Direkt zum Inhalt

Eiszeitliche Lampen

Die Erfindung steinerner Leuchten mit tierischen Fetten als Brennstoff beschleunigte gegen Ende der Eiszeit die kulturelle Entwicklung der ersten anatomisch modernen Menschen in Europa erheblich. Ihr Aufkommen fällt mit anderen wichtigen technischen Errungenschaften zusammen.

Mit der Beherrschung des Feuers vor etwa einer halben Million Jahren tat die Gattung Homo einen großen Sprung in ihrer kulturellen Entwicklung. Archäologen und Anthropologen haben die Bedeutung dieser Errungenschaft für die Zubereitung von Nahrung sowie für den Schutz vor Kälte und Raubtieren hervorgehoben. Aber Flammen spenden auch Licht; dies ermöglichte es den Ur- und Frühmenschen, sich sogar im Dunkel der Nacht oder des Inneren tiefer Höhlen zu betätigen.

Die Erfindung von steinernen Unschlittlampen im eiszeitlichen Europa vor fast 40000 Jahren war ein weiterer wesentlicher Fortschritt: Schmelzende tierische Fette wie Talg brennen an einem Docht länger und steter als ein dürrer Ast oder ein Kienspan. So ließ sich das Licht fortan überallhin mitnehmen. Auf etwa die gleiche Zeit sind andere außergewöhnliche Neuerungen datiert worden: naturalistische Darstellungen insbesondere von Tieren und abstrakte Malereien, die wir nun als die Anfänge der Kunst interpretieren, die Herstellung von individuellem Schmuck sowie die Verfertigung besonders zweckmäßiger Geräte und Jagdwaffen.

Über Gebrauch und Funktion der ersten Leuchten gab es bisher eine Vielzahl von Hypothesen, aber keine systematischen Forschungsarbeiten. Darum habe ich (Sophie de Beaune) die spätaltsteinzeitlichen Fundstücke eingehend untersucht und klassifiziert. Zudem haben wir Nachbildungen hergestellt, um die Wirksamkeit solcher Lichtquellen zu prüfen und etwas über ihre Gestaltung und die Herstellungsweise sowie ihren Gebrauch zu erfahren. Die Ergebnisse vermitteln indirekt faszinierende Einblicke in die Lebensweise und das technische Können der frühen anatomisch modernen Menschen in Europa.

Musterung und Analyse des Fundmaterials

Der erste Gegenstand, der eindeutig als Lampe bestimmt wurde, war 1902 entdeckt worden, im gleichen Jahr, in dem Vorgeschichtsforscher die Gravierungen und Bilder in der Höhle von La Mouthe im südfranzösischen Département Dordogne für echt befanden. Die Archäologen überlegten nämlich, daß derartige Ritzzeichnungen und Farbkompositionen nicht Dutzende oder Hunderte von Metern fern vom Tageslicht ohne künstliche Beleuchtung hätten geschaffen werden können; und tatsächlich fanden sie in der Höhle eine sorgfältig hergestellte Sandsteinlampe mit starken Brandspuren, auf deren Unterseite der Kopf eines Steinbocks eingraviert ist (Bild 2).

Seitdem sind zahlreiche mehr oder weniger ausgehöhlte Steinobjekte ausgegraben und ziemlich unterschiedslos der Kategorie Lampen zugeordnet worden. Unsere erste Aufgabe war demzufolge, dieses Durcheinander zu sichten sowie Merkmale festzulegen, die es erlauben, unzweifelhaft identifizierbare Objekte herauszufinden und sie nach bestimmten Kriterien zu ordnen. Die Musterung der Fachliteratur und der Museumsbestände ergab 547 Fundstücke, die als mögliche Lampen aufgelistet waren.

Zuerst waren ähnlich geformte Artefakte anderer Funktion auszuscheiden. Dabei stellte sich schnell heraus, daß Größe und Form zur Bestimmung nicht ausreichten. So muß eine Unschlittleuchte nicht unbedingt eine näpfchenförmige Vertiefung haben; viele völlig ebene Steinscheiben tragen an jeweils einer bestimmten Stelle deutliche Brandspuren – das ist der einzige unbestreitbare Beweis dafür, daß ein Gegenstand als Lampe gedient hat.

