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Zellbiologie: High-Fidelity in der Zelle

Jede Zelle im Körper muss an sie gerichtete Signale genauestens verstehen. Hochpräzis arbeitende molekulare Netzwerke leiten die Information an die richtige Stelle in ihrem Innern – zum Beispiel zu einem Gen. Aber bei vielen Krankheiten, von Altersdiabetes bis zu Krebs, entgleist die normale Kommunikation. Erst ein genaues Verständnis dieser Signalsysteme wird die Funktion der Mehrzahl der Gene erklären helfen.


Informationen unverfälscht weiterzuleiten ist nicht einfach. Wenn wir "Stille Post" spielen, kommen die geflüsterten Worte beim Letzten in der Kette meistens völlig entstellt an. Auch die Zellen in unserem Körper müssen eintreffende Mitteilungen über viele Stationen an die richtige Adresse in ihrem Innern weitergeben. Ihnen darf dabei allerdings nicht der kleinste Fehler unterlaufen – sonst könnten wir nicht leben.

Eine Zelle muss jede Botschaft, die sie erhält, sehr genau beachten. Und sie bezieht viele Nachrichten, denn die Körperzellen tauschen immerzu Informationen miteinander aus. Zum Beispiel informieren Zellen der Bauchspeicheldrüse durch das Hormon Insulin die Muskelzellen, dass diese nun Zucker zu ihrer Energieversorgung aus dem Blut holen sollen. Oder Zellen des Immunsystems weisen Kollegen an, aufgespürte Eindringlinge zu vernichten. Nervenzellen wiederum verschicken ihre Befehle blitzschnell zu anderen Zellen vom Gehirn zur Peripherie oder umgekehrt. Meistens kommunizieren die Zellen dabei untereinander durch Moleküle.

Auch die Nachrichtenweitergabe im Innern der Zellen läuft auf Molekülebene. Damit jede einzelne der Informationen unverfälscht an ihr Ziel gelangt, ist eine große Anzahl von chemischen Verbindungen im Einsatz. Noch vor 15 Jahren wussten die Molekularbiologen über die Signalweitergabe in einer Zelle wenig Genaues. Inzwischen verstehen sie den Code dieser zellinternen Kommunikations-Netzwerke wesentlich besser. Die Forscher konnten bereits viele der daran beteiligten molekularen Strukturen und Prozesse entschlüsseln. Als eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre bewerten sie unter anderem, dass entscheidende Moleküle solcher Signalketten aus charakteristischen Modulen bestehen, Funktionseinheiten, die jeweils ganz bestimmte Aufgaben auszuführen haben. Nicht selten bilden diese Moleküle mit ihren verschiedenen Modulen regelrechte Spaliere für die Informationsweitergabe.

Bei zahlreichen Krankheiten stimmen wichtige Signale oder Signalketten in der Zelle nicht – so auch bei Krebs, Diabetes oder Immundefekten. Mitunter verstärken Signalfehler das Leiden. Und oft verursachen sie es sogar. Von der Aufklärung der Sprache im Zellinneren versprechen wir uns deswegen völlig neue Therapien für viele schwere Krankheiten.

Die ersten Einblicke in die Mechanismen der Informationsweitergabe in Zellen gelangen Ende der fünfziger Jahre den amerikanischen Biochemikern Edwin G. Krebs und Edmond H. Fischer von der Universität des Staates Washington in Seattle sowie dem amerikanischen Physiologen Earl W. Sutherland jun. von der Vanderbilt-Universität in Nashville (US-Bundesstaat Tennessee): Sie identifizierten erstmals im Zellplasma – dem "Cytoplasma" – Moleküle, die Signale übermitteln. Für ihre Entdeckungen erhielten alle drei einen Nobelpreis für Medizin oder Physiologie (Sutherland 1971, Krebs und Fischer 1992).

