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Knospung von Transportvesikeln in Zellen

Im Binnenverkehr von Zellen befördern winzige Membranbläschen Frachten zwischen verschiedenen Abteilungen. Lange war rätselhaft, wie solche Vesikel für Proteine oder andere Substanzen sich überhaupt bilden. Ein europäisches und ein amerikanisches Team haben in Kooperation das generelle Prinzip des Mechanismus aufgeklärt.

Das Innenleben einer kernhaltigen Zelle erinnert an ein städtisches Gemeinwesen voller getrennter, aber wohlkoordinierter Aktivitäten. Ob nun einfacher Hefepilz, grüne Pflanze, Tier oder Mensch – das innerzellulä- re Organisationsprinzip ist grundlegend gleich und hat mit dem einer gut funktionierenden Stadt gemein, daß die Zuständigkeiten verteilt sind und die einzelnen Bereiche oder Ressorts die Aufgaben und Abläufe aufeinander abstimmen. Zellen haben für verschiedene Funktionen bestimmte durch Membranen abgeschirmte Kompartimente oder auch Organellen (Bild 1).

Sehen wir uns einige der für unseren Artikel relevanten Zuständigkeitsbereiche näher an. Bereits die Plasmamembran, die eine Zelle außen umgibt, könnte man ein Organell mit eigenen Funktionen nennen. Sie ist nicht unähnlich einer trutzigen Stadtmauer von einst, an deren Toren alles und jeder, der ein- oder ausging, kontrolliert wurde, wo weder Nahrung noch andere Güter ungesehen ein- oder eigene Erzeugnisse ausgeführt werden konnten.

Tiefer im Innern liegen die Fertigungszentren. Zu ihnen gehört das endoplasmatische Reticulum (nach lateinisch reticulum, kleines Netz), ein reichverzweigtes Membransystem, an dem ein Teil der Montageeinheiten für Proteine sitzt. Noch während ihrer Fertigung treten die neuen, erst in Rohform vorliegenden Moleküle ins Innere des Systems über und werden an die nächste Instanz weiterverfrachtet, den Golgi-Apparat. Das ist gewissermaßen der Hauptumschlagplatz, denn von hier aus werden die Proteine, nachdem sie noch geeignet ausgestattet worden sind – oft unter anderem durch Anhängen von Zuckerketten – zum Bestimmungsort in der Zelle oder außerhalb verfrachtet.

Für die Müllverwertung sind unter anderem die Lysosomen zuständig. Alte, verbrauchte Proteine und bestimmte andere Moleküle, sowohl aus der Zelle als auch von außerhalb, werden dort zum Zwecke der Wiederverwendung in ihre Bestandteile zerlegt.

Den Güter- und Materialtransport zwischen all diesen Stellen besorgt ein besonderes Frachtsystem, das – wie im Flugverkehr – Proteine mit gleichem Ziel containerweise befördert. Die winzigen Behälter, die man erst in den sechziger Jahren im Elektronenmikroskop entdeckt hat und Transportvesikel nannte, müssen ihren Inhalt gut abgeschlossen sicher von Ort zu Ort bringen. Damit jede Gütersorte ans richtige Ziel gelangt, werden sie in jeder Zelle in etlichen verschiedenen Ausführungen hergestellt. Manche Vesikel, die zugleich als Speicher dienen, helfen zudem bei der Kommunikation zwischen Zellen: Sie halten beispielsweise Neurotransmitter (Botenstoffe zwischen Nervenzellen) oder Hormone wie Insulin (das Bauchspeicheldrüsenhormon, das Zellen zur Zuckeraufnahme anregt) auf Vorrat und schütten sie erst auf ein passendes Signal hin aus der Zelle aus.

Obwohl Transportvesikel unabdingbar für viele Lebensprozesse sind, blieb lange rätselhaft, wie sie überhaupt entstehen. Erst in letzter Zeit konnten wir und unsere Kollegen zahlreiche molekulare Einzelheiten des Vorgangs nachzeichnen. Diese Erkenntnisse sind außer für die Grundlagenforschung aber auch medizinisch von großem Interesse. Beispielsweise gibt es Krankheiten, bei denen Vesikelmechanismen gestört sind. Auch Tumorzellen sind, um sich vermehren zu können, auf die Transportsysteme angewiesen. Vielleicht ließen sich neue Krebsmittel finden, die an dieser Stelle eingreifen.

