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Prinzipien der Fuzzy Logic

Seit der Mensch Maschinen baut, versucht er, sie seinen Fähigkeiten nachzubilden. Ein Mensch kann beispielsweise auch dann Entscheidungen fällen, wenn er nur unvollständige oder teilweise widersprüchliche Informationen hat. Mit Hilfe der Fuzzy Logic, der unscharfen Logik, werden die unscharfen Begriffe unseres Denkens, die uns zu solchen Leistungen befähigen, mit mathematischem Inhalt gefüllt und so dem Computer zugänglich.

Einen Großteil seiner Zeit ist der Mensch damit beschäftigt, Probleme zu lösen oder Entscheidungen zu fällen. Er wirkt damit auf die Umwelt ein und will sie in seinem Sinn verändern.

Unsere Entscheidungen sind dabei häufig von Unsicherheiten begleitet: Zum einen ist möglicherweise die Ausgangssituation so komplex, daß sie nicht präzise beschrieben werden kann. Zweitens weiß man vielleicht gar nicht so genau, was man eigentlich will, und drittens könnten Dinge, die man gar nicht wissen kann, insbesondere künftige Ereignisse, eine Rolle spielen. Unsere Umgangssprache spiegelt diese Unsicherheiten wider.

Beschreiben wir ein Problem in unserer normalen Sprache, so erstellen wir damit ein verbales Modell der Situation, welches deren Komplexität auf ein überschaubares menschliches Maß reduziert. Die genannten drei Unsicherheitsquellen hindern uns nicht, Entscheidungen zu fällen – im Gegensatz zum klassischen Problemlöseansatz per Computer, wo Präzision entscheidend ist.

Zur Verdeutlichung stelle man sich vor, daß man jemandem beim Rück-wärtseinparken helfen will. Man wird dann Anweisungen der Art „noch etwas nach links“, „noch etwas weiter zurück“, „schärfer einschlagen“ geben, der Fahrer wird dies verstehen und darauf angemessen reagieren können. Anweisungen der Form „das Lenkrad noch 1 Grad, 2 Minuten, 1 Sekunde nach rechts einschlagen“, „und jetzt noch 13,5 Millimeter nach hinten“, „und jetzt noch 14 Grad nach rechts“ wären weder angemessen noch einfach auszuführen.

Daß Präzision über ein gewisses Maß hinaus nicht sinnvoll ist, hat der Begründer der Fuzzy Logic, der Mathematiker Lotfi A. Zadeh von der Universität von Kalifornien in Berkeley, 1973 in seinem „Prinzip der Inkompatibilität“ so dargelegt: „In dem gleichen Maße, in dem die Komplexität eines Systems steigt, vermindert sich unsere Fähigkeit, präzise und zugleich signifikante Aussagen über sein Verhalten zu machen. Ab einer gewissen Schwelle werden Präzision und Signifikanz (Relevanz) fast sich gegenseitig ausschließende Eigenschaften.“

Wollen wir uns zur Problemlösung leistungsfähiger Werkzeuge bedienen, so sind dies heutzutage meist mathematische Methoden, die auf elektronischen Datenverarbeitungsanlagen benutzt werden. Dafür muß das verbale Modell in ein formales übersetzt werden, also in eine Sprache, die von EDV-Anlagen verstanden wird. In aller Regel handelt es sich um eine Darstellung der Situation durch einen Satz von Zahlen und von mathematischen Beziehungen zwischen diesen (numerisches Modell); mitunter treten an die Stelle der Zahlen abstraktere Größen, die beispielsweise nach den Regeln der Algebra zu verknüpfen sind (symbolische Modelle). Bei diesem Übersetzungsprozeß gehen sehr oft Informationen verloren, weil man sich festlegen muß: Während in der umgangssprachlichen Problembeschreibung eine Voraussetzung mehr oder weniger zutreffen oder ein Ziel mehr oder weniger erstrebenswert sein kann, ist in einer formalen Beschreibung Präzision erforderlich. Mathematische Modelle sind außerdem gewöhnlich zweiwertig; das heißt, sie unterscheiden nur zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit, Null oder Eins (dichotome Sprache). Das so umgewandelte Problem ist nun zwar mit mathematischen Methoden lösbar, entspricht aber unter Umständen der ursprünglichen Situation nur noch wenig.

