlich vollzog Großbritannien seinen Wandel. Beide Positionsänderungen erzeugten eine Art Dominoeffekt, weil jeweils Sprecher von Industrieinteressen, an denen sich viele andere Akteure orientierten, gleichsam umfielen. Du Pont hatte sich seit 1974 zum weltweit prominentesten Anwalt der FCKWs gemacht und in ganzseitigen Anzeigen, beispielsweise in der "New York Times" vom 30. Juni 1975, vollmundig erklärt: "Should reputable evidence show that some fluorocarbons cause a health hazard through depletion of the ozone layer, we are prepared to stop production of the offending compounds." ("Sollten allgemein anerkannte Fakten erweisen, daß manche Fluorchlorkohlenwasserstoffe die Ozonschicht ausdünnen und dadurch die Gesundheit bedrohen, sind wir bereit, die Produktion der schädigenden Substanzen einzustellen.")

In den folgenden Jahren unternahm Du Pont alles, um das Fehlen einer solchen wissenschaftlichen Evidenz herauszustreichen. In denselben Anzeigen skizzierte das Unternehmen seine politische Linie für die kommenden Jahre: "Claim meets counterclaim. Assumptions are challenged on both sides. And nothing is settled." ("Behauptung steht gegen Behauptung. Jede Seite lehnt die Mutmaßungen der anderen ab. Und nichts ist erwiesen.") Durch diese frühe Selbstbindung hatte man allerdings die wissenschaftliche Forschung als Schlachtfeld akzeptiert und machte sich von deren Ergebnissen abhängig. Es dürfte kaum überraschen, daß sich Industrie und warnende Wissenschaftler gegenseitig oft mangelnde Objektivität vorwarfen.

In der Bundesrepublik traten in den siebziger Jahren weder Wissenschaftler öffentlich als Sprecher auf, noch hatte die Öffentlichkeit Einblick in den politischen Entscheidungsprozeß. Darum dominierte erwartungsgemäß die Industrie, und zwar bis in die Mitte der achtziger Jahre hinein. So kamen die Aerosol-Produzenten 1976 mit einer freiwilligen Verpflichtung davon, den Einsatz der FCKWs um 30 Prozent zu reduzieren. Als sich die Bundesregierung schließlich von den Herstellerfirmen abwendete, verlor die Industrie einen wertvollen Sprecher, wodurch zugleich die Sache der Regulierungsbefürworter an Glaubwürdigkeit gewann.

Welche Gründe waren maßgeblich dafür, daß diese Akteure ihre Position aufgaben und dadurch letztlich das Abkommen von Montreal und seine späteren Verschärfungen ermöglichten? Auf eine einfache Formel gebracht: Den Regulierungsbefürwortern gelang es, ihre Position weitaus glaubwürdiger darzustellen, als der Gegenseite. Unternehmen fürchteten um ihr Image, das durch ein stures Festhalten an den umstrittenen Stoffen irreparablen Schaden hätte nehmen können. Und Regierungen fürchteten Wählerstimmenverluste sowie internationale Isolation, als sich abzuzeichnen begann, daß nach und nach andere relevante Staaten ihre Haltung ändern würden.

Die Chronologie deutet an, daß gleichsam der Stein, der alles ins Rollen brachte, die Positionsänderung DuPonts war. Dieses Unternehmen hatte bereits in den siebziger Jahren an Image eingebüßt, als Kunden FCKW-haltige Spraydosen boykottierten. Es hatte auch erfahren, daß unilaterale Regulierungen seine internationale Wettbewerbsfähigkeit vermindern. Beides drohte nach Einschätzung der Firma nach der Entdeckung des Ozonlochs zu eskalieren. Zudem befürchtete man Schadensersatzklagen von Hautkrebsopfern.

So gesehen liegt der Schlüssel zum Verständnis des erfolgreichen Ozonregimes tatsächlich in den siebziger Jahren. War beim Zustandekommen des Montrealer Protokolls 1987 noch immer politischer Druck entscheidend, so entfaltete die erfolgreiche Suche nach Substituten und Produktionsverfahren in den nachfolgenden Jahren eine ökonomische Sogwirkung, die mittlerweile – bis auf wenige Ausnahmen – alle ehemaligen FCKW-Produzenten erfaßt hat.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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