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Der umfassende Kernwaffen-Teststopp - ein Meilenstein der Rüstungsbegrenzung


Anfang 1994 begannen in der Genfer Abrüstungskonferenz (Conference of Disarmament, CD), einer Institution der Vereinten Nationen, konkrete Verhandlungen mit dem Ziel, ein umfassendes Verbot von nuklearen Explosionen zu erreichen. Im Sommer 1996 lag der Vertrag vor, bis Mitte April 1997 hatten ihn bereits 143 Staaten unterzeichnet, darunter auch die fünf Kernwaffenstaaten USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und China.

Die politische Bedeutung dieses Teststoppabkommens reicht über seine direkte Wirkung, das Eindämmen eines weiteren qualitativen Rüstungswettlaufs, hinaus: Im Laufe der Jahrzehnte hatte es sich fast zu einem Synonym für nukleare Rüstungskontrolle entwickelt. Dieser Symbolcharakter war im Frühjahr 1995 noch einmal verstärkt worden durch die unbefristete Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages, bei der ein Teststopp ausdrücklich als Abrüstungsmaßnahme bezeichnet wurde, die bis spätestens 1996 zu implementieren sei (Spektrum der Wissenschaft, August 1995, Seite 98). Dadurch ist er zu einem wichtigen Pfeiler des nuklearen Nichtverbreitungsregimes geworden.

Elemente des Vertrages

Der Vertrag besteht aus einer Präambel, siebzehn Artikeln, mehreren Anlagen und einem Protokoll. Um den Text der Präambel – der den eigentlichen Zweck des Abkommens deutlich machen soll – wurde in den Verhandlungen heftig gerungen. Strittig war im wesentlichen, wie stark jeweils die Beendigung des qualitativen Rüstungswettlaufs, die vollständige nukleare Abrüstung und die Nichtverbreitung von Kernwaffen als Ziele betont werden sollten. Alle Elemente sind indes im Text enthalten, wenn auch zum Teil in verklausulierter Form. So ist zum Beispiel nur die Rede von der "Einschränkung der Weiterentwicklung und qualitativen Verbesserung von Kernwaffen", aber immerhin auch von der "Beendigung der Entwicklung besserer neuer Arten von Kernwaffen".

Artikel I legt die grundlegenden Verpflichtungen fest (Bild 1), Artikel II die künftige Handhabung: Zur Erfüllung des Vertrages soll in Wien die sogenannte Organisation des Abkommens über einen umfassenden Teststopp (Comprehensive Test Ban Treaty Organisation, CTBTO) eingerichtet werden. Sie wird eine jährliche Konferenz der Vertragsstaaten, einen Exekutivrat – bestehend aus 51 Mitgliedern – sowie ein Technisches Sekretariat umfassen, dem ein Internationales Datenzentrum (International Data Centre, IDC) unterstehen wird. Der Exekutivrat ist das ausführende Organ; seine wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, in Verdachtsfällen und im Falle eines Vertragsbruches über das Vorgehen zu entscheiden. Im Frühjahr 1997 ist unter Leitung des ehemaligen deutschen CD-Botschafters Wolfgang Hoffmann eine Vorbereitungskommission zum Aufbau der CTBTO eingerichtet worden. Jeder Staat ist verpflichtet, alle erforderlichen innerstaatlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vertragserfüllung unter seiner Jurisdiktion zu gewährleisten (Artikel III).

Artikel IV, der umfangreichste Teil des Vertrages, regelt die Verifikation, also die Überwachung der Einhaltung seiner Bestimmungen. Ihr zentraler Teil ist ein technisches Überwachungssystem. Des weiteren werden ausgeklügelte Mechanismen zur Konsultation und Klarstellung in Verdachtsfällen festgelegt wie zum Beispiel die komplizierten Regelungen zum Durchführen von Inspektionen vor Ort. Weitere Einzelheiten der Verifikation regelt ein ausführliches Protokoll. Über Maßnahmen zur Einhaltung des Vertrages sollen bei Bedarf die Vereinten Nationen entscheiden (Artikel V). Die restlichen zwölf Artikel betreffen die üblichen formaljuristischen Punkte: die Regelung von Streitigkeiten beispielsweise, aber auch das Inkrafttreten, die Geltungsdauer, den Beitritt und die Möglichkeiten des Rücktritts.