Sollen auch Unsicherheiten dabei berücksichtigt werden, so geschieht dies gewöhnlich durch Verwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie. Sie hilft zwar, in angemessener Form zufallsbedingte Unsicherheiten zu modellieren, ist aber nicht für die Unschärfen gedacht, die in unserer Sprache enthalten sind. Außerdem ist ein sprachliches Modell inhaltsbestimmt, das heißt, sowohl die benutzten Wörter als auch ihre Bedeutung sind wesentlich. Formale Modelle dagegen sind gewöhnlich so abstrakt, daß die Bedeutung der Modellgrößen keine Rolle mehr spielt.

Unsicherheitsmodellierung

Besonders bei der Behandlung der Unsicherheit sind in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten erhebliche Paradigmenwechsel eingetreten. Während bis vor etwa 20 Jahren darunter gewöhnlich die vom Zufall herrührende Unsicherheit verstanden wurde, werden inzwischen verschiedene Quellen diskutiert.

Der Satz „Die Wahrscheinlichkeit, das Ziel zu treffen, ist 0,8“ ist offen-sichtlich eine wahrscheinlichkeitstheoretische Aussage, die diese zufällige Unsicherheit betrifft und sie auch angemessen modellieren kann. Aber erstens ist das Ereignis, über das etwas ausgesagt wird (hier: das Ziel zu treffen), scharf und zweiwertig zu formulieren; zweitens ist die Wahrscheinlichkeit selbst numerisch durch eine scharfe Zahl anzugeben (in diesem Falle 0,8000). Diese beiden Eigenschaften schränken die Anwendbarkeit wahrscheinlichkeitstheoretischer Kalküle schon erheblich ein.

Andererseits ist die Bedeutung von Ausdrücken wie „großer Mann“, „heißer Tag“, „stabile Währung“ ebenfalls unsicher, jedoch nicht aufgrund des Zufalls, sondern aufgrund der sprachlichen (lexikalen) Unschärfe. Die Bedeutung dieser Wörter ergibt sich erst aus dem Zusammenhang, also aus der Person des Sprechers und dem Bezug, in dem der jeweilige Ausdruck benutzt wird.

So versteht man unter einer stabilen Währung bezogen auf Südamerika etwas ganz anderes, als wenn eine mitteleuropäische Währung gemeint ist. „Es ist wahrscheinlich, daß wir guten Erfolg haben werden“ ist zunächst eine wahrscheinlichkeitstheoretische Aussage. Allerdings ist deren zufallsbedingter Unsicherheit hier noch die sprachliche der unscharfen Begriffe „guter Erfolg“ und „wahrscheinlich“ überlagert.

Die Theorie der Fuzzy Sets

Im Jahre 1964 wollte Zadeh von New York nach San Francisco fliegen. Am Kennedy-Airport erkundigte er sich, ob seine Maschine pünktlich sei, und erhielt die Antwort: „Seien Sie beruhigt, Ihr Flugzeug wird nicht allzu sehr verspätet sein.“ Höflich setzte sich Zadeh wieder auf seinen Platz und versuchte, aus der Abflugtafel die Klasse der „nicht allzu verspäteten Flugzeuge“ zu definieren. Die Schwierigkeiten, die er dabei hatte, ließen ihn länger über das Problem nachdenken, und ein Jahr später schrieb er die erste wissenschaftliche Arbeit über die Theorie „unscharfer Mengen“, der Fuzzy Sets. Mittlerweile gibt es rund 15000 Veröffentlichungen auf diesem Gebiet. Man kann die Theorie als eine Verallgemeinerung sowohl der klassischen Mengenlehre als auch der klassichen zweiwertigen Logik auffassen. Es sei zunächst der mengentheoretische Zugang gewählt:

Im Gegensatz zur klassischen Mengenlehre, bei der jeder Gegenstand entweder zu einer bestimmten Menge gehört oder nicht, können die einzelnen Elemente einer unscharfen Menge dieser auch zu einem bestimmten Grad, den man üblicherweise im Intervall zwischen 0 und 1 wählt, angehören. Dabei bedeutet der Grad 1 die volle und ein Grad von 0 keine Zugehörigkeit. Zwischen diesen Extremwerten gibt es einen kontinuierlichen Übergang von „Element-Sein“ zu „Nicht-Element-Sein“.