Bis Anfang der achtziger Jahre hatten die Molekularwissenschaftler bereits viele Einzelheiten der Signalweiterleitung in Zellen aufgeklärt. Damals wussten wir schon, dass gewöhnlich alles damit anfängt, dass die Zelle von außen eine Botschaft empfängt. Zu dem Zweck trägt sie an ihrer Oberfläche Erkennungsmoleküle, "Rezeptoren", auf die Botenstoffe von anderen Zellen passen wie ein Schlüssel ins Schloss. Solche Botenstoffe, oft Hormone, lagern sich vorübergehend an ihren spezifischen Rezeptor an. Die Rezeptoren stellen gleichsam die Antennen der Zelle dar: Sie ragen sowohl nach außen als auch nach innen und vermitteln deswegen die Information weiter ins Innere. Der typische Rezeptor ist ein Protein, besteht also aus einer gefalteten Kette von Aminosäuren. Und er besitzt mindestens drei Domänen oder Funktionsbereiche: Ein Abschnitt ragt aus der Zelle – dort dockt das Hormon an beziehungsweise ein anderer Botenstoff; ein zweiter Abschnitt durchspannt die Zellmembran; und ein dritter ragt wie ein Schwanz in das Zellplasma hinein. Wenn außen ein Botenmolekül andockt, ändert dieser Schwanzteil seine Gestalt. Nun vermag er mit Molekülen im Zellplasma – je nachdem mit einem oder mehreren – Kontakt aufzunehmen, die sich daraufhin ihrerseits an der Informationsweitergabe beteiligen. Erst dieser Kontakt löst also weitere Signalkaskaden aus.

Lange rätselten die Wissenschaftler, wie all die vielen verschiedenen Nachrichten wohl an die richtige Adresse gelangen. Wie gelingt es der Zelle, dass eine Botschaft auf dem Weg ins Innere nicht auf die falsche Bahn gerät, dass sie also nicht verschwimmt, unkenntlich wird, verloren- oder fehlgeht? Früher hielten Molekularbiologen eine Zelle noch für ein sackähnliches Gebilde, in dem die Proteine um den Zellkern und die anderen Organellen herum wie in einer Suppe treiben. Um so erstaunlicher war, dass in diesem wenig strukturierten Zellinneren jedes der vielen Signalmoleküle die richtigen Signalpartner offensichtlich immer sehr leicht findet – denn schließlich gelangen die Botschaften zuverlässig an Ort und Stelle.

Die Zusammenhänge wurden allmählich klarer, als Wissenschaftler nach den Proteinen suchten, die als erstes Kontakt mit dem inneren Schwanz eines bestimmten Rezeptortyps aufnehmen: Wie Tony R. Hunter vom Salk-Institut für Biologische Forschung in La Jolla, Kalifornien, herausfand, bekommt dieser Rezeptortyp zuerst einmal ein kleines Phosphatmolekül angelagert.

Brückenmodule führen Proteine zueinander


Die speziellen Rezeptoren heißen "Rezeptor-Tyrosinkinasen". Sie bilden eine große und äußerst wichtige Familie, denn sie erkennen viele Hormone für die Steuerung der Zellteilung, der Zelldifferenzierung und des Zellstoffwechsels. Wie der Name besagt, wirken diese Rezeptoren zugleich als Enzym: "Kinasen" sind Proteine, die auf andere Moleküle Phosphatreste übertragen. Sie "phosphorylieren" diese also und aktivieren sie dadurch. Eine "Tyrosinkinase" hängt das Phosphat an die Aminosäure Tyrosin. (Aminosäuren sind die Bausteine eines Proteins.)

Mit den Rezeptor-Tyrosinkinasen geschieht aber etwas Besonderes: Arbeiten der achtziger Jahre von Joseph Schlessinger von der New York University und anderen ließen vermuten, dass diese Rezeptoren sich paarweise zusammenlagern, wenn Hormone dort andocken. Der Zweck ist offenbar, dass sie sich dann gegenseitig Phosphate verpassen, sich also gegenseitig aktivieren. Das Phosphat hängen sie dem Partner jeweils an einen Tyrosinrest in dessen Schwanz (siehe Kasten oben, links und Mitte).