Wir kamen zu dem Ergebnis, daß 245 der Objekte in Wirklichkeit Schleifsteine, Ockerbehälter, Paletten zum Anreiben der zum Malen verwendeten Erdfarben und dergleichen waren. Aber auch von den verbleibenden 302 (285 mit bekanntem Fundort) hatten 133 einen unklaren Verwendungszweck oder standen für eine Untersuchung nicht zur Verfügung. So blieben 169 Gegenstände übrig, die wir sicher oder doch mit einiger Wahrscheinlichkeit als Lampen einstufen konnten.

Da gerade die wichtigen Spuren vom Brennmaterial oder Docht mit der Zeit verschwinden, sind die ältesten Fundstücke auch am zweifelhaftesten. Die von uns genauer untersuchten Lampen stammen alle aus der jüngeren Altsteinzeit, also aus der Periode zwischen 40000 und 10000 Jahren vor der Ge- genwart.

Die 285 Objekte bekannter Herkunft waren an 105 verschiedenen archäologischen Stätten, vorwiegend in Südwestfrankreich, geborgen worden. Rund 60 Prozent fand man im Aquitanischen Becken, 15 Prozent in den Pyrenäen; Belege aus anderen Gegenden Frankreichs sind rarer und solche aus Spanien, Deutschland und der ehemaligen Tschechoslowakei sogar äußerst selten (Bild 5).

Auch wenn dieses Verbreitungsmuster zum Teil mit der historisch intensiveren Forschung und der größeren Zahl von Fundstellen in Südwestfrankreich erklärt werden kann, scheint es doch, daß die Kulturen, in denen Lampen hergestellt wurden, sich tatsächlich auf diese Region beschränkten.

Typologie

Die meisten Lampen sind aus Kalk- oder Sandstein gefertigt. Kalkstein kommt in der Natur oft bereits in Platten vor, die wenig bearbeitet werden mußten. Außerdem leitet er die Hitze schlecht; auch wenn darauf längere Zeit Fett brennt, kann man den Stein in der Hand halten. Sandsteinlampen hingegen werden nach dem Entzünden schnell zu heiß zum Anfassen; die Menschen der Altsteinzeit arbeiteten deshalb oft einen Griff an (Bild 1). Vielleicht lag der Reiz des Sandsteins für sie mit in seiner gelbroten Tönung und der Struktur.

Wie auch unsere Experimente erwiesen, bestimmen insbesondere Größe und Form der näpfchenförmigen Vertiefung, wie gut Fett an einem Docht brennt. Deshalb wählten wir diese Form als Hauptkriterium und unterteilten die jungpaläolithischen Lampen in drei Kategorien: flache, konkave und konkave mit Griff (Bild 3).

Die einfachsten sind kleine flache oder leicht konkave Steinscheiben, mitunter mit natürlichen, nach einer Seite offenen Vertiefungen, so daß überschüssiges Brennmaterial ablaufen kann. Die größten dieser Lampen haben einen Durchmesser von etwa 20 Zentimern. Da diese Geräte keine sichtbaren Spuren einer Bearbeitung zeigen, gingen sicherlich viele bei früheren Ausgrabungen unerkannt verloren. Bei der vorliegenden Auswahl sind solche Lampen deshalb wahrscheinlich unterrepräsentiert.

Jede Steinscheibe kann als Unterlage für einen Klumpen Talg und einen Docht dienen, nur wird damit viel geschmolzenes Fett vergeudet. Derartige Fundstücke sind wohl als Notbehelf anzusehen; sie waren leicht herzurichten, dienten einigermaßen ihrem Zweck und wurden dann wieder weggeworfen. Auch die heutigen Eskimos zünden, wenngleich sie große, sorgfältig geformte Lampen herstellen können, gelegentlich ein Stück Seehundspeck auf einer Steinplatte an, wenn nichts anderes zur Hand ist.

