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Die Suche nach der vollkommenen Sprache


"Der Herr sprach: ,Sie sind ein Volk, und nur eine Sprache sprechen sie alle; das ist aber erst der Anfang von ihrem Tun. Nichts von dem, was sie vorhaben, wird ihnen unmöglich sein. – Auf, laßt uns hinabsteigen! Wir wollen dort ihre Sprache verwirren, daß keiner mehr den andern versteht.'" So erklärt die Bibel (Genesis 11, Vers 6 bis 7) die Entstehung der verschiedenen Sprachen: als Strafe Gottes für die Überheblichkeit der Menschen.

Daß die Menschen verschiedene Sprachen sprechen, wird in der europäischen Geschichte seit dem Ende des Römischen Reiches als Mangelsituation erlebt. Zudem sind unsere gesprochenen Sprachen offenbar nicht perfekt, denn es lassen sich mit ihnen nicht alle Erfahrungen, Gefühle und Wahrheiten ausdrücken; man vermag in ihnen zu lügen, und die Ungläubigen lassen sich mit ihnen nicht zum einzig richtigen Glauben des Christentums (später: zur Vernunftbotschaft der Aufklärung) bekehren.

Umberto Eco, Professor für Semiotik an der Universität Bologna, weltbekannt geworden durch seine Romane "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel", beschreibt in seinem neuesten fachwissenschaftlichen Buch die Geschichte des Versuchs, diesen Mangel zu überwinden. Philosophen, Wissenschaftler und Phantasten beteiligten sich an einer Suche, die ihr Objekt mehrmals wechselte. So forschten die einen nach der Sprache, die Adam im Paradies gesprochen habe und die doch sicherlich vollkommen und universell gewesen sei, oder glaubten, in bestehenden Sprachen die adamitische zu entdecken. Andere unternahmen es – nüchterner, aber nicht bescheidener –, eine vollkommene Sprache zu konstruieren, oder ersannen Mechanismen zur Erzeugung sämtlicher möglichen wahren Sätze. Wieder andere schlugen Systeme der Übersetzung von einer in die andere Sprache vor, die man anwenden könne, ohne die Sprachen zu verstehen – Vorläufer der heutigen Übersetzungsprogramme für Computer. Es wechselten auch die Motive der Suche: Mit einer vollkommenen Sprache sollten sich die Heiden bekehren lassen (traurigerweise ist das noch heute die einzige Motivation gewisser "linguistischer Institute" beispielsweise im südamerikanischen Dschungel), mit ihr sollte die Wahrheit zweifelsfrei bestimmt werden können, sie sollte der Botschaft der Aufklärung zum Durchbruch verhelfen oder – ganz pragmatisch – den Handel zwischen den Völkern erleichtern.

Umberto Eco ist, trotz allem Bestseller-Ruhm, in erster Linie Wissenschaftler. Die beiden Schwerpunkte seines riesigen Forschungsgebiets sind die Ästhetik und die Semiotik (die Wissenschaft von den Zeichen). Eco lehrte in verschiedenen Ländern und ist in Fachkreisen seit den frühen sechziger Jahren ein Begriff. In Italien wurde er populär durch eine rege Kolumnistentätigkeit bei mehreren Zeitungen und Zeitschriften.

Der große Erfolg seiner Romane hatte zur Folge, daß seine wissenschaftlichen Arbeiten heute sehr bald nach Erscheinen des Originals übersetzt und einem breiteren Publikum angepriesen werden. Zu Recht? Das "Kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur" meint: "Nicht oft trifft man in wissenschaftlicher Literatur auf eine flüssige, leicht zugängliche, zugleich aber geschliffene Schreibweise, die auch das Schwere und Abstrakte verständlich macht, ohne dabei in unzulässiger Weise zu vereinfachen" und nennt Eco einen "ausgesprochen seltenen Glücksfall". Das stimmt nun sicherlich nicht für alle seine Bücher. Aber in diesem Falle schreiben er und sein brillanter Übersetzer Burkhart Kroeber eine Sprache, die auch für Laien mit einer guten Allgemeinbildung verständlich ist.

Die Bedeutung der von Eco beschriebenen Suche reicht weit über die bloße Sprachforschung hinaus. Das wird schon ersichtlich, wenn man schaut, wer sich an der Suche beteiligt hat: Alchimisten, Mediziner wie Paracelsus, Kosmologen wie Giordano Bruno, Mathematiker wie Gottfried Wilhelm Leibniz. Wenngleich die Suche vergeblich war, so hat sie doch als Nebenwirkungen Theorien und Methoden hervorgebracht, die in Fächern wie Linguistik, Forschung zur künstlichen Intelligenz, Informatik und Ägyptologie zur Grundausrüstung gehören.

Wissenschaftsgeschichte, normalerweise als Geschichte der Erfolge geschrieben, erscheint uns als ein Triumphzug der Ratio, als ein kontinuierlicher Fortschritt. Ecos Geschichte eines Scheiterns zeigt uns eine andere, mindestens so interessante Seite. Sie berichtet von Irrtümern und Sackgassen, von Verheimlichungen, Irreführungen und von Denkparadigmen, die uns heute völlig fremd sind; und sie zeigt uns Einflüsse auf die Wissenschaft, die man gerne vergißt: Kabbala und Magie, religiöser Wahn und nationalistische Beschränktheit, Machtstreben und romantische Träumerei.

Streckenweise liest sich die Geschichte dieses Abenteuers fast so lustvoll wie Ecos Romane. Ein paar Kostproben: Im Mittelalter wurde unter Gelehrten heftig diskutiert, ob Kinder, die ohne Kontakt zu sprechenden Menschen aufwüchsen, wohl hebräisch sprächen. Im 16. Jahrhundert bewies ein Autor, daß der Dialekt von Antwerpen die vollkommenste Sprache überhaupt sei, während ein anderer im 17. Jahrhundert herausfand, daß Gott schwedisch, Adam dänisch, die Schlange aber französisch gesprochen habe; ein dritter wußte zu berichten, daß Noahs Sohn Japhet sich nach der Sintflut im Fürstentum Anhalt niedergelassen und Karl der Große zu seinen Nachfahren gehört habe. Nach dem Barock-Dichter und Gelehrten Georg Philipp Harsdörffer gebührt der deutschen Sprache der Vorzug, denn sie spreche wie die Natur selbst: "Sie donnert mit dem Himmel, sie blitzet mit den schnellen Wolken, stralet mit dem Hagel, sausset mit den Winden,... mauet wie die Katz, schnattert wie die Gans, qwacket wie die Ente, summet wie die Hummel, kacket wie das Huhn" (Seite 109).

Eine Geschichte von Irrtümern erscheint uns oft als grotesk und gar lächerlich, und man fragt sich beim Lesen manchmal, über welche unserer wissenschaftlichen Annahmen wohl die Menschen der Zukunft lachen werden.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1995, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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