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Gerhard Blickle (Herausgeber): Ethik in Organisationen

Hogrefe, Göttingen 1997, 280 Seiten, DM 69,-

---- Klaus M. Leisinger ----

Unternehmensethik. Globale Verantwortung und modernes Management


C. H. Beck, München 1997, 252 Seiten, DM 45,-.


Zweifel an den sozialen und ökologischen Qualitäten der marktwirtschaftlichen Ordnung mehren sich. Zum Jahresende 1997 stehen zwei Bücher weit oben auf der Bestsellerliste, die den "Terror der Ökonomie" ankla- gen (Viviane Forrester) beziehungsweise aufrufen: "Zivilisiert den Kapitalismus" (Marion Gräfin Dönhoff). Zahlreiche verwandte Publikationen wie "Der Markt frißt seine Kinder. Wider die Ökonomisierung der Gesellschaft" von John R. Saul vervollständigen das Bild.

Im engeren Sinne bezogen auf die Politik der Unternehmen ist ethisch geleitete Kritik keineswegs neu. Auch im deutschsprachigen Raum ist sie schon länger Thema der akademischen Debatte. So feiert derzeit das Institut für Wirtschaftsethik (IWE), das wiederum aus der schon früher eingerichteten Forschungsstelle für Wirtschaftsethik an der Hochschule St. Gallen hervorging, sein zehnjähriges Bestehen. In einem Beitrag der Zeitschrift "Die Betriebswirtschaft" stellten Horst Steinmann und Bernd Oppenrieder von der Universität Erlangen-Nürnberg schon 1985 die Frage "Brauchen wir eine Unternehmensethik?", um sie eindeutig zu bejahen. Die beiden hier zu besprechenden Neuerscheinungen setzen sich detailliert mit diesem Begriff auseinander.

Gerhard Blickle, der Herausgeber des Sammelbandes "Ethik in Organisationen", hat über Kommunikationsethik im Management promoviert und arbeitet als Dozent für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Er will mit seinem Buch einerseits Grundsätze darstellen, andererseits Hinweise zur Praxis geben. Erstere hält er für erforderlich, um beurteilen zu können, was "unethisch" sei: "Um dies zu entscheiden, brauchen wir klare Konzepte und philosophische Grundlagen" (Vorwort). Dafür sollen offenkundig sein eigener einführender Beitrag sowie einer von Horst Lenk und Matthias Maring von der Universität Karlsruhe zum moralphilosophischen Fundament einer Ethik für Organisationen stehen. Ein zweiter, sozialwissenschaftlicher Teil diskutiert Befunde zu Gerechtigkeit und Verantwortung in Organisationen. Die Teile III und IV schließlich sollen "von der Grundlagenreflexion zur Implementation" voranschreiten.

Das Buch enthält zahlreiche interessante Gedanken und Hinweise. Lenk und Maring rücken in ihrem Beitrag den Begriff der Verantwortung in den Mittelpunkt. Wenn dieser nur auf einzelne Individuen bezogen werde, drohten gerade größere Unternehmen mangels präziser Zuschreibungsmöglichkeiten von Verantwortung rasch zu Systemen organisierter Verantwortungslosigkeit zu werden. Die Auflösung dieses wesentlichen Dilemmas bestehe darin, die Korporationen selbst als moralische Personen zu konzipieren und dadurch in die Reichweite der Ethik zu bringen.

Die beiden Autoren sind so redlich, daß in ihrer eigenen Argumentation das Dilemma des Versuchs, dieses Dilemma zu überwinden, zum Vorschein kommt. Die Unterstellung, daß in der ökonomischen Theorie und in den meisten Teilen der Wirklichkeit Unternehmen moralische Zombies seien, weisen sie mit der Formulierung zurück: "Dies dürfte wohl kaum zu rechtfertigen sein", denn auch Rollenträger seien moralisch verantwortlich. Damit wird freilich – nach dem Muster, daß nicht sein kann, was nicht sein darf – das Problem zur Lösung umdefiniert: Es kommt eben darauf an, daß die ökonomischen Rollenträger ihre moralische Verantwortung auch wahrnehmen. Und wie wären sie dazu zu bewegen in einer ausdifferenzierten komplexen Gesellschaft der Moderne?

