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Moskitos und Milben nach Maß

Mit Gentechnik sollten sich Insekten und andere Gliederfüßer – besser als mit herkömmlichen Methoden – zum Wohl der Menschen verändern lassen. Das Ziel: übertragene Krankheiten eindämmen, Agrarkulturen vor Schädlingen schützen, aber auch neue Werkstoffe konstruieren.


Ein Besucher aus dem All würde vermutlich dem Menschen die Vorrangstellung auf der Erde zusprechen. Aus höherer taxonomischer Sicht gebührt allerdings den Insekten der erste Rang: Die Klasse der Kerbtiere stellt fünf Sechstel aller Tierarten der Erde. Wissenschaftler kennen von ihnen bereits mehr als eine Million Arten – und das dürfte erst ein Bruchteil sein. In den Vereinigten Staaten etwa leben rund zwei Tonnen Insekten auf der gleichen Fläche wie im Durchschnitt ein Mensch. Wo sich beider Ansprüche treffen, berührt dies oft starke materielle Interessen unsererseits – wenn das Insekt nicht gar eine schwere, vielleicht lebensbedrohliche Krankheit überträgt. Noch immer verbreiten einige wenige Insektenarten, vor allem Blutsauger (wie bestimmte Stechmücken oder Wanzen) schwere Infektionen – darunter Malaria, Gelbfieber, die Schlafkrankheit, das Denguefieber oder verschiedene Viehseuchen. Allein zwischen 300 und 500 Millionen Malariakranke suchen pro Jahr eine Klinik auf; zwischen 1,5 und 2,7 Millionen Menschen sterben an dem Erreger. Gelbfieber trifft jährlich 200000 Personen, bei 30000 endet die Infektion tödlich. Ohne medizinische Behandlung erliegen dem Denguefieber, das 50 Millionen im Jahr trifft, bis zu 15 Prozent der Infizierten. Besonders in Drittweltländern übertragen Insekten – Stubenfliegen inklusive – auch schwere, aber leichter medizinisch beherrschbare schwere Krankheiten wie beispielsweise Durchfall-Leiden.

Der Kampf des Gesundheitswesens gegen solche Infektionen kennt bisher drei Sorten von Maßnahmen:

‰ Man kann danach streben, das betreffende Insekt in einem Gebiet mit meist drastischen Maßnahmen völlig zu vernichten;

‰ man kann es mit Chemikalien oder auch Mosquitonetzen zumindest teilweise fernhalten;

‰ oder man versucht, Impfstoffe gegen den Erreger zu entwickeln.

Eine komplette Ausrottung von krankheitsübertragenden Insektenarten gelingt mitunter regional, ist allerdings nicht in jeder Hinsicht unbedenklich. Eingeschränkte Bekämpfung und passiver Schutz wirken nur begrenzt. Und Impfstoffe sind bisher nur partiell verfügbar. Auf eine wirklich wirksame und erschwingliche Malaria-Vakzine wartet die Welt beispielsweise noch immer.

Es könnte aber bald einen Ansatz geben, mit dem sich dieser Gordische Knoten zerschlagen ließe: Man würde die gefürchteten Insekten einfach in einer Weise verändern, daß sie die Erreger nicht mehr zu übertragen vermögen. Der Stich selbst schadet den meisten Menschen wenig. Eigentlich gefährlich sind die dabei weitergegebenen pathogenen Viren, Einzeller oder beispielsweise Fadenwürmer (beziehungsweise ihre Eier oder Larven). Bereits in den sechziger Jahren überlegte Chris F. Curtis von der London School of Hygiene and Tropical Medicine, daß es möglich sein sollte, die Malaria durch genetische Manipulation der Malaria-Mücke Anopheles zu stoppen: Man müßte versuchen, das Insekt genetisch so umzubauen, daß es den Erreger – den Einzeller Plasmodium – nicht mehr mit seinem Speichel weitergibt. Tatsächlich sind manche Moskitos von Natur aus zu einer Übertragung nicht fähig – Fachleute nennen solche Tiere "refraktär" (also eigentlich: unempfindlich).

