Sinnesphysiologie: Kurzsichtigkeit – die neue Pandemie
Das Zhongshan Zentrum für Ophthalmologie in der Stadt Guangzhou im Süden Chinas war schon seit Langem die größte Augenklinik des Landes. Doch um 2010 begann sie aus allen Nähten zu platzen. Immer mehr Kinder mit Sehproblemen – oft Tausende pro Tag – kamen dorthin, um sich die Augenuntersuchen und Brillen verschreiben zu lassen. Einige Ärzte und Wissenschaftler mussten sogar in Räume in einem nahe gelegenen Einkaufszentrum ausquartiert werden, um Platz für die Patientenflut zu schaffen.
Was war der Grund? In ganz Ostasien hat Kurzsichtigkeit, fachlich als Myopie bezeichnet, in den letzten Jahren extrem zugenommen. Vor 60 Jahren waren etwa 10 bis 20 Prozent der Chinesen kurzsichtig – heute sind es bis zu 90 Prozent der Teenager und jüngeren Erwachsenen, in Südkoreas Hauptstadt Seoul sogar unglaubliche 96,5 Prozent der 19-jährigen Männer. Auch in Europa und den USA leidet inzwischen rund jeder zweite Heranwachsende unter der Sehschwäche, doppelt so viele wie noch vor einem halben Jahrhundert. Laut Schätzungen könnte bis zum Ende des Jahrzehnts ein Drittel der Weltbevölkerung betroffen sein, also 2,5 Milliarden Menschen.
Brillen, Kontaktlinsen und Operationen können Abhilfe schaffen, aber nicht die Ursache beseitigen. Kurzsichtigkeit beruht auf einer leichten Verlängerung des Augapfels, wodurch die Linse das Licht eines weiter entfernten Objekts etwas vor der Netzhaut bündelt, anstatt direkt darauf (siehe Grafik). Weil das Auge während der gesamten Kindheit wächst, entwickelt sich die Sehschwäche in der Regel während der Schuljahre. ...
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