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Editorial: Unser innerer Anker

Christiane Gelitz

Rund ein halbes Jahrzehnt lang hing ein großer Zettel in unserem Sitzungsraum. Das Papier war rosa, der Chefredakteur hatte "Heimat" darauf geschrieben und es an die Wand gepinnt, als Vorschlag für eine Titelgeschichte. Hin und wieder hieß es: Tolles Thema, lasst uns das umsetzen! Das Problem: "Heimatgefühle" waren und sind noch immer ein Stiefkind der psychologischen Forschung. Erst als die zunehmende Mobilität daraus ein kostbares Gut machte, mehrten sich die Forschungsprojekte: Wo liegt unsere Heimat, wenn wir als Kinder immer wieder mit den Eltern umziehen oder wenn wir für den Job alle paar Jahre den Ort wechseln müssen? Zu den lange fehlenden Daten gesellten sich weitere Zweifel und ließen das Papier bleichen: Ist das Thema nicht zu kitschig für eine Coverstory? Gerade in einem Land, in dem Wanderlust und Gemütlichkeit zu Hause sind?

"Es ist immer derselbe Traum: Ein rotblühender Kastanienbaum", dichtete der deutsche Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse (1877-1962) über die Heimat. Der Schriftsteller versorgte Generationen von Heranwachsenden mit Stoff für den Rückzug ins Innere, in Seelenbeschau und Selbstreflexion. Seine Werke sind für die postmoderne Kulturelite so etwas wie die Gartenzwerge der deutschen Literatur: Man darf sie nur mit angemessener ironischer Distanz gut finden.

In der Diskussion um das Titelmotiv fielen die Geschmäcker entsprechend auseinander: hier die Wohlfühloptik mit Wollsocken vorm Kamin, dort ein breitbeinig posierender Bayer mit Trachtenhut und Flinte. Der wandernde Gartenzwerg, den wir schließlich wählten, verkörpert am besten, was Forscher ab S. 12 über das "innere Zuhause" berichten: Wo auch immer wir sind, ob im Auslandssemes­ter oder am Zweitwohnsitz, tragen wir es bei uns – sofern wir in der Kindheit einen solchen seelischen Anker entwickelt haben.

Symbole für diesen inneren Ort gibt es viele. Meine Kollegen assoziieren damit zum Beispiel den Duft von frischem Gras, Familienfeste oder den Anblick vertrauter Straßen; für mich ist es das Lieblingscafé und die Kastanie vor dem Balkon. Von außen betrachtet sind diese Dinge nichts Besonderes; Heimatgefühle gedeihen nicht einfach dort, wo der Boden besonders schön ist. Sie wachsen mit den Erlebnissen, die wir mit ihnen verbinden, bis die Orte ein Teil von uns werden, so eng verbunden mit unserer Identität, dass ihr Verlust unser Wohlbefinden trüben kann, in der Kindheit ebenso wie im Alter.

Wo fühlen Sie sich zu Hause? Schreiben Sie uns, was Heimat für Sie bedeutet!

Eine lauschige Lektüre an Ihrem Lieblingsort wünscht Ihre
Christiane Gelitz

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