Die Idee refraktärer Malaria-Moskitos blieb unter Forschern jahrzehntelang ein Wunschtraum. Jetzt aber rückt sie – dank der modernen Gentechnik – in den Bereich des Möglichen. Die Wissenschaft verfügt inzwischen über Methoden, Erbmaterial aus einer Art dauerhaft in das Genom von Angehörigen einer anderen einzusetzen und so diese Individuen und ihre Nachkommen mit einem neuen Merkmal auszustatten. Diesen Prozeß nennen Genetiker "Transformation", Organismen mit einem zusätzlichen Gen einer fremden Art "transgen".

Zur Zeit wird sehr intensiv daran geforscht, wie Moskitos und andere krankheitsübertragende Insekten gentechnisch refraktär gemacht werden könnten. Aber auch außerhalb der Medizin würden transgene Insekten vielerlei Nutzen bringen, vor allem in der Agrarwirtschaft, aber auch in der technischen Industrie.

Molekulargenetiker züchten bereits Kühe, Schweine oder auch Ziegen, die dank eines fremden Gens mit ihrer Milch Medikamente bilden, etwa essentielle Blutfaktoren (siehe "Menschliche Proteine aus der Milch transgener Tiere", Spektrum der Wissenschaft, März 1997, S. 70). Mit Insekten, die erwünschte gentechnisch erzeugte Eigenschaften haben, könnte die Landwirtschaft völlig anders aussehen als heute. Gleiches gilt für manche Zweige der Werkstoffindustrie.



Springende Gene öffnen Türen



Die Idee, transgene Insekten zu schaffen, tauchte zum ersten Mal in den sechziger Jahren auf. Damals dachten die Wissenschaftler weniger an einen praktischen Einsatz, sondern versprachen sich davon Hilfe für Genanalysen. Bei späteren Versuchen, das fremde Genmaterial zu übertragen, wurde dieses meist entweder in die Insekteneier injiziert, oder die Eier wurden in DNA-Lösung gebadet. Daraus entwickelte sich aber kein brauchbares Verfahren.

Anfang der achtziger Jahre jedoch erhielt die gesamte Genforschung einen entscheidenden Impuls durch die Arbeiten an Insekten von Gerald M. Rubin und Alan C. Spradling, damals am Carnegie-Institute in Washington. Die Wissenschaftler befaßten sich mit "springenden Genen", genauer gesagt: sogenannten Transposons oder transponierbaren Elementen, jenen eigenartigen DNA-Abschnitten, die aus ihrer Umgebung ausscheren und sich immer wieder in ein anderes Chromosom einfügen. Die Genetikerin Barbara McClintock (1902-1992) hatte springende Gene (die sie Kontrollelemente nannte) in den vierziger Jahren zunächst an Mais entdeckt, wofür sie 1983 den Medizin-Nobelpreis erhielt. Rubin und Spradling studierten ein Transposon aus dem Genom des "Haustiers" der Genetiker, der Taufliege Drosophila melanogaster (Kleine Essigfliege oder Kleine Obstfliege). Das Insekt ist zwar als landwirtschaftlicher Schädling kaum bedeutsam, jedoch eines der maßgeblichen Studienobjekte der genetischen Grundlagenforschung seit 90 Jahren.

Das betreffende Transposon, das P-Element, wurde in den siebziger Jahren entdeckt. Damals registrierten Genetiker in bestimmten Drosophila-Kreuzungsexperimenten zahlreiche rätselhafte genetische Defekte, beispielsweise Genmutationen und Chromosomenbrüche, und Mißbildungen. Das Phänomen trat auf, wenn Männchen aus bestimmten Populationen mit Weibchen anderer Populationen verpaart wurden. Da die Ursache stets von den Männchen, von der paternalen Seite, herrührte, kam zunächst die Bezeichnung "P-Faktor" auf. Erst später wurde klar, daß ein Transposon, das diese Männchen haben, den Einfluß ausübt. Dieses hochinteressante DNA-Stück wurde zum unschätzbaren Werkzeug in der Drosophila-Genetik. Es wird eingesetzt, um isolierte Gene und ihre Wirkung zu analysieren.

Rubin und Spradling hatten die Idee, das P-Element als Vehikel für Gene zu benutzen. Es gelang ihnen, ein verändertes Transposon in eine Zelle einzuschleusen, wo es sich wirklich in ein Chromosom einbaute. Mit dieser im Grunde simplen Technik schufen sie "transgene" Taufliegen und verhalfen den Drosophila-Studien zu einer besonders aufschlußreichen Forschungsmethode.