Diese Definition dient der mathematischen Darstellung unscharf abgegrenzter Begriffe. Soll der Begriff „angenehme Raumtemperatur“ beschrieben oder – was auf dasselbe hinausläuft – die Menge der angenehmen Raumtemperaturen definiert werden, so könnte diese Menge in der klassischen Theorie nur ein scharf abgegrenztes Intervall sein, etwa von 19 bis 24 Grad Celsius. Dann würde jedoch beispielsweise eine Temperatur von 18,9 Grad als nicht angenehm eingestuft, was dem menschlichen Empfinden in dieser Form nicht entspricht. In unserem Beispiel würde man 18,9 Grad als „vielleicht nicht mehr so angenehm“ beurteilen, womit dieser Wert etwa mit dem Zugehörigkeitsgrad 0,8 der unscharfen Menge der angenehmen Raumtemperaturen angehören könnte. Eine unscharfe Menge wird also vollständig beschrieben durch die Zugehörigkeitsfunktion, die – in unserem Beispiel – für jede Temperatur angibt, in welchem Maße sie als angenehm empfunden wird (Bild 2).

Wesentliche Elemente der Fuzzy Logic sind die sogenannten linguistischen Variablen. Ihre Werte sind nicht – wie bei den üblichen numerischen Variablen – Zahlen, sondern Wörter und Ausdrücke (Terme) einer natürlichen Sprache. Da Wörter nicht so präzise wie Zahlen sind, werden sie durch unscharfe Mengen repräsentiert. Ein Beispiel für eine linguistische Variable ist die bereits angeführte Raumtemperatur. Diese könnte die Werte einer Menge von Termen wie „kühl“, „angenehm“ oder „warm“ annehmen. Als weiteres Beispiel einer linguistischen Variablen sei der Begriff des Alters von Menschen angeführt (Bild 2).

Zu einer Mengentheorie gehören nicht nur deren Gegenstände, nämlich die Mengen, sondern auch die Verknüpfungen dieser Gegenstände untereinander. Dies sind in der klassischen Mengenlehre die Operationen Durchschnitt, Vereinigung und Komplement. Ihre Verallgemeinerungen in der Theorie unscharfer Mengen sind über die Zugehörigkeitsfunktionen der zu manipulierenden Mengen zu definieren. So schlug Zadeh 1965 vor, die Zugehörigkeit der Schnittmenge zweier unscharfer Mengen dadurch zu bestimmen, daß man elementenweise das Minimum der Zugehörigkeitsfunktionen der zu schneidenden Mengen benutzt. Entsprechend wurde für die Vereinigung das Maximum vorgeschlagen und für das Komplement die jeweilige Ergänzung der Zugehörigkeitsfunktion zum Wert 1. Seither sind in der Fachliteratur weitere Definitionen unterbreitet worden (siehe Kasten Seite 95).

Die Theorie unscharfer Mengen kann, wie erwähnt, sowohl als verallgemeinerte Mengenlehre als auch als verallgemeinerte duale Logik aufgefaßt werden. Wird der letztere Zugang gewählt, gelangt man zur sogenannten unscharfen Logik (Fuzzy Logic), zum approximativen und zum plausiblen Schließen. Dies sind drei aufeinander aufbauende Stufen, in denen versucht wird, ausgehend von unserer klassischen Logik zu Verfahren zu kommen, die dem menschlichen Schlußfolgern sehr viel mehr entsprechen. Die Brücke zwischen der Mengentheorie und der Logik ist leicht herzustellen, indem man sich bewußt macht, daß dem mengentheoretischen Durchschnitt das logische UND, der mengentheoretischen Vereinigung das logische (nicht ausschließende) ODER und dem mengentheoretischen Komplement die logische Verneinung entspricht.

