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Naturwissenschaftler und Religion in Amerika

Naturwissenschaft und Religion scheinen in letzter Zeit wieder näher zusammenzurücken. Doch eine Umfrage in den USA hat ergeben, daß sich der religiöse Glaube von Wissenschaftlern seit 1930 kaum geändert hat – und unter Spitzenforschern finden sich gar mehr Atheisten als je zuvor.


Einen Steinwurf weit vom Potomac in Washington, direkt neben der National Academy of Sciences, steht in einem Garten die Bronzestatue Albert Einsteins. Wer verkörpert die Riege der Spitzenforscher dieses Jahrhunderts besser als diese inzwischen schon legendäre Figur?

Einstein, der 1933 in die USA emigrierte, um dem Schrecken zu entkommen, der ihm in Deutschland wegen seiner jüdischen Abstammung drohte, hat nie aufgehört, über Religion nachzudenken. Die Quantenmechanik verwarf er sogar mit dem berühmten Ausspruch, Gott würfele nicht. In seinen späteren Lebensjahren kam er jedoch zu dem Schluß, daß "die Religionslehrer im Kampf um das moralisch Gute stark genug sein müssen, die Doktrin eines persönlichen Gottes aufzugeben".

Kurz vor der Jahrtausendwende gibt es jetzt eine Bewegung, die sich bemüht, Religion und Wissenschaft wieder einander näherzubringen. Neue Bücher preisen das Göttliche in der Physik, in der Biologie, ja selbst in der Informationstheorie. "Die Naturwissenschaf-ten entdecken Gott" prangte im letzten Jahr als Schlagzeile auf der Titelseite von "Newsweek" – ein Thema, das andere Magazine dankbar aufnahmen. Seitdem häufen sich Konferenzen zum Dialog zwischen den "zwei Arten des Wissens". Amerikanische Hochschulen offerieren derzeit über tausend Seminare zu dem Thema Naturwissenschaft und Religion, während sich Studenten in den 60er Jahren lange umsehen mußten, um überhaupt nur ein einziges zu finden. Ältere Naturwissenschaftler schließlich, die auf unkündbaren Lehrstühlen sitzen, geben mittlerweile häufig dem inneren Verlangen nach, ihren einst weggesperrten oder neu gefundenen Glauben auch öffentlich zu vertreten.

Dieser Trend ist allerdings alles andere als überraschend. Die entsprechenden Titelgeschichten tauchten in den Medien auf, nachdem 1998 an der University of California, Berkeley, eine Konferenz zum Thema "Naturwissenschaften und die spirituelle Suche" (Science and the Spiritual Quest) stattgefunden hatte. Die Veranstaltung war von der John-Templeton-Stiftung gesponsert worden. Für deren Gründer, den Finanzier und Philanthrop Sir John Templeton, ist es wohl seit längerem schon ein persönliches Anliegen, Glauben und Naturwissenschaften miteinander zu versöhnen. Sein Programm nennt Templeton "Theologie der Demut" – von Parteigängern beider Seiten verlangt sie, die Grenzen des eigenen Wissens zu erkennen und dem anderen seinen ihm zustehenden Raum zu lassen. Auch viele der neuen Hochschulkurse verdanken ihre Unterstützung der Templeton-Stiftung, ebenso wie eine Reihe gut dotierter Preise für Forschungsarbeiten, Vorträge und Konferenzen. Um mit der umtriebigen Stiftung und ihrer Mission Schritt zu halten, gingen auch protestantische Organisationen wie die finanziell gut gepolsterte Campus Crusade for Christ dazu über, Symposien und Vorträge zu unterstützen, die ihre Sicht auf das Thema verbreiten.

Doch in den Hallen etablierter Wissenschaft, wo brillante Frauen und Männer ihre Arbeit verrichten, mahlen die Mühlen langsam und fein – so fein, daß, wer dort auf Dauer arbeitet, meist eine intellektuelle Abneigung gegen alles Übernatürliche entwickelt. Da fragt sich, ob die Naturwissenschaftler, hätten sie Gott tatsächlich gefunden (wie "Newsweek" meinte), ihn überhaupt erkennen würden.