Am häufigsten sind unter unserem Material napfförmige Lampen, und zwar aus allen in Betracht gezogenen Gegenden und Perioden. Es sind etwa faustgroße, flache Steine mit runden oder ovalen Vertiefungen, teils grob zugerichtet, teils kunstvoll bearbeitet. Die Näpfchen haben gemeinhin Durchmesser von einigen Zentimetern, sind aber nur 15 bis 20 Millimeter tief; die größten fassen etwa 10 Kubikzentimeter Flüssigkeit.

Diese Lampen aus der Eiszeit ähneln denjenigen, die bei etlichen Eskimogruppen wie den Caribou, den Netselik oder den Aleuten noch heute in Gebrauch sind. Gruppen, die nördlich der Baumgrenze leben und demzufolge kaum Feuerholz finden, haben ähnliche, aber sehr viel größere Gebilde mit Durchmessern bis zu einem Meter aus Speckstein hergestellt. Diese Tranfeuerwannen, eigentlich offene Herde, benutzten sie auch zum Kochen und Heizen und zum Trocknen der Kleidung.

Die 30 spätpaläolithischen Lampen mit Griff in dem von uns untersuchten Fundus schließlich sind am sorgsamsten geformt und durch Schleifen geglättet, elf zudem mit Gravierungen verziert worden. Die Archäologen datieren sie etwas später als die übrigen. Die ersten dieser Lampen sind entweder im Solutréen (vor 22000 bis vor 18000 Jahren) oder im frühen Magdalénien (vor 18000 bis vor 15000) Jahren entstanden; besonders viele stammen aus dem mittleren und späten Magdalénien (vor 15000 bis vor 11000 Jahren). Die meisten wurden in der Dordogne gefunden, oft unter Felsüberhängen, aber auch in Höhlen oder an Lagerplätzen im Freien.

Da diese Tiegel aufwendig und schön gestaltet wurden, selten sind sowie räumlich und zeitlich begrenzt vorkommen, kann man vermuten, daß sie in erster Linie zeremoniellen Zwecken gedient haben. Der Priester und Ingenieur André Glory, der ein etwa 17500 Jahre altes Exemplar auf dem Boden der Höhle von Lascaux unterhalb der Zeichnung eines Jägers und eines verwundeten Bisons fand, war sogar der Meinung, daß darin aromatisch duftende Zweige verbrannt worden wären, es sich also um eine Art eiszeitliches Weihrauchfaß handele. Um diese Hypothese zu stützen oder zu widerlegen, mangelt es jedoch an chemischen Analysen von möglicherweise extrahierbaren Spuren des Inhalts.

Die einfacheren Lampen dienten jedenfalls wohl nur als Lichtquellen, mußten mithin leicht zu handhaben sein und einen Umkreis von einigen Metern – beispielsweise in einer Höhle – ausreichend erhellen. Unter unserem Material überwiegt eben jene Form, die sich auch im Experiment als dafür am geeignetsten erwiesen hat. Bei den meisten dieser Leuchten sind die Seiten der Vertiefung abgeschrägt; überschüssiges flüssiges Fett konnte leicht abgegossen werden, so daß der Docht nicht darin versank. Bei manchen ist offenbar eigens dafür in den Rand der Lampe eine Kerbe geritzt; bei vorsichtigem Kippen dürfte der Docht nicht verrutscht sein.

Brennstoff und Dochtmaterial

Anthropologen vermuten seit langem, daß die eiszeitlichen Jäger und Sammler für ihre Lampen tierische Fette verwandten. Wir wissen aus unseren Experimenten, daß am besten solche mit heller Flamme brennen, die rasch bei niedrigen Temperaturen schmelzen und nicht zuviel Bindegewebe enthalten: Seehundspeck sowie Fett von Pferden und Rindern erwiesen sich als besonders tauglich. Ein Beweis war das freilich noch nicht.