Probleme des Inkrafttretens

Trotz der Unterzeichnung des Vertrages durch die meisten Staaten ist ungewiß, wann er in Kraft treten wird. Dies hängt mit hartnäckigen Positionen einiger der Verhandlungspartner zusammen.

Im Frühjahr 1996 schien es, als ob es der Abrüstungskonferenz nicht gelänge, sich bis Ende Juni auf einen Vertragstext zu einigen, der dann der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Annahme vorgelegt werden sollte. Manche der substantiellen Meinungsverschiedenheiten konnten rechtzeitig ausgeräumt werden, doch in einer Hinsicht blieben die Positionen unvereinbar: Rußland, China und Großbritannien bestanden auf einer Klausel, die den Vertrag nur in Kraft treten läßt, wenn er mindestens auch von Indien, Pakistan und Israel ratifiziert würde. Diese drei Staaten vermutet man nämlich im Besitz von Kernwaffen, und sie weigern sich, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten.

Indien seinerseits hatte angekündigt, das Teststoppabkommen nicht nur nicht zu unterzeichnen, sondern auch dagegen zu stimmen, den Text an die Vereinten Nationen weiterzuleiten, wenn diese Klausel nicht gestrichen würde. Weil in der Abrüstungskonferenz alle Entschlüsse einstimmig gefaßt werden müssen, hatte Indien – wie jeder andere Verhandlungspartner auch – praktisch ein Vetorecht. Damit war die Konferenz blockiert. Doch mittels eines Tricks wurde der Text im August doch der UN-Generalversammlung vorgelegt: nämlich nicht von der Abrüstungskonferenz, sondern von einer Gruppe einzelner Staaten. Auf diese Weise vermochte man Indiens Veto zu umgehen, und eine überwältigende Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnete den Vertrag.

Freilich ist die umstrittene Klausel im Text geblieben. Ihr zufolge müssen mindestens 44 namentlich aufgelistete Staaten, darunter auch Indien, den Vertrag ratifiziert haben, damit er in Kraft treten kann. Doch Indien hält das Abkommen nach wie vor für diskriminierend, weil es den Kernwaffenstaaten die Weiterentwicklung ihrer Sprengköpfe erlaube, anderen Staaten aber Beschränkungen auferlege; es fördere nur die Nichtverbreitung, nicht jedoch die Abrüstung. Vor einem Beitritt Indiens müsse es einen Zeitplan für vollständige nukleare Abrüstung geben.

Ein Inkrafttreten des Teststoppvertrages ist demnach so bald nicht zu erwarten. Indes entfaltet er schon jetzt seine Wirkung, denn er gilt nach dem Völkerrecht für die Staaten als bindend, die ihn bereits unterschrieben haben – und damit auch für die fünf etablierten Kernwaffenstaaten. Ferner würde jedes andere Land, das es nun wagen sollte, einen Nukleartest durchzuführen, sich von der internationalen Gemeinschaft isolieren und die entsprechenden politischen Folgen zu tragen haben. Demgemäß wurde bereits damit begonnen, die Verifikationsbehörde in Wien und das für die Überwachung vorgesehene umfangreiche technische Sensornetz aufzubauen.


Was ist verboten, was ist erlaubt?

Die indische Haltung wirft zumindest weitere Fragen auf: Ist der Teststoppvertrag tatsächlich diskriminierend? Und könnte es nicht auch weiterhin möglich sein, neue Kernwaffen zu entwickeln, so daß der qualitative Rüstungswettlauf doch nicht beendet wäre? Ist der Vertrag also nicht mehr als ein politisches Symbol, noch dazu eines, das falsche Tatsachen vorgaukelt? Ob dies so ist, hängt entscheidend vom Verbotstatbestand des Vertrages ab. Dieser legt fest, welche technischen Aktivitäten künftig noch erlaubt sind und welche nicht. Er stellt den eigentlichen Kern der Teststoppvereinbarung dar.

