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Geistesblitze - Neurophilosophie: Freier als gedacht

Den freien Willen wollten schon so einige Hirnforscher rehabilitieren. Nun ist es auch Wissenschaftlern der Technischen Universität und der Charité in Berlin gelungen, dem neuronalen Determinismus ein Schnippchen zu schlagen. Die Forscher knüpften an das berühmte Experiment des Physiologen Benjamin Libet an, der in den 1980er Jahren die Hirnwellen seiner Probanden aufzeichnete, während diese einfache Bewegungsentscheidungen trafen. Dabei entdeckte er, dass sich bereits Sekundenbruchteile vor dem bewussten Entschluss ein so genanntes Bereitschaftspotenzial in den Hirnwellen abzeichnet. Viele sahen dies als Beweis dafür an, dass der freie Wille letztlich nur eine Illusion ist und wir tatsächlich von unbewussten Hirnprozessen gesteuert werden – eine These, die in der Fachwelt bis heute kontrovers diskutiert wird.

Die Berliner Wissenschaftler ließen ihre Versuchsteilnehmer nun in einem ähnlichen Experiment gegen einen Computer antreten. Dieser las ihre Hirnwellen ebenfalls mittels Elektroenzephalografie (EEG) aus und versuchte, sie in einem Spiel zu überlisten. Dabei bekamen die Probanden Punkte, wenn sie mit ihrem Fuß ein Pedal am Boden bedienten, während ein grünes Signal auf einem Bildschirm aufleuchtete. Sobald der Computer allerdings das Bereitschaftspotenzial der Teilnehmer registrierte, ließ er das Signal eine Sekunde lang auf Rot umspringen. Traten die Versuchspersonen nun auf das Pedal, verloren sie Punkte. Würden sie unter diesen Bedingungen in der Lage sein, ihre Bewegung kurzfristig zu stoppen?

Tatsächlich: In vielen Fällen gelang es den Teil­nehmern auch noch, nachdem der Computer bereits das Bereitschaftspotenzial aus ihren Hirnwellen herausgelesen hatte, den Tritt aufs Pedal abzubrechen. "Die Probanden sind den frühen Hirnwellen nicht unkontrollierbar unterworfen. Dies bedeutet, dass die Freiheit menschlicher Willensentscheidungen wesentlich weniger eingeschränkt ist als bisher gedacht", schlussfolgert Studienautor John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité.

Die Forscher stießen allerdings auch auf einen "point of no return": Blendete der Computer das Stoppsignal weniger als 200 Millisekunden vor den ersten Muskelzuckungen der Versuchsteilnehmer ein, waren sie nicht mehr in der Lage, die Bewegung komplett zurückzuhalten. (dz)

Proc. Natl. Acad. Sci. USA 113, S. 1080–1085, 2015

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