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Feuer im Meer. Vulkanismus und die Naturgeschichte der Insel Santorin


Das allgemeine Interesse am Vulkanismus hat besondere Lieblingsschauplätze: Hawaii, Island, Ätna, Stromboli – und Santorin. Dieser in der griechischen Ägäis etwa 120 Kilometer nördlich von Kreta gelegene, seit 1950 ruhende Inselvulkan beschäftigt Geologen und Archäologen gleichermaßen, hat er doch vor mehr als 3600 Jahren durch die gewaltige Minoische Eruption bedeutende bronzezeitliche Siedlungen unter seinen Aschen begraben – und konserviert.

Als der griechische Archäologe Spyridon Marinatos 1967 Ausgrabungen bei Akrotiri an der Südküste von Santorin begann, kamen schon nach kurzer Zeit aufsehenerregende Funde von mehrstöckigen Häusern, ausgeschmückt mit prachtvollen Fresken und bemalter Keramik, wieder ans Tageslicht: Ein zweites Pompeji, eines der Bronzezeit, war entdeckt worden. Die außergewöhnlichen Ergebnisse dieser Ausgrabungen faszinierten nicht nur die Archäologen, die dadurch ihr Bild der spätminoischen Kultur revidieren und wesentlich erweitern konnten, sondern galten weltweit als eine wissenschaftliche Sensation.

Von nun an machten auch Geologen und Vulkanologen Santorin zu einem bevorzugten Ort ihrer Forschung. Marinatos hatte den Niedergang der minoischen Kultur Kretas auf diesen verheerenden Vulkanausbruch zurückgeführt – andere sahen darin auch die Ursache für den Untergang des sagenhaften Atlantis, das man nach Santorin lokalisierte.

Konnte ein einziger Vulkanausbruch eine ganze Kultur vernichten? Lange wurde darüber diskutiert und gestritten. Durch die generöse Initiative des aus Santorin stammenden Reeders Peter Nomikos kamen bislang drei internationale wissenschaftliche Kongresse zustande, die nicht nur die auf Santorin arbeitenden Archäologen und Erdwissenschaftler, sondern eine Vielzahl von Spezialisten aus der ganzen Welt vereinten.

Hatte man aufgrund archäologischer Anhaltspunkte noch um 1970 angenommen, daß sich die Katastrophe zwischen 1550 und 1500 vor Christus ereignet habe, erbrachten um 1987 zahlreiche Radiokohlenstoff-Datierungen ein wesentlich höheres Alter (1650 bis 1600 vor Christus). Da diesem Datum für die archäologische Chronologie der Bronzezeit im Mittelmeerraum eine Schlüsselstellung zukommt, mußte man genauere Datierungsmethoden anwenden. Eine solche ergab sich mit den vor etwa zehn Jahren begonnenen Eiskern-Bohrungen in Grönland und deren Auswertung. Im polaren Eis werden nämlich auch die bei Vulkanausbrüchen entstehenden Schwefelsäure-Aerosole gespeichert. Der im Bohrkern "Dye 3" in Südgrönland gefundene Säure-Spitzenwert für das Jahr 1645±7 vor Christus ist dem Minoischen Ausbruch zuzuordnen, was mit den kalibrierten Radiokohlenstoff-Altern von Santorin sehr gut übereinstimmt.

In diesem 17. Jahrhundert vor Christus wiederum regierten auf dem Pharaonen-Thron in Ägypten die Hyksos, jene Könige asiatischer Herkunft mit teils westsemitisch, teils hurritisch klingenden Namen. Neue Ausgrabungen von Relikten aus dieser Periode im Nil-Delta brachten Fresko-Reste mit typisch minoischen Bildmotiven wie Stierspringer und Labyrinth ans Licht, die sogleich zu Spekulationen veranlaßten: Waren diese geheimnisvollen fremden Herrscher etwa Minoer? Hatten sie ihre Macht über Ägypten durch Eroberungszüge gewonnen? Oder gab es sogar eine kretische Prinzessin auf dem Thron im Nil-Delta?

Der an der Universität Aarhus (Dänemark) lehrende Erdwissenschaftler Walter L. Friedrich beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Enträtselung der geologischen Geschichte von Santorin und gilt als der beste Kenner der Materie. Sein Buch, klar formuliert, leicht verständlich und flüssig geschrieben, verbindet die geologischen mit den archäologischen Entdeckungen; es liest sich wie eine wissenschaftliche Abenteuergeschichte. Zur Verständlichkeit tragen die vielen, fast durchweg farbigen Photos und die graphisch hervorragenden bunten Karten und Profile wesentlich bei. Spezielle vom Text in Kästen abgesetzte Begriffserläuterungen erleichtern und vertiefen das Verständnis.

Die Santorin-Inseln sind für viele wissenschaftlich Interessierte ein vorrangiges Reiseziel. Geht man durch die spätminoische Stadt bei Akrotiri, deren Ausgrabung noch längst nicht abgeschlossen ist, wird man auf Touren zu Land und in der Caldera mit den Phänomenen und Produkten des Vulkanismus konfrontiert, tauchen viele Fragen auf. In diesem Buch findet man die Antworten.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1995, Seite 132
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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