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Sternzeichen und menschliches Verhalten: die Auskunft der Statistik

In der Juli-Ausgabe von „Spektrum der Wissenschaft“ beklagte Gunter Sachs in einem Leserbrief, seinem Buch „Die Akte Astrologie“ sei durch einen Kommentar im April-Heft dieser Zeitschrift in mehrfacher Hinsicht Unrecht geschehen. Die Kontroverse bot Anlaß, die Stellungnahme eines Fachmanns für mathematische Statistik einzuholen, um beispielhaft auf Möglichkeiten und Grenzen statistischer Methoden einzugehen.


Gunter Sachs beginnt seinen Brief so: "Sie schreiben in Ihrem Artikel ,Statistik und Aberglaube', ich hätte den Versuch unternommen, einen statistischen Beweis für die Astrologie zu erbringen. Ich habe Mathematik studiert und weiß um die Bedeutung und die Schwierigkeit eines wissenschaftlichen Beweises im strengen Sinne. Ganz bewußt habe ich daher in meinem Buch diesen Terminus vermieden und bei noch so eindeutigen Untersuchungsergebnissen stets nur von Nachweisen gesprochen."

Hier zeigt sich Sachs als ein gegenüber der Öffentlichkeit akribisch formulierender Mathematiker – allerdings in einem Punkt, in dem ihm wohl niemand einen Vorwurf machen könnte. Denn die Unterscheidung zwischen einem statistischen Beweis und einem statistischen Nachweis ist bezüglich der Gültigkeit der Aussage, die jeweils "bewiesen" oder "nachgewiesen" wird, durchaus unwesentlich. Allerdings bin ich als Mathematiker – wie offenbar auch der Mathematiker Sachs – der Meinung, daß es schön wäre, wenn man die Vokabel Beweis für rein innermathematische Operationen vorbehalten würde, die das Zeigen der Richtigkeit von Aussagen über Beziehungen zwischen rein mathematischen Objekten zum Ziel haben, und wenn man beim Zeigen des Zutreffens von Aussagen über Sachverhalte der Realität nur von Nachweis spräche.

Aber auch der Mißverständnisse ausschließende Ausdruck "statistischer Beweis" statt (statistischer) "Nachweis" ist akzeptabel. Jedenfalls gibt es in den von Mißverständnissen erfüllten unsäglichen Diskussionen um "Die Akte Astrologie" nicht auch noch den Vorwurf, Gunter Sachs habe etwa einen innermathematischen "Beweis für die Astrologie zu erbringen" versucht. Gegen diesen wohl einzigen bisher noch nicht gegen ihn erhobenen Vorwurf wehrt sich Sachs jetzt gegenüber Spektrum der Wissenschaft.

Insgesamt muß der zitierte Leserbrief von Gunter Sachs verwundern, denn nach dem Auftakt "Sie schreiben ... ich hätte den Versuch unternommen, einen statistischen Beweis für die Astrologie zu erbringen", müßte man eine ganz andere Einlassung erwarten, nämlich etwa die folgende:

"Ich habe Mathematik studiert und weiß natürlich um den tiefgreifenden Unterschied zwischen einem nachgewiesenen statistischen Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen A und B und einer direkten, kausalen Beziehung zwischen A und B im Sinne eines kausalen Einflusses eines der beiden Merkmale auf das andere, etwa von A auf B, wie zum Beispiel des Merkmals ,Sternzeichen' auf das Merkmal ,menschliches Verhalten'. Ich weiß also als studierter Mathematiker, daß ich mit den erbrachten Nachweisen oder statistischen Beweisen für formale statistische Zusammenhänge keineswegs einen kausalen Einfluß der Sternzeichen auf menschliches Verhalten nachgewiesen habe.

Dies aber hätten Sie bereits aus meinem sorgfältig formulierten Untertitel ,Wissenschaftlicher Nachweis eines Zusammenhangs zwischen den Sternzeichen und dem menschlichen Verhalten' ersehen können, in dem ich das Wort Einfluß bewußt vermieden habe. Demnach habe ich also keineswegs den Versuch unternommen, einen statistischen Beweis für die Astrologie zu erbringen – wie Sie leider schreiben."