Wozu das dient, fand eine unserer Arbeitsgruppen (die von Pawson) heraus: Die mit Phosphat bestückten Rezeptoren treten nun erst in Kontakt mit bestimmten Proteinen in der Zelle, die das phosphorylierte Tyrosin erkennen (im Kasten oben Bild rechts). Und zwar besitzen diese Proteine dafür ein besonderes Modul, eine "SH2-Domäne" (der Name lehnt sich an die Bezeichnung eines bestimmten Krebsgens an). Damals glaubten die Forscher noch, dass Botschaften in Zellen hauptsächlich mittels enzymatischer Reaktionen weitergereicht würden: Jedes beteiligte Enzym verändert dann als Katalysator andere Moleküle. Es verknüpft sich aber nicht fest mit den Reaktionspartnern und verändert sich auch selbst im Grunde nicht dabei. Doch überraschenderweise geschieht den Proteinen mit SH2-Domäne durch den Kontakt zu den aktivierten Tyrosinkinasen gewöhnlich nichts dieser Art; sie bleiben chemisch unverändert und klinken sich nur an die aktivierten Rezeptoren an – so, als würden Legosteine zusammengesteckt.

Wozu sollte das gut sein? Wie wir heute wissen, kommt dieses Prinzip bei der Kommunikation in der Zelle oft vor. Viele an der Signalübermittlung beteiligte Proteine bestehen aus einer Reihe von Modulen mit verschiedenen Funktionen. Und einige ihrer Module helfen vor allem, Proteine zusammenzuführen beziehungsweise den Kontakt zwischen Enzymen herzustellen – so auch SH2. Es gibt sogar Proteine, die rein aus solchen Brückenmodulen (aus "Linkern") bestehen. Dies hatten bis Mitte der neunziger Jahre die Arbeitsgruppen von Pawson, von Hidesaburo Hanafusa von der Rockefeller-Universität in New York und andere Teams herausgefunden.

Unter anderem vermitteln Brückenmodule wie SH2 also zwischen enzymatischen Molekülen, sodass diese eine Information effizient weitergeben können. Praktisch ist es, wenn ein Protein außer dem Brückenmodul auch eines mit Enzymfunktion besitzt. Dann kann sich das Protein so auf die Linker-Region eines anderen Moleküls setzen, dass sein enzymatisches Modul gleich die günstigste Position einnimmt. Zum Beispiel kann es seinen Enzymbereich dadurch gleichzeitig unter den Einfluss von aktivierenden Faktoren bringen und in direkten Kontakt mit seinem Zielmolekül. Bei bestimmten SH2-haltigen Proteinen schlingt sich ihr Brückenmodul zunächst so um ihre eigene enzymatische Domäne herum, dass SH2 die Enzymaktivität blockiert. Erst wenn sich die SH2-Domäne an den Rezeptor setzt, entfaltet sie sich. Jetzt liegt der Enzym-Bereich frei und kann seine Arbeit erledigen.

Doch selbst diejenigen Proteine haben eine wichtige Aufgabe, die allein aus Brückenmodulen bestehen und keine eigene Enzymdomäne besitzen. Sie können einem Signalweg Proteine zuführen, die aus eigener Kraft keinen Kontakt dazu bekommen. Solche reinen Brückenproteine funktionieren wie Adapter, wie Zwischenstecker – und oft wie Mehrfachstecker: Eine Domäne des Adapters hängt dann an dem sich entwickelnden Signalkomplex, während seine anderen Module weitere Proteine einbeziehen können.

Bestimmte Proteine mit nichtenzymatischen Modulen überbrücken sogar direkt die Distanz zwischen dem Rezeptor in der Außenmembran der Zelle und dem Gen im Zellkern, das infolge des aufgefangenen Signals angeschaltet werden soll. Sie tragen nicht nur eine Domäne, die sich an ein Protein binden kann, sondern auch ein Modul, das die zu aktivierende Erbsequenz (DNA-Sequenz) erkennt.

Jede Domäne erkennt ihren spezifischen Partner


James E. Darnell von der Rockefeller-Universität zeigte diesen Mechanismus auf: Vereinfacht gesagt, heften sich diese Proteine zunächst mit ihrem Linkermodul an eine phosphorylierte Rezeptor-Kinase. Dabei wird das Modul für die Generkennung aktiviert. Das Protein löst sich nun wieder vom Rezeptor und wandert in den Zellkern. Dort schaltet es das benötigte Gen an und induziert so schließlich die Proteinsynthese. In diesem Falle besteht die Signalkette aus einem einzigen Enzym: dem Rezeptor. Alles, was nach dessen Aktivierung geschieht, erfolgt über Protein-Protein-Wechselwirkung oder Protein-DNA-Erkennung.

