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Biologische Waffen: Milzbrand: Nur der Anfang?

Die Anschläge mit Anthrax-Erregern haben ein lange vernachlässigtes Problem öffentlich gemacht: die Kontrolle biologischer Waffen. Sie wird umso dringlicher, je mehr sich in der Biologie neue Techniken durchsetzen.


Bis vor kurzem war Anthrax, so der medizinische Fachbegriff für Milzbrand, nur wenigen Spezialisten geläufig. Das hat sich auf dramatische Weise geändert. Die Anschläge mit verseuchten Briefen haben die Befürchtung hervorgerufen, biologische Waffen könnten gezielt für umfassende Terrorattacken eingesetzt werden.

Der Milzbrandbazillus, Bacillus anthracis, gilt seit langem als möglicher Kandidat für eine Kriegführung mit biologischen Substanzen. Die Krankheit tritt gewöhnlich nur bei Tieren auf, vor allem bei Wiederkäuern und Schweinen. Menschen sind nur in Ausnahmefällen betroffen, und die Erkrankten gehören meist Berufsgruppen an, die mit Tierkörpern und -häuten in Berührung kommen. Normalerweise wird die Krankheit nicht von Mensch zu Mensch übertragen.

Was den Erreger als biologische Waffe interessant erscheinen lässt, ist seine hohe Ansteckungsfähigkeit und seine vergleichsweise kurze Inkubationszeit von einigen Stunden bis wenigen Tagen. Eine der markantesten Eigenschaften dieses Bakteriums ist seine Fähigkeit, so genannte Endosporen zu bilden. Eine solche Dauer-Ruheform gestattet es dem Erreger, lange Zeitphasen unter ungünstigen Bedingungen zu überleben; in dieser Form ist er weniger empfindlich gegenüber Hitze, Austrocknung oder Desinfektionsmitteln. Diese Eigenschaft erleichtert die Produktion, Lagerung und Verbreitung des Erregers als biologische Waffe. Zudem sind es die Endosporen und nicht die Bakterien, die infektiös wirken.

Eine Infektion mit dem Milzbranderreger kann über drei verschiedene Wege erfolgen: über direkten Kontakt mit der Haut, über das Einatmen der Endosporen oder durch den Verzehr von infiziertem Fleisch. Hautmilzbrand ist die mildeste Krankheitsform; sie kann erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden. Lungen- und Darmmilzbrand hingegen zeigen einen schweren Krankheitsverlauf mit einer Sterblichkeitsrate zwischen zwanzig und achtzig Prozent. Sobald die ersten Symptome auftreten, ist eine Antibiotikatherapie meist nicht mehr wirksam.

Glücklicherweise ist der Einsatz von Milzbrandsporen als Waffe nicht einfach. Um eine größere Zahl von Menschen zu infizieren, wären erhebliches Fachwissen und ein gut ausgestattetes Labor erforderlich: Ein hoch virulenter Stamm des Bakteriums müsste in größeren Mengen so gezüchtet werden, dass er Endosporen bildet und seine Virulenz behält.

Die Sporen müssten sodann getrocknet werden; dabei kleben sie zusammen und bilden Klumpen. Für einen effizienten Einsatz müssten diese Klumpen mit Zusatzstoffen und klein gemahlen in einer Partikelgröße zwischen ein und fünf Mikrometer Durchmesser ausgebracht werden. Denn nur als solche in der Luft fein verteilte Partikel werden sie tief in die Lungenbläschen eingeatmet, wo sie durch bestimmte Zellen, die Makrophagen, aufgenommen und zu den Mittelfell-Lymphgeweben transportiert werden. Dort keimen die Endosporen aus. Die Bakterien vermehren sich danach stark und produzieren ein Toxin mit mehreren Komponenten, das eine starke Ansammlung von Flüssigkeit sowie Blutungen im Mittelfellgewebe verursacht. Die Bakterien gelangen auch in die Blutbahn, und in einigen Fällen kann eine Hirnhautentzündung ausgelöst werden.