Für die Einigung auf einen Verbotstatbestand mußten zwei prinzipielle Schwierigkeiten berücksichtigt werden. Die eine ist die zivil-militärische Ambivalenz: Experimente, die rein zivilen Zwecken dienen, aber dennoch ungewollt Beiträge zur Kernwaffenforschung liefern können, lassen sich nicht sinn- und wirkungsvoll verbieten. Dazu zählt auch die Laser- oder Trägheitseinschlußfusion, mit der man ein Fusionsplasma zu erzeugen sucht, um neue Energiequellen zu erschließen oder Erkenntnisse für die Astrophysik zu gewinnen (Bild 2); doch löst man dabei nichts anderes als eine Miniatur-Wasserstoffbombenexplosion aus, die grundlegendes Wissen für den Bau von thermonuklearen Waffen zu liefern vermag. Die andere Schwierigkeit betrifft die Wartung des vorhandenen Nukleararsenals: Solange nicht vollständig abgerüstet ist, wollen die Kernwaffenstaaten Alterungseffekte in den Kernsprengkörpern erkennen und beheben sowie Sicherungsmechanismen überprüfen und modernisieren, wozu Experimente erforderlich sind, die einige physikalische Eigenschaften einer Nuklearexplosion simulieren.

Folglich mußte ein Kompromiß gefunden werden. Allerdings waren die Vorstellungen der Kernwaffenstaaten zunächst stark vom Einfluß der Lobbyisten ihrer Kernwaffenkomplexe geprägt, die ihre bisherigen Aufgaben und technischen Möglichkeiten so wenig wie möglich beschränkt sehen wollten. Anfangs hatten diese Staaten untereinander lediglich über eine Testschwelle verhandelt. Die USA befürworteten die engste Begrenzung: Nur sogenannte hydronukleare Tests, deren Energiefreisetzung die von wenigen Kilogramm TNT nicht überschritt, sollten weiterhin erlaubt sein. Frankreich hingegen insistierte auf einer Schwelle von mehreren hundert Tonnen TNT. China wiederum bestand geraume Zeit auf "friedlichen Kernsprengungen", was für die anderen Verhandlungspartner nicht akzeptabel war.

Als Reaktion auf die Proteste gegen die Wiederaufnahme der französischen Kernwaffenversuche verkündete Präsident Jacques Chirac jedoch überraschend am 10. August 1995, daß Frankreich sich jetzt für ein Verbot "aller Kernexplosionen" einsetze. Dies wurde als Nulloption interpretiert, die auch das Verbot hydronuklearer Tests umfaßt. Einen Tag später schlossen sich die USA der Nulloption an; Großbritannien folgte im September, Rußland im März 1996. Die Wende war erreicht.

Verboten ist nun jede Zündung eines Kernsprengsatzes, bei der die Neutronenmultiplikationsrate größer als eins wird, wodurch eine Kettenreaktion ausgelöst würde. Erlaubt sind hingegen unterkritische Tests, für die dieser Wert kleiner als eins bleibt, und hydrodynamische Tests, die überhaupt keine Kernspaltungsenergie freisetzen (damit ließe sich zum Beispiel der Implosionsmechanismus einer Kernwaffe erproben, indem das Spaltmaterial durch ein nicht spaltbares ersetzt würde, was für die Überprüfung von Alterungseffekten ausreichte). Ebenfalls erlaubt sind weiterhin Computersimulationen und Experimente zur Laserfusionsforschung.

Diese Regelungen würden es sicherlich einem Staat ermöglichen, relativ primitive Kernspaltungswaffen nach dem technischen Stand von 1945 zu konstruieren, denn dazu wäre keine experimentelle Kettenreaktion erforderlich. Könnten aber auch die etablierten Kernwaffenstaaten ihr Arsenal weiterentwickeln?

Schwerlich, denn jeder neue Kernsprengkopf würde auf dem Prinzip der Wasserstoffbombe basieren, zu deren Erprobung ein Nukleartest unerläßlich ist. Dies liegt daran, daß zum Auslösen der Kernverschmelzungsreaktion ein Zünder gebraucht wird, der eine ausreichend hohe Energiedichte liefert (Bild 3). Dieser ist nur über eine effiziente Kernspaltungswaffe zu realisieren oder über eine riesige Laserfusionsanlage. Für die Neu- oder Weiterentwicklung von Wasserstoffbomben wäre jedoch eine Fülle von präzisen Meßdaten über das Zündverhalten unabdingbar, die sich nur mit Nukleartests hoher Energiefreisetzung gewinnen ließen, nicht aber mit den noch erlaubten Technologien.