Die Welt ehrt Charles Darwin heute als einzigartiges Beispiel naturwissenschaftlichen Forschungsgeistes. Lange zweifelte er an seiner Evolutionstheorie, überprüfte sie über 20 Jahre hinweg, ehe er seine Ergebnisse veröffentlichte. Weniger bekannt ist, daß er sich über Religion den Kopf sogar noch länger zerbrach, ehe er sich für den Agnostizismus entschied – die Annahme also, daß Gott rational nicht erkannt werden kann: "Ich empfinde aufrichtig, daß dieses Thema wohl zu tief ist, um vom menschlichen Geist begriffen zu werden", schrieb er im hohen Alter. "Genauso könnte sich ein Hund Gedanken über den Geist Newtons machen. Der Mensch soll hoffen und glauben, was er vermag."



Unter Spitzenforschern glaubte nur ein Drittel an Gott und die Unsterblichkeit



Und was erhofft und glaubt der typische Wissenschaftler? Ein Pionier, der sich dieser Frage widmete, war James H. Leuba. In den Jahren 1914 und 1933 befragte der am Bryn Mawr College (Pennsylvania) lehrende Psychologe amerikanische Biologen und Physiker, was sie von "den beiden zentralen Glaubensgrundsätzen christlichen Glaubens" hielten: zum einen von der Annahme, via Gebete mit Gott kommunizieren zu können, zum andern von dem Glauben, es gäbe ein Leben nach dem Tode. Leuba ging davon aus, daß christlicher Glauben ohne diese beiden "fundamentalen Dogmen" nicht bestehen könne. Naturwissenschaftlern diese Fragen zu stellen, rechtfertigte Leuba seinerzeit damit, daß die Forscher "einen großen Einfluß auf die moderne Welt hätten, sogar auf religiöse Angelegenheiten".

Uns interessierte, herauszufinden, ob sich die Einstellungen der Wissenschaftler seit jener Zeit geändert hatten. Deshalb stellten wir Leubas Fragen in den Jahren 1996 und 1998 erneut. Also, ob die Wissenschaftler an einen Gott glaubten, "der mit dem Menschen geistig und emotional kommuniziert ..., zu dem sich beten läßt in der Erwartung, Antwort zu erhalten", und ob sie an eine "persönliche Unsterblichkeit" glaubten. "Ja", "Nein" und "unentschieden" waren die einzigen erlaubten Antworten. Alle Fragebögen wurden strikt anonym behandelt.

Nicht anders als zu Leubas Zeiten löste unsere Meinungsumfrage einige Kritik aus. "Warum eine so enge Definition [von Gott]?" monierte einer der Befragten am Rande des Formulars; "ich glaube an Gott, aber nicht, daß man auf Gebete Antwort erwarten kann." Ein anderer merkte an, "ich halte es für durchaus möglich, eine tiefreligiöse Person zu sein, selbst wenn man nicht an einen persönlichen Gott oder die Unsterblichkeit der Seele glaubt."

Gegen ähnliche Einwände verteidigte sich Leuba: "Ich habe mich entschlossen, Gott als ein höheres Wesen zu definieren, weil er als solches in allen Varianten der christlichen Religion verehrt wird." Da wir Veränderungen in der religiöser Einstellung bei Forschern nur ermitteln konnten, wenn wir Leubas Fragen exakt beibehielten, nahmen wir in Kauf, daß die Antworten nicht jede Variante religiösen Glauben erfaßten.

Unsere Umfrage folgte deshalb auch weitgehend Leubas Methode. Zuerst befragten wir eine willkürlich ausgewählte Gruppe von Biologen und Physikern (darunter auch einige Mathematiker), die in dem Handbuch American Men and Women of Science verzeichnet waren, genauso wie sie im Jahre 1914 Leuba aus dessen Vorläufer American Men of Science ausgewählt hatte. Leubas zweite Gruppe, "bedeutende Wissenschaftler", basierte auf einer willkürlichen Auswahl jener Wissenschaftler, die in dem Nachschlagewerk zusätzlich mit einem Stern versehen waren. Da diese Unterscheidung in dem heutigen Verzeichnis nicht mehr getroffen wird, hielten wir uns an den höchst exklusiven Klub der National Academy of Sciences (NAS), deren Mitglieder in den Sektionen Biologie und Physik wir allesamt anschrieben. Damals wie heute hat auf unsere Anfrage mehr als die Hälfte der Adressaten geantwortet.