Doch selbst dann, wenn die Erreger in der effektivsten Partikelgröße ausgebracht werden, erschweren noch andere Faktoren einen wirkungsvollen Einsatz. So spielen die Wetterverhältnisse und UV-Strahlung eine entscheidende Rolle. Das zeigte sich zum Beispiel beim Versuch der Aum-Shinrikyo-Sekte in Japan, Milzbranderreger als Terrorwaffe einzusetzen. Obwohl die Gruppe über eine gute Organisation und hohe Expertise verfügte, gelang es ihr nicht, die Krankheit zum Ausbruch zu bringen.

Demnach ist ein größerer Einsatz mit biologischen Waffen durch Terrorgruppen zwar unwahrscheinlich, aber doch nicht ausgeschlossen – zumal das Spektrum möglicher Agenzien sehr breit ist.

Die Bio-Waffen-Konvention

Die Ereignisse der letzten Wochen haben unverhofft wieder die Frage aufgeworfen, wie die internationale Gemeinschaft mit dem Problem der Bio-Waffen umgeht und welche Maßnahmen zu ihrer Kontrolle getroffen werden.

Seit 1975 ist ein internationales Übereinkommen in Kraft, das die Problematik eigentlich eindeutig regelt: die Bio-Waffen-Konvention, der bisher 143 Staaten beigetreten sind. Mit ihren umfassend formulierten Verboten war diese Konvention das erste Abkommen, das eine ganze Klasse von Massenvernichtungswaffen komplett verbietet. Allerdings ist eine Beschäftigung mit diesen biologischen Agenzien für Zwecke der Vorbeugung oder des Schutzes erlaubt. Das heißt: Pathogene, also krankheitserregende Mikroorganismen dürfen gezüchtet werden, wenn man sie für die Entwicklung von Impfstoffen, Therapeutika oder Diagnostika braucht. Es kommt demnach auf die Absicht an.

Der Schwachpunkt der Bio-Waffen-Konvention ist denn auch, dass sie keine Maßnahmen enthält, mit denen sich die Vertragstreue überprüfen ließe. Die Verhandlungspartner hatten damals darauf verzichtet, solche Verifikationsmaßnahmen zu definieren, und zwar aus zweierlei Gründen: Eine Übereinkunft wäre sehr schwierig zu erlangen gewesen, und zudem bestand die – irrige – Auffassung, der militärische Nutzen biologischer Waffen sei begrenzt. So sieht die Konvention lediglich vor, bei einer vermuteten Vertragsverletzung eine Beschwerde beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorzubringen. Falls Beweise vorliegen, kann eine Prüfung der Angelegenheit gefordert werden. Das weitere Prozedere für eine Untersuchung wird indes nicht näher definiert.

Zwischenzeitlich hat sich die Ansicht über die mögliche militärische Nutzung biologischer Waffen gewandelt. Nach dem Golfkrieg 1990/91 haben Inspektionen der United Nations Special Commission (UNSCOM) offenbart, dass der Irak ein bedeutendes Bio-Waffen-Programm verfolgt, in dessen Rahmen mehrere pathogene biologische Agenzien erforscht werden. 1990 begann der Irak mit der Produktion von erheblichen Mengen an Milzbrand-Endosporen, Botulinus-Toxin und Aflatoxin. Die Wirksamkeit dieser Agenzien wurde für verschiedene Verbreitungsmethoden getestet, sei es durch Versprühen als Aerosol oder durch Ausbringen mittels Bomben oder Raketen.

Im Jahr 1992 hat der damalige russische Präsident Boris Jelzin eingestanden, dass die frühere Sowjetunion von 1946 bis März 1992 ein offensives biologisches Waffenprogramm besaß. Diese Aktivitäten waren äußerst umfangreich, wie einige Überläufer berichteten – darunter Wladimir Pasetschnik, der Direktor des Instituts für Hochreine Biopräparate in Leningrad, sowie Ken Alibek, der Stellvertretende Direktor des russischen Biopreparat-Komplexes.