Die Operatoren-Problematik

Wenn die Theorie unscharfer Mengen eine Erweiterung der bekannten Mengentheorie ist, müssen die üblichen Verknüpfungsregeln für Mengen (Kommutativgesetz, Assoziativgesetz, Distributivgesetz) auch für die Erweiterung aufs Unscharfe gelten. Im Jahre 1972 haben die Amerikaner Richard Bellmann und M. Giertz bewiesen, daß dies für den Minimum-Operator zutrifft. Für eine etwas allgemeinere Formulierung des logischen UND wies im Jahre 1976 Horst Hamacher nach, daß das mathematische Modell nur eine Familie von Produkt-Operatoren (der Hamacher-Operatoren) sein kann.

In den siebziger Jahren wurde man sich allerdings der Tatsache bewußt, daß das „und“, das wir in unserer natürlichen Sprache benutzen, wie alle unsere Wörter sehr stark der linguistischen oder lexikalen Unschärfe unterliegt, insbesondere vom Kontext abhängig ist. Entsprechend sind die jeweils zu verwendenden mathematischen Modelle ebenfalls unterschiedlich und verschieden von denen, die für das logische UND anzuwenden sind. Welches Modell in einer konkreten Situation angemessen ist, ist keine Frage der Mathematik, sondern der Psychologie, genauer der Psycholinguistik. Untersuchungen, die Anfang der siebziger Jahre in Deutschland durchgeführt wurden, sowie andere Arbeiten ergaben, daß die mittelnden Operatoren das umgangssprachliche UND am ehesten wiedergeben.

Anwendungen

Abgesehen von vielen rein mathematischen Anwendungen sowie dem direkten Gebrauch der Theorie unscharfer Mengen etwa in den Sozialwissenschaften lassen sich vom methodischen Vorgehen her im wesentlichen zwei Richtungen unterscheiden: wissensbasierte und algorithmische Anwendungen.

Bei den wissensbasierten Anwendungen geht man von folgender Grundidee aus: Ist es schwierig oder unmöglich, ein Problem mathematisch adäquat zu formulieren, oder ist für das mathematische Modell eines Problems kein effizienter Algorithmusvorhanden, so versucht man auf menschliches Erfahrungswissen zurückzugreifen und in einem elektronischen Datenverarbeitungssystem das menschliche Problemlöseverhalten nachzubilden. Dazu muß Wissen erfaßt und geeignet aufbereitet werden.

Insbesondere auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz ist dafür eine Anzahl von Methoden entwickelt worden. Die beliebteste Darstellung arbeitet mit Systemen von Regeln. Sie haben gewöhnlich die Form: „WENN Bedingung, DANN Aktion.“ Es können Aussagen der Art „WENN es regnet, DANN sind die Straßen naß“ sein oder Anweisungen der Form „WENN das Auto nicht anspringt, DANN überprüfe den Benzinstand“. Regeln dieser Art werden in der Wissensbasis abgespeichert; das menschliche Schlußfolgerungsverhalten wird in der sogenannten Inferenzmaschine nachgebildet, die aufgrund ihres Wissens und von Beobachtungen eine Diagnose, einen Entscheidungsvorschlag oder eine Handlungsanweisung erstellt. Dies ist die seit Anfang der achtziger Jahre auch in Deutschland bekannte Idee eines Expertensystems (Bild 3).

Die Aufgabe der Regelungstechnik besteht darin, mit Hilfe von Beobachtungen (Messungen) technische Prozesse zu steuern. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen liegen gewöhnlich in Form von Zahlen vor (Werte für Drücke, Temperaturen und so weiter); die Steuersignale sind ebenfalls in numerischer Form zur Verfügung zu stellen. Will man also hier die Idee des Expertensystems benutzen, so sind die Input-Daten zunächst in linguistische Form zu überführen (Fuzzyfizierung) und nach der Verarbeitung durch das Expertensystem die resultierenden linguistischen Aussagen (in Form von Zugehörigkeitsfunktionen linguistischer Variabler) in eine numerische Form umzuwandeln (Defuzzyfizierung).

