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Sozialverhalten: Gesichtskontrolle im Wespennest

Um Gesichter voneinander zu unterscheiden, braucht es kein großes Gehirn. Manche Wespen haben sich sogar zu Spezialisten auf diesem Gebiet entwickelt.
Insekten sehen

Große geistige Leistungen traut man Bienen und Wespen eigentlich nicht zu. In ihrem kurzen Leben geben angeborene Verhaltensprogramme weit gehend vor, wie sie Nester bauen, Nektar sammeln und die Brut großziehen. Bei den meisten Arten überwintern nur junge Königinnen, gründen im nächsten Jahr ein neues Nest und sterben im selben Sommer. Umso erstaunlicher, dass manche von ihnen Artgenossen am Gesicht erkennen – was an sich als herausragende Fähigkeit von Primaten gilt. Eine von uns (Tibbetts) entdeckte dies bei einer nordamerikanischen Feldwespe, Polistes fuscatus. Die Insekten merken sich die Gesichter ihrer Nestgenossen und unterscheiden daran bei zukünftigen Kontakten, ob sie eine Wespe kennen oder nicht. Wie der andere Autor dieses Artikels, Dyer, daraufhin herausfand, lassen sich auch Bienen, die solche Unterscheidungen an sich nicht vornehmen, entsprechend trainieren. Sogar menschliche Gesichter können sie bisweilen lernen auseinanderzuhalten.

Unser Gehirn ist mindestens 10 000-mal so groß wie das dieser Insekten. Nach einer verbreiteten Vorstellung wuchs es im Vergleich zu anderen Primaten besonders deshalb dermaßen an, weil wir uns in komplexen Gesellschaften zurechtfinden und eine größere Anzahl Individuen auseinanderhalten müssen. Wenn Insekten mit einem winzigen Gehirn im Grunde Ähnliches leisten, fragt sich, welche Hirnstrukturen und Mechanismen bei ihnen daran beteiligt sein mögen und wie sie entstanden. Erkenntnisse hierzu sollten auch für Informatiker interessant sein, die Software für Gesichtserkennung entwickeln.

Tibbetts’ Entdeckung im Jahr 2001 war reiner Zufall. Als sie gerade als Doktorandin anfing, wollte sie einige Einzelheiten des Soziallebens besagter Feldwespe genauer untersuchen, über die Verhaltensforscher schon eine Menge wussten. Diese Wespen bilden überschaubare kleine Kolonien mit oft mehreren Königinnen. Um die sozialen Kontakte zu erfassen, pflegte Tibbetts alle Tiere eines Nests auf dem Rücken mit Farbtupfern zu markieren und filmte dann das Geschehen. Doch einmal hatte sie zwei Wespen übersehen. Damit waren die Aufnahmen wertlos – es sei denn, es gelänge ihr, diese beiden Individuen trotzdem irgendwie auseinanderzuhalten.

Beim Betrachten des Films merkte die Forscherin plötzlich, dass sie ihre Gesichter anhand der gelben, braunen und schwarzen Streifen und Flecken unterscheiden konnte. Neugierig fragte sie sich, ob diese Insekten das untereinander wohl auch taten. ...

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  • Quellen und Literaturtipp

Avargues-Weber, A. et al.: Configural Processing Enables Discrimination and Categorization of Face-Like Stimuli in Honeybees. In: Journal of Experimental Biology 213, S. 593 - 601, 2010

Dyer, A. G., Vuong, Q. C.: Insect Brains Use Image Interpolation Mechanisms to Recognise Rotated Objects. In: PLoS One 3, e4086, 2008

Sheehan, M. J., Tibbetts, E. A.: Specialized Face Learning Is Associated with Individual Recognition in Paper Wasps. In: Science 334, S. 1272 - 1275, 2011

Tibbetts, E. A.: Visual Signals of Individual Identity in the Wasp Polistes fuscatus. In: Proceedings of the Royal Society of London B 269, S. 1423 - 1428, 2002

Tibbetts, E. A., Dale, J.: Individual Recognition: It Is Good to Be Different. In: Trends in Ecology and Evolution 22, S. 529 - 537, 2007

Literaturtipp: Tierische Tricks. Spektrum der Wissenschaft Spezial Biologie, Medizin, Hirnforschung 4/2014
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