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Pränatale Diagnostik: Mutters Blut verrät erbkranken Embryo

Schon bald genügt vielleicht ein ein­fa­cher Blut­test bei der Mut­ter, um Erb­krank­hei­ten des Un­ge­bo­re­nen zu er­ken­nen. For­scher entdeckten Ab­schrif­ten em­b­ryo­na­ler Ge­ne im müt­ter­li­chen Se­rum, die Aus­kunft über den Ge­sund­heits­zu­stand des Kindes ge­ben kön­nen.


Seit kurzem ist das menschliche Erbgut vollständig entziffert. Mit diesem Erfolg verbinden sich große Hoffnungen auf medizinische Fortschritte. So kann in Zukunft jeder für weniger als tausend Dollar sein Erbgut analysieren lassen, um genetische Dispositionen für bestimmte Krankheiten zu erkennen. Außerdem eröffnet sich werdenden Müttern auf längere Sicht die Möglichkeit, nur Säuglin-ge ohne schwere genetische Defekte zur Welt zu bringen. Das ist umso bedeutsamer, als bei Frauen schon seit längerem die Tendenz besteht, immer später im Leben Kinder zu bekommen. Je höher aber das Alter der Gebärenden, desto größer ist das Risiko für den Säugling, an einer Erbkrankheit zu leiden; denn die Zahl der Mutationen in den Keimzellen steigt während des Lebens. Schwere Schädigungen bei Ungeborenen möglichst früh und sicher diagnostizieren zu können, wird so zu einem ernsten Anliegen.

Genetische Defekte können zum Beispiel auf einer falschen Zahl von Chromosomen beruhen. Die bekannteste solche Störung ist das so genannte Down-Syndrom: Es tritt etwa bei jedem 650. Neugeborenen auf. Solche Kinder haben eine überzählige Kopie des Chromosoms 21, weshalb man auch von Trisomie 21 spricht. Als Folge davon leiden sie unter verschiedenen körperlichen Gebrechen, Sprachschwierigkeiten und verminderten motorischen sowie intellektuellen Fähigkeiten. Die Ausprägung der Krankheit variiert allerdings stark; so sind einige der Betroffenen geistig schwer behindert, andere aber durchaus lernfähig.

Zur Analyse der kindlichen Chromosomen dient bisher eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), oder es werden Eihautzellen aus der Plazenta entnommen (Chorionbiopsie). Diese Tests sind aber mit einem erheblichen Risiko für den Fetus verbunden. Um an das Fruchtwasser oder die Plazenta zu gelangen, führt der Arzt eine Nadel in die Gebärmutter ein, was in 0,5 bis 2 Prozent der Fälle zu einer Fehlgeburt führt. Beide Tests können zudem erst sehr spät in der Schwangerschaft durchgeführt werden. Wenn ungefähr in der 19. Woche das Ergebnis der Fruchtwasserpunktion vorliegt, hat die Mutter schon erste Kinds-bewegungen verspürt. Trotzdem entscheiden sich in den Industrienationen Schwangere zu mehr als 90 Prozent für eine Abtreibung, nachdem das Down-Syndrom bei ihrem Kind diagnostiziert worden ist, was extreme psychische Belastungen mit sich bringt.

Der für den Fetus riskante Eingriff könnte der werdenden Mutter künftig jedoch erspart bleiben. Wie Enders K.O. Ng und seine Arbeitsgruppe an der Chinesischen Universität in Hongkong nun zeigten, genügt im Prinzip ein einfacher Bluttest bei der Mutter, um Erbkrankheiten beim Embryo festzustellen. Solche Untersuchungen werden zwar auch heute schon für Risikoabschätzungen verwendet, sind aber noch kompliziert und relativ unsicher. So misst man beim so genannten Tripletest auf das Down-Syndrom im Mutterblut die Konzentration dreier Hormone, die vom Ungeborenen stammen. In Kombination mit Ultraschallbildern lassen die erhaltenen Werte eine Diagnose zu, deren Zuverlässigkeit immerhin bei 85 Prozent liegen soll.

