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Azteken: Gartenkünstler in der Neuen Welt

Das Lustwandeln in weitläufigen Gärten ist keine Erfindung europäischer Fürsten - auch Azteken ergingen sich in prachtvollen Parkanlagen voller leuchtender Blüten. Dabei hatten die Pflanzenparadiese der Neuen Welt auch praktische Aspekte: Sie versorgten die Herrschenden mit Nahrung und Heilpflanzen.


Wenn die Azteken ihre Götter mit religiösen Festen ehrten, gehörten üppige Blumengaben unbedingt dazu. Auch ihren Fürsten boten sie blühende Gestecke, Girlanden und Halsketten dar – ein Brauch, der noch heute bei den Festen der Dorfgemeinschaften lebendig ist.

Die Azteken liebten Blumen so sehr, dass sie ihnen eigene Zeremonien widmeten. So war etwa der siebte Monat des aztekischen Jahres – tecuilhuitontli – ganz dem Genießen und Verschenken von Blumen gewidmet. Der Dominikaner Diego Durán (1537-1587/88) berichtet: "Die Fürsten verließen ihre Häuser nicht und dachten an nichts anderes, als umgeben von Rosen zu verweilen." Dem Regengott Tláloc, der die Pflanzen wachsen ließ, wurden zum Fest tozoztontli die ersten Blüten des Jahres dargebracht, und die für Blumen zuständigen Beamten feierten zu Ehren ihrer Göttin Coatlicue ein Fest, zu dem sie ihr Arrangements aus Blumen opferten.

Die üppige Flora Mittelamerikas machte es den Azteken leicht, ihrer Begeisterung für alles Blühende zu frönen. Durch verschiedene Quellen sind uns die wichtigsten Pflanzen und ihre Bedeutung überliefert. Zum Beispiel wurde in der Dichtung der Urmexikaner häufig die cacaloxóchitl besungen, ein reich blühendes Hundsgiftgewächs (fachlich: die Art Plumeria acutifolia, eine Frangipani). Mit ihr wurde das Fest tlaxochimaco begangen; wie die meisten Pflanzen wurde sie aber auch in der Heilkunde verwendet. Im Codex Badianus – dem ersten Pflanzen- und Arzneibuch der Neuen Welt aus dem Jahre 1552 – heißt es, die cacaloxóchitl enthalte einen Duft, der die vom Staatsdienst erschöpften Beamten stärke.

Die eloxóchitl oder mexikanische Magnolie war als Schlafmittel beliebt. Anwendung: eine Prise der Blüte in das ebenfalls aztekische Getränk Kakao gemischt. Größere Mengen galten als giftig und sollten zum Wahnsinn führen. Auch die eloxóchitl zählt zu den 22 Blüten und Pflanzen, die laut Codex Badianus zur Stärkung der Beamten dienten. Die erschöpften Staatsdiener rieben den Körper mit einer Mischung aus Blütensaft und dem Blut wilder Tiere ab. Auch die cempoalxóchitl, unsere Tagetes (Tagetes spec.), wird in den Chroniken oft erwähnt. Sie galt in Mexiko schon immer als Totenpflanze, denn man schrieb ihr die Kraft zu, die Seelen der Toten anzuziehen und zu führen.

Weil Kriege meist im Zeichen der Sonne standen, war die Sonnenblume (Helianthus annuus) ein Symbol für derartige Auseinandersetzungen. Aztekisch heißt sie chimalxóchitl, übersetzt "schildförmige Blüte". Wie einige Historiker glauben, verdankt sie diese Bezeichnung ihrem Kranz aus gelben Blütenblättern, durch den sie den Rundschilden von Gottheiten wie Opochtli, Tláloc und Huitzilopochtli ähnelte, die nach alter Sitte mit Blumen, Quasten und Federn geschmückt wurden. Die Orchideenart tzacutli oder auch zautle (Epidendrum pastoris) schließlich lieferte einen Leim, mit dem die Azteken für zeremoniellen Festschmuck Federn an Stoffe und Schilde klebten und aus Edelsteinen und Muscheln Mosaike legten. Auch in der Goldschmiedekunst, als Bindemittel in der Malerei und bei der Herstellung von Kleinwaffen wie Pfeilen fand der Pflanzenklebstoff Verwendung.

