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Dynamik und Selbstorganisation: Großer Wirbel um die Turbulenz

Göttinger Forscher erkunden das Verhalten turbulenter Strömungen, einer speziellen Form dynamischer und selbst organisierter Systeme. Ihre mathematisch-physikalischen Methoden wenden sie inzwischen auch auf Phänomene der Biologie, Medizin und Hirnforschung an.
Turbulenzen und Chaos sind das letzte große Rätsel der klassischen Physik. Mit neuartigen Windkanälen, Wolkenexperimenten und Simulationen enthüllen Forscher neuerdings Details, die sich bisher der Beobachtung entzogen. Die neuen Erkenntnisse dienen dem Verständnis von Prozessen in Biologie und Hirnforschung, finden aber auch bei Netzwerken zur Stromversorgung Anwendung.

Das Leben verläuft nicht immer geradlinig. Und glaubt man Eberhard Bodenschatz, dann gedeiht es am besten unter turbulenten Verhältnissen. So weist der Forscher vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen darauf hin, dass etwa Phytoplankton – die Nahrungsgrundlage vieler Meeresbewohner – offenbar erst in verwirbelten Strömungen massenhaft zur Fortpflanzung zusammenfindet und nicht einfach aneinander vorbeigleitet wie in gleichmäßig ("laminar") fließenden Gewässern. Desgleichen entstünden ohne die permanente Durchmischung atmosphärischer Schichten keine Wolken oder Stürme, kein Regen oder Schnee. Selbst im Weltall lässt sich Turbulenz als treibende Kraft identifizieren. Planeten, Sterne und Galaxien wären vor Urzeiten wohl nicht entstanden, hätten nicht Verwirbelungen im Zusammenspiel mit der Schwerkraft zu Dichteschwankungen der kosmischen Staub- und Gasmassen geführt.

Grund genug für Eberhard Bodenschatz und seine Kollegen, den dahinterliegenden Prozessen systematisch auf den Grund zu gehen. Die Forscher haben sich viel vorgenommen, gilt die korrekte Beschreibung der Turbulenz sowie deren unvorhersehbares Verhalten doch als eines der letzten ungelösten Probleme der klassischen Physik. Historisch betrachtet wandten sich die Strömungsforscher zuerst der Turbulenz zu, also den Zuständen von Flüssigkeiten und Gasen, in denen Verwirbelungen auf allen Größenordnungen auftreten. Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begriffen sie solche Phänomene generell als Teil der "nichtlinearen Dynamik", zu der auch die Chaosforschung gehört.

Kennzeichen dieser allgemeineren Prozesse sind vor allem stark limitierte Vorhersagbarkeit und eingeschränkte Reproduzierbarkeit; denn die konkreten Systemverläufe hängen in der Regel empfindlich von den Bedingungen zu Beginn eines Experiments ab. Das heißt, dass auch winzige Unterschiede in den Anfangsbedingungen exponentiell anwachsen können, was als "Schmetterlingseffekt" bekannt wurde. Die mathematischen Grundlagen der Turbulenz glaubt man seit Langem zu kennen: Es sind die so genannten Navier-Stokes-Gleichungen – benannt nach dem französischen Ingenieur Claude Louis Marie Henri Navier (1785 – 1836) sowie dem irischen Mathematiker und Physiker Sir George Gabriel Stokes (1819 – 1903), die maßgeblich zum Verständnis von Strömungen beitrugen ...

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  • Quelle
Bodenschatz, E. et al.: Can we Understand Clouds without Turbulence? In: Science 327, S. 970 – 971, 2010
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