Die Geheimdienste der USA vermuten, dass über diese bewiesenen Fälle hinaus mindestens zehn weitere Staaten ein offensives Entwicklungsprogramm betreiben. Die Bio-Waffen-Konvention wird also wohl erst dann greifen können, wenn sie gestärkt und durch effiziente Verifikationsmaßnahmen ergänzt wird.

Genau darum bemüht sich seit 1995 eine Ad-hoc-Gruppe in Genf, die allen Vertragsstaaten offen steht. Die konkreten Vorschläge, die diese Gruppe unterbreitet, sollen schließlich in einem rechtsverbindlichen Überprüfungsprotokoll der Konvention hinzugefügt werden. In der jetzt vorliegenden vorläufigen Version des Protokolls sind mehrere Hauptelemente für die Verifikationsmaßnahmen vorgesehen. So sollen Erklärungen der Vertragsstaaten über ihre jeweiligen Aktivitäten und Einrichtungen, die für biologische Waffen relevant sind, grundlegende Informationen liefern und für die erforderliche Transparenz sorgen. Zur Überprüfung dieser Deklarationen sind stichprobenartig "Routinebesuche" in den Einrichtungen vorgesehen. Treten Diskrepanzen auf, werden "Klarstellungsbesuche" durchgeführt. Im Falle einer vermuteten Vertragsuntreue werden entweder durch Konsultationen und Austausch die Probleme gelöst, oder – bei komplizierteren Fällen – "Verdachtsinspektionen" der Einrichtung eingeleitet.

Während der Verhandlungsrunden der Ad-hoc-Gruppe letzten Sommer sollte eigentlich eine Vereinbarung über den vorliegenden Kompromisstext erzielt werden. Die USA, die seit dem Amtsantritt von Präsident George W. Bush ihre gesamte Rüstungskontrollpolitik neu bewertet haben, wiesen jedoch sowohl den Kompromisstext als auch den gesamten Prozess der Verhandlungen über das Protokoll zurück. Dies bedeutete einen herben Rückschlag für die Genfer Verhandlungen, sodass nun völlig ungewiss ist, wie die Bio-Waffen-Konvention gestärkt werden kann.

Die USA begründeten ihre Ablehnung damit, die vorgesehenen Maßnahmen zur Überprüfung der Vertragstreue seien nicht effizient genug. Zudem sei das Verifikationsregime nicht mit dem nationalen Interesse der USA vereinbar. Eine solche Erklärung erscheint jedoch nicht plausibel, denn die USA hatten im Laufe der Verhandlungen selbst zur Abschwächung einiger Maßnahmen beigetragen. Und der Protokollentwurf schützt vertrauliche Informationen strenger als das vergleichbare Abkommen über chemische Waffen und ist weniger "intrusiv" als dieses.

Der Kurswechsel der US-Regierung geht einher mit der Offenbarung einiger geheimer Aktivitäten im Verteidigungsbereich. Zum einen wurde eine Fabrik, die für die Produktion größerer Mengen biologischer Waffen geeignet ist, gebaut – angeblich um zu prüfen, wie leicht eine solche Anlage aus kommerziell verfügbaren Materialien eingerichtet werden könnte. Immerhin züchtete diese Fabrik nur harmlose Mikroorganismen als Simulantien für Bio-Waffen. Ferner plant das Pentagon, die Versuche einer russischen Forschergruppe nachzuvollziehen. Jene Wissenschaftler hatten Bacillus anthracis gentechnisch so verändert, dass die herkömmliche Milzbrand-Impfung nicht gegen eine Infektion mit diesem manipulierten Stamm schützt. Die USA möchten mit diesen Versuchen einen Impfstoff gegen die veränderten Erreger entwickeln. Nach den Bestimmungen der Bio-Waffen-Konvention sind diese Experimente erlaubt, da sie mit der Absicht der Verteidigung durchgeführt werden. Umstritten ist jedoch, ob diese Aussage auch auf eine weitere Aktivität der US-Regierung zutrifft: Der Geheimdienst CIA hat eine von den Sowjets konstruierte Bombe nachgebaut, mit Simulantien gefüllt und getestet. Einige Kritiker verweisen darauf, dass solche Versuche nicht mehr durch die Bio-Waffen-Konvention gedeckt sind oder zumindest gegen ihren Geist verstoßen.