Unsere Story ist in vieler Hinsicht typisch für die moderne Zellbiologie: Wie so oft machten mikroskopische Entdeckungen den Anfang, und später brachten biochemische Untersuchungen Aufschluß über immer mehr der molekularen Prozesse.

Unsere Geschichte illustriert aber auch, wie wissenschaftliche Forschung wirklich abzulaufen pflegt, nämlich nicht so, wie Laien es sich oft vorstellen oder Lehrbücher es suggerieren: daß sie eine reine Verstandesangelegenheit sei, bei der sich jeder Schritt zum Ziel zwingend allein kraft logischen Denkens aus dem vorherigen ergibt. Nicht zu unterschätzen sind vielmehr Unwägbarkeiten: Nicht selten sucht man zunächst in einer falschen Richtung, und gelegentlich hilft schlicht ein glücklicher Zufall weiter. Gehörige Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit, trotz Fehlschlägen oder Gegenmeinungen weiterzumachen, sind als persönliche Eigenschaften nicht minder zu unterschätzen. Lehrbuchbeschreibungen können auch niemals vermitteln, wie spannend Forschen ist. Unsere Zusammenarbeit seit nun mehr als zehn Jahren hat schon deswegen einen besonderen Reiz, weil einer von uns in Europa, der andere in Kalifornen sitzt und wir uns nur alle Jahre einmal besuchen können.


Ein Kommunikationsproblem

Was man bis dahin über Transportvesikel für Proteine wußte, fußte hauptsächlich auf elektronenmikroskopischen Untersuchungen des rumänisch-amerikanischen Biochemikers George E. Palade in den sechziger Jahren an der New Yorker Rockefeller-Universität, der 1974 für seine zellbiologischen Erkenntnisse den Medizin-Nobelpreis erhielt. Den Schnittpräparaten von Zellen nach entstanden die winzigen Bläschen offenbar durch Knospung an Membranen. Die Ausstülpungen, praktisch kleine gefüllte Membransäckchen, schnürten sich von einem Organell ab und wanderten durch das flüssige, proteinreiche Zellplasma zu bestimmten anderen; an deren Membran blieben sie haften und verschmolzen mit ihr (ähnlich wie zwei sich berührende Seifenblasen es tun), so daß ihr Inhalt sich ins Innere des Zielorganells ergoß.

Genaueres über die Knospung würde sich nur an einem sogenannten zellfreien System, also an isolierten Bestandteilen von Zellen im Reagenzglas, in Erfahrung bringen lassen. Erst dieses würde erlauben, die einzelnen Komponenten des Mechanismus und ihr zeitliches Ineinandergreifen insbesondere auf molekularer Ebene zu analysieren und gezielt zu beeinflussen. Im Jahre 1980 gelang es endlich einem von uns (Rothman), ein geeignetes solches System an der Stanford-Universität (Kalifornien) zu schaffen.

Gemeinsam mit Kollegen belegte ich dann 1984 in einer Publikation, daß man zellfrei eine im Ablauf reguläre Vesikelbildung erreichen kann, und zwar an Membranen des Golgi-Apparates, der entfernt aussieht wie aufgestapelte Frisbee-Scheiben. Dieses Organell besteht aus verschiedenen Abteilen unterschiedlicher Funktion, und die meisten der hier entstehenden Vesikel befördern ihre Fracht von einem Part zum anderen – eben dies war in unserem System zu beobachten. Doch wie man weiß, entstehen am Golgi-Apparat auch Protein-Transportbehälter mit fernerem Ziel (siehe Rothmans Artikel in Spektrum der Wissenschaft, November 1985, Seite 72).

Das war der Stand, als ich knapp eine Woche, nachdem die Veröffentlichung erschienen war, spätnachmittags einen Anruf im Büro erhielt. Bevor ich mich auch nur melden konnte, wurde ich von einem total unverständlichen, eindringlichen Redeschwall überschüttet. Die Männerstimme in der Leitung schien englisch zu sprechen, allerdings stark italienisch gefärbt und vor allem rasend schnell. Ich gelte auch nicht gerade als auf den Mund gefallen, aber ich hatte keine Möglichkeit, dazwischenzukommen. Entnervt wandte ich mich nach einigen Minuten wieder meiner Schreibtischarbeit zu, den Hörer noch am Ohr. Als ich aber nach weiteren Minuten immer noch nicht mehr verstanden hatte als Fetzen wie "zusammenarbeiten" und "wir werden Brüder sein", rief ich frustriert in den Hörer: "Wer sind Sie überhaupt?"

