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Geschichte der Genetik: Der Mönch im Garten - Die Geschichte des Gregor Mendel und die Entdeckung der Genetik

Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Argon, Berlin 2001. 375 Seiten, € 20,40


Angesichts der spektakulären Erfolge der modernen Gentechnik mag es verdienstvoll sein, einen genaueren Blick auf die Anfänge zu werfen, auch wenn diese in groben Zügen in fast jedem Schulbuch nachzulesen sind: Vor fast 150 Jahren kreuzte der Augustinermönch Gregor Johann Mendel im Garten des Klosters St. Thomas im damals mährischen Brünn acht Jahre lang Erbsen und wurde mit seiner akribischen Versuchsstatistik zum Wegbereiter der Vererbungswissenschaft.

Die renommierte amerikanische Wissenschaftsjournalistin Robin Marantz Henig taucht mit der vorliegenden Darstellung einfühlsam in das Leben Mendels ein. Der mittellose Bauernbub entschloss sich auf Drängen eines Lehrers, ins Kloster zu gehen, und wurde schließlich dessen Abt. Der fleißige, glücklich experimentierende Mönch war eine eher etwas schrullige Persönlichkeit und keineswegs der wissenschaftliche Heros, zu dem ihn manche Nachbetrachtung aus dem frühen 20. Jahrhundert stilisierte.

An Material standen der Autorin nur zwei ältere Biografien zur Verfügung (Hugo Iltis, »Gregor Johann Mendel«, Berlin 1924, und Víteszlav Orel, »Gregor Mendel: The First Geneticist«, Oxford 1996) sowie etwa ein halbes Dutzend erhaltener Briefe an den Münchener Botaniker Carl von Nägeli. Denn nach Mendels Tod ließ dessen Nachfolger auf dem Abtstuhl, da auch die nächste Verwandtschaft kein Interesse anmeldete, den gesamten Nachlass auf dem Klosterhof verbrennen. Zwangsläufig musste Henig große Lücken in den Quellen durch interpretierende Nacherzählungen überbrücken.

Die Lebensgeschichte Mendels, dem zu Lebzeiten die Anerkennung der Fachwelt nahezu völlig versagt blieb, füllt etwas mehr als die Hälfte des Buches. Der zweite, nicht minder aufschlussreiche Teil behandelt die Rezeptionsgeschichte des unterdessen berühmten, 1865 in den »Verhandlungen« des Naturwissenschaftlichen Vereins von Brünn erschienenen Aufsatzes »Versuche über Pflanzenhybriden«. Unter anderem aus dem Verbleib der elf heute noch lokalisierbaren Sonderdrucke der Veröffentlichung, die Mendel seinerzeit an seine Korrespondenzpartner versandt hatte, rekonstruiert Henig die genaueren Umstände der (angeblichen) Wiederentdeckung der Mendel’schen Befunde durch die erbitterten Konkurrenten Hugo de Vries, Carl Correns und den heute eher als Randfigur eingeschätzten Erich von Tschermak. Dieser Buchteil – von der Autorin ausdrücklich als zweiter Akt im Lebensdrama von Mendel bezeichnet – beleuchtet insbesondere die weitgehend unterschätzte Rolle des britischen Zoologen William Bateson (1861-1926), der für die Verbreitung der Mendel’schen Befunde deutlich mehr geleistet hat als alle Experimentatoren, die um 1900 Kreuzungen mit Nachtkerzen, Lichtnelken, Leinkraut oder Goldlack durchführten. Hugo de Vries beispielsweise erwähnt Mendel lediglich in einer Fußnote. Hervorhebenswert sind in diesem Kontext die zahlreichen begriffsgeschichtlichen Notizen zum heute üblichen klassisch-genetischen Fachvokabular, das Mendel so noch nicht benutzte, aber der Bedeutung nach zweifelsfrei vorweggenommen hat.

Das Buch ist eine recht gelungene Mischung aus Wissenschaftsroman und Sachdarstellung, flüssig geschrieben, ausgesprochen unterhaltsam und vielfach angereichert mit mancherlei Anekdoten oder Episoden. So erfährt der erstaunte Leser, dass Gregor Mendel vor seinen Erbsenkreuzungen zunächst einmal Mäuse züchtete. Es lebt von der Authentizität einer erneuten Recherche am Originalschauplatz Brno und zu einem nicht geringen Teil auch von der Qualität der Übersetzung, selbst wenn diese gelegentlich die Begriffe Hülse und Schote verwechselt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2003, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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