Nicht wenige Blumen wurden in Mexiko gezüchtet und eroberten von dort die ganze Welt. Eine davon erfreut sich bei Gartenbesitzern immer noch großer Beliebtheit: die Dahlie, die schon der Eroberer Hernán Cortés (1485-1547) in den Gärten der Neuen Welt bewunderte. Abbé Antonio José Cavanilles, der Direktor des Botanischen Gartens in Madrid, stellte sie 1791 in Europa zu Ehren des schwedischen Botanikers Andreas Dahl (1751-1798) als Dahlia pinnata vor. Heute ist die Dahlie die Nationalblume Mexikos.

Schöne Pflanzen als Tribut

Die Gartenkunst beschränkt sich jedoch nicht auf Duft und Ästhetik. Außer Mais, der für die tägliche Nahrung eine große Rolle spielte, kultivierten die Azteken Baumwolle, Kakao, Salbei, Chili- und Nelkenpfeffer sowie die Agave, die sie in vielfältiger Weise nutzten: zum Einzäunen der Äcker, um aus dem Blütenschaft Dachbalken zu fertigen oder um mit den Blättern die Dächer zu decken. Auch Papier, Garn, Nadeln, Kleidung, Schuhe und Seile stellten sie aus der Pflanze her. Der Pflanzensaft war Grundlage für den Pulque, ein durch Gärung gewonnenes alkoholisches Getränk. Aus dem Schaft und dem dickeren Teil der Blätter wurde im Erdofen eine schmackhafte Speise zubereitet. Zudem gewannen die Azteken aus den Blättern eine Arznei, die gegen verschiedene Krankheiten wirksam sein sollte – insbesondere gegen Erkrankungen der Harnwege.

Dem Franziskaner Toribio Motolinía (1490-1569) zufolge ließen die eingeborenen Fürsten Arzneipflanzen aus weit entfernten Gebieten kommen, um ihre Heilkraft zu erforschen, und der Herrscher Motecuzoma – besser bekannt als Montezuma – "hielt seine Ärzte an, Versuche mit den Arzneikräutern durchzuführen und mit denen, über die sie am besten Bescheid wussten und die am besten erprobt waren, die Edelmänner seines Hofs zu heilen."

Um den Nachschub an schönen und wertvollen Pflanzen zu sichern, verlangten die Azteken sogar von eroberten Gebieten Pflanzen als Tribut. Angeblich haben sie sogar einmal einen Krieg aus diesem Grunde angezettelt: Glaubt man dem 1615 veröffentlichten Bericht des Franziskaners Juan de Torquemada, haben die Azteken das Gebiet Tlaxiaco im heutigen Bundesstaat Oaxaca unter dem Vorwand erobert, dass dort der tlapalizquixóchitl wuchs, ein Baum mit herrlichen, duftenden Blüten.

Begeisterte Invasoren

Freilich überließen die Mächtigen die stete Versorgung mit Blumen nicht nur dem Kriegsglück. Ebenso wie Heilpflanzen und Gemüse züchteten sie die Zierpflanzen in Gärten – und schufen damit gleichzeitig Oasen der Ruhe und Entspannung. Der spanische Kartograf Pedro Mártir de Anglería schrieb dazu: "Zu ihrer Zerstreuung besitzen sie herrliche Landgüter mit Blumen- und Obstgärten, mit vielen Arten von Kräutern, Rosen und wohl riechenden Blumen. Sie verstehen auch die Kunst, die Beete zu pflegen, und sie umzäunen diese mit Schilf, um zu verhindern, dass jemand eindringt und die entzückenden Pflanzen niedertrampelt oder ausreißt. Sie haben auch Teiche in den Gärten, in denen Schwärme von verschiedenen Fischen schwimmen und an denen eine Fülle von Wasservögeln lebt."