Dies alles zusammengenommen erweckt den Verdacht, dass die US-Regierung ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der "defensiven" Erforschung biologischer Waffen nicht kontrolliert haben möchte. Andere Staaten könnten sich dadurch ermutigt fühlen, ebenfalls geheime Forschungsarbeiten zu beginnen. Ohne das Überprüfungsprotokoll gibt es keine Handhabe, solche Aktivitäten zu kontrollieren. Dies ist ein unbefriedigender Zustand, der auch dem Missbrauch durch Terroristen Vorschub leistet, denn diese wären auf eine gewisse Unterstützung oder zumindest Billigung von staatlicher Seite angewiesen.

Militärisches Potenzial der Biotechnologie

Die Bio-Waffen-Konvention steht jedoch auch neuen Herausforderungen gegenüber, die nicht von politischer Seite kommen, sondern unmittelbar aus der Forschung. Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte haben molekularbiologische und gentechnische Verfahren die Biotechnologie revolutioniert. Diese Techniken haben große Bedeutung für so unterschiedliche Bereiche wie etwa die Medizin und die Lebensmittelkontrolle. Sie können auch zur Verbesserung des Schutzes gegen Infektionskrankheiten und zur Verifikation der Bio-Waffen-Konvention beitragen. Andererseits bieten sie ein erhebliches Missbrauchspotenzial für die Entwicklung und Herstellung biologischer Waffen.

Das erste erfolgreiche gentechnische Experiment wurde bereits 1973, also kurz nach Abschluss der Verhandlungen über die Bio-Waffen-Konvention durchgeführt: Eine Arbeitsgruppe um Herbert Boyer und Stanley Cohen an der Universität Stanford (Kalifornien) entwickelte die erste praktikable Methode, fremde Gene in das Erbgut eines Bakteriums einzuschleusen. Damit stand zu befürchten, dass neuartige, für die Kriegführung besser geeignete Mikroorganismen hergestellt werden könnten. Als Folge intensivierten mehrere Staaten ihre Forschung im Bereich der biologischen Abwehr. Die Biotechnologie ist seitdem ein zentraler Punkt in der Debatte über Verifikationsmaßnahmen für die Bio-Waffen-Konvention.

Als relevant für die Herstellung von biologischen Waffen gelten vier Kategorien der Manipulation oder Modifikation von Mikroorganismen:

- die Übertragung von AntibiotikaResistenzen,

- die Modifikation der vom Immunsystem erkannten Antigen-Domänen von Mikroben,

- die Modifikation der Stabilität der Organismen gegenüber ihrer Umwelt sowie

- die Übertragung pathogener Eigenschaften.

Alle vier Eingriffe sind heutzutage möglich und werden auch durchgeführt. Die intensivsten Forschungen im Bereich der infektiösen Krankheitserreger zielen darauf ab, die Mechanismen ihrer pathogenen Wirkungen mit den Methoden der modernen Molekularbiologie aufzuklären. Diese Erkenntnisse lassen sich dann dazu nutzen, Infektionskrankheiten effektiver zu bekämpfen. Eine Vielzahl von Informationen wurde erst im letzten Jahrzehnt gewonnen. Es zeigte sich dabei immer deutlicher, dass verschiedene Faktoren zum Ausbrechen einer Erkrankung beitragen und kein System bis jetzt in seiner Gesamtheit verstanden wird. Die Produktion eines Toxins zum Beispiel mag für den krankmachenden Prozess ausschlaggebend sein; die Substanz wird jedoch nur zusammen mit anderen, weniger gut definierten Faktoren wirksam, die das Eindringen der Mikroorganismen in den Wirt erlauben. Dass eine Manipulation durchgeführt werden kann, sagt also noch nichts darüber aus, ob diese die Wirkung von biologischen Waffen steigern kann.

