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Korrosion durch Mikroorganismen


Schätzungen zufolge sind Mikroben an etwa einem Fünftel aller Korrosionsschäden beteiligt. Dabei sind nicht nur organische Werkstoffe wie Holz oder Polymere betroffen, die den Organismen direkt als Kohlenstoff- oder Energiequelle dienen können, sondern beispielsweise auch Glas, Keramik und selbst Metalle.
So traten Anfang der neunziger Jahre in einem Kühlwasserkreislauf korrosionsbedingte Leckagen auf, obwohl der eingesetzte rostfreie Stahl bei den dort herrschenden Temperaturen von maximal 50 Grad Celsius beständig sein sollte. Für eine Beteiligung von Mikroben sprach unter anderem, daß nach Übertragen von Schlamm aus einem bereits geschädigten in ein noch intaktes Rohr dort gleichfalls Korrosion auftrat.
Metallische Oberflächen in technischen Anlagen werden häufig von Bakterien, Algen und Pilzen besiedelt. Dabei entsteht ein gelartiger Belag – der Biofilm – aus einer schleimigen Grundmasse und den darin eingebetteten Mikroorganismen. Er fördert nach heutigem Kenntnisstand nicht nur die Korrosion, sondern erhöht auch den Strömungswiderstand und mindert den Wärmeübergang der Bauteile.

Das Freie Korrosionspotential

Mikrobiell induzierte und klassische Korrosion unterscheiden sich nicht in den grundlegenden thermodynamischen Zusammenhängen, doch beeinflussen die Mikroorganismen sehr wohl die Kinetik (Geschwindigkeit) des Vorgangs. Aufschluß über eine Gefährdung gibt das Freie Korrosionspotential vor dem Hintergrund des Materialverhaltens bei Polarisation, also induzierter Ladungstrennung etwa bei angelegter Spannung.
Nichtrostenden Stählen wird 12 bis 20 Gewichtsprozent Chrom zulegiert, das an der Oberfläche des daraus gefertigten Bauteils oxidiert und so eine nur wenige Atomlagen dicke Schutzschicht bildet. Bei Polarisation löst sich die Passivschicht oberhalb eines Schwellenpotentials örtlich an Schwachstellen auf, und es entsteht Lochfraß: Ausgehend von einem kleinen Durchbruch in der Passivschicht breitet sich der Materialabtrag unterhalb der noch weitgehend intakten Oberfläche höhlenartig mit hoher Geschwindigkeit aus (Bild rechts). Bei Überschreiten einer weiteren Schwelle korrodiert der Werkstoff schließlich flächig wie gewöhnlicher Baustahl.
Ohne künstliche Polarisation nimmt der Stahl als Ruhewert das Freie Korrosionspotential ein. Es sollte deshalb im stabil-passiven Bereich der Potentialkurve liegen (Bild links). Mikrobiell induzierte Korrosion entsteht durch eine Verschiebung des Freien Korrosionspoten-tials in den Bereich der Lochfraßgefährdung, wie sich mit Proben nichtrostenden Stahls in bakteriell angeimpfter Salzlösung zeigen läßt. Nach kurzer Inkubationszeit wächst ein Biofilm, und das Freie Korrosionspotential steigt an, um sich auf einem deutlich höheren Niveau zu stabilisieren. Dieser Befund wurde mittlerweile häufig beobachtet und konnte als Ursache für Schadensfälle ausgemacht werden.

Praxisfall Kühlwasserkreislauf

Um die erwähnten Leckagen zu untersuchen, entnahmen wir Biofilm aus einer korrodierten Rohrleitung. Schon mit relativ einfachen Kulturmethoden ließen sich eine Vielzahl an Mikroorganismen nachweisen: aerobe, Thiobacillen, sulfatreduzierende Bakterien, Clostridien, ammonium- oder nitritoxidierende Bakterien und Denitrifikanten, die Material unter Bildung von gasförmigem Stickstoff oxidieren.
Für die elektrochemischen Untersuchungen verwendeten wir zunächst Rheinwasser vom Standort der Rohrleitung und ersetzten es dann durch Salzlösungen, um das System aus Medium, Biofilm und Werkstoff zu vereinfachen. Dabei wurden die Umweltfaktoren simuliert, die das Verhalten der Mikroorganismen am jeweiligen Standort bestimmen: Sauerstoffgehalt im Wasser, pH-Wert, Konzentration essentieller Kationen und Anionen, Temperatur, Gehalt des Mediums an organischer Substanz sowie Lichtverhältnisse.
Es zeigte sich, daß ein Potentialanstieg auch dann noch zu beobachten war, wenn den Organismen keine organische Kohlenstoffquelle zur Verfügung stand. Des weiteren korrelierten die Temperaturabhängigkeiten des Freien Korrosionspotentials und der Aktivität mesophiler Bakterien. Diese gedeihen besonders bei Temperaturen unterhalb 50 Grad Celsius, wie sie in Kühlwasserkreisläufen herrschen – ein weiteres Indiz für mikrobiell induzierte Korrosion als Verursacher der Schäden.
Wir vermuten, daß die Bakterien die Potentialdifferenz zwischen Werkstoff und wässriger Phase für ihr Wachstum nutzen. Steht ihnen zu Beginn eines Experiments oder bei der Neubesiedlung einer Metalloberfläche die maximale Differenz als Energiequelle zur Verfügung, so verringert sie sich mit steigendem Freien Korrosionspotential auf einen konstanten Wert: Er entspricht der Energie, die zum Aufbau des Energieträgermoleküls Adenosintriphosphat mindestens benötigt wird und die somit für den Erhalt der Bakterien gerade noch ausreicht.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1998, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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