Dabei hätte Sachs noch hinzufügen können, daß er der Zeitschrift "Skeptiker" (Heft 3, 1998) leider habe entnehmen müssen, daß auch die im Buch dargestellten Nachweise von statistischen Zusammenhängen schwere, durchgängige handwerklich-methodische Fehler enthalten, die seinen Mitarbeitern und Beratern unterlaufen beziehungsweise entgangen sind.

Aber eine solche selbstkritische Einlassung war wohl von Herrn Sachs nicht ernsthaft zu erwarten; denn schließlich wäre die für ein solches Konvolut statistischer Resultate einmalig erfolgreiche Rezeption – das Buch wurde rasch zum Bestseller – nicht denkbar ohne die leichtfertige Interpretation statistischer Zusammenhänge als direkte Kausalzusammenhänge im Sinne der Astrologie. Und Sachs hat diese wissenschaftlich nicht gerechtfertigte Interpretation von vornherein propagiert – auch im Buch. Gegen Schluß seines einleitenden "Ein Wort davor" schreibt er (Seite 14):

"Am Ende unserer Arbeit, nach der Computer-Auswertung von Millionen Daten, steht so der statistische Nachweis, daß Sternzeichen in allen von uns untersuchten Bereichen einen gewissen Einfluß auf das Verhalten von uns Menschen ausüben."

Beim Weiterlesen kann man vorübergehend den Eindruck gewinnen, daß Sachs sich ein Schlupfloch für einen gelegentlichen Rückzug offenhält, wenn man liest: "Wie ausgeprägt dieser Zusammenhang sein mag und inwieweit er von den Sternen ausgeht, wissen wir nicht..." Aber sofort danach veranschaulicht Sachs didaktisch geschickt ganz eindeutig, was er mit einem von den Sternen ausgehenden Einfluß meint und was ein Kausalzusammenhang (von Ursache und Wirkung) ist; und er nimmt für sich in Anspruch, den Existenznachweis für diesen Einfluß erbracht zu haben – und damit den wissenschaftlichen Durchbruch für die Astrologie. Denn er schließt "Ein Wort davor" folgendermaßen ab: "Gestatten Sie mir am Ende ein Gleichnis: Wenn Wasser von der Decke tropft, wissen wir, daß noch mehr Wasser über uns sein muß: die kleine Lache einer umgekippten Vase, ein vom Regen überschwemmtes Zimmer oder ein geplatztes Rohr, das ein unermeßliches Stauseevolumen hinter sich hat. Wir haben die Existenz einiger ,Astro-Tropfen' nachgewiesen. Fragt sich, wieviele Tropfen noch über uns sind."


Statistischer oder kausaler Zusammenhang?



Damit übergeht Sachs alle Fragen nach der Zulässigkeit seiner kausalen Interpretation und nach eventuellen nicht-astrologischen Erklärungen für die gefundenen statistischen Zusammenhänge in einer Weise, die verwundern muß. Denn bei diesem kühnen Unterfangen verliert er auch die Unterstützung seiner Berater aus namhaften Institutionen (Statistisches Institut der Universität München und Statistisches Bundesamt, Wiesbaden), die er sonst stets als Garanten für die Korrektheit seiner statistischen Auswertungen in Anspruch nimmt. Der Berater Professor Helmut Küchenhoff hat sich – unter anderem gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (4.12. 1997, Seite 28) – sehr deutlich von der Sachsschen kausalen Interpretation der gefundenen Zusammenhänge distanziert, und die Institutsmitarbeiterin und Sachs-Beraterin Dr. Rita Künstler schreibt in dem Buch von Sachs in schroffem Gegensatz zum Autor (Seite 209):

"Natürlich kann es niemals Aufgabe der Statistik sein, mit einer Beobachtungsstudie Kausalitäten festzustellen – in diesem Fall zwischen Sternzeichen und menschlichem Verhalten." Allerdings offenbart Frau Dr. Künstler danach auch: "Nach den zwei Jahren, in denen ich das [von Gunter Sachs finanzierte] IMWA-Institut statistisch begleitet habe, sehe auch ich heute den nächtlichen Himmel mit anderen Augen an."

