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Verkehrsmanagement: Die bessere Wahl: intermodal

Der Verbund aller Verkehrsmittel und eine elektronische Reiseunterstützung soll den Problemen des innerstädtischen Verkehrs Herr werden.


Auf die Frage nach einer kostengünstigen, umweltbewussten Alternative zum Auto kennen Hardliner nur eine Antwort: Radfahren oder zu Fuß gehen. Aber für die ständig wachsenden Verkehrsprobleme in unseren Städten kann das kaum die Lösung sein. Fundiertere Lösungen verspricht eine Forschungsinitiative der deutschen Industrie unter dem Projektnamen "Mobilität und Transport im intermodalen Verkehr" (Motiv). Nach vierjähriger Arbeit legten die Forscher im Frühsommer 2000 ihre Ergebnisse vor.

Im Mittelpunkt des Vorhabens stand die gemeinsame Suche nach einem alle Verkehrsmittel umfassenden Konzept, das den Reisenden über die beste Route, zur idealen Zeit und mit dem optimalen Verkehrsmittel schnell, sicher und mit möglichst wenig Umweltbelastung an sein Ziel bringt. Im Grunde steckt eine alte Idee dahinter, die aber mangels geeigneter Schnittstellen zwischen den Verkehrsmitteln nicht funktionierte. Kurz: Bislang fehlten dem Mobilitätssuchenden die Informationen, wann, wo und mit welchem Verkehrsmittel sich’s am besten reisen lässt.

Die Forscher setzen auf "Personal Travel Assistance" (PTA), eine elektronische Reiseunterstützung, die die Informationslücken überbrücken kann. Mit PTA kann der Reisende von zu Hause, unterwegs oder vom Fahrzeug aus über alle verfügbaren Endgeräte wie PC, Handheld-PC, intelligente Mobiltelefone oder zukünftige Fahrzeuginformationssysteme eine Vielzahl von Dienstleistungen nutzen.

Dazu zählen Reiseinformationen wie Fahrpläne, Verkehrssituation, Parkplatz- und Stadtinformationen bis hin zu kompletten Reiseplanangeboten einschließlich der Buchung von Hotels und Mietwagen. Das System schlägt zudem das optimale Transportmittel vor, das am schnellsten oder am billigsten zum Ziel führt. Damit ließe sich zum ersten Mal die Akzeptanz der öffentlichen Nahverkehrssysteme schlagartig verbessern.

In den Testfeldern Hamburg, Berlin, Hannover, Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart, Ulm und München haben die am Forschungsverbund Motiv beteiligten Firmen gezeigt, wie ein solcher PTA-Dienst funktionieren könnte. Nur: Im Moment fehlt ein kommerzieller Betreiber, der das Kommunikationsnetz übernimmt und öffentlich anbietet. Außerdem sind noch nicht alle am intermodalen Verkehr Beteiligten wie beispielsweise die Bahn bereit, ihre Verkehrsdaten offen zu legen. Die PTA-Experten glauben deshalb, dass ihre Vorschläge sich nur schrittweise umsetzen lassen. Die erste praktische Anwendung werde demnächst eine Reiseplanung übers Internet sein, zuerst vom heimischen PC aus, aber bald auch mobil über ein Wap-Handy.

Damit aber künftig öffentliche Verkehrsmittel dank elektronischer Vernetzung noch besser und häufiger genutzt werden, muss deren Nutzung komfortabler werden. Dazu gehört, dass der Fahrgast nicht mehr umständlich Tickets lösen muss, sondern bargeldlos bezahlen kann. Seit September 1999 erprobt Siemens zusammen mit der Sparkasse eine geldaufladbare "Secure Contactless Card" im Verkehrsverbund Rhein-Sieg, dem ersten Großversuch für elektronisches Ticketing in Deutschland. Um den Fahrpreis zu bezahlen, wird diese Smart-Card nur in die Mulde eines Lesegerätes gehalten, wodurch das lästige Suchen nach Münzen entfällt. Ein Terminal zeigt den Fahrpreis an, der dann von der Karte abgebucht wird.

Der kostenlose Nahverkehr


Auch in anderen europäischen Ländern wird diese kontaktlos funktionierende Chipkarte getestet. So soll in der Schweiz im Jahr 2003 ein ähnliches elektronisches Ticket eingeführt werden – mit einem Unterschied: Der Fahrgast trägt die Smart-Card einfach bei sich und muss sie zum Bezahlen nicht einmal zücken. Unsichtbar über den Bahn-Eingangstüren tasten Schreib/Leseeinrichtungen die Karte ab.