Eine Zahl blieb über acht Jahrzehnte hinweg dieselbe: 40 Prozent. Vier von zehn Wissenschaftlern der USA glauben an Gott, das ergab Leubas Umfrage – und das trifft auch heute noch zu. In Leubas Tagen glaubten allerdings etwas mehr Forscher an ein Leben nach dem Tod als heute – rund 50 Prozent. Diese Zahl hat sich inzwischen auf 40 Prozent verringert.

Damit ist eine Voraussage Leubas, die wir seine "allgemeine Theorie des Unglaubens" nennen, nicht eingetreten. Fortschritt in den Naturwissenschaften, mutmaßte Leuba 1914, verlange eine "Änderung der öffentlichen Meinung, was die beiden wichtigsten Glaubensgrundsätze des Christentums betrifft". Er sagte vorher, daß sich der Unglaube unter amerikanischen Wissenschaftlern und unter Amerikanern überhaupt weiter ausbreiten würde. Doch heutzutage lehnen Naturwissenschaftler die "beiden wichtigsten Glaubensgrundsätze des Christentums" kaum häufiger ab als ihre damaligen Kollegen im Jahre 1914. Umfragen des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup legen im übrigen dasselbe für die Gesamtbevölkerung nahe.

Der zweite Teil von Leubas Umfrage identifizierte inzwischen eine weitaus höheren Anteil Ungläubiger unter der wissenschaftlichen Elite. 1914 glaubten weniger als ein Drittel von Leubas "bedeutenden" Wissenschaftlern an Gott und kaum mehr an die Unsterblichkeit. 1933 wiesen mehr als 80 Prozent der führenden Naturwissenschaftler diese zentralen Glaubenssätze des Christentums zurück.

Leubas zweite Theorie tauften wir seine "spezielle Theorie des Unglaubens". Die "bedeutenden" Wissenschaftler erwiesen sich damals weit weniger tolerant dem Übernatürlichen gegenüber als "weniger bedeutende" Naturwissenschaftler, weil sie, wie Leuba meinte, über "überlegenes Wissen, Verstehen und Erfahrung" verfügten. Leubas spezielle Theorie wird auch noch heute vertreten: "Natürlich ist es möglich, Wissenschaftler zu sein und religiöse Ansichten zu haben", meinte etwa der Oxforder Chemiker Peter Atkins 1997. "Aber ich glaube nicht, daß man dann noch ein Naturwissenschaftler im tiefsten Sinne des Wortes sein kann, denn dem Wissen sind religiöse Kategorien doch sehr fremd."

Die NAS-Mitglieder des Jahres 1998 stellten eine repräsentativere Auswahl der Elite dar als die von Leuba Befragten. Der US-Kongress gründete die National Academy of Science im Jahre 1863. Nachdem die ersten Mitglieder gewählt waren, ermächtigte der Kongreß diese Institution, alle weiteren Mitglieder selbst zu ernennen. In den amerikanischen Naturwissenschaften gibt es nichts, was dem Adelsstand näher käme, als diese gegenwärtig 1800 Mitglieder zählende Organisation.

Ihre Antworten bestätigten Leubas Voraussagen über den Glauben der besten Wissenschaftler künftiger Generationen – was Gott betrifft sind heute mehr Spitzenwissenschaftler skeptisch als früher. Die größten Zweifler in der NAS sind dabei die Biologen – 95 Prozent der Ansprechpartner gaben an, Atheist oder Agnostiker zu sein. Die Mathematiker zeigten sich aufgeschlossener: Einer von sechs gab zur Antwort, er glaube an einen persönlichen Gott.