Schon seit einiger Zeit ist auch bekannt, dass im Blutplasma von Schwangeren rote Blutkörperchen des Kindes vorkommen, die dessen DNA enthalten. Die kindliche Erbsubstanz lässt sich allerdings nur sehr schwer oder gar nicht von derjenigen der Mutter unterscheiden. Zweifelsfrei gelingt das nur bei männlichen Feten anhand des geschlechtsspezifischen Y-Chromosoms.

Ng und seine Mitarbeiter konnten nun zeigen, dass Mutterblut außer DNA auch so genannte Boten-RNA vom Embryo enthält. Dabei handelt es sich um Abschriften aktiver Gene, deren Proteinprodukt gerade gebraucht und folglich produziert wird. Diese Blaupausen des genetischen Originaltextes wandern zu den Ribosomen (den zellulären Eiweißfabriken), wo sie die Herstellung des betreffenden Proteins veranlassen. Wie Ng und seine Kollegen herausfanden, handelte es sich bei der gefundenen RNA um die Abschriften zweier Gene, von denen man weiß, dass sie nur in der aus kindlichem Gewebe bestehenden Plazenta aktiv sind. Damit war bewiesen, dass sie wirklich vom Embryo stammen. Eines der beiden codiert übrigens für das Hormon Choriongonadotropin, dessen Konzentration auch beim Tripletest gemessen wird.

Je aktiver ein Genabschnitt ist, desto mehr Abschriften davon findet man im Blut. Die anomale Konzentration einer bestimmten Boten-RNA kann deshalb auf eine Störung in der Regulation des betreffenden Gens hinweisen. Genau das wollen sich die Forscher nun zu Nutze machen, denn Erbrankheiten gehen oft mit einer solchen Fehlsteuerung einher. Um möglichst viele davon erkennen zu können, bemühen sich Ng und seine Mitarbeiter, noch andere Boten-RNAs aus der Plazenta im Blut der Schwangeren zu identifizieren. Sie rechnen mit 20 bis 30, von denen einige auch Hinweise auf weitere genetische Defekte geben könnten.

Wie die Untersuchungen zeigten, ist die RNA im mütterlichen Blutkreislauf erstaunlich stabil, da sie an noch unbekannte winzige Partikel gebunden zu sein scheint. Ihre Messung gestaltet sich daher viel einfacher als die der Proteine, was Tests erleichtert. Zudem ist die Anzahl der Gene, deren Aktivität auf diese Weise überwacht werden kann, wahrscheinlich größer; denn Boten-RNA enthält nicht immer die Bauanleitung für ein Protein. Gegenüber DNA hat sie den Vorteil, dass ihre embryonale Herkunft auch bei Mädchen zweifelsfrei feststellbar ist.

Die heutigen Verfahren der pränatalen Diagnose bleiben wegen der Gefährdung des werdenden Lebens und der Schwere des Eingriffs auf Frauen beschränkt, bei denen ein erhöhtes Risiko besteht, dass das Kind erbgeschädigt ist. Ein simpler Bluttest auf Erbkrankheiten ließe sich dagegen problemlos bei jeder Schwangeren durchführen. Das wäre einerseits zu begrüßen, da es allen Eltern Gewissheit über die genetische Gesundheit ihrer ungeborenen Kinder gäbe. Andererseits aber würde das jetzt schon bestehende ethische Dilemma verschärft. Die Eltern gerieten noch stärker in die Rolle von Richtern über Leben und Tod des Ungeborenen. Bei einer Ausweitung der Tests gäbe es zwangsläufig auch mehr positive Diagnosen, welche die Betroffenen vor die belastende Gewissensentscheidung stellen, ob sie dem erbgeschädigten Lebewesen ein Daseinsrecht zubilligen oder nicht.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2003, Seite 10
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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