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Mikrobiologie: Der Gemeinschaftssinn der Bakterien

Viele Mikrobenarten können ihre eigene Bevölkerungsdichte ermitteln und ihr Verhalten darauf einstellen. Untersuchungen der molekularen Grundlagen dieses Phänomens ergaben nun Überraschendes.


Die Unterscheidung zwischen Einzellern (Bakterien, Archäen, Urtierchen, Hefen) und den »höheren« vielzelligen Organismen, zu denen alle Tiere und Pflanzen zählen, scheint eine der grundlegendsten und einfachsten Einteilungen der Biologie zu sein. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sie sich jedoch als trügerisch. So beginnt selbst der Mensch seinen Lebenslauf als Einzeller. Umgekehrt durchläuft die Amoebe Dictyostelium, gängiges Paradebeispiel eines Urtierchens (Protozoons), einen komplizierten Lebenszyklus, in dem sie mal als Kolonie von Einzellern, mal als pflanzenartiger Vielzeller auftritt. Erst vor kurzem konnte sie anhand einer teilweise vollendeten Genomsequenz richtig in den Stammbaum des Lebens eingeordnet werden (bei den Tieren statt den Pflanzen). Und wie sieht es mit den Bakterien aus?

Nach alter Lehrbuchweisheit handelt es sich um Einzeller, die in der Gegend herumschwimmen, solange sie genug Nährstoffe haben, und sich nach einer gewissen Zeit in zwei Tochterzellen aufteilen. Nun folgen Bakterien diesem simplen Muster exponentiellen Wachstums zwar, wenn sie im Labor gezüchtet werden. Doch draußen in der freien Natur pflegen sie teils einen ganz anderen Lebensstil. Viele von ihnen treten überhaupt nicht als Einzelkämpfer in Erscheinung, sondern sind normalerweise in Zweckgemeinschaften mit fremden Lebewesen eingebunden, indem sie zum Beispiel – wie Verdauungsbakterien oder photosynthetische Bakterien in Flechten – symbiotische Beziehungen mit anderen Arten unterhalten.

Doch auch mit ihresgleichen können Mikroben Verbände bilden, die erstaunlich organisiert sind. Gewisse Gemeinschaftsaktionen, etwa Lumineszenz oder Erzeugung von Giftstoffen, die ihren Wirt angreifen, unternehmen sie erst, wenn sie so zahlreich sind, dass sich die Mühe auch lohnt. Um festzustellen, wie viele ihrer Artgenossen anwesend sind, benutzen die Bakterien eine Art der chemischen Kommunikation, die man Quorum Sensing nennt. Sie scheiden einen Signalstoff (Autoinducer oder Pheromon) aus und messen dann mit Hilfe eines spezifischen Rezeptors die Konzentration dieses Stoffs. Sind nur wenige Artgenossen anwesend, so verflüchtigt sich das Pheromon durch Diffusion schneller, als es nachgeliefert wird. Ist dagegen eine gewisse kritische Dichte der Population überschritten, baut sich eine nachweisbare Konzentration des Signalstoffs auf.

Entdeckt wurde dieses Phänomen bei den Leuchtbakterien der Art Vibrio fischeri. Sie schalten ihr Licht erst an, wenn genügend von ihnen anwesend sind. Dann befinden sie sich nämlich als Schmarotzer im Leuchtorgan eines Tintenfischs und revanchieren sich für die Gastfreundschaft, indem sie ihrem Wirt zu einem Scheinwerfer für die bessere Orientierung in der nachtschwarzen Tiefsee verhelfen.

In den 1980er Jahren gelang es, den zugehörigen Signalstoff und die für seine Wirkung verantwortlichen Gene zu identifizieren. Vibrio wurde so zum klassischen Modell dieses Kommunikationssystems, das man in jener Zeit noch für eine Besonderheit der Leuchtbakterien hielt. Erst in den 1990er Jahren fanden britische Wissenschaftler an den Universitäten Warwick und Nottingham heraus, dass die Synthese von Antibiotika in Erwinia carotovora auf ähnliche Weise reguliert wird. Seitdem hat sich gezeigt, dass Quorum Sensing bei zahlreichen Arten in vielerlei Zusammenhängen auftritt. Ein wichtiges Beispiel ist das Verhalten von Krankheitserregern, welche die Produktion ihrer Angriffswaffen erst ankurbeln, wenn sie in ausreichender Zahl im Wirtsorganismus versammelt sind.

Obwohl über die genetischen Voraussetzungen der Bakterienkommunikation mittlerweile umfassendes Material existiert, lagen die genauen molekularen Wirkungsweisen der Signalstoffe und ihrer Rezeptoren bis vor kurzem noch im Dunkeln. Jetzt wurden erstmals zwei solche Rezeptoren zusammen mit den zugehörigen Pheromonen per Röntgenstrukturanalyse aufgeklärt. In beiden Fällen enthüllte der genaue Blick Ungeahntes.