Zusammen mit Guy L. Bourgeois von der Universität Bordeaux untersuchten wir deshalb die Rückstände in mehreren Lampen. Mittels Gaschromatographie und Massenspektrometrie bestimmten wir die noch nachweisbaren Fettsäuren. Deren Mengenanteile ähneln tatsächlich denen in Fetten heutiger Pflanzenfresser wie Rind, Schwein und Schaf. Zwar verfügt man nicht über Proben von Tieren, die während der späten Eiszeit gelebt haben; aber pflanzliche Fette und Öle scheiden demnach als Brennmaterial gewiß aus (Bild 4).

Die als Dochte verwendeten Materialien mußten das ausgelassene Fett ansaugen und es zur Flamme führen, ohne zu schnell zu verbrennen. Unseren Experimenten zufolge sind Flechten (die dafür auch von den heutigen Eskimos benutzt werden) sowie Moos und Wacholderrinde am besten geeignet.

Fritz H. Schweingrüber von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf untersuchte Rückstände in mehreren Lampen. Er entdeckte sowohl Überreste von Nadelhölzern und Wacholder als auch solche, die nicht von Bäumen oder Sträuchern stammen, sondern wahrscheinlich von Gras, Flechten und Moos. Da Dochte aus Wacholderrinde in unseren Tests nie vollständig verbrannten, haben sich eiszeitliche Relikte dieses Materials möglicherweise besser als andere erhalten.

Die Gebrauchsspuren auf unseren Versuchsobjekten ermöglichten es, diejenigen auf den altsteinzeitlichen Lampen mit ziemlicher Sicherheit zu interpretieren. Man findet – grob eingeteilt – geringe Ansammlungen von Ruß, Ablagerungen von Holzkohle und eine rötliche Verfärbung des Steins selber.

Bei 80 Prozent aller Exemplare waren noch Ruß und Holzkohle innerhalb oder am Rand des Fettnäpfchens vorhanden, wo vermutlich der Docht gelegen hatte. Die wenigen schwarzen Flecken an der Seite oder Unterseite mancher Steine können von Tropfen geschmolzenen Fetts herrühren, in denen Rußteilchen schwammen. Die Holzkohle stammt vom Docht oder von verschmortem tierischem Bindegewebe.

Zwei Drittel der Rotfärbungen finden sich ebenfalls innerhalb oder am Rand des Napfes. Die selteneren Spuren starker Erwärmung an der Außen- und Unterseite können, wie unsere Versuche zeigten, durch ablaufendes heißes Fett entstanden sein. Da solche Verfärbungen schon nach kurzem Gebrauch auftreten, sind sie ein gutes Indiz dafür, welches Artefakt als Lampe gedient hat.

Erst recht läßt sich häufige Benutzung erkennen: Fett und Docht lagen nicht jedesmal an derselben Stelle, so daß schließlich die ganze Vertiefung beziehungsweise bei flachen Lampen die Oberfläche geschwärzt und gerötet war. Nur die besonders aufwendig und kunstvoll hergestellten Tiegel wurden stets auf gleiche Weise entzündet; deshalb lagerte sich der Ruß jeweils an einer Stelle ab, normalerweise gegenüber dem Griff.

Die Platten und auch einfache konkave Lampen wurden anscheinend aber nur wenige Male gebraucht. Sie waren so leicht zuzurichten, daß sie nur bei Bedarf hergestellt wurden und es nicht lohnte, sie weiter mit sich zu tragen. Entsprechende Nachbildungen, die gut funktionierten, vermochten wir in etwa einer halben Stunde zu fertigen. Die gravurverzierten Lampen mit Griff sind jedoch wahrscheinlich öfter benutzt worden.

Schummerlicht

Was war mit der Erfindung der ersten künstlichen Beleuchtung gewonnen? Das haben wir mit Nachbildungen im metrologischen Labor der französischen Firma Kodak-Pathé gemessen: Sie gaben deutlich weniger Licht als eine gewöhnliche Kerze.