Leider ergab eine Versuchsreihe, die einer von uns (O'Brochta) 1986 zusammen mit Alfred M. Handler vom US-Landwirtschaftsministerium in Gainesville (US-Bundesstaat Florida) durchführte, daß das P-Element jenseits der Grundlagenforschung an D. melanogaster wenig praktischen Nutzen hat: In andere Chromosomen als die der Kleinen Essigfliege baut es sich ungern ein, läßt sich also für gentechnische Eingriffe bei anderen Insekten schlecht verwenden. So frustriert wir zunächst waren – diese Erkenntnis hatte das Gute, daß Genetiker sich um andere Transposons und auch um andere Strategien der Genverpflanzung bemühten. Inzwischen beginnen wir zu erkennen, wie wir medizinisch und wirtschaftlich relevante Insekten transformieren können.

Zunächst wußten wir nicht, welche Transposons sich für eine breitere Anwendung am besten eigneten. Die meisten Wissenschaftler wollten gern an Bewährtem festhalten und nach springenden Erbsequenzen suchen, die dem P-Element im Typ glichen. Wir selbst entwickelten Methoden, mit denen sich schnell entscheiden ließ, ob ein bestimmtes "springendes Gen" erfolgreich in die DNA einer Insektenart einscheren würde. Dies half den Prozeß beschleunigen, einen gegebenen Vektor zu beurteilen und zu entwickeln. Bald zeigte sich, daß die Entscheidung, auf bekanntem Terrain zu bleiben, richtig gewesen war.

1995 gelang unseren Kollegen Charalambos Savakis und seinem Team von der Universität von Kreta in Rethymnon erstmals eine Transformation der Mittelmeer-Fruchtfliege (Ceratitis capitata). Dieses Insekt richtet in vielen Teilen der Welt, unter anderem in Obstkulturen, schwere Schäden an: Als Vehikel benutzten die Forscher das Transposon Minos der Taufliegenart Drosophila hydei, um mit seiner Hilfe in eine weißäugige Mutante der Mittelmeer-Fruchtfliege ein neues Gen einzuschleusen, das – wieder – Rotäugigkeit bewirkte. Gewissermaßen praktizierten sie Gentherapie (Bild oben). Danach gelang Handler und Mitarbeitern an dieser Fruchtfliege gleiches mit dem Transposon piggyBac aus der Amerikanischen Gemüseeule (der Schmetterlingsart Trichoplusia ni). Natürlich hat an sich niemand ein besonderes Interesse daran, die Augenfarbe eines Insekts zu verändern; die Experimente weisen aber nach, daß sich prinzipiell mit Hilfe von Transposons transgene Insekten mit praktisch relevanten neuen Eigenschaften herstellen lassen.

1998 erschienen zwei Berichte über gelungene Transformationen – wiederum mit Wechsel der Augenfarbe – der Stechmücke Aedes aegypti, die Gelbfieber und Denguefieber überträgt (Bild Seite 36). Diese Ergebnisse erhöhten die Zuversicht, daß es der Gentechnik bald gelingen könnte, diesen gefährlichen Plagegeist in ein relativ unbedenkliches Insekt zu verwandeln. In einem der Versuche haben Anthony A. James und seine Kollegen an der Universität von Kalifornien in Irvine das Stubenfliegen-Transposon Hermes benutzt, das ursprünglich in unserem Labor isoliert worden war (Bild links; im Gegensatz zum P-Element scheint sich Hermes in verschiedenste Insekten einzubauen. In der Forschung wird es auch dazu verwendet, die biochemischen Prozesse bei der Bewegung und Regulation von Transposons noch weiter aufzuklären). Später konnten dieselben Wissenschaftler in das Insekt das Transposon mariner aus der Taufliege Drosophila mauritiana einbringen.

An sich lassen sich Gene auch in Organismen verfrachten, indem man sie in Viren einbaut, die sie dann in deren Erbgut einschleusen. Wie Barry J. Beaty und Mitarbeiter an der Colorado State University in Fort Collins zeigten, ist diese Methode durchaus praktikabel, um Ae. aegypti auf gentechnischem Wege refraktär zu machen, so daß die Mücke die Erreger dann nicht mehr übertragen kann. Als Genfähre verwendeten die Wissenschaftler ein ungefährliches – nichtpathogenes – Virus, das ein Gen trug, welches eine Vermehrung des Denguevirus in den Speicheldrüsen der Moskitos verhinderte, mithin auch Denguefieber durch den Insektenstich.