Als wichtigstes Ergebnis der Befragung erschien uns jedoch, daß sich in Glaubenssachen die Verhältnisse in der amerikanischen Naturwissenschaft seit 1914 kaum verändert haben. Gemessen mit dem Maßstab der Religiosität, ähnelt sie einem dreistufigen Zikkurat, einer altorientalischen Stufenpyramide. Deren Spitze krönt reine Ungläubigkeit. Unter den Wissenschaftlern des mittleren Teils der Pyramide ist über die Hälfte ungläubig – dieser Anteil ist höher als im Rest der Bevölkerung. Doch die breite und schwere Basis ruht fest im Urgestein des religiösen Amerika. Indizien legen nahe, daß unter Ärzten, Ingenieuren und anderen technischen Berufsgruppen der Glauben recht verbreitet ist. Dieses Ergebnis mag manchem als viel Lärm um nichts erscheinen. "Je höher das Bildungsniveau und je besser die Testergebnisse bei Intelligenztests, desto weniger wahrscheinlich ist jemand gläubig", bemerkt der Geistesgeschichtler Paul K. Conkin. Dasselbe könnte er auch von höheren Einkommensstufen sagen.

Es ist nicht unbedenklich, die "weniger wichtigen" Wissenschaftler von den "bedeutenden" zu trennen. Aber diese Unterscheidung hat ihren Vorteil. Theisten könnten etwa fragen: Waren nicht Kopernikus, Kepler und Newton auch große Forscher – jeder zutiefst religiös? Zieht es heute die Forscher zum Atheismus oder, um Darwin zu variieren, selektiert das Umfeld einer elitären Wissenschaftsgemeinschaft die Eigenschaft des Unglaubens?

Der bedeutende Evolutionsbiologe Ernst Mayr, seit 1954 Mitglied der NAS, veranstaltete einmal eine Umfrage über die Gläubigkeit seiner Harvard-Kollegen innerhalb der Akademie. "Das Resultat ergab, daß wir alle Atheisten waren", erinnert sich Mayr. "Gemessen an den Antworten gab es dafür vor allem zwei Gründe." Viele der Kollegen erklärten: "Oh, ich wurde sehr früh Atheist. Ich konnte all das übernatürliche Zeug einfach nicht glauben." Andere aber sagten, sie konnten sich "einfach nicht vorstellen, daß es angesichts all des Bösen in der Welt einen Gott geben sollte". Mayr: "Die meisten Atheisten verbinden beides. Und diese Kombination macht es unmöglich, an Gott zu glauben."

Der Soziologe Rodney Stark von der University of Washington, der schon früh die Ausbreitung der Säkularisation in religiösen Gesellschaften studierte, betont: "Seit 200 Jahren wird propagiert, daß jeder, der Naturwissenschaftler sein will, seinen Geist von Fesseln der Religion freimachen muß." Diese Botschaft falle zwar nicht überall auf gleich fruchtbaren Boden – so ist ein Professor in South Dakota mit größerer Wahrscheinlichkeit gläubig als einer in Chicago. Doch an allen Hochschulen in den USA, bemerkt Rodney Stark, werde den Menschen eher der Glauben ausgetrieben.

Viele US-Biologen sind religiös und glauben dennoch an die Evolution


Wie viele andere naturwissenschaftliche Organisationen lebt die NAS von der öffentlichen Hand. Die vordringliche Aufgabe der Akademie ist es – zusammen mit dem amerikanischen National Research Council –, im Schnitt täglich einen Fachbericht herauszubringen. Damit soll die NAS den Kon-greß beraten, die Öffentlichkeit beruhigen, was unbegründete Ängste vor Forschung angeht, Gelder für wissenschaftliche Projekte auftreiben und schließlich gute Wissenschaft und das allgemeine Interesse an ihr fördern. Die NAS weiß wohl, daß sie diese Aufgaben erfüllen muß, doch ist das ein delikates Unterfangen. Im religiösen Amerika wurde die Debatte um Glauben oder Unglauben für das öffentliche Ansehen der Wissenschaft immer wieder zu einer bedeutsamen Angelegenheit.