Vor allem die königlichen Gärten von Tenochtitlan und Texcoco sowie die Nutzgärten der Fürsten von Itztapalapa und Huaxtépec waren weithin berühmt. Der Fürst von Itztapalapa bewohnte eine riesige Palastanlage aus mehreren Herrenhäusern mit wunderschön gestalteten Gängen, Sälen und Terrassen, über denen fein gearbeitete Markisen aus Baumwollstoff gespannt waren. Dazwischen erstreckten sich etliche Blumengärten und ein großer Nutzgarten, dessen Pracht, Ordnung und Schönheit die spanischen Konquistadoren in Erstaunen versetzte.

Auch Bernal Díaz del Castillo, spanischer Historiker und einer der wichtigsten Chronisten der Eroberung Mexikos, schwärmt vom Garten von Itztapalapa: "Mit seiner Vielfalt an Bäumen und Gerüchen, die jeder davon hatte" und mit seinen Wegen voller Blumen hätte er sich eine solche Anlage nie träumen lassen. Es habe einen Kanal gegeben, auf dem die großen Kanus vom See bis in die Gartenanlagen hineinfuhren. So konnten die Insassen den Anblick genießen, ohne ihren Fuß auf festes Land zu setzen. Hernán Cortés seinerseits beschrieb das große Süßwasserbecken im Garten so: "… nahezu quadratisch, und seine Wände aus wunderschön gearbeitetem Steinwerk, und um es herum ein Weg mit sehr gut gearbeitetem Pflasterboden – so breit, dass vier Personen auf ihm nebeneinander spazieren gehen können … auf der anderen Seite des Gehwegs, zur Mauer des Gartens zu, steht alles voll Schilf … und dahinter viele Arten von Bäumen und duftenden Pflanzen. Im Wasserbecken tummeln sich zahlreiche Fische und Vögel, wie etwa Stock- und Krickenten und andere Arten von Wasservögeln – so viele, dass sie oft das Wasser nahezu bedecken."

Das Athen Amerikas

Der Aztekenherrscher Motecuzoma Xoyocotzin (Montezuma II., 1502-1520) selbst besaß in seinem Palast in Tenochtitlan Gärten. Überdies standen ihm in anderen Stadtteilen Lustgärten, Parks und Nutzgärten zur Verfügung – etwa der große Zypressenwald Chapultepec und ein weitläufiger Garten in El Peñón im Osten der Stadt, der im Zuge der Eroberung in den Besitz von Cortés überging.

Auch außerhalb von Tenochtitlan unterhielten die aztekischen Herrscher große Prachtgärten, etwa in Atlixco im südöstlichen Hinterland und in Huaxtepec im Süden. Der Park von Huaxtepec erstreckte sich über mehr als drei Kilometer und es gab dort viele kleine Landhäuser, umgeben von wunderschönen Pflanzen. Ein Fluss, der sich im Garten entlangschlängelte, machte den Ort noch schöner und reizvoller.

Doch nicht nur die Azteken hatten die Gartenkunst weit entwickelt. Zu den berühmtesten Parkanlagen jener Zeit gehörte der Garten des Königs Nezahualcóyotl (1402-1472) in Texcoco, der Hauptstadt von Acolhuacan. Dieses Land grenzte an das Reich von Tenochtitlan und musste den aztekischen Königen Tribut entrichten. Nezahualcóyotl war ein Freund der Wissenschaften und Künste. Unter seiner Herrschaft entwickelten sich diese Disziplinen zu einer Blüte, die Texcoco später die Bezeichnung "Athen Amerikas" einbrachte. Der Herrscher erließ zum Beispiel einen auf Gewaltentrennung basierenden Gesetzeskodex, der auch von Tenochtitlan übernommen wurde. Laut dem Jesuiten Clavijero verhinderte er "die Zerstörung der Wälder, wodurch auch der Bevölkerung großer Schaden zugefügt worden wäre, indem er den Holzhändlern strikte Grenzen setzte, deren Überschreitung mit harten Strafen geahndet wurde". Sein Kunstsinn zeigte sich unter anderem im königlichen Palast, dessen Wände mit den Bildern von Pflanzen und seltenen Tieren seines Reichs bemalt waren.