Auch die kürzlich von Sachs eingeschalteten Gutachter Jürgen Chlumsky und Dr. Manfred Ehling vom Statistischen Bundesamt erklären: "Ob das Werk als wissenschaftlicher Durchbruch der Astrologie bezeichnet werden kann, wollen und können wir nicht beurteilen."

Nun einige grundsätzliche Erläuterungen zum Verhältnis der Begriffe statistischer Zusammenhang und Kausalzusammenhang. Ein unproblematisches Beispiel im Hinblick auf seine kausale Interpretation ist der allbekannte statistische Zusammenhang zwischen Rauchen (Merkmal A) und Lungenkrebs (Merkmal B). Das Vorliegen eines statistischen Zusammenhangs besagt dabei nur, daß die Merkmale (oder "Größen") A und B nicht statistisch unabhängig sind. Statistisch unabhängig (oder stochastisch unabhängig) wären Rauchen (A) und Lungenkrebs (B) nach mathematischer Definition, wenn in der betrachteten Grundgesamtheit der Lungenkrebsanteil unter den Rauchern (Anteil von B unter Elementen mit A) genau so groß wäre wie unter den Nicht-Rauchern (Anteil B unter Nicht-A) – was bekanntlich nicht der Fall ist. Also besteht definitionsgemäß ein statistischer Zusammenhang zwischen A und B.

Im vorliegenden Beispiel gibt es nun anschaulich plausible, aber auch medizinisch belegbare Gründe dafür, daß Rauchen (A) einen kausalen Einfluß auf das Vorliegen von Lungenkrebs (B) ausübt: Die kausale Interpretation läßt sich hier aufgrund von Untersuchungen, die über den Nachweis des statistischen Zusammenhangs hinausgehen, zweifelsfrei belegen. Schon hierbei sieht man sofort, daß die kausale Beziehung zwischen A und B – im Gegensatz zum bloßen Zusammenhang zwischen A und B – eine Richtung aufweist: im vorliegenden Fall von A (Rauchen) auf B (Lungenkrebs). Die Gegenrichtung, daß B einen kausalen Einfluß auf A ausübt, also Lungenkrebs eine Ursache für das Rauchen ist, wäre offenbar unsinnig. Demgegenüber ist ein statistischer Zusammenhang zwischen A und B richtungsunabhängig, das heißt er ist invariant gegenüber Vertauschen von A und B.

Als leicht zu durchschauendes, warnendes Beispiel im Hinblick auf vorschnelle kausale Interpretation erfreut sich der statistische Zusammenhang zwischen der Geburtenhäufigkeit (A) und der Storchenzahl (B) großer Beliebtheit. Im Sinne der soeben benutzten Definition läßt er sich so präzisieren: In der betrachteten Menge von Geburten ist der Anteil aus geburtenstarken Jahrgängen (A) in Jahren mit großer Storchenzahl (B) größer als in Jahren mit nicht so großer Storchenzahl (Nicht-B). Etwas mathematischer: Die bedingte Wahrscheinlichkeit für A ist unter der Bedingung B größer als unter der Bedingung Nicht-B. Dieses Beispiel bezieht seine Popularität wohl auch daher, daß jeder Interpret daran demonstrieren kann, daß er den früher Kindern nahegebrachten mythologischen Zusammenhang – gemäß dem der Storch die Kinder bringt – inzwischen als unzulässige kausale Interpretation eines statistischen Zusammenhangs durchschaut.

Das Beispiel lehrt zudem, daß hier keine der beiden möglichen Richtungen eines kausalen Einflusses sinnvoll ist, denn es gibt auch keinen Hinweis auf einen kausalen Einfluß von A nach B, nämlich darauf, daß die Geburtenhäufigkeit von Homo sapiens einen direkten Einfluß auf die Storchenzahl hat. Übrigens benutzt auch der bereits genannte Sachs-Berater Küchenhoff gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" dieses beliebte Beispiel als einen Beleg dafür, daß "aus dem Zahlenwerk kein kausaler Zusammenhang gefolgert werden kann" ("Süddeutsche Zeitung", 4.12.97, Seite 28).