Die Arbeit hat erwiesen, daß refraktäre Insekten gentechnisch machbar sind. Allerdings würde es recht lange dauern, mit dieser Virus-Methode ganze Insektenpopulationen zu verändern. Die Stechmücken mit dem neuen Gen müßten die Eigenschaft durch reguläre Vererbung an ihre Nachkommen weitergeben. Wenn sie nur eine Kopie davon in ihrem Erbgut tragen, wird lediglich die Hälfte der Nachkommen dieses Gen erhalten. Mit Transposons ginge das vermutlich wesentlich schneller.

"Springende Gene" halten sich nun einmal nicht an die bekannten Erbregeln. Nicht nur können sie das Chromosom wechseln – sie vermögen sich auch selbst vielfach zu kopieren. Der Wissenschaftler hat bei der Transformation vielleicht nur ein einziges Transposon, mit einem einzigen Schlüsselgen, in das Genom des Insekts einbringen können, aber dieses Element kann nun frei agieren und sich mit seinen vielen identischen Kopien über das ganze Genom ausbreiten. Dann würde mehr als die Hälfte der Nachkommen das Transgen mit seiner Fracht erben, und innerhalb relativ kurzer Zeit, in wenigen Insektengenerationen, wiese fast die ganze Population das erwünschte Merkmal auf.

Tatsächlich wurde diese Art der Ausbreitung auch in der Natur beobachtet. Das P-Element scheint erst vor recht kurzer Zeit in das Genom von Drosophila melanogaster eingedrungen zu sein, und zwar ist es höchstwahrscheinlich vor weniger als hundert Jahren von der verwandten Art Drosophila willistoni übergesprungen.

Transgene Insekten könnten auch auf anderen Wegen konstruierbar sein, so mit Hilfe von Retrovirus-Vektoren. Anders als viele andere Viren (wie Beaty sie benutzte) integrieren Retroviren ihre Erbsubstanz dauerhaft in das Genom der Wirtszelle – und mit ihr gegebenenfalls das neue Gen. Die Gentherapie am Menschen bedient sich teilweise von – nicht mehr selbst infektiösen – Retroviren abgeleiteter Systeme. Im Gegensatz zu der schlichten Infektion, die Beaty erzeugte, kann mittels retroviraler Genfähren eine echte transgene Transformation gelingen. Wenn die Keimzellen die neue Erbsubstanz enthalten, sind auch die Nachkommen transgen.

Solche abgeschwächten Virusvektoren, die sogenannten "pantropischen pseudotypisierten Retroviren", können praktisch zu jeder Zelle jedes beliebigen Organismus Kontakt aufnehmen. Kürzlich erst wurden mit ihrer Hilfe Fische und Muscheln transformiert. Auch gelang es damit, genetisches Material in kultivierte Moskitozellen zu integrieren. Ob dies bei ganzen Tieren ein gangbarer Weg ist, wird sich erweisen.

Man muß nicht unbedingt das Genom des Insekts selbst verändern und auf dem Wege dessen Eigenschaften, um es unschädlich zu machen. Frank F. Richards und seine Kollegen an der Yale-Universität in New Haven kamen auf die Idee, statt dessen Mikroorganismen in Dienst zu nehmen. Wohl jedes Insekt beherbergt derlei Kleinstlebewesen, die teils von ihm mitgeschleppt werden, die teils auf oder in ihm leben. Insekten mit lediglich genmanipulierten Mikroben und unverändertem eigenem Genom nennen die Forscher "paratransgen".

In diesem Sinne schufen Richards und Charles B. Beard von den Zentren für Krankheitsbekämpfung und -prävention in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) paratransgene blutsaugende Raubwanzen, die den Erreger der Chagas-Krankheit nicht mehr übertragen. Diese Infektion, bei der Herz-Kreislauf-, Magen-Darm- und Nervenbeschwerden auftreten, trifft jährlich rund 18 Millionen Menschen in Südamerika. Verursacher ist – wie auch bei Malaria und der Schlafkrankheit – ein Einzeller aus der Gruppe der Trypanosomen. Die Forscher isolierten einen bakteriellen Symbionten der Raubwanzen, den sie so modifizierten, daß er ein für den Krankheitserreger tödliches Protein ausscheidet. Die manipulierten Bakterien, mit denen sie die Raubwanzen beimpften, breiteten sich zumindest in einer Laborpopulation der Insekten so gut aus, daß diese keine Trypanosomen mehr beherbergten.

