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Fuzzy Logic am Praxisbeispiel

Die Regelung eines Containerkrans ist ein Lehrbuchbeispiel herkömmlicher Regelungstechnik. Mit Fuzzy Logic gelingt es, aus wenigen und unmittelbar einleuchtenden Regeln ohne großen Aufwand ein funktionierendes Steuerungssystem zu machen.

Eine Ladung soll mit Hilfe eines Containerkrans von einer Ausgangsposition (zum Beispiel Schiff) zum Ziel (beispielsweise Bahnwaggon) transportiert werden. Die Last ist mit dem Kran-kopf durch ein Seil verbunden und pendelt, sobald sich der Kran in Bewegung setzt. Das stört zwar nicht während der Fahrt, aber beim Absetzen.

Konventionelle Lösung

Es gibt zwei sehr einfache Lösungen für diese Aufgabe: Man kann so langsam fahren, daß erst gar kein Pendeln auftritt, oder am Ziel so lange warten, bis sich die Last von selbst ausgependelt hat. Beides dauert normalerweise zu lange, und so muß eine Regelung eingesetzt werden, die das Pendeln ausgleicht.

Diese Aufgabe ist mit Hilfe konventioneller Regelungstechnik lösbar. Allerdings reicht hier ein einfacher PID-Reg-ler nicht aus. Die Abkürzung steht für Proportional-, Integral- und Differentialregler und kennzeichnet, auf welche Weise der Regler auf eine Abweichung vom Sollwert reagieren kann. In jedem Fall ist diese Reaktion eine lineare Funktion der Meßgrößen. In unserem Beispiel ist die Stabilisierungsstrategie jedoch stark nichtlinear von der Position des Krans abhängig. Beim Anfahren ist der Pendelausgleich nicht wichtig, da sich die Last so schnell wie möglich in Bewegung setzen soll. Je näher man jedoch dem Ziel kommt, desto wichtiger ist die Stabilisierung.

Da sich ein solcher Containerkran aufgrund seiner sehr einfachen Mechanik und Kinematik noch recht gut mathematisch beschreiben läßt, ist eine Lösung des Problems durch komplexere Reglermodelle (Differentialgleichungen) prinzipiell möglich. Nun kann aber ein Mensch mit etwas Erfahrung einen solchen Kran auch bei Windeinflüssen und unterschiedlichen Lasten recht gut steuern, ohne erst Differentialgleichungen zu lösen. Davon kann man sich im Hamburger Freihafen überzeugen. Es ist allerdings nicht ganz einfach, denn zwei Ziele konkurrieren: Einerseits muß die Position erreicht, andererseits die Pendelung ausgeglichen werden. Es nützt nichts, wenn man die Pendelung ausgeglichen hat, sich aber einige Meter neben dem Ziel befindet. Beim erneuten Anfahren des Krans tritt wieder Pendeln auf.

Lösung durch Fuzzy Logic

Will man dieses Erfahrungswissen mit Hilfe der unscharfen Logik automatisieren, muß man zunächst durch Beobachten des Prozesses gewisse Zustände identifizieren, zum Beispiel: schnelle Fahrt, Last pendelt stark nach hinten, Ziel weit weg. Für diese Zustände werden WENN-DANN-Regeln aufgestellt, um die beste Reaktion auf eine Systemänderung zu beschreiben.

In der klassischen Regelungstechnik arbeitet man ebenfalls mit WENN-DANN-Regeln: WENN Bedingung A UND Bedingung B erfüllt, DANN reagiere mit C. Dabei müssen so viele Anweisungen vorhanden sein, daß das System für jeden denkbaren Fall eine (und genau eine) Anweisung vorfindet. Damit aber in unserem Beispiel Begriffe wie „weit weg“ oder „schnelle Fahrt“ benutzt werden können, beschreibt man diese als linguistische Variable. Die Anweisungen der Regelungstechnik werden dabei „weich“ (fuzzy) gemacht, indem man sie mit den Prinzipien der Fuzzy Logic umformuliert.

Als Trainingsbeispiel für seine praktischen Workshops hat das Aachener Unternehmen Inform diesen Containerkran auch als Modell aufgebaut (Bild 1). Als Last wurde hier ein Hammer verwendet, der schwingungsfreudig kopfunter am Krankopf aufgehängt ist.