Wie schwierig es ist, Statistiken kausal zu interpretieren, zeigt die folgende überraschende, anschaulich schwer zugängliche Möglichkeit des Zustandekommens statistischer Zusammenhänge: Legt man zwei Populationen I und II, etwa die Personen zweier Jahrgänge I und II, zu einer neuen Population I + II zusammen, so kann in dieser zusammengelegten Population I + II auch dann ein statistischer Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen A und B entstehen, wenn A und B sowohl in Population I als auch in Population II jeweils statistisch unabhängig sind. Voraussetzung dafür ist lediglich, daß sich die Anteile von A und B in den beiden Einzelpopulationen unterscheiden.

Für viele der von Sachs untersuchten Zusammenhänge ist diese Voraussetzung durchaus in gewissem Umfang erfüllt, wobei für das stets beteiligte Merkmal Sternzeichen generell zeitliche (und auch regionale) Änderungen der Anteile der einzelnen Sternzeichen tatsächlich beobachtet werden, die oft auch statistisch signifikant ausfallen. Ebensolche zeitliche (und regionale) Änderungen sind für das jeweils betrachtete zweite Merkmal geläufig, nämlich einen speziellen Aspekt menschlichen Verhaltens, beispielsweise für den Anteil der Suizide. Diese Möglichkeit der "künstlichen" Entstehung eines statistischen Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalen A und B durch Zusammenlegen von Populationen, in denen dieser Zusammenhang nicht besteht, habe ich im erwähnten "Skeptiker-"-Beitrag anhand einfacher Beispiel-Populationen unter der Zwischen-Überschrift "Erzeugung statistischer Zusammenhänge" elementar vorgerechnet.


Interpretationsprozesse



Ein facettenreiches Beispiel dafür, wie die soeben modellmäßig-abstrakt aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Suche nach den Ursachen für einen statistischen Zusammenhang konkret auftreten können, findet man in dem Buch "Der Hund, der Eier legt" (9.-14. Tausend 1998), in dem die am Fachbereich für Medizin der Universität Hamburg unter anderem statistisch tätigen Wissenschaftler, Professor Beck-Bornholt und Dr. Dubben im Untertitel das "Erkennen von Fehlinformation durch Querdenken" versprechen. Sie schildern dort das folgende Interpretationsproblem: Schwedische Chirurgen hatten 1991 über einen signifikanten statistischen Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit und Brustkrebs bei Frauen berichtet und ihn damit erklärt, daß bestimmte hormonelle Faktoren sowohl Linkshändigkeit als auch Brustkrebs kausal beeinflussen.

In der ersten Auflage ihres Buches sahen die beiden Autoren in dieser Interpretation des Zusammenhangs noch ein Beispiel für "einen eher amüsanten Trugschluß" und schlossen sich selbst folgender Deutung an: Gemäß einer amerikanischen Studie haben "Linkshänder eine 9 Jahre geringere Lebenserwartung als Rechtshänder" und zudem ist "Brustkrebs eine Alterskrankheit" – woraus folgt, daß der Anteil Älterer unter Linkshänderinnen (A) kleiner ist als unter Rechtshänderinnen (Nicht-A) und somit auch der Anteil an der Alterskrankheit Brustkrebs (B) unter Linkshänderinnen (A) kleiner als unter Rechtshänderinnen (Nicht-A) – wie von den schwedischen Chirurgen tatsächlich beobachtet. In ihrer vorliegenden Auflage berichten die beiden Buchautoren jedoch, daß "wir damit selbst einem Trugschluß aufgesessen waren", da ein Leser inzwischen die neue Erklärung geliefert hat, "daß das durchschnittliche Alter von Frauen mit Brustkrebs höher ist als das durchschnittliche Alter von Frauen ohne Brustkrebs und daß der Anteil links schreibender Frauen mit dem Alter abnimmt, da in früheren Zeiten während der Erziehung mehr Wert auf das richtige Schreiben mit der rechten Hand gelegt wurde als heute ..."