Verkehrsexperten können sich sogar ein System jenseits des elektronischen Bezahlens vorstellen. Da die meisten Nahverkehrssysteme weltweit mit bis zu sechzig Prozent subventioniert werden, würden Einspareffekte durch das bargeldlose Bezahlen letztlich nur die Subventionen verringern, was den Betreibern nützt, aber nicht so sehr den Passagieren. Warum also die Massenverkehrsmittel nicht gleich kostenlos anbieten? Als Ersatz für den Fahrpreis übernähmen dann Sponsoren die Kosten, indem sie beispielsweise die oft riesigen U-Bahnhöfe für Werbezwecke nutzen. Warum nicht "Bayern-München-Bahnhof" oder "Toyota-Railway-Station"? Diese Gedanken mögen für uns utopisch klingen, doch aus der Perspektive anderer Staaten könnten solche Überlegungen realistisch sein. Zur Erinnerung: Etwa siebzig Prozent der Weltbevölkerung leben in Entwicklungs- und Schwellenländern, die einen hohen Nachholbedarf an Mobilität haben. Vor allem in den aufstrebenden Megastädten Asiens wächst die Nachfrage nach vernünftigen Verkehrslösungen.

Nach Schätzungen der OECD werden in den nächsten dreißig Jahren etwa 200 Millionen Chinesen an die Südostküste ziehen. Heute ist das Fahrrad dort neben dem Bus noch das Hauptverkehrsmittel. Nur Peking, Schanghai und Tianjin verfügen über eine Stadtbahn. Würden nun alle aufs Auto umsteigen, wären die damit verbundenen Verkehrs- und Umweltprobleme um ein Vielfaches höher als in den Industriestaaten, und die weltweit vereinbarten Kohlendioxid-Reduzierungen der Konferenzen von Rio oder Kyoto wären Makulatur.

Das haben auch die dortigen Regierungen erkannt. Sie fördern daher neue integrierte Verkehrskonzepte, die von Anfang an ein optimales Verkehrssystem schaffen sollen. Doch Forschungsprojekte wie Motiv lassen sich nicht einfach übertragen. Werden in den westlichen Staaten Passagiere nur durch höhere Standards wie Komfort, Bequemlichkeit und Design zum öffentlichen Nahverkehr gelockt, so ist das in den Schwellenländern nicht nötig. Dort werden Busse und Bahnen – soweit vorhanden – regelrecht gestürmt, allerdings nur, wenn der Fahrpreis niedrig ist. Den Bau von kostenintensiven U-Bahn-Systemen, in die beispielsweise Schanghai seit 1994 rund 680 Millionen Dollar investiert hat, sieht das Institut für Verkehrswirtschaft der Universität Hannover deshalb nicht als Vorbild. Im Kostenvergleich mit anderen Nahverkehrssystemen schneiden Stadtbahnen und weiterentwickelte Bussysteme besser ab.

Um deren Betriebskosten zu senken, werden Energiesparsysteme erprobt. Üblicherweise verbraucht ein Nahverkehrszug pro Jahr mehrere hunderttausend Kilowattstunden – mehr als 100 Personenhaushalte. Fachleute von Siemens haben nun ein Betriebsoptimierungsprogramm namens "Metromiser" entwickelt, das anhand der vorgegebenen Haltestellen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und des Streckenprofils die energieoptimale Fahrweise berechnet. Damit lässt sich die Antriebsenergie bis zu 25 Prozent senken. Auch über automatisch fahrende Bahnsysteme, die fast ohne Personal auskommen, denken die Verkehrsplaner von asiatischen Ballungszentren nach. Grundlage könnten die bewährten "People Mover" sein, jene auf separaten Spuren und ohne Lokführer fahrenden Bahnen, die Passagiere bisher vor allem im Flughafenbereich – beispielsweise in Frankfurt – transportieren. Eine automatisch fahrende U-Bahn gibt es bereits seit einigen Jahren im französischen Lille. Seit November vergangenen Jahres transportieren nun auch in Singapur 19 People Mover auf einer 7,9 Kilometer langen Strecke ihre Passagiere – vollautomatisch und von einer zentralen Kontrollstelle überwacht.

Literaturhinweis

Mobilität in Mobilitäts-Schwellenländern. Institut für Verkehrswirtschaft, Straßenwesen und Städtebau (Hg.), Universität Hannover, 1999.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 87
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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