Parallel zu diesen Befunden hatten Zellforscher erkannt, dass das Zellplasma keinesfalls eine amorphe Suppe ist wie ursprünglich angenommen. Vielmehr liegen die Organellen und Proteine darin eher geordnet dicht an dicht. Wir denken heute, dass eine fehlerfreie Signalübertragung in der Zelle wesentlich auf Proteinverbünden beruht, die wie Legosteine über Linker- und Adapter-Einheiten verknüpft sind. Diese Proteinkomplexe gewährleisten, dass nach der Aktivierung eines Rezeptors Enzyme wie auch DNA-bindende Module unverzüglich und auch in der richtigen Reihenfolge Kontakt mit ihren jeweiligen Zielmolekülen aufnehmen können.

Rätselhaft blieb dennoch, wie eine Zelle sicherstellt, dass sich immer gerade die richtigen Proteine zu einem bestimmten der zahllosen Signalübertragungswege zusammenschließen. Auch diese Frage beantworteten Studien an Rezeptor-Tyrosinkinasen und an SH2-Domänen. Bald nach der Identifizierung der SH2-Module erkannten die Forscher, dass weit über hundert verschiedene Proteine SH2-Domänen enthalten. Rezeptoren dürfen ihre Partner trotz der Vielzahl nicht verwechseln, sonst gäbe es ein heilloses Durcheinander in den Signalwegen. Denn jedes Hormon, jeder Botenstoff soll ja eine bestimmte Wirkung erzielen. Dabei kommt es oft auf jede Nuance an.

Die Zellen lösen dieses Problem im Grunde einfach: Zum Beispiel trägt jede SH2-Domäne nicht nur den Abschnitt, der ein Tyrosin mit Phosphat erkennt, also darauf passt, sondern sie besitzt auch noch einen variierenden, individuellen Bereich. Wie Lewis C. Cantley von der Harvard-Universität in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) herausfand, erkennt dieser variierende Bereich jeweils eine bestimmte Sequenz von etwa drei Aminosäuren, die am anderen Molekül gleich hinter dem Phosphotyrosin sitzen. Das ist die Identifikationsmarke. Und da jede SH2-Domäne ihrerseits mit einer spezifischen Enzym-Domäne oder einem besonderen Brückenmodul verknüpft ist, bestimmt dieser Code auch, welche Signalübertragungswege in diesem Fall aktiviert werden. Ähnlich funktionieren auch andere Arten von Linker-Modulen.

Wir wollen die beschriebenen Vorgänge am Beispiel der Wundheilung verdeutlichen: anhand des Signalübertragungsweges, den der "Blutplättchen-Wachstumsfaktor" in Gang bringt (PDGF nach englisch: platelet-derived growth factor). Dieser Wachstumsfaktor wird häufig nach Verletzung eines Blutgefäßes freigesetzt. PDGF bindet sich dann an eine spezielle Rezeptor-Tyrosinkinase auf den glatten Muskelzellen in dem verletzten Gefäß (Kasten links). Infolge dieser Bindung lagern sich zwei Rezeptoren zusammen und verpassen sich dann gegenseitig Phosphate am Tyrosin. Die Phosphorylierung des Rezeptors ruft ein Protein namens Grb2 auf den Plan. Dies ist ein klassisches Brückenprotein, also ein Molekül ohne Enzymfunktion. Es besteht nur aus drei Modulen: einer SH2-Domäne, flankiert von zwei so genannten "SH3"-Domänen, die ebenfalls Linker-Module darstellen. Die SH3-Module binden bevorzugt an die Aminosäure Prolin. Dadurch ziehen sie das enzymhaltige Protein Sos zu dem Rezeptor hin. Sos wiederum aktiviert das in Membrannähe sitzende Protein Ras, das nun eine Reihe enzymatischer Reaktionen auslöst. Am Ende der Reaktionskaskade schalten Proteine im Zellkern Gene an, die ihrerseits Zellteilungen auslösen – und das fördert die Wundheilung.