Zwar müßte ihr Flämmchen ausgereicht haben, um sich in einer Höhle zurechtzufinden oder nach Einbruch der Dunkelheit an einem Gerät zu arbeiten (vorausgesetzt, daß die Menschen der Altsteinzeit genauso gute Augen hatten wie wir). Aber die Schöpfer der unterirdischen Gravierungen und Malereien sahen ihre Werke niemals so, wie wir sie nun von Besuchen oder gar von Photographien kennen (Bild 6). Bei einer Beleuchtungsstärke von weniger als 150 Lux (1000 Lux sind für ein helles Büro normal) nimmt der Mensch Farben nur mehr verfälscht und überhaupt eingeschränkt wahr. Um einen fünf Meter langen Abschnitt der Höhlenbildwerke gut zu sehen, müßte man 150 Unschlittlampen jeweils im Abstand von 50 Zentimetern vor der Felswand aufstellen. Seinerzeit könnten Fackeln für zusätzliches Licht gesorgt haben. Man hat dafür zwar nur wenige Anzeichen gefunden; aber der Umstand, daß in den großen Korridoren von Höhlen wie jenen von Rouffignac, Niaux und Les Trois Frères keine oder kaum Lampen entdeckt worden sind, läßt vermuten, daß die Zeichner, Maler und Skulpteure auch andere Lichtquellen benutzten.

Heute vermittelt die künstliche Beleuchtung einen völlig anderen Eindruck der Bildwerke, als ihre Schöpfer haben konnten. In der Höhle von Font de Gaume erhellt etwa das elektrische Licht mit 20 bis 40 Lux permanent und gleichmäßig eine große Komposition von Zeichnungen. Ein bis zwei Dutzend überlegt aufgestellte steinzeitliche Lampen könnten, vom Flackern abgesehen, einen ähnlichen Effekt haben. Trägt man nur eine in der Hand, treten immer nur schmale Ausschnitte aus dem Dämmer – aber vielleicht war die Wirkung um so eindrucksvoller.

Die steinernen Leuchter sind sicherlich nicht nur verwendet worden, um die Höhlenbildwerke zu schaffen oder zu betrachten. Man fand sie derart häufig in ganz Südwestfrankreich, daß sie alltägliche Geräte gewesen sein müssen. Nur etwa 30 Prozent der Lampen wurden im tiefen Inneren von Höhlen entdeckt, die Mehrzahl in deren Eingangsbereich und unter Felsüberhängen sowie an Plätzen im Freien. Im Durchschnitt waren es an jeder Fundstelle zwei oder drei.

Die genaue Lokalisation in Höhlen gibt Aufschluß darüber, daß die Lampen dort vor allem an schwierigen Passagen benutzt wurden, so im Eingangsbereich und an Kreuzungen von Gängen. Größere Ansammlungen an einem Ort – allein in der Höhle von Lascaux sind 70 Lampen ausgegraben worden – lassen vermuten, daß sie zwischendurch an bestimmten Plätzen aufbewahrt wurden. Leider kann man nicht feststellen, wie viele gleichzeitig angezündet waren.

Häufig finden sich Lampen in der Nähe von Feuerstellen, wo sie eigentlich nicht gebraucht wurden. Vielleicht haben die dort Lagernden sie vorgeheizt, um erst einmal das Fett auszulassen, so daß es sich besser anzünden ließ, oder sie haben sie nach der Benutzung als Herdsteine verwendet. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß die Menschen zur Wärme und zum Licht des großen Feuers erst in der Dunkelheit zurückkehrten – viele Lampen fand man umgekehrt auf dem Boden liegen; sie wurden wohl einfach nur umgedreht, um sie zu löschen.

Zumindest an einer Fundstelle scheint aber eine Art Wandleuchte die ständige Lichtquelle eines Lagers gewesen zu sein. Archäologen fanden zwei Lampen in einer kleinen natürlichen Höhlung am Felsüberhang von La Garenne. Eine war umgedreht, wie wenn sie gelöscht worden wäre, die andere jedoch so plaziert, daß sie sicher und eben stand. Die Höhlung dahinter könnte wie ein Reflektor gewirkt haben.