Stille – dann sprach die Stimme sehr ruhig und deutlich, fast bescheiden: "Ich bin Lelio Orci. Ich bin Professor an der Universität Genf und arbeite an ..."

Natürlich wußte ich gleich, wer das war: ein bekannter Elektronenmikroskopiker. Augenblicklich entschuldigte ich mich, Orci mäßigte sein Tempo, und nun entspann sich – für ihn zu sehr später Stunde – ein langes, fruchtbares Gespräch. In Genf war Mitternacht längst vorüber.


Die falsche Fährte

Nur wenige Wochen später trafen wir uns in Genf. Es galt einen Arbeitsplan zu entwerfen, um mit den Verfahren Orcis die Vesikel des zellfreien Systems genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir wollten nämlich wissen, ob sie einen Clathrin-Mantel hatten – eine Beschichtung aus einem faserigen, sich mit anderen zu einem Gerüst verzahnenden Protein gleichen Namens. (Viele deutschsprachige Lehrbücher benutzen bislang nur den im englischen üblichen Fachbegriff coat anstelle der Übersetzung Mantel, Hülle; nach dem elektronenmikroskopischen Erscheinungsbild – Bild 2, links oben – taufte man solche clathrin-beschichteten Bläschen oder coated vesicles auch Stachelsaum-Vesikel; die Redaktion.)

Eine zusätzliche Hülle aus vorwiegend diesem Protein hatten, wie wir wußten, solche Bläschen, die sich von der äußeren Zellmembran in die Zelle hinein abschnüren und Proteine von außerhalb, die abgebaut werden sollen, zu den Lysosomen bringen. Damals war dies die einzige bekannte Ummantelung. Sie sieht aus wie ein Käfig aus Waben oder die Tragkonstruktion einer geodätischen Kuppel (Bild 2 links unten).

Ohne zellfreies System hierfür ließ sich allerdings die Bildung der Clathrin-Beschichtung beim Knospen nicht genauer analysieren. Wenn Orci ihr Vorhandensein auch an Golgi-Vesikeln aus dem Reagenzglas zu bestätigen vermochte, konnte Rothman sofort darangehen, ein damals diskutiertes Modell über den Knospungsmechanismus clathrin-umhüllter Vesikel, das recht plausibel schien, biochemisch zu überprüfen.

Es geht auf Toku Kanaseki und Ken Kadota von der Universität Osaka (Japan) zurück, die über die auffallend regelmäßige Geometrie der Hülle ihrer 1969 erstmals gereinigten Vesikel verblüfft waren. Die Erklärung dafür fand Barbara M. F. Pearse vom Britischen Medizinischen Forschungsrat in Cambridge (England) sechs Jahre später: Hauptbestandteil des Gerüsts war nämlich das besagte, aber damals noch unbekannte Protein; Clathrin (nach lateinisch clathri für Gitter), wie sie es nannte, war ein Komplex mit mehreren Armen, die sich ineinander wie Streben verzahnten.

Kanakis und Kadotas Idee war nun, daß dieser Käfig selbst für die Knospung verantwortlich sei. Nach ihrer Vermutung bildete er sich aus in der Zellmembran vorhandenen Molekülen, und während er zunächst schüsselförmig wuchs, sollte er den ihm anliegenden Abschnitt der weichen Membran mitverformen, bis der sich schließende Kugelkäfig dieses Fleckchen samt jeglicher dort an- oder eingelagerter Proteine als Bläschen regelrecht in sich hineingesaugt hatte.

Daß die Sache nicht ganz so einfach lag, war bei unserer Zusammenkunft in Genf schon klar. An dem zellfreien System hatte sich nämlich gezeigt, daß reine Membranen allein für eine Knospung nicht genügten; auch Zellplasma und ein Energiespender sind nötig, also ein Molekül, das Energie für biochemische Reaktionen zur Verfügung stellt. Offenbar lieferte das Plasma Stoffe für den Mantel. In den Grundzügen blieb das alte Modell trotzdem attraktiv genug, es zu testen.