Ein Beispiel mag diesen Sachverhalt verdeutlichen. 1990 übertrugen Jacek Bielecki und seine Kollegen von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia ein Toxin-Gen von dem pathogenen Bakterium Listeria monocytogenes in das relativ harmlose Bodenbakterium Bacillus subtilis. Der so manipulierte Bazillus konnte zwar das Toxin in Kultur produzieren, wirkte jedoch nicht infektiös, wenn er in Mäuse injiziert wurde. Weitere ähnliche Versuche unterstützen die These, dass es äußerst schwierig ist, einen harmlosen Mikroorganismus durch die Übertragung von Pathogenitätsmerkmalen virulent zu machen.

Andererseits konnte Stanley Falkow von der Universität Stanford in einem anderen Experiment die Virulenz des schwach pathogenen Bakteriums Bordatella parapertussis durch die Übertragung eines Toxin-Gens von Bordatella pertussis, dem Verursacher von Keuchhusten, verstärken. In einem weiteren Fall gelang es Andrej P. Pomeranzew vom Staatlichen Forschungszentrum für Angewandte Mikrobiologie in Obolensk bei Moskau, das hämolytische Toxin von Bacillus cereus (einem gewöhnlich nicht-pathogenen Bodenbakterium, von dem einige Stämme jedoch eine Lebensmittelvergiftung verursachen können) in einen virulenten Stamm von Bacillus anthracis zu übertragen. Die Forscher wollten mit diesem gentechnischen Eingriff angeblich untersuchen, wie sich die immunogenen (Immunantwort-induzierenden) Eigenschaften verändern. Das Resultat war jedoch unerwartet: Tiere, die eine Impfung gegen Milzbrand bekommen hatten, waren gegen eine Infektion mit diesem manipulierten Stamm von Bacillus anthracis nicht geschützt.

Die potenziellen Risiken solcher Forschungsarbeiten werden im Bereich der Immunologie besonders deutlich. Die Experimente einer Wissenschaftlergruppe um Ronald J. Jackson und Ian A. Ram-shaw von der Universität Canberra haben erhebliche Aufregung verursacht. Die australischen Forscher versuchten mit einem Trick, ein Trächtigwerden von Mäusen zu verhindern. Sie bauten in das Erbgut eines harmlosen Mäuse-Pockenvirus zwei Gene ein: eines für das "Immunhormon" Interleukin 4 (IL-4) und ein anderes für ein Protein, das auf den Eizellen vorkommt. Nach der Infektion von Mäusen mit diesem Virus sollten das Eizellenprotein produziert und Antikörper dagegen hervorgerufen werden. Zugleich sollte durch das zusätzlich erzeugte IL-4 die Herstellung von Antikörpern gegen das Eizellenprotein verstärkt werden.

Das Cytokin IL-4 verhinderte jedoch gleichzeitig die Aktivität einer bestimmten Klasse von Immunzellen, den Killerzellen, deren Aufgabe es ist, virusinfizierte Zellen zu attackieren und zu töten. Dafür brauchen sie aber die Unterstützung so genannter T-Helfer-Lymphocyten, die aktivierende Cytokine liefern und damit Killerzellen zur Vermehrung und Differenzierung treiben. Erst dann können diese das Virus bekämpfen. Weil im hier beschriebenen Experiment IL-4 die Entwicklung der Helferzellen unterdrückte, konnten die Killerzellen nicht aktiviert werden. Das Immunsystem der Mäuse war deshalb außer Stande, die Infektion mit dem Maus-Pockenvirus zu bewältigen. Die Mäuse starben, obwohl das Virus für sie normalerweise nicht gefährlich ist. Das Einfügen des IL-4-Gens hatte also aus einem harmlosen Erreger ein "Killervirus" erzeugt, das auch in resistenten Mäusen das Immunsystem lahm legte.