"Ich habe Mitglieder der NAS gefragt, warum sie eigentlich keine Sektion für Evolution haben", berichtet William B. Provine, Evolutionstheoretiker und Wissenschaftshistoriker an der Cornell University, Bundesstaat New York: "Zu umstritten", war die Antwort. Dennoch muß man der NAS zugute halten, daß sie 1998 einen Bericht publizierte, der die Evolution als Unterrichtsthema an öffentlichen Schulen unterstützte. "Ob Gott existiert oder nicht, ist eine Frage, zu der sich Naturwissenschaft neutral verhält", beginnt der Bericht vorsichtig, bevor er vehement auf die religiösen Einwände gegen die Evolution als Unterrichtsthema losgeht. Die Ironie ist dabei unübersehbar: Eine Gruppe von überwiegend unreligiösen Fachleuten, die sogar glauben, daß die Naturwissenschaften einen solchen Schluß nahelegen – läßt die Bevölkerung wissen, daß "die Naturwissenschaften neutral" seien, was die Frage nach der Existenz Gottes angeht.

Bei der Pressekonferenz der NAS, die anläßlich der Veröffentlichung des Berichts stattfand, war Religion unvermeidlich das zentrale Thema. Einige der Diskussionsteilnehmer betonten, daß die meisten Religionen in keinem Widerstreit mit der Evolutionslehre stünden und daß viele Wissenschaftler gläubig seien. "Viele herausragende Mitglieder dieser Akademie sind sehr religiös und glauben dennoch an die Evolution, unter ihnen viele Biologen", ließ der Präsident der NAS, Bruce Alberts, wissen.

Die NAS war um die öffentliche Meinung besorgt. Nachdem 1981 zwei amerikanische Bundesstaaten gefordert hatten, "Kreationismus" solle ebenso wie die Evolutionslehre an staatlichen Schulen im Fach Biologie gelehrt werden, veröffentlichte sie eiligst ein politisches Thesenpapier. Darin hieß es, "Religion und Naturwissenschaft sind zwei völlig verschiedene und einander gegenseitig ausschließende Bereiche menschlichen Denkens. Werden sie nebeneinander als gleichberechtigt präsentiert, führt das zu Mißverständnissen der wissenschaftlichen Theorien wie des religiösen Glaubens".

Solche Thesen mögen vielen in der breiten Mittelschicht behagen, stellen aber manche Atheisten und viele Gläubige unter den Wissenschaftlern nicht zufrieden. Der britische Zoologe Richard Dawkins, der den Glauben an Gott mit dem Glauben an Märchen assoziiert, verurteilt die Stellungnahme der NAS als "einen feigen Rückzieher". Dawkins: "Ich denke, das ist ein Versuch, die gebildete theologische Lobby auf die eigene Seite zu ziehen und die Kreationisten damit zu isolieren. Strategisch mag das klug sein. Intellektuell aber ist es verwerflich." Evolutionsgegner wie Philip E. Johnson, Jura-Professor aus Berkeley und Gastredner für die Campus Crusade for Christ, greifen solche klaren Worte dankbar auf, um mit Dawkins in den Ring zu steigen. "Wir wollen echte Wissenschaft von der materialistischen Philosophie trennen", wetterte Johnson.

Wenn materialistische Naturwissenschaftler in den USA nicht den Zorn ihrer traditionell christlich geprägten Zeitgenossen auf sich ziehen wollen – das zeigt nicht zuletzt die Kreationismusdebatte –, müssen sie in der Öffentlichkeit ständig einen Balanceakt aufführen. Matt Cartmill, Präsident der American Association of Physical Anthropologists, plädiert in der Debatte gerne für die Bescheidenheit der Naturwissenschaften. "Viele Wissenschaftler sind Atheisten oder Agnostiker, die gerne glauben würden, daß die Welt, die sie untersuchen, alles verkörpert, was es gibt", schreibt Cartmill. "Das ist zweifellos ein ehrbarer Glaube, aber er stellt kein Forschungsergebnis dar."

Bei der erwähnten Konferenz über "Naturwissenschaften und die spirituelle Suche" erklärten über zwanzig Wissenschaftler – unter ihnen auch ein Nobelpreisträger –, daß die Naturwissenschaft sie zu Gott geführt habe oder zumindest kein Hindernis für ihren Glauben darstelle. Die Konferenz ermutigte die Forscher, sich an der Debatte über Gott zu beteiligen, einschließlich Leubas Gott, der sogar Gebete beantworte.