Ein andersartiges Problem sind Insekten – und andere Gliedertiere wie etwa Spinnmilben – als Schädlinge in agrarischen Ökosystemen. Von den zahllosen Insektenarten stören an sich nur wenige die landwirtschaftliche Produktion. Die meisten gelten ausgesprochen als Nützlinge, manche sind sogar unverzichtbar. Der Bestäubungstätigkeit der Honigbiene zum Beispiel verdanken wir allein in den USA landwirtschaftliche Produkte im Wert von jährlich 10 Milliarden Dollar. Zahllose andere Arten wirken am Kreislauf der Nährstoffe mit und helfen eine gute Bodenqualität erhalten. Eine kleine Minderheit jedoch ist für uns Nahrungskonkurrent. Seit der Erfindung des Ackerbaus bedrohen diese Schädlinge das Wachstum und die Reifung von Kulturpflanzen und zerstören Vorräte.

Ein wichtiges Konzept, wie solche Schadinsekten sich durch einen Eingriff am Genom bekämpfen ließen, wurde erstmals in den vierziger Jahren in ähnlicher Weise von Edward F. Knipling vom US-Landwirtschaftsministerium und von dem russischen Forscher Alexander S. Serebrowsky propagiert: Schädlingspopulationen sollten mit sterilen Artgenossen überschwemmt werden, so daß die meisten Paarungen fruchtlos blieben. Serebowskys Modell wurde im Westen erst 1968 wiederentdeckt, woran insbesondere Curtis teilhatte. Heute kennt man die Vorgehensweise als "Sterile-Insekten-Technik" (SIT) oder "Sterile-Männchen-Technik", denn hauptsächlich werden Männchen verwendet: Das Insekt wird in großer Zahl gezüchtet und dann vor dem Freisetzen durch Bestrahlung sterilisiert. Wiederholte Schübe unfruchtbarer Tiere vernichten tatsächlich ganze Populationen (Bild rechts).

Die Sterile-Männchen-Technik findet heute vielerorts im Pflanzenschutz Anwendung, unter anderem in manchen Gebieten der USA, Mexikos, Guatemalas, Chiles, Argentiniens, Japans und Sansibars. Ob in Großstädten wie Los Angeles oder in tropischen Anbaugebieten – die Methode ist überall dort bestens geeignet, wo es darauf ankommt, ein bestimmtes Schadinsekt auszurotten, ohne die Umgebung mit chemischen Pestiziden zu belasten.

Sie hat sich auch bereits für die Nutztierhaltung bewährt. Eine in Amerika besonders lästige Aas- oder Schmeißfliege, die Schraubenwurmfliege Cochliomyia hominivorax (früher Callitroga americana) konnte so in den siebziger Jahren erst an der Südostküste der USA, dann in Mexiko ausgerottet werden. Die Fliege legt ihre Eier in Wunden von Vieh, auch des Menschen. Die Maden ernähren sich dann vom Fleisch des Wirtes. Im Gebiet von Los Angeles gelang es kürzlich mit dem gleichen Verfahren, die dort in Pflanzenkulturen oft verheerende Mittelmeer-Fruchtfliege auszumerzen. Der von ihr in Kalifornien angerichtete Schaden kann in die Milliarden gehen.

Die Sterile-Männchen-Technik stützt sich auf traditionelle genetische Ausleseverfahren. Von der Mittelmeer-Fruchtfliege beispielsweise wurde ein Stamm gezüchtet, dessen weibliche Embryonen selektiv mit einem kurzen Hitzepuls abgetötet werden können, was die Ausrottung einer Freilandpopulation sehr beschleunigt. Allerdings dauert es lange und ist kompliziert, bis man solche Stämme rein züchterisch erhält.

Schneller könnte es mit der Transgen-Technik gelingen. Es sollte möglich sein, damit Insekten herzustellen, bei denen nur die Weibchen potentiell lethale Gene tragen, die erst durch einen bestimmten Auslöser aktiviert werden, etwa ebenfalls durch einen Hitzepuls.