Gültiges Design

Wir versuchten auch herauszufinden, ob sich Vorkommen und Form der spätpaläolithischen Lampen im Laufe der Zeit geändert haben. Wegen des spärlichen Fundmaterials ist dies etwas problematisch. Zuverlässige Bestimmungen des absoluten Alters liegen nur für die neuerdings entdeckten Exemplare vor. In den meisten Fällen muß man sich mit der relativen Chronologie gemäß den Fundschichten begnügen; und bei vielen frühen Ausgrabungen wurde nicht einmal stratigraphisch gearbeitet. Trotzdem lassen sich immerhin einige allgemeine Aussagen machen.

Von der jüngsten Kultur der ausgehenden Altsteinzeit, dem Magdalénien, sind viel mehr Lampen erhalten als von den vorhergehenden. Das mag darauf beruhen, daß frühere Stücke schwieriger zu identifizieren waren oder daß einfach mehr Fundstellen dieser Epoche bekannt sind; aber vielleicht besteht auch ein Zusammenhang damit, daß die meisten Höhlenmalereien ebenfalls im Magdalénien geschaffen wurden.

Die Grundformen scheinen sich im Verlauf der Zeit überraschend wenig entwickelt zu haben. Es gab einige Änderungen in Material und Gestaltung, doch keinen deutlichen Fortschritt etwa von grober zu sorgfältiger Bearbeitung; noch im Magdalénien sind alle drei Typen vertreten. Tiegelförmige Lampen mit Griff kommen zwar häufiger in den späten Kulturen vor, vereinzelt aber auch schon in den frühen – sie entstanden mithin ungefähr zu der Zeit, als die anatomisch modernen Cro-Magnon-Menschen in Europa auftauchten.

Am plausibelsten ist die Formkonstanz wohl mit Zweckmäßigkeit zu erklären: Die verschiedenen Lampen entsprachen jeweils bestimmten Bedürfnissen. Sowohl einfache, leicht herzustellende als auch ästhetisch ansprechende und dekorierte Leuchten wurden offensichtlich in allen altsteinzeitlichen Kulturen gebraucht.

Die Bedeutung mobiler Lichtquellen für die kulturelle Entwicklung des Menschen ist schwerlich zu überschätzen. Denis Vialou vom Naturhistorischen Museum in Paris hat die Höhlenkünstler des Magdalénien deshalb gepriesen, weil sie die Welt unter Tage erobert haben. Aber vielleicht ist es richtiger, sie als die wagemutigsten in der langen Reihe unserer Vorfahren zu sehen, die durch Intelligenz und technologische Innovation die menschliche Erfahrung für immer verändert haben, indem sie das Reich der Dunkelheit bezwangen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1993, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Europaparlament nimmt Renaturierungsgesetz an

In Straßburg wurde das weltweit erste Gesetz für eine umfassende Renaturierung geschädigter Ökosysteme verabschiedet. Was genau das für die europäische Landschaft bedeutet, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von »Spektrum – Die Woche«. Außerdem: was Cholesterin so gefährlich macht.

Spektrum - Die Woche – Zwei junge Forscher stellen die Mathematik auf den Kopf

Treten Sie ein in den Bonner Hörsaal, in dem zwei junge Mathematiker im Juni 2022 damit begannen, durch ihren revolutionären Ansatz der verdichteten Mengen die Regeln des Fachs neu zu schreiben! Außerdem in dieser Ausgabe: ein mutiger Vermittlungsansatz im ewigen Streit der Bewusstseinstheorien.

Spektrum Kompakt – Nachtaktiv – Leben in der Dunkelheit

Im Dunkel der Nacht steht in der Natur nicht alles still – ganz im Gegenteil. Viele Lebewesen werden erst um die Zeit richtig aktiv, wenn wir Menschen müde in unsere Betten fallen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.