Das beschriebene Dilemma steht exemplarisch für ein Problem des Buches, das aus der Absicht des Herausgebers zur "Konzentration auf Implementationsprobleme der Ethik in Organisationen" (Seite 4) folgt. Diese Absicht ist mir einerseits sympathisch, andererseits halte ich sie für voreilig. Selbst wenn, wie Blickle behauptet, die pragmatischen US-amerikanischen model business principles demnächst auch in Deutschland Einzug halten, ist das noch kein Anlaß, die unfertige Theorie hastig zugunsten der Praxis beiseite zu legen.

Blickles Behauptung, inzwischen seien "die Grundlagenpositionen einigermaßen geklärt" (ebenfalls Seite 4), halte ich für schlichtweg falsch. Nicht nur der Beitrag von Lenk und Maring, auch die nachfolgenden belegen den Befund, daß die Begründungen des moralischen Handelns noch allzuoft in jenem appella-tiven Argumentieren steckenbleiben, das die Bedingungen der Möglichkeit zur Umkehr und Umsteuerung eben nicht aufklärt.

Blickle und seine Koautoren setzen nicht nur die Bedingungen ethisch geleiteten Handelns zu sehr als selbstverständlich voraus, sie konzentrieren sich auch – getreu dem Titel – zu sehr auf Ethik innerhalb von Organisationen. Hingegen geht es nach meiner Überzeugung beim unternehmensethischen Diskurs – in Abgrenzung zu jenem über Unternehmenskultur – vor allem und in erster Linie um die Beziehung zwischen Unternehmen und Gesellschaft und damit um das von scheinbar nur zweckrationalen Unternehmen zu entbergende moralische Potential nach außen.

Das Buch hält sich von ökonomischen und soziologischen Theorieangeboten zur Aufklärung der Beziehungen zwischen Unternehmen und Gesellschaft frei; dies ist vielleicht doch eine Schwäche mit Folgen. Insgesamt ist das Werk trotzdem mit Nachdruck zur Lektüre zu empfehlen.

Das gilt uneingeschränkt auch für die Monographie "Unternehmensethik". Der Verfasser Klaus M. Leisinger war einige Jahre Geschäftsführer eines Pharma-Unternehmens in Ostafrika, bringt also als Praktiker internationale Erfahrungen ein, wenn er den Satz formuliert: "In einer globalisierten Weltwirtschaft besteht die Gefahr, daß sich die Standards des sozialen und ökologischen Handelns von Unternehmen auf den kleinstmöglichen Nenner reduzieren."

Der Text ist keine Sammlung praktischer Ratschläge mit dem – ansonsten viel zu häufig erhobenen – Anspruch, wenn man nur das jeweilige Buch gelesen habe und willens sei, es zu befolgen, werde man schon alles gut und richtig machen. Leisinger versucht vielmehr, über das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit eine systematische und theoriegestützte Argumentation aufzubauen. Das Ergebnis hinterläßt einen geschlosseneren Eindruck als der Pluralismus von Beiträgen in Blickles Sammelband oder auch dessen einleitendes Herausgeberkapitel; allerdings hatte Leisinger mehr Raum zur Verfügung.

Auch sein Ausgangspunkt ist die Verantwortung; präzisierend erläutert er, daß der Mensch nicht als passives Produkt von Umweltfaktoren zu fassen sei und entsprechend auch die Handlungen eines Unternehmens nicht mit externen Einflüssen erklärt und gerechtfertigt werden könnten (Seite 11).

Die Pflicht zu moralischem Handeln der Unternehmen ergibt sich für Leisinger einmal aus dem prinzipiellen Können (nicht nur Individuen, auch Organisationen sind moralische Akteure), zum anderen aus den Rechten, die ihnen in marktwirtschaftlichen Gesellschaften zugewiesen werden und deren natürliches Korrelat wirtschaftliche, soziale und ökologische Pflichten sind. Ein ethisch-moralischer Steuerungsmechanismus ließe sich nach Leisinger insofern als ordnungspolitische Ergänzung beschreiben, die wegen der "Grenzen des Marktes als Treuhänder der Moral" (Seiten 38 und folgende) und der analogen "Grenzen des Gesetzes" erforderlich sei.