Die Überraschung kam wenig später. Rothman, zurück in Stanford, setzte seinen Doktoranden Benjamin S. Glick daran, Transportvesikel in bewährter Weise herzustellen, also durch Inkubieren von isolierten Golgi-Apparaten mit Zellplasma und einem Energiespender. Die Ausbeute wurde konserviert und zur mikroskopischen Analyse nach Genf geschickt. Binnen weniger Tage war klar, daß diese Bläschen einen Mantel trugen – nur war es nicht der erwartete. Schon seine Feinstruktur war anders; aber auch markierte Antikörper gegen Clathrin reagierten nicht mit ihm. Das bedeutete, es gab wenigstens zwei Arten von Transportvesikeln mit jeweils unterschiedlichen Hüllen (Bild 2). Nach heutiger Kenntnis existieren sogar viele Sorten, jede mit einer eigenen unverwechselbaren Verpackung.

Unsere falsche Hypothese, Clathrin vermittele auch die Bildung von Vesikeln im Golgi-Apparat, entpuppte sich als Glücksfall. Der unerwartete Ausgang der zur Bestätigung gedachten Untersuchung lenkte, wie sich bald herausstellte, unsere Forschungen in eine fruchtbare Richtung: Die neue Transportvesikelart hat inzwischen recht viel über ihre Entstehungsweise preisgegeben. (Da die alte Art sich bis vor einiger Zeit in keinem zellfreien System erzeugen ließ, kam man bei ihr langsamer voran.)


Aus acht mach zwei

Es dauerte dennoch immerhin mehrere Jahre, die Zusammensetzung der neu gefundenen Außenhaut der winzigen Bläschen zu ermitteln. Man mußte sie rein gewinnen – mit den damaligen Möglichkeiten kaum zu bewerkstelligen. Zwei junge Mitarbeiter von Rothman, Vivek Malhotra und Tito A. Serafini, schafften es endlich 1989. Zwar war die Ausbeute winzig, aber sie genügte für eine Analyse. Wie sich zeigte, enthielt diese Hülle acht Eiweißstoffe, die wir COP-Proteine tauften (die Abkürzung steht für coat und protein). Die Bläschen vom Golgi-Apparat heißen in unserem Laborjargon, wiederum nach dem Motto doppelt hält besser, COP-umhüllte Vesikel (englisch COP-coated vesicles).

Im Jahr darauf entdeckten wir, daß sich sieben der acht Hüllproteine vor der Anheftung an die Golgi-Membran zu einem großen Komplex zusammenlagern, den wir Coatomer nannten (aus coat und griechisch meros für Teil). Die andere Baueinheit, das achte Protein, lagert sich getrennt an, so daß der Mantel beim Knospen praktisch aus nur zwei Hauptelementen zusammengesetzt wird. Das erleichterte die Ermittlung der grundlegenden Knospungsschritte beträchtlich, denn nun mußten wir nicht alle acht Proteine einzeln betrachten.

Die Entdeckung des Coatomers verdanken wir einem glücklichen Zufall – aber auch wachem Expertenblick. An der Universität Princeton (New Jersey), wo Rothman inzwischen wirkte, hatte zu später Stunde dessen junger Mitarbeiter Gerard Waters über der Auswertung von Versuchen gesessen, die gewissermaßen das andere Ende des Transportprozesses betrafen, nämlich das Verschmelzen der Vesikel mit der Zielmembran. Seine Aufgabe war, eine hierfür wichtige Substanz rein zu gewinnen. Zufällig kam Serafini vorbei, blickte Waters über die Schulter und erstaunte.

Wenn man ein Protein reinigen will, trennt man die Bestandteile eines Zellextrakts zunächst nach den physikalischen und chemischen Eigenschaften in Fraktionen auf. Diese testet man dann einzeln auf Anzeichen für die interessierende biologische Aktivität, also etwa darauf, ob sie eine Fusion von Vesikeln mit Membranen von Organellen auslösen. Bei positivem Ergebnis trennt man die entsprechende Fraktion weiter auf, prüft wiederum alle Unterfraktionen einzeln und verwirft, wie im vorangegangenen Schritt, solche, die nicht das Gewünschte bewirken. Übrig bleibt am Ende im Idealfall das gesuchte reine Protein.