Wären auch hydronukleare oder sogar noch höherenergetische Nuklearexplosionen erlaubt gewesen, hätten sich sehr viel mehr Möglichkeiten für Weiterentwicklungen ergeben. So aber hat der Teststopp neben der politischen tatsächlich auch eine praktische Wirkung, indem er den Stand der Technik gewissermaßen einfriert. Dies gilt nicht nur für die etablierten Kernwaffenstaaten, sondern auch für Länder wie Indien, Pakistan und Israel, die vermutlich über Kernspaltungswaffen, nicht jedoch über Wasserstoffbomben verfügen.

Von diesem komplexen Sachverhalt findet man freilich nichts in dem Vertragstext wieder. Während er insgesamt mehr als einhundert Seiten umfaßt, entfallen auf den eigentlich alles bestimmenden Artikel I nicht mehr als sechs Zeilen. Es heißt dort lediglich ohne nähere Begriffsdefinition, Kernexplosionen seien verboten (Bild 1).

Den Erfahrungen bei den Verhandlungen zufolge hätte das Ausarbeiten eines Definitionstextes wohl zahllose weitere Sitzungen und Konsultationen – teilweise unter Einbeziehung zusätzlicher Fachleute zu den technischen und völkerrechtlichen Aspekten – erfordert sowie Verdächtigungen und Streitereien zwischen den Verhandlungspartnern ausgelöst; und der Prozeß der Ratifikation in den einzelnen Kernwaffenstaaten wäre auf größere innenpolitische Schwierigkeiten gestoßen. Immerhin: Sollte es jemals zu Differenzen darüber kommen, was eine Kernexplosion darstellt, so ließe sich den Aufzeichnungen der Verhandlungen entnehmen, daß zuletzt darunter jeder Test verstanden wurde, der eine sich selbst verstärkende Kernreaktion auslöst, und sei die freigesetzte Energiemenge noch so klein.


Das Problem der Transparenz

Tatsächlich planen einige Kernwaffenstaaten, die nicht verbotenen Aktivitäten intensiv zu nutzen. In den USA richtet man das sogenannte Stockpile-Stewardship-Programm ein, das der weiteren Pflege des vorhandenen Arsenals dient. Es wird ausdrücklich erklärt, daß keine neuen Sprengköpfe entwickelt werden sollen. In den USA und in Frankreich entstehen die derzeit größten Laserfusionsanlagen, die einerseits der internationalen Forschung zur Verfügung stehen, andererseits aber der nationalen Kernwaffenforschung dienen sollen (die National Ignition Facility im Lawrence-Livermore-Natioallaboratorium beziehungsweise der Laser Megajoule im Centre d'Etudes de Limeil-Valenton). Während Frankreich sein Kernwaffenversuchsgelände in Französisch-Polynesien inzwischen geschlossen hat, bauen die USA ihre Anlagen in Nevada sogar weiter aus; dort sind ab diesem Sommer unterkritische Tests vorgesehen. Wie es heißt, will man mit ihnen "die Eigenschaften von gealtertem Plutonium unter hohen dynamischen Drücken studieren". Solche Experimente dienen tatsächlich der Wartung und sind für neuartige Kernwaffenentwicklungen kaum zu gebrauchen, weil sie die dafür erforderlichen Extrembedingungen auch nicht annähernd simulieren können. Manche amerikanischen Fachleute zweifeln sogar einen größeren Nutzen für die Wartung an.