Die Signal-Netzwerke, an deren Anfang Rezeptor-Tyrosinkinasen stehen, bedienen sich anscheinend relativ kleiner Brückenproteine. Dagegen verwenden Signalübertragungswege in Nervenzellen des Gehirns unter anderem Proteine mit unglaublich vielen Linker-Domänen. Sie wirken wie ein Gerüst oder Spalier, denn sie halten Signalproteine gruppenweise an Ort und Stelle permanent zusammen. Demnach sind manche Signalketten fest in den Zellen installiert. Um so rascher und genauer vermag die Nervenzelle Informationen, die sie empfängt, in ihrem Innern zu übermitteln und in neue Nervenimpulse umzusetzen, die sie selbst verschickt. Dies ist auch nötig, denn damit ein Nervenimpuls entsteht, müssen viele Komponenten des Signalsystems der Zelle praktisch gleichzeitig in Aktion treten: Wenn eine Nervenzelle von einer anderen durch einen Botenstoff ein Signal erhält, veranlassen ihre Rezeptoren, dass sich Ionenkanäle in der äußeren Zellmembran öffnen; die nun einströmenden Ionen wiederum aktivieren Enzyme, die bei der Erzeugung eines neuen elektrischen Impulses mitwirken müssen; der neue Impuls rast dann ans Ende eines langen Zellfortsatzes (des Axons), wo er dafür sorgt, dass diese Zelle nun ihrerseits einen Botenstoff ausschüttet.

Das gut untersuchte Molekül PSD-95 liefert ein schönes Beispiel für ein Gerüstprotein in Nervenzellen. Dieses Protein kommt hauptsächlich in Zellen vor, die bei Lernvorgängen mitwirken. Unter den diversen Brückenmodulen von PDS-95 befinden sich drei so genannte PDZ-Domänen mit charakteristischen Bindungseigenschaften. Die eine der drei Domänen bindet an den zellinneren Schwanz des Rezeptors für den Botenstoff Glutamat. Eine zweite Domäne heftet sich an einen Ionenkanal in der äußeren Zellmembran der Nervenzelle. Dieser Ionenkanal regelt den Einstrom von Kalium. Die dritte PDZ-Domäne (wie übrigens noch ein weiteres Modul im Gerüst) stellt Kontakt zu Proteinen im Zellplasma her. Auf diese Weise koppelt PSD-95 gleich mehrere Komponenten der Signalübertragung zusammen und koordiniert dadurch deren Aktivität.

Ein anderes Beispiel gibt das Auge der Taufliege ab. Auch hier sorgt ein Gerüstprotein – genannt InaD – mit mehreren PDZ-Domänen dafür, dass die visuelle Information effizient vom Auge zum Gehirn gelangt.

Erst kürzlich haben Forscher in Nervenzellen von Säugetieren einen weiteren festen Signalkomplex gefunden. Seinen Kern bildet das Gerüstprotein yotiao, ein Tausendsassa. Wie das Team von einem von uns (Scott) nachwies, dockt yotiao an ein Protein in der Außenmembran an, das gleichzeitig einen Glutamatrezeptor und einen Ionenkanal darstellt. Weiterhin ergreift yotiao eine Kinase, die den Ionenkanal des aktivierten Rezeptors phosphoryliert und ihn damit öffnet. Zugleich hält yotiao auch eine Phosphatase fest, ein Enzym, das als Gegenspieler der Kinase das Phosphat wieder ablösen kann. Dadurch schließt die Phosphatase den Ionenkanal, sobald an dem Rezeptor kein Glutamat mehr sitzt. Das Gerüstprotein yotiao stellt also durch die Anordnung seiner Module auf elegante Weise sicher, dass Ionen nur dann in die Zelle gelangen, wenn Glutamat auftritt.

Kinasen und Phosphatasen kontrollieren die meisten Vorgänge in der Zelle, weil sie für die Aktivierung und Inaktivierung von Proteinen zuständig sind. Wohl für alle Enzyme existieren sowohl Kinasen als auch Phosphatasen als deren Gegenspieler. Mittlerweile kennen wir aus menschlichen Zellen sehr viele verschiedene Kinasen und Phosphatasen. Jedes dieser Enzyme darf seine Aktivität nur an den richtigen Proteinen entfalten. Gerüstproteine können dabei helfen, weil sie die passenden Kinasen, Phosphatasen und Zielmoleküle in der notwendigen räumlichen Nähe zueinander halten. Zellen scheinen sie allgemein zu diesem Zweck einzusetzen.