Die Arbeitsgruppe von Frederic Hughson an der Universität Princeton (New Jersey) hatte besonderes Glück, als sie ein Rezeptorprotein namens LuxP aus dem Leuchtbakterium Vibrio harveyi kristallisierte (Nature, Bd. 415, S. 545). Bei der Auswertung der Röntgenbeugungsdaten erhielten die Forscher nicht nur die Struktur des Proteins, sondern auch die des daran gebundenen Pheromons: des Autoinducers AI-2. Von dem hatte man bis dahin nicht einmal die chemische Zusammensetzung gekannt, obwohl es sich um einen Signalstoff handelt, der von vielen Arten benutzt wird und möglicherweise sogar der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Spezies dient. Das unerwartet aufgefundene Signalmolekül aber barg eine weitere Überraschung: das erste Auftreten von Bor in einem Biomolekül. Man wußte zwar schon lange, dass dieses Metall für manche Organismen ein essenzielles Spurenelement ist und demzufolge eine biologische Funktion haben muss, doch worin sie bestehen könnte, war völlig offen.

Signal und Schalter zugleich

Nur wenige Monate später veröffentlichte die Arbeitsgruppe von Andrzej Joachimiak am Argonne-National-Laboratorium (Illinois) die Struktur einer weiteren bakteriellen Kommunikations-Antenne, die allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang von Bedeutung ist. Der Schädling Agrobacterium tumefaciens trägt seinen Namen, weil er bei bestimmten Feldfrüchten tumorartige Wucherungen auslöst. Dabei garantiert ein kompliziertes Netz aus Signalwegen, dass das Bakterium sein spezielles Genprogramm zur Infektion von Pflanzen erst anwirft, wenn es sich tatsächlich in einer solchen befindet und obendrein genügend Artgenossen mitmachen.

Entdeckt die Mikrobe gewisse Nährstoffe ihres pflanzlichen Opfers, schaltet sie die Produktion eines Proteins namens TraR an, um Funkkontakt mit potenziellen Mitstreitern aufzunehmen. Dieser Eiweißstoff fungiert als Antenne für den artspezifischen Autoinducer, ist aber zugleich auch ein Schalter, der für die Ablesung von gewissen Genen sorgt, sobald das Pheromon angedockt hat. Während Kommunikationswege in Tieren und Pflanzen typischerweise eine Reihe von Schritten vom Rezeptor in der Zellmembran bis zur Aktivierung der Gene im Zellkern umfassen, stellt TraR also eine direkte Verbindung zwischen Signalempfang und Genexpression her.

Joachimiak und seine Mitarbeiter suchten dies auszunutzen und kristallisierten das Protein in Anwesenheit des Autoinducers sowie eines geeigneten DNA-Fragments. Tatsächlich gelang es ihnen auf diese Weise, die Struktur eines vollständigen Komplexes aus allen drei Komponenten zu entschlüsseln (Nature, Bd. 417, S. 971). Auf je eine DNA-Doppelhelix kamen zwei TraR-Moleküle, von denen jedes ein Exemplar des Signalstoffs fest umschlossen hielt. Dieser Klammergriff legt nahe, dass das Protein in Abwesenheit des Autoinducers eine ziemlich offene Struktur hat und flexibel genug bleibt, um sich um das kleinere Molekül herumwinden zu können.

Das erklärt einige biochemische Beobachtungen wie die Empfindlichkeit des ungebundenen TraR gegenüber Verdauungsenzymen und die Festigkeit der Bindung an den Autoinducer, von dem es sich allein nicht mehr lösen kann. Außerdem macht dies die Kopplung der Rezeptorfunktion an die Endwirkung, die Funktion als Transkriptionsfaktor, verständlich. Nur wenn sich das Protein um das »Gerüst« des Autoinducers herumgewickelt hat, nimmt es die richtige Doppelkopf-Struktur an, mit der es die angepeilte DNA-Sequenz binden und die Genfunktion anknipsen kann.

So bemerkenswert diese ersten Einblicke sind, steht die Erforschung der Kommunikation zwischen Bakterien doch erst am Anfang. Bisher gibt es nur wenige Befunde an einzelnen Mikroben, wobei unklar bleibt, inwieweit sie artspezifisch oder allgemein gültig sind. So darf man von der fortschreitenden Erkundung dieses Gebiets noch etliche Überraschungen erwarten. Eines zeichnet sich freilich jetzt schon ab: Bakterien sind keineswegs so primitiv und dumm, wie wir ihnen in unserer menschlichen Überheblichkeit gerne unterstellen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2003, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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