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Ist die Erde noch regierbar? Ein Bericht an den Club of Rome.

Aus dem Englischen
von Hans-Jürgen Baron von Koskull.
C. Bertelsmann, München 1995.
384 Seiten, DM 49,80.

Der Club of Rome ist gelegentlich als "Gewissen der Menschheit" bezeichnet worden. Mag das auch überhöht sein; die Verdienste dieses Gremiums sind unbestritten. Es hat die weitreichenden Folgen globaler Veränderungen am Ende des 20. Jahrhunderts thematisiert und eine breitere Öffentlichkeit für die existentielle Bedeutung dieser Problematik sensibilisiert. Kritische Aufmerksamkeit widmete es nicht nur bestimmten wissenschaftlich-technischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen, die – ungebremst und unkontrolliert – die Menschheit in die Katastrophe treiben können; beunruhigt zeigt sich der Club of Rome auch über die Unfähigkeit und den Unwillen nationaler Regierungen und internationaler Organisationen, langfristige Strategien zur Lösung der drängendsten Menschheitsprobleme zu verfolgen.

Der israelische Politikwissenschaftler Yehezkel Dror, Emeritus der Universität Jerusalem, ist Mitglied des Club of Rome und hat vielfältige Erfahrungen in langjähriger Beratertätigkeit für Regierungen und politische Organisationen gesammelt. Er erhielt deshalb den Auftrag, nach den Gründen für das offenkundige Versagen vieler Regierungen zu suchen. Zugleich sollten Vorschläge zur Verbesserung der Regierungstätigkeit ausgearbeitet werden.

Drors Bericht (im Original "The Capacity to Govern") bekam vom deutschen Verlag – offenbar aus merkantilen Überlegungen heraus – den larmoyanten Titel "Ist die Erde noch regierbar?" Den Zuständigen ist dabei entgangen, daß das eben nicht Drors Thema ist. Er hält die Erde für sehr wohl regierbar und weist schon in der Einleitung seines Berichtes Klagen über angebliche Unregierbarkeit als schädlich und irreführend zurück, weil sie das eigentliche Problem, das Versagen der Regierungen, verdeckten.

Dror möchte sein Buch in die Tradition einer "Literatur des Widerstandes" eingeordnet wissen. Beim Leser hinterläßt es einen zwiespältigen Eindruck.

Radikal ist Drors Kritik an Versäumnissen und Schwächen in der Arbeit heutiger Regierungen: Verhaftetsein im politischen Alltag ohne Gespür für die Probleme der Zukunft; leichtfertige Gefährdung der Existenzbedingungen künftiger Generationen, die keine Lobby zur Wahrung ihrer Interessen ins Feld führen können; Festhalten an überholten Vorstellungen und politischen Methoden, die der Dynamik des gesellschaftlichen Wandels nicht gerecht werden; Unkenntnis und Ignoranz gegenüber Problemen neuer wissenschaftlich-technischer Entwicklungen; moralische und politische Versäumnisse beim Ringen um globale Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Dies sind nur einige, wesentliche unter den Kritikpunkten, die Dror den Regierenden – auch in den westlichen Demokratien – ins Stammbuch schreibt. Dabei bleibt er im Ton nüchtern bis lakonisch, ohne der Versuchung zu erliegen, sein Insider-Wissen in vordergründige journalistische Effekte umzumünzen.

So radikal die Kritik an der gegenwärtigen politischen Praxis, so moderat, bisweilen die Grenzen des Banalen streifend, sind seine Vorschläge für eine nachhaltige Verbesserung der Regierungstätigkeit. Dror geht davon aus, daß die wesentlichen politischen Strukturen auch in Zukunft fortbestehen werden. Sein Programm könnte als Umgestaltung durch Vervollkommnung beschrieben werden. Dieses Ziel soll hauptsächlich durch Aufklärung, moralische Erneuerung – sein Moralkodex für aktive Politiker ist ebenso edel wie unrealistisch –, unabhängige Beratung und Überzeugung erreicht werden. Gebildete Eliten, durch wen auch immer berufen, sind das personelle Rückgrat dieser Prozesse.

Möglich, daß Drors Bericht durch inhaltliche Vorgaben des Club of Rome von vornherein sehr stark auf praktische Aspekte gegenwärtiger Regierungstätigkeit fixiert war. Globale Herausforderungen und die Notwendigkeit zu tiefgreifenden politischen Reformen stehen in Drors Bericht weitgehend unvermittelt nebeneinander. Des Autors Blick bleibt bei aller Kritik an Unzulänglichkeiten von der Praxis gegenwärtigen politischen Denkens und Handelns gefangen. Er bewegt sich – mit den Worten des Münchner Soziologen Ulrich Beck – innerhalb des Spielregelsystems der einfachen Moderne. Daß die traditionellen Konzepte politischer Machtausübung an den durch die Dynamik weltweiter Veränderungen entstandenen politischen Herausforderungen aus prinzipiellen Gründen scheitern können, wird nur angedeutet, nicht ausgelotet. Der Gedanke eines grundsätzlichen Wandels im Verständnis von Politik und politischer Kultur, oder – wieder nach Beck – eines Wechsels im Spielregelsystem, eines Übergangs zu einer anderen Qualität des Politischen hat nur untergeordneten Rang.

Eigentlich zentrale Fragen werden, wenn überhaupt, eher beiläufig abgehandelt: Über welche politischen Prozesse, mit welcher Verbindlichkeit läßt sich Konsens zu politischen Leitlinien und Wertorientierungen erzielen, die in die Zukunft weisen? Welche Veränderungen des institutionellen Rahmens politischer Tätigkeit sind notwendig und voranzutreiben? Welcher Formwandel wird sich in der Tätigkeit des Staates vollziehen, was mehr heißen muß, als nur neuen Wein in alte Schläuche zu gießen? Was läßt sich über mögliche Akteure künftiger politischer Prozesse sagen?

Es spricht für die Redlichkeit des Autors, daß er seinen eigenen Empfehlungen selbstkritisch gegenübersteht. Das augenscheinlich Durchführbare seiner Reformen bringe keinen großen Nutzen, und das Nützliche sei offenbar nicht durchzuführen, so das skeptische Resümee. Man sollte Drors Bericht trotzdem nicht achselzuckend in den Bücherschrank stellen. Die behandelte Problematik ist dafür zu wichtig.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 130
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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