Nur aus Gewissenhaftigkeit hatte Waters sich eine Fraktion vorgenommen, die er seit Monaten weggeschüttet hatte, weil sie nicht im mindesten ein Verschmelzen auszulösen schien. Als nun Serafini das Analyse-Ergebnis sah, fiel ihm sofort die Ähnlichkeit mit den COP-Proteinen auf. Wenig später schon war erwiesen, daß die verschmähte Fraktion tatsächlich fast ausschließlich aus sieben von diesen Proteinen bestand, die außerdem fest aneinander gebunden sein mußten, denn sie ließ sich nicht weiter auftrennen.

So kann es in der Forschung zugehen: Im selben Team mühen einige Mitarbeiter sich verzweifelt, das Gewünschte wenigstens in Spuren anzureichern, während andere, die einen anderen Teil des Prozesses erforschen, gerade dieses unerkannt in Händen halten und verwerfen. Die Entdeckung sparte uns viel Arbeit, und vor allem hatten wir den Coatomer-Komplex nun in beliebiger Menge für Experimente zur Verfügung.

Was war mit dem achten Protein? Aus mehreren Gründen vermuteten wir, es handele sich um ARF, das als erste Richard A. Kahn und Alfred G. Gilman von der Universität von Texas in Dallas beschrieben haben (die Abkürzung steht für ADP ribosylation factor). Bekannt war, daß durch ARF das Cholera-Toxin wirksam wird, doch war die normale Funktion rätselhaft. Kahn stellte uns spezifische Antikörper gegen ARF zur Verfügung. Damit war es ein leichtes, unsere Vermutung zu testen; tatsächlich banden sie sich bereitwillig an unser Molekül.

Nachdem sämtliche Mantelproteine nach sechs mühsamen Jahren endlich in Reinform isoliert waren, konnten wir uns der Knospung selbst zuwenden. Dieser Teil der Arbeit ließ sich gezielter angehen und brachte nach bereits zwei Jahren substantielle Ergebnisse. Wir begannen mit den Untersuchungen 1991, nachdem Rothman nach New York zum Memorial-Sloan-Kettering-Krebszentrum gewechselt war.


Enthüllung

Als erstes mußten wir prüfen, ob andere Proteine bei der Knospung am Golgi-Apparat vielleicht Hilfestellung leisten mußten oder ob dazu ARF und Coatomer genügten. Wie sich zeigte, genügten die beiden Komponenten.

Um ihre Funktionen dabei zu bestimmen, testeten wir sie auch einzeln. Wie sich zeigte, bindet sich ARF in Abwesenheit von Coatomer an die Golgi-Membran und beordert dann Coatomer dorthin. Für sich allein kann das Coatomer sich nämlich nicht daran anheften, wie unabhängig von uns auch das Team um Richard D. Klausner an den amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten in Bethesda (Maryland) nachgewiesen hat. Mit gebundenem ARF allein – dies ergaben elektronenmikroskopische Untersuchungen – wölbt die Golgi-Membran sich allerdings noch nicht ein, sondern erst, wenn auch die zweite Komponente hinzukommt (Bild 3). Der eigentliche Knospenbildner ist somit das Coatomer, doch ARF gibt ihm vor, wann und wo es zu Werke gehen soll.

Was geschieht dabei genauer? Wir wissen, daß freies ARF normalerweise an ein Guanosindiphosphat-Molekül gebunden ist (kurz GDP, eine bei der Energieübertragung mitwirkende Verbindung mit zwei Phosphatgruppen). Trifft eine solche Einheit auf den Golgi-Apparat, tauscht ein Enzym an der Membranoberfläche das GDP gegen GTP (Guanosintriphosphat, das also eine energiereiche Phosphatgruppe mehr trägt) aus dem Zellplasma. Erst dieses ARF kann sich dank GTP, das die energetische Seite des Prozesses regelt, fest an die Golgi-Membran koppeln und das Coatomer in Aktion rufen (Bild 4, Schritte 2 und 3).