Wissenschaftler sprechen mit den Zellen


In der Evolution muss das erste modulare Signalübermittlungssystem für die Zelle einen erheblichen Fortschritt bedeutet haben. Die Zelle konnte nun mit den vorhandenen Bausteinen sehr viele neue Proteine und Molekülkombinationen herstellen, nur durch Mischen und Abgleichen vorhandener Module. Sie konnte so auch eine breite Palette vielfältig verknüpfter neuer Signalübertragungswege aufbauen, ohne dass sie die Grundelemente neu erfinden musste. Mehr noch, jedes einmal neu erfundene Modul steigert die zukünftigen Verwendungsmöglichkeiten ungemein.

Schritt für Schritt kommen die Zellbiologen den Mechanismen auf die Schliche, die der Zelle die parallele, fehlerfreie Ausübung ihrer zahllosen Funktionen ermöglichen. Den Forschenden ist dabei die intellektuelle Befriedigung oft Lohn genug. Doch diese Fortschritte bedeuten viel mehr.

Bald werden die Mitarbeiter am internationalen "Human-Genom-Projekt" die Erbsequenzen aller menschlichen Gene entziffert haben (Spektrum der Wissenschaft 9/2000, S. 30). Nun sind die Zellforscher an der Reihe. Soll diese Information unser Verständnis von Krankheiten verbessern, dann müssen wir genauestens herausfinden, welche Aufgaben die dazugehörigen Proteine normalerweise haben, und was geschieht, wenn eine Zelle zu viel, zu wenig oder eine fehlerhafte Version davon produziert.

Wie wird die zukünftige Forschung auf diesem Feld aussehen? Wir kennen von vielen Modulen bereits die Aminosäuresequenz und die Funktion. Diese können wir als Vorlage verwenden, um herauszufinden, ob ein neu identifiziertes Gen für ein signalübertragendes Protein codiert und wenn ja, mit welcherart Molekülen dieses Protein kommuniziert. Haben wir erst genügend solcher Wechselwirkungen erfasst, lässt sich vielleicht für jeden Zelltyp im Körper eine Art innerer Schaltplan aufstellen. Bereits ein Teilschema könnte Ansätze liefern, fehlgehende Zellen neu zu adjustieren, also falsche und störende Signale abzublocken oder sie nach unserem Ermessen umzuleiten. Beispielsweise stellen wir uns vor, dass die Signale zur Zellteilung in Krebszellen so gelenkt werden, dass die Zelle statt sich zu teilen Selbstmord begeht.

Wir wollen lernen, die Zellen zu belauschen, wie sie in unserem Körper pausenlos miteinander und mit ihrem Innenleben reden. Gern möchten wir manchmal soufflieren, wenn eine von ihnen stottert oder Unsinn erzählt. Wer weiß, vielleicht gibt es bald ein "Wörterbuch der Zellsprache".

Literaturhinweise

Signaling: 2000 and Beyond. Von Tony Hunter in: Cell, Bd. 100, Nr. 1, S. 113, 7. Januar 2000.

Signaling through Scaffold, Anchoring and Adaptor Proteins. Von Tony Pawson und John D. Scott in: Science, Bd. 278, S. 2075, 19. Dezember 1997.

Protein Modules and Signalling Networks. Von Tony Pawson in : Nature, Bd. 373, S. 573, 16. Februar 1995.


Krankheit als Kommunikationsstörung in Zellen


Bei erstaunlich vielen Krankheiten verläuft die Signalübertragung in Zellen falsch. Das beste Beispiel dafür ist der Krebs mit seiner unkontrollierten Zellvermehrung und -streuung. Eigentliche Ursache für Krebs sind Genmutationen. Einige solche Mutationen führen zu einer Überaktivität von Proteinen in denjenigen Signalübermittlungswegen, die normalerweise eine Zellteilung als Reaktion auf einen Befehl von außen einleiten. Die Zellen verhalten sich dann so, als ob andere Zellen sie beständig zur Vermehrung anstachelten.