Regelstrategie des Fuzzy–Kranreglers

In einer einfachen Tabelle kann die gesamte Regelstrategie des Kranreglers dargestellt werden (Bild 2): Solange der Krankopf noch weit vom Ziel entfernt ist, wird – einerlei wie die Last auch pendelt – der Motor auf volle Leistung gestellt. Dies entspricht der Strategie: „Wenn ich noch weit weg vom Ziel bin, fahre ich erst mal schnell los.“

Kommt der Krankopf jedoch näher, so verändert sich die Strategie. Bei kleinen Pendelungen wird die Leistung reduziert: „Komme ich dem Ziel näher, re-duziere ich die Motorleistung; eine kleine Pendelung gleiche ich besser später aus, sonst verliere ich hier zuviel Zeit.“

Allerdings gibt es zwei Sonderfälle. Eilt die Last stark dem Krankopf voraus, so bleibt die Motorleistung auf ihrem Maximalwert, denn: „Wenn die Last mir weit voraus ist, reduziere ich die Pendelung am besten, indem ich den Motor auf voller Leistung lasse; zudem bin ich dann auch noch schneller am Ziel.“

Der andere Sonderfall ist das starke Hinterhereilen der Last hinter dem Krankopf. Hier muß das System sogar mit starkem Abbremsen reagieren, da sich dieses Pendeln sonst am Ziel nur sehr schwer in den Griff bekommen läßt.

Wenn das Ziel erreicht ist, wird nur noch versucht, die Pendelung auszugleichen. Eilt die Last im Zielpunkt hinterher, muß sich der Krankopf zunächst nach vorn bewegen. Auf starkes Ausschwingen der Last nach vorn sollte der Regler ursprünglich mit starkem Abbremsen reagieren. Es zeigte sich jedoch, daß dann jedesmal ein Überschwingen in die Gegenrichtung entstand. Dies ist vor allem auf die starke Reibung des Antriebs und die Nichtlinearität des Motors zurückzuführen. Durch Umformulieren der Regelstrategie – statt starkem Abbremsen nur noch mittleres für diesen Fall – konnten wir dann sofort das gewünschte Fahrverhalten erreichen.

Gegenüber einer konventionellen Lösung haben wir durch den Einsatz der Fuzzy Logic folgende Vorteile erzielt:

– Die gewünschte Regelstrategie konnte ohne aufwendige mathematische Modellbildung auf der Basis vorhandenen technischen Wissens erzielt werden.

– Auch Nichtspezialisten der Regelungstechnik können ein solches System aufbauen und optimieren.

– Da jedem Systemzustand leicht verständliche Regeln zugeordnet sind, beschleunigen sich die Inbetriebnahme und spätere Modifikationen.

– Im Gegensatz zu einer konventionellen Lösung, deren komplexe mathematische Berechnungen einen leistungsfähigen Rechner benötigen, läßt sich Fuzzy Logic sehr effizient auch auf einfachen Rechnern einsetzen. Das dargestellte System benötigt auf dem Mikrorechner 8051, dem billigen Standardbauteil der Mikroelektronik, nur eine Rechenzeit von einer tausendstel Sekunde und belegt weniger als 500 Byte Speicher. Unseren Fuzzy-Logic-Prozessor haben wir im Workshop-Modell nur deshalb benutzt, weil er zusätzliche Entwicklungshilfen aufweist.

Im echten Containerkran wurden allerdings weitere Regeln eingesetzt. So kann hier beispielsweise durch eine plötzliche Windbö der Kran auch zu weit fahren. Deshalb haben wir für diesen Fall ebenfalls Fuzzy-Regeln formuliert. Auch ein sanftes Losfahren wurde durch entsprechende Regeln ermöglicht.

Bei einer ähnlichen Anwendung muß eine Pfanne mit 120 Tonnen flüssigem Stahl bewegt werden. Durch entsprechende Regeln muß hier erreicht werden, daß der Pfanneninhalt während der ganzen Fahrt nicht überschwappt; dies macht den Transport allerdings noch langsamer.

Computerunterstütztes Training

Um Entwickler technischer Systeme mit den Fuzzy-Methoden in praktischer Weise vertraut zu machen, hat die Inform GmbH in Aachen einen praktischen Computerkurs – genannt „fuzzyTECH Explorer“ – entwickelt, mit dem man am Personal Computer selbst erlernen kann, wie sich Fuzzy-Regelungen entwickeln, optimieren und implementieren lassen. Unser Containerkran dient dabei als Simulationsbeispiel (Bild 3).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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