Wieviele Coatomere das einzelne ARF an der Membran verankert, ist offenbar weder festgelegt noch entscheidend; es sind eines oder auch mehrere. Wir haben es zwar noch nicht geprüft, glauben aber, daß solche Komplexe sich dann zu einer regelmäßigen Struktur zusammenschließen und dabei – wie wir es bei Clathrin gesehen haben – eine Art Kuppel formen (Bild 4, Schritt 4). Wenn dieses Gebilde auf der Membranoberfläche wächst und sich immer mehr aufwölbt, geht die innen anliegende Membran vermutlich mit, schließt sich am Ende zu einem Bläschen und schnürt sich ab.

Falls das zutrifft, würde die Knospung von COP-Vesikeln in vielem dem Modell entsprechen, das Kanaseki und Kadota für Clathrin-Vesikel vorgeschlagen haben. Anders ist allerdings, daß die Beschichtung jedesmal aus Zellplasma-Komponenten frisch zusammengebaut werden muß, und neue Details sind, daß ein Bestandteil des Mantels, ARF, den Vorgang dirigiert und selbst durch GTP energetisch aufgetankt wird.

So wichtig die COP-Hülle für die Vesikelbildung ist, so sehr würde sie stören, wenn das Bläschen mit der Membran am Zielorganell verschmelzen soll, denn dazu müssen beide Membranen sich berühren. Beim Zerfall des Mantels – im Grunde ist es eine Umkehr des Knospungsvorgangs – spielt wiederum der Energieträger GTP mit.

Erst jetzt spalten die ARF-Moleküle nämlich von ihrem GTP eine Phophatgruppe ab, so daß es zu GDP wird (Bild 4, Schritt 5). Dabei kommt Energie frei, und das ARF verliert seine Affinität zur Membran und löst sich ab. Die Coatomere aber können sich ohne ARF nicht halten, fallen mithin ebenfalls ab. Das GTP ist wie eine Art eingebaute Zeitbombe, die nach der Abschnürung zu passender Zeit detoniert.

Da sich die Vesikel so bald ihres Mantels entledigen, hat er offenbar bei der Zielfindung keine Funktion. Hierfür ist vielmehr ein Satz von Proteinen der nackten Vesikelmembran zuständig, der zudem für die Verschmelzung weitere Proteine anzieht, die diesen letzten Schritt einleiten.


Gemeinsamkeit

Entstehen alle Transportvesikel in etwa auf die beschriebene Art? Einiges spricht dafür. Der erste Hinweis darauf war die Entdeckung von Rothmans Team, daß auch bei der Clathrin-Hülle sich zunächst GTP-gebundene ARF-Moleküle an die Membran binden, welche die Initiative übernehmen. So hatten wir nach langer Forschungsreise unerwartet wieder den Ausgang erreicht.

Was aber hat es zu bedeuten, daß die meisten Vesikel in Zellen, die man im Mikroskop zu sehen bekommt, nackt aussehen, also offenbar keinen solchen Spezialbelag haben? Man sollte nicht vorschnell annehmen, daß der hier dargestellte Knospungsmechanismus über andere als die beiden genannten Vesikeltypen nichts besagt. Da der Mantel gewöhnlich unverzüglich wieder abgeworfen wird, bekommt man mit den Standardmethoden meist ohnehin keinen Zipfel mehr davon zu sehen. Es scheint das Schicksal von Transportvesikeln zu sein, daß man von jedem Typ zuerst glaubt, er sei hüllenlos und seine Entstehungsweise neuartig – bis man in einem eigenen zellfreien System das flüchtige bekleidete Stadium entdecken, festhalten und untersuchen kann.

Zu den Typen, bei denen dies kürzlich geschah, gehören solche Vesikel, die Proteine vom endoplasmatischen Reticulum zum Golgi-Apparat befördern (Bild 1). Bei ihnen übernimmt ein mit ARF nah verwandtes Molekül dessen Auslöserfunktion, wie Orci, Randy W. Schekman von der Universität von Kalifornien in Berkeley und deren Mitarbeiter nachwiesen. Und an die Stelle des Coatomers treten die COP-II-Proteine als Gruppe.

Mittlerweile haben wir kaum noch Zweifel, daß alle Zellen mit echtem Zellkern (also alle abgesehen von den Bakterien, bei denen es keine so strenge räumliche Funktionsteilung gibt) ihre Transportvesikel nach den gleichen Grundprinzipien herstellen. Offenbar hatten einst die frühen Einzeller, die ersten Eukaryoten, einen so effektiven Mechanismus für den geregelten Warenverkehr zwischen den einzelnen – durch Membranen abgeschirmten – Bezirken in ihrem Inneren entwickelt, daß er später in der Evolution auch bei mehrzelligen Organismen beibehalten wurde.