Mediziner setzen Signalblocker bereits bei der Therapie von Brustkrebs ein. Andere Wirkstoffe mit ähnlicher Funktion sind in Entwicklung. Zum Beispiel könnten neuen klinischen Tests zufolge bestimmte Leukämieformen vielleicht auf ein Medikament ansprechen, das die Übereifrigkeit des Enzyms Abelson-Tyrosinkinase bremst.

Verhängnisvoll wirkt sich eine übertriebene Signalgebung auch beim erblichen Purtilo-Syndrom aus (auch XLP genannt: X-Chromosom gekoppelte lymphoproliferative Erkrankung). In den Betroffenen löst das Epstein-Barr-Virus (Erreger des Pfeiffer-Drüsenfiebers, aber auch Verursacher bestimmter Lymphome) eine überschießende Antwort bestimmter Immunzellen, der "Killer-T-Zellen", aus, die schließlich zum Tode führt.

Den Grund für diese fatale Überreaktion fanden die Wissenschaftler vor zwei Jahren. Menschen mit XLP fehlt das kleine Protein SAP, das nur aus einer einzigen SH2-Domäne besteht (die mit den im Artikel erwähnten SH2-Domänen verwandt ist). Stoßen Killer-T-Zellen auf mit dem Virus infizierte Zellen, dann schalten sie eine interne Signalkaskade an und können nun die befallenen Zellen angreifen. Normalerweise hält SAP diese Attacke unter Kontrolle: Das Protein schirmt die Bindungsstellen an einigen signalübertragenden Komponenten ab und unterbricht so die Signalkette. Den Patienten ohne SAP fehlt also ein wichtiges Dämpfungselement für die überaktiven T-Zellen.

Umgekehrt entstehen manche Krankheiten, weil Signalsysteme in der Zelle stumm bleiben, die eigentlich arbeiten sollten. Das ist auch bei zahlreichen Störungen der Immunabwehr der Fall. Ein anderes Beispiel für ungenügende Signalgebung ist der so genannte Altersdiabetes (Typ II-Diabetes). Die Muskel- und Fettzellen des Körpers nehmen nur dann Zucker aus dem Blut auf, wenn das Hormon Insulin aus der Bauchspeicheldrüse sie dazu gewissermaßen auffordert. Altersdiabetes kann entstehen, wenn die Insulinrezeptoren auf den Muskel- und Fettzellen die Botschaft des Hormons nicht oder zu schwach an andere Moleküle im Zellinneren weiterleiten. Möglicherweise lassen sich in Zukunft manche der Patienten mit Medikamenten behandeln, welche gezielt die Aktivität der Insulinrezeptoren oder eines nachgeschalteten Elements in der Signalkaskade steigern. An Mäusen haben Wissenschaftler ein solches Rezeptorstimulierendes Mittel bereits erfolgreich getestet.

Bakterien und Viren sind Meister darin, Signalsysteme von Zellen für ihre Ausbreitung und Vermehrung zu nutzen. Besonders augenfällig ist diese Strategie bei vielen infektiösen Bakterien wie beispielsweise dem Pesterreger Yersinia pestis, aber auch bei pathogenen Stämmen des Darmbewohners Escherichia coli. Diese Mikroben injizieren ihre eigenen Proteine in die menschlichen Zellen. Einige dieser Proteine greifen in die Signalübertragungswege der betroffenen Zellen ein, wodurch sowohl das Zusammenleben der Bakterien mit der Wirtszelle stabilisiert als auch die Bakterienabwehr lahm gelegt wird.

Viele Viren verschaffen sich Zutritt zu Zellen, indem sie an Rezeptoren ando-cken, die an der Spitze von Signalketten stehen. Später manipulieren sie die zellinternen Kommunikationsnetzwerke für ihre eigene Vermehrung und Freisetzung. Der Aids-Erreger HIV ist wohl der berüchtigtste dieser tückischen Viren.

Dank der wachsenden Erkenntnisse über solche Zusammenhänge erwarten wir für die Zukunft vermehrt Therapien, die defekte Signalsysteme reparieren oder eine Fehlsteuerung kompensieren.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 60
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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