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Siedlungen der Vorgeschichte in Deutschland, 300 000 bis 15 v. Chr.


Dieses Buch behandelt die Urgeschichte Deutschlands: die Zeit vom ersten Auftreten des Menschen vor etwa einer halben Million Jahren bis zur römischen Besetzung im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Begreift man Geschichte nicht bloß als Ereignis-, sondern in erster Linie als Strukturgeschichte, so reicht das Blickfeld des Historikers weiter zurück als die etwa 5000 Jahre, über die es schriftliche Dokumente gibt. Martin Kuckenburg, der sein Studium der Ur- und Frühgeschichte 1992 mit dem Magisterexamen abgeschlossen hat, nennt diesen Zeitraum im Vorwort den "frühesten Abschnitt der einen, unteilbaren Geschichte des Menschen" (Seite 8).

Ziel des Verfassers war eine Einführung in die prähistorische Archäologie. Dafür hat er den bearbeiteten Zeitraum – und entsprechend sein Buch – in sechs Abschnitte unterteilt, die jeweils aus einem kurzen Überblick der allgemeinen historischen Situation der Epoche und einem konkreten Beispiel bestehen.

Für die meisten Epochen sind Siedlungen die wichtigsten Wissensquellen. Kuckenburgs Beispiele stammen zumeist aus dem süd- und westdeutschen Raum, einerseits, weil er selbst dort zu Hause ist, andererseits, weil es in Norddeutschland in bezug auf urgeschichtliche Siedlungsgrabungen einen Nachholbedarf gegenüber dem Süden gibt.

Das Paläolithikum (die Altsteinzeit), definiert als die Epoche des Jagens und Sammelns, umfaßt den bei weitem größten Zeitraum der Menschheitsgeschichte. Kuckenburgs Beispiele sind der altpaläolithische Lagerplatz von Bilzingsleben in Thüringen, der noch vom Homo erectus angelegt worden war, und die jungpaläolithischen Fundstellen der letzten Eiszeit im Mittelrheingebiet und auf der Schwäbischen Alb, wo bereits der moderne Mensch (Homo sapiens sapiens) seine Spuren hinterlassen hat.

Das Neolithikum (die Jungsteinzeit) beginnt mit einem der bedeutendsten Einschnitte der Menschheitsgeschichte: der Einführung von Ackerbau und Viehzucht. Deren Auswirkungen lassen sich besonders gut an zahlreichen Ausgrabungen altneolithischer Siedlungen zwischen Köln und Aachen darstellen (Spektrum der Wissenschaft, April 1989, Seite 78). Im jüngeren Abschnitt des Neolithikums und in der Bronzezeit wurden in Süddeutschland Moore und Feuchtgebiete besiedelt (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1989, Seite 72); außerdem liegen in dieser Zeit die Anfänge der Metallverarbeitung. Die typischen Feuchtbodensiedlungen dieser Epoche, die früher als Pfahlbauten bezeichnet wurden, erläutert Kuckenburg anhand von Fundstellen aus dem Federseegebiet in Oberschwaben.

Die Eisenzeit wird im südlichen Mitteleuropa in der Regel in zwei Abschnitte unterteilt. Im älteren, der Hallstattzeit, finden sich die frühesten Hinweise auf Kontakte zu mediterranen Kulturen in Form von Importfunden. Außerdem vermuten manche Forscher für diese Phase die Herausbildung einer Oberschicht, die sich in Fürstensitzen und -gräbern niedergeschlagen haben soll. Die Heuneburg an der oberen Donau ist die zur Zeit besterforschte Siedlung dieser Epoche in Süddeutschland. Der jüngere Abschnitt der Eisenzeit (die La-Tène-Zeit) ist gekennzeichnet durch die befestigten, stadtähnlichen Großsiedlungen, die nach der Beschreibung Caesars oppida genannt werden. Als Beispiel hat der Autor Manching bei Ingolstadt ausgewählt.

In jedem Abschnitt des Buches erläutert Kuckenburg zunächst die Befunde zur materiellen Kultur, zur Siedlungs- und zur Wirtschaftsweise. Es folgen Erörterungen zur jeweiligen historischen Situation und Entwicklung und – sofern die Interpretation des ergrabenen Materials strittig ist – zu aktuellen Kontroversen innerhalb der Forschung. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist die Darstellung der Auseinandersetzung um die sogenannten Fürstengräber und -sitze der Hallstattzeit. Damit unterscheidet sich das vorliegende Buch positiv von den meisten anderen populärwissenschaftlichen Schriften zum Thema; deren Autoren, ob Fachleute oder nicht, glauben anscheinend, dem Publikum die Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses ersparen zu müssen.

Es gibt ohnehin im deutschsprachigen Raum, anders als in Skandinavien oder Großbritannien, nur sehr wenige allgemeinverständliche Einführungen in die Ur- und Frühgeschichte. Diesem Mangel hat Kuckenburg mit dem vorliegenden Buch abzuhelfen versucht. Dem vermutlich vom Autor angesprochenen Leserkreis – interessierten Laien, Wissenschaftlern aus Nachbarfächern und Studienanfängern – kann diese klare, flüssig geschriebene Darstellung des aktuellen Forschungsstandes vorbehaltlos empfohlen werden. Der günstige Preis des Taschenbuchs ist ein weiterer Vorzug.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1995, Seite 125
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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