Wasserspiele für den königlichen Hofstaat

Seinen berühmten Garten hatte der Herrscher um den kegelförmigen Cerro del Tetzcotzinco anlegen lassen, auf verschieden hohen, durch Treppen verbundenen Terrassen. Sein Nachfahre Fernando de Alva Ixtlilxóchitl (1568-1648), einer der wenigen Historiker aus den Reihen der Urmexikaner, beschreibt die Anlagen so: "In den Gärten standen prächtige, luxuriös gestaltete Schlösser. Es gab Springbrunnen, Wasserkanäle, Bewässerungsgräben, Teiche, Bäder und wunderschöne Labyrinthe mit Bäumen und Blumen aller Art, sogar solche aus fremden und fernen Landen. Der lieblichste Teil war der Hain auf dem Tetzcotzinco. Damit man seinen Gipfel ersteigen und ihn ganz durchwandern konnte, besaß er Stufen, die teils gemauert und teils in den Felsen geschlagen waren."

Der Hain war auch der Ort, an dem sich der König am liebsten entspannte. Die Treppe, die zum Aussichtspunkt auf dem Gipfel des Cerro führte und die die Terrassen miteinander verband, besaß insgesamt 520 Stufen. Auf dem Weg nach oben passierte man unzählige Arten von Bäumen und große, überreich mit Blüten geschmückte Pflanzschalen – eine Gartenbautechnik, die heute verschwunden ist. Das Problem, dass es auf dem Gipfel des Tetzcotzinco kein Wasser gab, hatte der König auf seine Weise lösen lassen. Fernando de Alva Ixtlilxóchitl berichtet: "Das Wasser schaffte man für die Springbrunnen, Becken und Bäder herbei und leitete es auch über ein System von Bewässerungsgräben, um Blumen und Alleen des Parks mit Wasser zu versorgen.

Um das Wasser von seiner Quelle herbeizuleiten, musste man hohe Aquädukte errichten, die sich in unglaublicher Erhabenheit von einem Berg zum nächsten erstreckten. Von einem Sammelbecken aus stürzte ein künstlicher Wasserlauf über zahlreiche Felsen und verspritzte dabei Wasser über den Garten voll duftender Blumen aus heißen Ländern, gerade als ob es regnete. Der ganze Park bestand aus Bäumen und wohl riechenden Blumen, und viele Vögel lebten darin. Für Dekoration und Bedienung in den Palästen der königlichen Lustgärten und Wälder waren die umliegenden Dorfgemeinschaften zuständig, die sich dabei abwechselten. Jedes Dorf versah den Dienst ein halbes Jahr lang." Heute liegt diese einst so blühende Landschaft wüst, und die Natur hat jenen Ort zurückerobert, der den Königen von Tetzcoco heilig war. Von dem Aquädukt blieb nur die Trasse erhalten. Trotzdem kann man immer noch die Großartigkeit des Bauwerks erahnen, einer in der prähispanischen Welt einzigartigen Ingenieurleistung.

Literaturhinweise


Die Eroberung von Mexiko. Von Hugh Thomas. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2000.

Die Azteken. Geschichte, Kultur, Religion. Von Hanns J. Prem. Verlag C. H. Beck, München 1999.

Die Kunst der Azteken und ihrer Vorläufer: von ­Teotihuacán bis Tenóchtitlan. Von Henri Stierlin, Belser-Verlag, Stuttgart 1997.

El Jardín de Itztapalapa. Von Ana Mariía L. Velasco Lozano. In Arqueología Mexicana, Band 10, Heft 57, 2002.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2003, Seite 70
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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