Einige betonten, daß sowohl die Naturwissenschaften wie auch der Glaube von gewichtigen, unbewiesenen Annahmen ausgingen. Für andere wiederum enthielte das Universum Hinweise auf einen intelligenten Designer. Die Astronomin Jocelyn Bell Burnell, bekannt für ihre Entdeckung der Pulsare, kann in ihrem Leben Wissenschaft und Glauben gut miteinander vereinen. "Ich glaube nicht", verkündete die überzeugte Quäkerin, "daß Gott die Welt in irgendeinem physikalischen Sinne erschaffen hat." Aber das bedeute noch lange nicht, "daß es keinen Gott gibt". Für eine Nanosekunden große Lücke nach dem Urknall müsse Gott bei ihr nicht herhalten.

Gegen Ende seiner beeindruckenden Karriere als Astronom geriet Allan Sandage an die Frage, die Theisten unter den Naturwissenschaftlern gerne ihren agnostischen Kollegen stellen: Warum gibt es etwas – und nicht vielmehr nichts? "Die Antwort konnte ich in der Naturwissenschaft nicht finden", vertraute er der Versammlung in Berkeley an. "Um dieses göttliche Unbehagen zu beenden, mußte ich etwas tun." Er "beschloß einfach zu glauben". Sandages Konversionserlebnis macht ihn zu einer seltenen Brückenfigur, der verschiedene Lager von Theisten verbindet. Seine bekennende Betrachtungsweise gefällt den Kirchengläubigen, doch paßt er auch auf Tagungen liberalerer Christen.

Ein ganz anderere Seite der Debatte gab es 1996 bei der Mere Creation Conference on Science and God zu entdecken. Eine imposante Riege von Rednern, darunter viele Kreationisten, sprach da über naturwissenschaftliche Hinweise auf Gott. Sie bewunderten die konventionelle Wissenschaft und den sich entfaltenden Kosmos. Deshalb waren sie auch bereit, fast alles zu akzeptieren, was Evolution betrifft – bis auf ein paar Kernaussagen: die Entstehung des Lebens aus chemischen Stoffen und die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins. Sie wünschten sich eine Naturwissenschaft, in der Begriffe wie "intelligentes Design" oder "theistische Wissenschaft" vorkommen.

Manche Wissenschaftler finden in der Evolution einen modernen Religionsersatz. Zu ihnen zählt Ursula Goodenough, einst Präsidentin des Institute for Religion in an Age of Science. Für die Zellbiologin kann Religion auch ohne Gott und alles Übernatürliche auskommen. "Ich sehe mich selbst als Non-Theist", bekannte sie 1997 auf der Konferenz "Das Epos der Evolution" in Chicago. Ihre Religion trete unter dem Begriff des "religiösen Naturalismus" an – im Unterschied zum philosophischen Naturalismus – und sehe in der Evolutionsgeschichte eine Quelle für alle, die in ihrem Leben eine göttliche Präsenz suchten.

Die Sorge für die Umwelt schuf humanistischen Wissenschaftlern und liberalen Gläubigen eine gemeinsame Plattform. Carl Sagan, Astrophysiker und TV-Star, forderte 1990 die religiösen Gemeinschaften auf, sich der Kampagne zur Rettung des Planeten anzuschließen. Schon ein Jahr darauf stand Sagan in Manhattans Kathedrale St. John the Divine neben einem in Talar gehüllten Bischof der Episkopalkirche. Beide veranstalteten damals einen gemeinsamen Appell von Religion und Naturwissenschaft für den Umweltschutz.

Eine ähnliche Allianz besuchte im Herbst letzten Jahres das American Museum of Natural History in New York. Einer der Paläontologen des Museums, der bekannte Anti-Kreationist Niles Eldredge, meinte dort, die Umwelt sei wohl das einzige, worüber Religion und Wissenschaft in gesitteter Weise miteinander debattieren könnten. "In allen Gottbegriffen steckt eine ökologische Komponente", behauptete Eldredge.