Algorithmische Anwendungen setzen gewöhnlich voraus, daß für ein Problem ein mathematisches Modell oder eine mathematische Methode besteht. Da die meisten dieser Methoden mit scharf bestimmten Werten arbeiten und viele Probleme hierdurch nur ungenügend beschrieben werden, versucht man mit Hilfe der Theorie unscharfer Mengen, die Modelle oder Methoden den Problemen besser anzupassen. Beispiele dafür, die oft schon auf die siebziger Jahre zurückgehen, findet man in der Optimierung (zum Beispiel unscharfes lineares Programmieren), in der Mustererkennung (unscharfes Clustern), in der Netzplantechnik und auf anderen Gebieten. Hierzu gehören auch unscharfe Petri-Netze, die erfolgreich bei Problemen der Prozeßsteuerung oder der Instandhaltung Verwendung finden (vergleiche den Beitrag von Hans-Peter Lipp auf Seite 101).

Fuzzy Control

Die regelungstechnische Anwendung der Fuzzy Logic ist heute in Japan in chemischen Produktionsanlagen, Hochhaus-Aufzügen, Müllverbrennungsanlagen, Industrie-Robotern und Untergrundbahnen ebenso realisiert wie in Produkten für den Privatgebrauch: Waschmaschinen, Video-Kameras, Mikrowellen-Herden und Antiblockiersystemen. Diesen Regelsystemen liegt zumeist ein wissensbasierter Ansatz zugrunde; algorithmische Modelle sind nicht verfügbar oder nicht praktikabel, so daß man durch den Einsatz wissensbasierter Systeme zu besseren oder billigeren Steuerungen kommt. Industrielle Anwendungen enthalten überwiegend sehr kleine Wissensbasen. Sie zeichnen sich daher durch relativ einfache Strukturen aus.

Ein modernes Beispiel einer sehr komplexen Anwendung ist unser Fuzzy- Auto (Bild 1), das selbständig Hindernisse vermeiden kann. In diesem Modell enthält die Wissensbasis einige 100 Regeln. Die gesamte Sensorik besteht lediglich aus drei sehr einfachen Ultraschall-Sensoren, die den Abstand nach vorne sowie nach rechts und links messen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß hier sämtliche Regeln in kurzen Zeitabständen immer wieder abgearbeitet werden müssen, um das Auto um unerwartete Hindernisse herumzusteuern, so wird deutlich, daß die Fuzzy Control auch bei komplexen Regelungsaufgaben Verwendung finden kann.

Datenanalyse

Bei der unscharfen Daten- oder Informationsanalyse werden Datenstrukturen klassifiziert, die sehr heterogen sein können, etwa handgeschriebene Zeichen, Vektoren, Kenngrößen, Prozeßverlaufsaufzeichnungen, Spektrogramme oder Profile. Sie wird überall dort erforderlich, wo die Eingangsinformation unvollständig ist und die Klassen, in die die Strukturen einzuteilen sind, nur ungenau oder gar nicht bekannt sind (vergleiche den Beitrag von Steffen F. Bocklisch und Norman Bitterlich auf Seite 99).

In der Regel muß in solchen Situationen bislang der Mensch entscheiden. Bei der unscharfen Informationsanalyse definiert man zunächst bestimmte Muster vor; im Anwendungsfall bestimmt das System das Ausmaß, in dem eine vorgelegte Situation diesen Mustern ähnlich ist, und leitet daraus Schlüsse her. Es können sowohl qualitative als auch quantitative Analysen solcher Datenstrukturen, funktionale Beziehungen oder nicht-dichotome Bildsignale verarbeitet werden. Im Gegensatz zur Fuzzy Control werden dabei sowohl wissensbasierte als auch algorithmische Ansätze benutzt, zum Beispiel bei den Fuzzy-Cluster-Verfahren oder der Fuzzy-Diskriminanz-Analyse.