Das erinnert ein wenig an den von Horst Steinmann und seinen Mitarbeitern seit Jahren vorgetragenen Ansatz einer situativen Unternehmensethik in einer prinzipiell gerechtfertigten Wirtschaftsordnung. Leisinger läßt sich aber auf die akademischen Tiefen (und Untiefen) der einschlägigen Fachdiskussionen nicht ein, obwohl er, nach dem Literaturverzeichnis zu urteilen, mit ihnen wohl vertraut ist.

Die Überzeugungskraft des Buches liegt vor allem darin, daß hier nicht ein Akademiker empirisch gehaltvoll analysiert, sondern ein Praktiker theoretisch reflektiert argumentiert. Das wird in Leisingers Erörterungen über "andere Länder, andere Sitten" ebenso deutlich wie in jenen über Korruption, speziell auch in Entwicklungsländern. Speziell zu diesem Thema hätte man sich allerdings fünf Jahre nach der Konferenz von Rio de Janeiro für Umwelt und Entwicklung und vor dem Hintergrund der persönlichen Erfahrungen etwas mehr von diesem Autor gewünscht.

Recht knapp geraten, inhaltlich etwas enttäuschend und zum Teil veraltet ist das ökologiebezogene Kapitel. Nach dem aktuellen Stand der Diskussion werden von den Unternehmen nicht nur öko-effiziente Verfahren verlangt, sondern auch ökologisch sinnvolle Produkte und Beiträge zum ökologischen Strukturwandel.

Deutlich stärker als Blickle geht es Leisinger um die moralische Rechtfertigung des Unternehmens gegenüber der externen Gesellschaft, die er für die Zwecke der Analyse als aus stakeholders bestehend beschreibt (Seiten 97 und folgende). Der Begriff ist in bewußter Absetzung von shareholder (Anteilseigner) geprägt und beschreibt alle, die als Kunden, Lieferanten oder Beschäftigte das Risiko des Unternehmens mittragen (primäre stakeholders) oder Ansprüche nichtmarktlicher Art an es stellen (sekundäre stakeholders in Leisingers Nomenklatur). Ein Unternehmen könnte sich dadurch moralisch rechtfertigen, daß es den (noch präzise zu definierenden) stakeholder value optimiert.

Das schwierige Problem der Zurechenbarkeit von Verantwortung und der Grenzen, die auch einem gutwilligen Unternehmen dabei gesteckt sind, versucht Leisinger mit dem Leitspruch "Mehr Dialog wagen" (Seite 120) einer Lösung näherzubringen. Es verbleiben Dissense, mit denen vernünftig umge-gangen werden muß; daß Leisinger sie in aller Klarheit benennt, war mir sehr sympathisch.

Nach einem recht lang geratenen Kapitel über die Bedeutung der Individualethik findet das Buch seine Zusammenfassung in der Begründung der These "Moral bringt Kapital": Die in Leisingers Sinne klügeren Unternehmen können Interaktions- und Friktionskosten vermindern, sich stabilisieren, die Motivation ihrer Beschäftigten steigern, unternehmerische Freiheit wahren und sich Vorteile im internationalen Wettbewerb und am Kapitalmarkt verschaffen.

Dem Buch spürt man durchgängig das hohe Engagement des Verfassers an, und es sei um so mehr zur Lektüre empfohlen. Es erhebt bescheidenere Ansprüche als der Sammelband Blickles und kann dadurch mehr zur Lösung des entscheidenden Dilemmas beitragen: Wie begründet man modern (postmodern) eigentlich Unternehmensethik?

Dabei geht es mitnichten um eine akademische Fingerübung, sondern um nichts weniger als die tatsächlichen Möglichkeiten zur (Selbst-)Umsteuerung von Unternehmenspolitik. Der Appell an das Gewissen, einzelne positive Praxiserfahrungen oder der Glaube an die früher oder später siegreiche menschliche Vernunft sind wenig taugliche Begründungshilfen, auch wenn allzuviele unternehmens- und wirtschaftsethische Konzeptionen offenbar immer noch zu stark dieser Vorstellung anhängen.