Ablösung der chemischen Keule



Transgen-Verfahren bieten Möglichkeiten, sich von chemischen Pestiziden weniger abhängig zu machen. Allein in Amerika werden gegenwärtig noch auf über 900000 Farmen Insektizide eingesetzt. Sich derart auf die Bekämpfungsmittel zu verlassen, kann das Insektenproblem aber sogar verschärfen, denn wenn man die Schädlinge in Pestiziden buchstäblich badet, bilden sie allzuleicht dagegen Resistenzen aus und lassen sich dann höchstens mit weiteren, oft bedenklicheren Giften eliminieren. In den Vereinigten Staaten gibt es bislang wenigstens 183 Arten schädlicher Insekten und Spinnentiere, die inzwischen gegen ein oder mehrere Insektizide resistent geworden sind. Die Akkumulation chemischer Insektizide und ihrer giftigen Abbauprodukte in Nahrung, Wasser, Boden und Textilien stellt eine ernstzunehmende Gesundheitsgefahr dar. Für die Entwicklung der nächsten Generation von Insektenbekämpfungsmitteln setzen die Biologen daher zunehmend auf die Transgen-Technik.

Außerdem vernichten Insektizide viele nützliche Arten, zum Beispiel natürliche Feinde und Parasiten von Schädlingen. Ihr Verlust kann plötzlich bislang zweitrangige unerwünschte Arten hochkommen lassen. Die Transgen-Technik würde auch die biologische Schädlingsbekämpfung fördern. Das Beispiel der Mandelbaumkulturen Kaliforniens mag das illustrieren. Es ist in der Landwirtschaft gängige Praxis, eine Vielzahl von Chemikalien einzusetzen, jedes gegen eine andere Organismengruppe. Bei Mandelbäumen etwa muß man gegen Spinnmilben, Käfer und Schmetterlingsraupen vorgehen. Die Spinnmilben werden recht wirksam von Raubmilben dezimiert, ihren natürlichen Feinden (Bild oben), doch diese Nützlinge vertragen eines der Gifte gegen die anderen Schädlinge nicht, so daß die Farmer doch wieder auch gegen Spinnmilben sprühen. Die Lösung könnte eine transgene Raubmilbe sein, die gegen die betreffende Substanz gefeit ist.

In der konventionellen Insektenzüchtung gehört die künstliche Selektion pestizidresistenter Nützlinge längst zum Alltag. Insektizidresistente Raubmilben, die aus dem Staat Washington kamen, haben A. Croft und seine Kollegen an der Universität von Kalifornien in Riverside mit gutem Erfolg in südkalifornische Obstplantagen überpflanzt. Eine resistente Raubmilbe für Mandelbaumkulturen entstammt hieran anschließenden Forschungen von Marjorie A. Hoy, die jetzt an der Universität von Florida arbeitet, und ihren Kollegen. Die Wissenschaftlerin entwickelte eigene Methoden, um Chemikalienresistenzen bei gewünschten wildlebenden räuberischen Insekten, Spinnen und anderen Gliedertieren herauszuzüchten.

Gewöhnlich vergehen aber viele Insektengenerationen, bis resistente Nützlinge für eine Anwendung verfügbar sind. Und leider können inzuchtbedingte Einbußen an genetischer Vielfalt auftreten, was im Freiland mangelnde Überlebenstüchtigkeit und Konkurrenzfähigkeit gegenüber Artgenossen bedeuten kann. Das schränkt den Einsatz in der Praxis bisher ein. Resistente transgene Nützlinge könnten schneller zur Verfügung stehen. Ihr Einsatz wäre deswegen in vieler Hinsicht günstiger, auch in ökonomischer, was die Abkehr von chemischen Schädlingsbekämpfungsmitteln attraktiver machen würde.

Insektizid-Resistenz ist nur das naheliegende Merkmal, mit dem sich die Wirksamkeit eines Nützlings noch steigern ließe. Andere Eigenschaften, die gentechnisch verbessert werden könnten, wären Krankheitsresistenz, allgemeine Widerstandskraft, Fruchtbarkeit und Wirtsfindung.