Expertensysteme

Während Steuerung und Datenanalyse nach dem Prinzip der Fuzzy Logic nicht nur in Japan, sondern auch in Europa zunehmende Verbreitung finden, steckt die Entwicklung von Expertensystemen auf dieser Basis erst in den Anfängen. Da man bei Expertensystemen – im Gegensatz zur Fuzzy Control – nicht die Möglichkeit hat, das Wissen direkt durch Beobachtung eines Prozesses zu bekräftigen, und da vor allem bei expertenunterstützenden Systemen sowohl die Eingabe als auch die Ausgabe in quasi-natürlicher Sprache stattfinden sollte, treten zusätzliche Probleme auf, die zur Zeit noch nicht vollkommen gelöst sind. Dazu gehören vor allem die Entwicklung und Auswahl angemessener Inferenzverfahren, die Verbesserung der linguistischen Approximation, der Entwurf aussagekräftiger und leistungsfähiger Erklärungskomponenten und die Verbesserung der Verfahren der Wissensakquisition, besonders in Hinsicht auf schlecht strukturiertes Wissen.

An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen sind zwar schon spezielle Systeme zur Kreditwürdigkeitsschätzung, zur strategischen Planung und zur Steuerung von flexiblen Fertigungssystemen erarbeitet worden; wirklich leistungsfähige Werkzeuge werden aber erst in ein bis zwei Jahren auf dem Markt sein. Zudem muß man abwarten, ob durch eine Verbindung der Fuzzy Logic mit Neuronalen Netzen lernende Systeme entstehen und praktisch angewendet werden können.

Zögerliche Durchsetzung



Noch zehn Jahre nach der ersten Veröffentlichung 1965 war die Fuzzy Set Theory weitestgehend auf den akademischen Bereich beschränkt. Nur in England wurden bereits in der ersten Hälfte der siebziger Jahre Drehrohr-Öfen von Zementfabriken erfolgreich über Fuzzy Control gesteuert. Der erste kommerzielle Fuzzy Controller wurde 1976 von der Firma Smith in Dänemark angeboten. Bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre begann man in Japan Fuzzy Control intensiv auf regelungstechnischem Gebiet anzuwenden. In Europa waren unscharfe Optimierungsverfahren noch immer eine Seltenheit, obwohl die erste internationale Zeitschrift auf dem Gebiet der Fuzzy Sets bereits seit 1978 erscheint.

In Japan gab es seit Mitte der achtziger Jahre kommerzielle Anwendungen der Fuzzy Control. Außerdem entstanden dort wohl auch die ersten Software-Werkzeuge, die allerdings dem Rest der Welt nicht zugänglich waren. Im Jahre 1989 wurde dann das erste amerikanische Software-Werkzeug angeboten. Im selben Jahr entstand in Japan das LIFE- Institut (Laboratory for International Fuzzy Engineering Research), ein Zusammenschluß von 49 großen japanischen Unternehmen, um die angewandte Forschung auf diesem Gebiet intensiv voranzutreiben.

Erst 1990 erwachte auch in Deutschland – primär ausgelöst durch Berichte über japanische Produkte in den verschiedenen Medien – das öffentliche Interesse (siehe mein Interview in Spektrum der Wissenschaft, März 1992, Seite 30). Zahlreiche Veröffentlichungen erschienen; Symposien, Seminare und Tagungen fanden statt, und die ersten deutschen Unternehmen begannen, das Prinzip in ihren Produkten und Verfahren zu verwenden. Besonders hervorzuheben sind die Gründung der „Fuzzy Initiative Nordrhein-Westfalen“ durch den Wirtschaftsminister des Landes und die Europäische Stiftung ELITE (European Laboratory for Intelligent Techniques Engineering) in Aachen, die in Europa die gleichen Ziele verfolgt wie das LIFE-Institut in Japan. Im vergangenen Jahr tauchten die ersten Produkte auf deutschen Messen auf.

Auch die übrigen europäischen Länder sowie die USA begannen, sich intensiv für die Fuzzy-Technologie zu interessieren. Hierbei scheint die Entwicklung in den USA seit Mitte des Jahres 1992 schneller zu laufen als in Europa. Es bleibt zu hoffen, daß es den Europäern gelingt, ihren zur Zeit noch bestehenden Vorsprung auf den Gebieten der Datenanalyse und der Expertensysteme zu erhalten sowie den Abstand bei der Fuzzy Control gegenüber Japan zu verringern.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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