Gleichwohl haben diese Pläne schon Proteste provoziert, und sie werden gern als Beleg dafür angeführt, daß der Teststoppvertrag von den Kernwaffenstaaten unterlaufen werden könne und der weitere qualitative Rüstungswettlauf nicht gestoppt sei. Das Problem ist jedoch ein anderes. Diese unterkritischen Versuche sollen nämlich nicht – was machbar wäre – in einem oberirdischen Bunker durchgeführt werden, sondern unterirdisch. Damit ließen sich die Aktivitäten von außen nicht von einem Nukleartest geringer Energiefreisetzung unterscheiden: Auf einem Satellitenbild sähe die Durchführung eines verbotenen hydronuklearen Tests genauso aus wie die eines erlaubten unterkritischen Experiments. Erst mittels spezieller Maßnahmen direkt vor Ort könnte man den Versuch richtig identifizieren, beispielsweise durch Analyse der Radioaktivität in der unmittelbaren Umgebung – entweder durch unabhängige Beobachter mit mobilen Geräten oder durch spezielle, fest installierte Meßvorrichtungen.

Dieses Problem der Unterscheidung tauchte gar nicht erst auf, würden die unterkritischen Versuche auf der Erdoberfläche durchgeführt werden; denn ein hydronuklearer Test müßte auf jeden Fall unterirdisch stattfinden, weil nicht zuverlässig auszuschließen wäre, daß die ausgelöste Kettenreaktion übermäßig anwächst und dadurch mehr Energie freisetzt als vorgesehen. Die Neutronenmultiplikationsrate hängt nämlich empfindlich von verschiedenen Parametern der Sprengsatz-Konfiguration ab und ist darum im vorhinein nur mit einer gewissen Toleranz bestimmbar.

Während einer früheren Phase der Teststoppverhandlungen setzten sich Deutschland und Schweden dafür ein, auch unmittelbar vor Tests liegende Vorbereitungen zu verbieten. Dies hätte es ermöglicht, verdächtige Aktivitäten rechtzeitig aufzuklären und einen Verstoß nicht nur zu entdecken, sondern zu verhindern. Andere Delegationen forderten sogar, die Testgelände vollständig zu schließen. Doch keine dieser Forderungen konnte sich durchsetzen; auch spezielle Transparenzmaßnahmen auf ehemaligen Testgeländen konnten nicht in den Vertrag eingebracht werden. Solange die Vereinigten Staaten nicht freiwillig solche Maßnahmen einführen, muß man ihnen praktisch glauben, daß ihre Experimente den Rahmen des Erlaubten nicht überschreiten.


Ausblick

Die Auseinandersetzung um das Inkrafttreten des Abkommens, die sich erst gegen Ende der Verhandlungen im Juni 1996 zuspitzte, scheint flüchtig betrachtet ein Streit am Rande zu sein. Tatsächlich ist sie aber ein Symptom für einen viel fundamentaleren Konflikt, der sich auch in anderen Aspekten des Nichtverbreitungsregimes wiederfindet: Die Kernwaffenstaaten sind vor allem an der Nichtverbreitung interessiert, indem sie die technischen Möglichkeiten anderer Länder beschränken wollen; manche der Nicht-Kernwaffenstaaten wiederum fordern zunächst Vorleistungen in der nuklearen Abrüstung, bevor sie selbst auf eine Nuklearoption verzichten wollen. Die zuletzt recht radikale Haltung Indiens, das seine Fähigkeiten zum Bau von Kernwaffen bereits 1974 unter Beweis stellte, ist nur vor diesem Hintergrund erklärbar.

Ein weiterer wichtiger Grund ist aber auch, daß die Kernwaffenstaaten sich überhaupt weigerten, irgendwelche Vorschläge Indiens – auch nicht die durchaus annehmbar erscheinenden – zu akzeptieren. In einem früheren Stadium der Verhandlungen wären vielleicht gesichtswahrende Kompromisse möglich gewesen. Die Folge ist nun, daß Indien sich in der Genfer Abrüstungskonferenz völlig unkooperativ gibt. Es beharrt auf einem Zeitplan für nukleare Abrüstung, doch die Kernwaffenstaaten wollen nicht einmal darüber diskutieren, geschweige denn verhandeln. Weitere Abkommen zur nuklearen Rüstungskontrolle, wie der bereits geplante Cutoff-Vertrag, mit dem die Beendigung der Produktion von Spaltstoffen für Kernwaffen geregelt werden soll, scheinen demnach in weite Ferne gerückt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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