Eine besonders interessante Anwendung fände die Transgen-Technik in der Verbesserung von technischen Rohstoffen, die der Mensch von Insekten gewinnt. Seide ist das Paradebeispiel. Zwar hat konventionelle Züchtung bereits Seidenraupen-Stämme hervorgebracht, die mehr oder besseres Material produzieren. Doch dem sind natürliche Grenzen gesetzt – aus eigenen Mitteln kann eine Seidenraupe nun einmal keinen Stahl spinnen. Die Transgen-Technik vermag solche Grenzen zu überspringen. Manche Spinnenseiden zum Beispiel sind belastbarer als Kevlar, eine Faser, die wegen ihres hohen Dehnungswiderstandes, ihrer großen Festigkeit und Biegsamkeit zur Verstärkung kugelsicherer Westen, für Autoreifen sowie für Hochleistungsteile von Flugzeugen und in der Raumfahrt verwendet wird (siehe "Die Seiden und Netze von Spinnen", Spektrum der Wissenschaft, Mai 1992, S. 82). Da Spinnen selbst sich zur Massenproduktion solchen Materials nicht eignen, wäre eine interessante Alternative, dem Seidenspinner die entsprechenden Seidengene zu übertragen. Raupen kugelsichere Kokons spinnen zu lassen ist nicht utopisch.

Die Situation, daß transgene Insekten konstruiert werden können, ob für die Grundlagenforschung im Labor oder zur Freisetzung, konfrontiert Wissenschaftler und Entscheidungsträger mit der Frage nach dem richtigen, einwandfreien Umgang mit den veränderten Organismen. In Amerika (wie in Europa) gibt es dafür Richtlinien. (In Deutschland sind die EG-Richtlinien im Gentechnikgesetz umgesetzt. Es enthält Regelungen auch für Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Organismen. Transgene Insekten oder andere transgene Tiere wurden hier bisher weder freigesetzt noch wurde dies beantragt; die Redaktion.) Eine gesetzliche Regelung für Amerika zur Freisetzung von transgenen Insekten kann sich in Teilen auf die gültigen Richtlinien stützen. Ein gewisses Risiko birgt jedoch jede angewandte Technologie; die speziellen Risiken der Insekten-Transgen-Technik gilt es zu erkennen und zu minimieren. Das betrifft zum Beispiel auch Bedenken, daß überpflanzte Gene unkontrolliert auf andere Insektenarten übergehen könnten; dies wird derzeit untersucht. Einige Anwendungen dürften nur ein höchst geringes Risiko bergen: Sofern ausschließlich sterile transgene Individuen freigesetzt werden, müßten die neuen Erbsequenzen vom allgemeinen Genpool ausgeschlossen bleiben.

Wie der Begriff "Risiko-Nutzen" (risk-benefit) impliziert, sollten auch positive Auswirkungen der Transgenik bei Entscheidungen über Entwicklungen und Anwendungen gewichtet werden. Amerikanische Regierungsstellen, wie die Kontrollbehörde für Pflanzen- und Tiergesundheit des US-Landwirtschaftsministeriums, haben für die Freisetzung transgener Insekten Verfahrenswege festgelegt, bei denen die strikte Berücksichtigung der jeweiligen genetischen und ökologischen Folgen sichergestellt ist.

In jedem einzelnen Fall, in dem ein Organismus genetisch transformiert wurde, hat dies die Forschungen an ihm revolutioniert. Davon profitiert nicht selten auch die wissenschaftliche Arbeit an anderen Arten. Mit seinen Erbsen, an denen der österreichische Augustiner-Mönch Gregor Mendel (1822-1884) die grundlegenden Gesetze der Vererbung entdeckte, bereitete er den Boden, und die Studien an der Taufliege Drosophila Anfang dieses Jahrhunderts schufen die Basis für den Großteil der modernen Genforschung. Untersuchungen in jüngerer Zeit am Darmbakterium Escherichia coli waren bahnbrechend für das Verständnis genetischer Regulationsmechanismen. Sie trieben die Entwicklung gentechnologischer Methoden bei Bakterien, Pflanzen und Tieren voran. Heute produzieren transgene Säugetiere bereits verschiedene pharmazeutische Substanzen. Gentechnisch transformierte Insekten bieten der Biologie jetzt ganz neue Möglichkeiten, diese artenreiche Tierklasse, die sich so vielfältig in unser Leben einmischt, zu erforschen, zu kontrollieren und zu nutzen.

Literaturhinweise


The Ecology of Agricultural Pests: Biochemical Approaches. Von W. O. C. Symondson und J. E. Liddell (Hg.). Chapman and Hall 1996.

Genetic Modifications of Mosquitoes. Von Frank H. Collins und Anthony A. James in: Science & Medicine, S. 52-61; November/Dezember 1996


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1999, Seite 36
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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