Ethnische Waffen

Weitere Herausforderungen erwachsen der Bio-Waffen-Konvention aus der Genomforschung. Bereits bei über fünfzig Bakterien und zahlreichen Viren ist das Genom, also die komplette Nucleotidsequenz ihres Erbmoleküls, entziffert worden. Mehr als hundert weitere Genome von Mikroorganismen werden gegenwärtig sequenziert.

Auch das Erbgut des Menschen wurde bereits mit den modernen Sequenzierungstechniken entziffert. Dieses Human-Genom-Projekt, Ende der 80er Jahre vom Bundesgesundheitszentrum der USA initiiert, soll einen Einblick in die Organisation und Funktion des menschlichen genetischen Materials liefern. So erhofft man sich auch Erkenntnisse über Erbkrankheiten sowie über die Mechanismen der Krebsentstehung.

Mehrere Aspekte des Human-Genom-Projekts werden jedoch kontrovers diskutiert, so zum Beispiel die mögliche Kommerzialisierung von genetischen Informationen, die aus den Sequenzen gewonnen werden. Hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs rückt insbesondere das Vorhaben ins Blickfeld, mit dem die genetische Verschiedenheit humaner Populationen aufgeklärt werden soll. Die Bedenken reichen weit über die nahe liegenden Befürchtungen wie Rassismus, Ausbeutung und kultureller Imperialismus hinaus: Erstmals erscheinen damit ethnische Waffen möglich, die gezielt gegen Untergruppen der Bevölkerung eingesetzt werden können.

Zur Zeit allerdings sprechen einige Argumente gegen eine Realisierung ethnischer Waffen. Mehrere Untersuchungen weisen darauf hin, dass es genetisch gesehen keine Rassen gibt: Die Unterschiede im Erbgut innerhalb von Populationsgruppen sind im Allgemeinen größer als die Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen. Eine weitere Schwierigkeit bei der Entwicklung ethnischer Waffen ist mit der Frage der "Genfähren" verbunden. Es wird jedoch zügig an der Verbesserung von solchen Systemen für gentherapeutische Zwecke geforscht, sodass baldige Fortschritte in diesem Bereich zu erwarten sind. Eine Überwachung derartiger Entwicklungen erscheint unbedingt erforderlich.

Seit längerem schon sind Methoden der biologischen Kriegführung bekannt, die sich selektiv gegen Pflanzen oder Tiere richten. Die Landwirtschaft, sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern, baut häufig Monokulturen von genetisch identischen Sorten an. Die Zerstörung dieser Pflanzen mit Agenzien, die zum Beispiel auf eine bestimmte Genkonstellation abzielen, würde einer Gesellschaft die Lebensgrundlagen rauben.

Bisher nur ein Gedankenspiel sind künstliche Markierungen bestimmter Populationen oder Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel durch Immunisierung oder durch gezieltes Einschleusen neuer Gene in Zellen mittels eines Genvektors. Auf solche Weise markierte Populationen würden potenziell durch "genetische Waffen" angreifbar sein.

Die Revolution in der Biotechnologie hat sicherlich noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Ein möglicher Missbrauch dieser Verfahren darf angesichts der dramatischen Folgen nicht übersehen werden. Die neuesten Berichte über die zufällige Herstellung eines "Killer-Mauspockenvirus" betonen diese Gefahr. Es wäre Aufgabe einer vorausschauenden, präventiven Rüstungskontrolle, potenziell gefährliche Entwicklungen bereits im Forschungsstadium zu überwachen. Ferner ist es unbedingt erforderlich, die Bio-Waffen-Konvention mit einem effektiven Verifikationsprotokoll zu stärken, damit der Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen weder für Staaten noch für Terrorgruppen möglich wird.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 86
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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