Der polnische Philosoph Zygmunt Bauman, emeritierter Professor an der Universität Leeds, hat in seinem Vorschlag einer "postmodernen Ethik" einige Hinweise gegeben, die uns helfen könnten, nüchterner und vielleicht gerade darum erfolgversprechender das Problem zu bearbeiten: Skeptiker sind die solideren Optimisten. Ich gebe zu jedem der im folgenden zitierten Hinweise meine persönliche Folgerung:

- Menschen sind ihrem Wesen nach weder gut noch böse, sondern moralisch ambivalent: Wir müssen diese Ambivalenzen im wirklichen Leben aufspüren, statt uns von einseitigen akademischen Menschenbildern leiten zu lassen.

- Moralische Phänomene sind inhärent nicht-rational: Sie mögen in ihrer Durchsetzung auch davon abhängig sein, ob sie persönlichen und wirtschaftlichen Erfolg bringen, aber sie sind weder dadurch zu definieren, noch entfalten sie daraus ihre Kraft.

- Moralität ist unheilbar aporetisch: Die Folgen komplexer Entscheidungen sind häufig nicht zu überschauen. Es gibt keine zwei sauber getrennten moralischen Welten; gerade der Wille zur ethisch geleiteten Entscheidung kommt aus diesem Dilemma nicht heraus.

- Moralität ist nicht universalisierbar: Wenn wir Bewohner der Industrieländer den so bezeichneten Entwicklungsländern Vorgaben darüber machen wollen, wie sie mit ihren natürlichen Ressourcen umgehen sollen, nachdem wir über Jahrhunderte nicht nur unsere eigenen, sondern auch ihre geplündert haben und weiter plündern, kann nur höchste Zurückhaltung eingefordert werden.

- Moralität ist und bleibt irrational: Deswegen bin ich gegenüber jeglichem Versuch von "Ethikmanagement" außerordentlich skeptisch. Unternehmen als komplexe soziale Systeme (nicht nur individuelle Entscheidungsträger) sind zwar, wie gesagt, als moralische Akteure zu betrachten; aber jede Technokratisierung gefährdet autonome menschliche Entscheidungen.

- Bauman definiert als den Kern moralischer Verantwortlichkeit, "für den anderen zu sein, noch bevor man mit ihm sein kann". Für mich folgt daraus, daß das moralische Wollen diese Grundhaltung als Ausgangspunkt braucht. Moralische Verantwortlichkeit wird sich weder über Unternehmensrichtlinien noch über ordnungspolitische Regulierungsmechanismen durchsetzen können, wenn diese empathische und altruistische Grundhaltung fehlt.

- Der postmoderne Blick auf moralische Phänomene deckt gerade nicht die Relativität der Moral auf. Er hilft vielmehr, so meine ich, der Rehabilitation des moralischen Selbst gegen die in jüngerer Zeit wieder gängigen Appelle zur Rückbesinnung auf frühmoderne oder vormoderne Wertesysteme.

Was wäre daraus im Hinblick auf die beiden vorgestellten Bücher zu schließen? Hinter dem Problem unseres Umgangs mit Massenarbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und ähnlichen Übeln steht das Problem unserer eigenen Orientierungslosigkeit. Christliche Weltanschauung, technologischer Fortschrittsglaube, gar sozialistisches Setzen auf die ganz andere Gesellschaft der Zukunft geben keine allgemein verbindlichen und akzeptierten Leitlinien mehr. Wir sollten mithin immer wieder nach den vielen erforderlichen Antworten im kleinen suchen. Vor allem aber sollten wir uns viel mehr der Frage nach dem Sinn und ethischen Gehalt dessen widmen, was wir tun. Das täte vielen Unternehmen ebenso gut wie den häufig zu schnell angewandten Managementlehren. Prof. Dr. Reinhard Pfriem Hochschullehrer für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik, Universität Oldenburg.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1998, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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