Die Annäherung der beiden Lager unter dem Zeichen der Ökologie ist um so bemerkenswerter, als es unter allen Sparten der befragten Wissenschaftler der NAS gerade die Biologen waren, die mit Übernatürlichem am wenigsten zu schaffen haben wollten. "Moderne Biologen denken tatsächlich, daß wir, wenn wir auf die Ebene der DNA gehen, bereits die Welt verstehen", kommentierte der Biologe Lewis Wolpert unsere Resultate. "Wenn man dagegen Physiker ist und Quantenmechanik oder Urknall zum täglichen Brot gehören, erscheint die Welt so eigenartig, daß man sie kaum verstehen kann." Deshalb finden manche Physiker bei der Entstehung des Universums auch noch für Gott Platz.

Fred Hoyle, britischer Astrophysiker, der einst spöttisch den Begriff "Big Bang" einführte, wird gerne zitiert, um Ideen wie das anthropische Prinzip zu unterstützen. Es wäre doch höchst verblüffend, wie fein abgestimmt das Universum sei, wenn es keinen Gott geben soll, der dafür verantwortlich zeichne. Genau das sei der Punkt, bemerken dazu die Theisten: Wie anders sei es möglich, daß der Urknall die Anfangsbedingungen exakt so hervorbrachte, so daß auf Kohlenstoff basiertes Leben entstehen konnte?

Auf solche Fragen reagiert Evolutionsbiologe und NAS-Mitglied John C. Avise mit einem Schulterzucken: "Wenn überhaupt etwas der Allmächtigkeit nahekommt, dann ist es die natürliche Selektion. Aber auch da gibt es weder eine höhere Intelligenz, Voraussicht, ein letztes Ziel noch eine Moral. Die natürliche Auswahl ist eine völlig wertfreie Kraft, unvermeidlich und gleichgültig wie Schwerkraft."

John Avise glaubt keineswegs, daß die Welt zu wohlgeordnet sei, um ein Zufall zu sein. "Nach allen objektiven Belegen wird unser unmittelbares biologisches Schicksal, ebenso wie das anderer Arten, grundlegend nur von genetischen Göttern und anderen Naturkräften regiert", notiert der Biologe im Jahr 1998 in seinem Buch The Genetic Gods, ehe er William Provine mit den Worten zitiert: "Aus unserem modernen Verständnis der Evolution folgt ..., daß es keinen letzten Sinn des Lebens gibt."

So geht die Debatte weiter, derzeit vor allem aufgrund konservativer, moderater und liberaler Christen, die für ihre Ansichten Rückhalt bei der Naturwissenschaft suchen. In früheren Zeiten warben Forscher um das Imprimatur der Kirche. Heute jedoch, da Macht und Ruhm längst auf die Naturwissenschaften übergegangen sind, kümmern sich Wissenschaftler nicht mehr darum, was die Kirche von ihrer Arbeit hält. In ihren Augen ist Religion ein Relikt der Vergangenheit oder zumindest nur eine Privatangelegenheit, die mit dem wissenschaftlichen Diskurs nichts zu tun hat.

Doch aufgrund des Einflusses von Templeton und des Siegeszugs des postmodernen Relativismus scheinen die Beteiligten beider Seiten inzwischen bereit, zumindest zuzugeben, daß jede Form von Wissen ihre Grenzen hat.

Literaturhinweise


Rocks of Ages – Science and Religion in the Fullness of Life. Von Stephen J. Gould. Ballatine Books, 1999.

When all the gods trembled: Darwinism, Scopes, and American intellectuals. Von Paul K. Conkin. Rowman & Littlefield, 1998.

Leading scientists still reject god. Von E. J. Larson und L. Witham in: Nature, Bd. 394, S. 313, 23. Juli 1998.

Summer for the Gods: The Scopes trial and America’s continuing debate over science and religion. Von Edward J. Larson. BasicBooks, 1997.

Gott, der Mensch und die Wissenschaft. Von Hans-Peter Dürr et al. (Hg.). Pattloch Verlag, Augsburg 1997.

Einstein und die Religion. Von Max Jammer. Universitätsverlag Konstanz, 1995.

Vernunft und Glaube. Von Franz von Kutschera. de Gruyter Verlag, Berlin 1991


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 74
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