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Hirschhausens Hirnschmalz: Das Beste kommt zum Schluss?

Eckart von Hirschhausen

Dieses Jahr werde ich 50. Ist ja erst mal schön, wenn man dieses Alter erreicht. Das war hier zu Lande vielen Generationen vor uns, und sogar einigen aus meiner Generation, nicht vergönnt. Von anderen Erdteilen ganz zu schweigen. Es geht mir gut. Ich frage mich nur: Wie lange noch? Und was darf ich in Zukunft von meinem Gehirn und Geist erwarten?

Wilhelm Schmid, der Philosoph, sagte mir mal: "Das Beste kommt noch!" Genaueres wollte er aber nicht verraten, dafür lachte er sehr überzeugend. Was weiß die Wissenschaft über die beste Zeit des Hirns? Das Gedächtnis für Namen und Gesichter funktioniert mit 22 am besten. Also genau in dem Alter, wo man auf Partys extra so viel Alkohol trinkt, dass man sich nicht mehr an alles erinnern muss. Der Alkoholkonsum sinkt mit wachsender Lebenserfahrung, weil man sich irgendwann an das Gefühl am nächsten Morgen erinnert und einen Kausalzusammenhang zur Nacht herstellt.

Forscher vom MIT in Boston legten 48 537 Personen online alle möglichen Tests vor – Wortschatz, Verständnis, rechnen, Ähnlichkeiten finden, Geschichten nacherzählen, rückwärts Begriffe wiederholen. Das beruhigende Ergebnis: Es gibt selbst im Alter noch Spitzenleis­tungen! Auch wenn die meisten Fähigkeiten zwischen 20 und 30 ihren Höhepunkt erreichen, sind wir erst mit 50 auf dem Zenit, was den Umgang mit Worten betrifft sowie andere Aufgaben, bei denen Erfahrung hilft. Die Streuung ist groß – und somit die Hoffnung, dass sich das bei einem selber alles anders verhält.

Ich jedenfalls kann immer noch alles machen wie mit 20. Nur nicht mehr an einem Tag. Es tut mir in der Seele weh, junge Leute zu sehen mit überbordender Ener­gie, nur ohne Plan, was man damit anfangen kann. Als ich frisch mit dem Studium fertig war, bekam Christiane Nüsslein-Volhard den Nobelpreis für ihre Entdeckungen an Taufliegen. Ich hatte jahrelang ebenfalls an Fliegen geforscht, vielleicht nicht so systematisch, aber ich konnte bei verschieden alten Tellerstapeln in meinem Spülbecken auch diverse Entwicklungsstufen unterscheiden. Stockholm hat nie angerufen.

Drin wäre noch der Friedensnobelpreis, denn da sind die Preisträger im Schnitt 20 Jahre älter als etwa in Physik. Schon schizophren: Mit 20 erfindest du die Grundlagen der Atombombe, und erst, wenn du Kinder hast und reifer bist, fragst du dich, ob es nicht bessere Ideen für die Welt gibt. Das scheint aber so eine Art Naturgesetz zu sein: Erst ist man schnell in der Birne, dann reif. Und was danach? Überreif? Matsch? Im besten Fall fällt man nicht weit vom Stamm in fruchtbaren Boden und wird ein neuer Birnbaum, an dem sich noch viele Generationen laben. Damit könnte ich mich anfreunden.

Wann waren sie geistig am fittesten?

  1. A) zwischen 20 und 30
  2. B) zwischen 30 und 40
  3. C) zwischen 50 und 70
  4. D) muss ich meine Frau fragen

In einem Cartoon von Peter Gaymann betet eine Hochbetagte: "Oben klar und unten dicht – lieber Gott, mehr will ich nicht." Warum lösen so viele ab 50 Sudokus, wenn x-mal belegt wurde, dass das Alzheimer nicht verhindert, sondern nur im Sudokulösen besser macht? Viel wirksamer für die grauen Zellen ist ein möglichst un-graues Leben: mit Freunden, Tanzen und dem Gefühl, gebraucht zu werden. Also, weg mit den Sudukos. Was bringt wirklich was für die entscheidenden Fähigkei­ten? Enkel auf den Arm und Beckenbodentraining!

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  • Quellen

Hartshorne, J. K., Germine, L. T.: When Does Cognitive Functioning Peak? The Asynchronous Rise and Fall of Different Cognitive Abilities across the Life Span. In: Psychological Science 26, S. 433–443, 2015

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