Initiator für den Containerbau ist immer ARF oder ein verwandtes Molekül. Als erstes benötigt es den Energieträger GTP, um sich an die Membran anheften zu können. Von hier aus holt es die übrigen Bausteine hinzu, die sich miteinander zu einem Kuppelgerüst wölben und diese Form auch der innen anliegenden Membran aufzwingen. Schließlich wird die Kuppel zur Kugel – die Membranknospe mitsamt Inhalt schließt sich und löst sich von der Unterlage. Bald darauf aber zerfällt die Verpackung wieder, initiiert durch GTP, und am Ende verschmilzt die Vesikelmembran mit der des Zielorganells: Die Fracht wird ordnungsgemäß am Bestimmungsort abgeliefert.

Wenn nun aber der Mantel allein für das Knospen selbst von Bedeutung ist, das bei allen Organellen in den Grundzügen wahrscheinlich ähnlich abläuft, dann fragt man sich, warum Zellen überhaupt die vielen Sorten Vesikelhüllen brauchen. Am wahrscheinlichsten ist, daß die Verpackung über die Auswahl der Fracht bestimmt. In einigen Fällen könnten die zum Transport vorgesehenen Proteine direkt in der Membran liegen und sich selbst an der aufliegenden Hülle verankern; in anderen sind sie daran vielleicht über ein Zwischenglied gekoppelt, einen Rezeptor, der die Membran durchspannt. So könnten verschiedenartige Güter vom gleichen, aber auch von verschiedenen Verladeorten aus zum selben Ziel verschickt werden.

Insbesondere zu den Feinheiten der Mantelbildung ist vieles noch ungeklärt. So möchten wir gern wissen, wie sich im einzelnen ARF und seine Verwandten an die Membran heften, oder durch welche Wechselwirkungen sich das Coatomer dort anlagert. Nach neueren Befunden scheinen bestimmte Lipide (Fettstoffe wie in den Membranen) ARF bei der Rekrutierung von Coatomer zu helfen. Den Zusammenbau der Hülle beeinflussen möglicherweise sogar zu verfrachtende Proteine. Interessant wäre beispielsweise auch zu wissen, welche speziellen Aufgaben den Untereinheiten eines Coatomers zukommen.

Erfreulicherweise kennen wir nun aber zumindest viele der wichtigsten Schritte des Proteintransports in einer Zelle. Solche Forschung macht bescheiden. Es gibt wohl kein menschengemachtes System, das Material und Personen so reibungslos und energiesparend zwischen den Knotenpunkten und Bezirken befördert wie eine Zelle.

Literaturhinweise

- Die Zelle. Expeditionen in die Grundstruktur des Lebens. Von Christian de Duve. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1989.

– A New Type of Coated Vesicular Carrier That Appears Not to Contain Clathrin: Its Possible Role in Protein Transport within the Golgi Stack. Von L. Orci, B. S. Glick und J. E. Rothman in: Cell, Band 46, Heft 2, Seiten 171 bis 184, 1986.

– "Coatomer": A Cytosolic Protein Complex Containing Subunits of Non-Clathrin-Coated Golgi Transport Vesicles. Von M. G. Waters, T. Serafini und J. E. Rothman in: Nature, Band 349, 248 bis 251, 17. Januar 1991.

– ADP-Ribosylation Factor Is a Subunit of the Coat of Golgi-Derived COP-Coated Vesicles. Von T. Serafini, L. Orci, M. Amherdt, M. Brunner, R. A. Kahn und J. E. Rothman in: Cell, Band 67, Heft 2, Seiten 239 bis 253, 18. Oktober 1991.

– Stepwise Assembly of Functionally Active Transport Vesicles. Von J. Ostermann, L. Orci, K. Tani, M. Amherdt, M. Ravazzola und J. E. Rothman in: Cell, Band 75, Heft 5, Seiten 1015 bis 1025, 3. Dezember 1993.

– Mechanisms of Intracellular Protein Transport. Von J. E. Rothman in: Nature, Band 372, Seiten 55 bis 63, 3. November 1994.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1996, Seite 46
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