Diese Leser-Hilfe erklärt übrigens auch das Ergebnis der amerikanischen Autoren, wonach die Lebenserwartung von Linkshändern gegenüber Rechtshändern angeblich verkürzt ist – denn ihr Ergebnis beruhte auf einer Befragung, bei der man aus dem genannten pädagogischen Grund unter Linkshänderinnen einen kleineren Anteil älterer Frauen antraf als unter Rechtshänderinnen.

Offensichtlich lassen sich die beiden Interpretationen des betrachteten Falls als konkrete Beispiele dafür auffassen, wie ein "künstlicher" statistischer Zusammenhang durch Zusammenlegen von zwei Populationen I und II entsteht, in denen der betreffende Zusammenhang nicht existiert. Soweit der wohl letzte Stand dieses Interpretationsprozesses. Für viele andere Beispiele von Zusammenhängen besitzt ihr Interpretationsprozeß wissenschaftshistorische Dimensionen; dies gilt besonders für aus der Medizin seit altersher evidente Zusammenhänge zwischen der Gabe einer Arznei (Merkmal A) und der Heilung einer Krankheit (Merkmal B), bei denen eine kausale Erklärung oft bis heute noch nicht gelungen ist.

Auf diesem Hintergrund kann man wohl die Sachsschen astrologischen Interpretationen statistischer Zusammenhänge nur als vorschnell und etwas ungezügelt bewerten. Thomas Mann würde wohl sagen: Sachs "rupft seine Folgerungen" (statt sie zu ziehen). Wie beispielsweise der Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit und Brustkrebs zeigt, kann man allein daraus weder folgern, daß Linkshändigkeit einen Einfluß auf Brustkrebs ausübt, noch, daß Brustkrebs Linkshändigkeit beeinflußt. Das heißt: Aus den von Sachs nachgewiesenen Zusammenhängen läßt sich ohne intensive zusätzliche Untersuchungen weder schließen, daß die Sternzeichen einen Einfluß auf menschliches Verhalten ausüben, noch daß menschliches Verhalten die Sternzeichen beeinflußt.

Allerdings kann man auch keine dieser beiden Interpretationsrichtungen rein methodisch gesehen von vornherein als unzulässig ausschließen – aber in jedem Falle hat derjenige die Bringschuld für einen Nachweis, der eine bestimmte Deutung als gültig behauptet. Übrigens fiele wohl vielen Zeitgenossen die Interpretationsrichtung, daß menschliches Verhalten die Sternzeichen kausal beeinflußt – etwa derart, daß manche Astro-Anhänger bei ihrer Nachwuchsplanung auch bestimmte Sternzeichen für den Nachwuchs als ein Planungsziel haben könnten – sogar leichter als die von Sachs bevorzugte astrologische Interpretationsvariante vom "Einfluß der Sterne auf uns Menschen".

Vermutlich wendet Sachs gegen den Vorhalt, er habe statistische Zusammenhänge vorschnell im Sinne der Astrologie interpretiert, ein, daß er unter dem Stichwort "imaginäre Sternzeichen" genau die erforderlichen Zusatzuntersuchungen zur Absicherung seiner kausalen Interpretation durchgeführt habe. Er untersuchte nämlich die Frage, ob die gefundenen statistischen Zusammenhänge zwischen Sternzeichen und menschlichem Verhalten nur dann auftreten, wenn er seine Stichproben-Personen nach den tatsächlichen Sternzeichen gruppiert, oder auch noch dann, wenn er in einer Form von Gegenprobe in Modellrechnungen den Stichproben-Personen "künstliche (oder imaginäre) Sternzeichen" rein zufällig zuordnet. Sachs weist in seinem Leserbrief mit Nachdruck auf diese Zusatzuntersuchungen hin und betrachtet sie als einen Beleg für "die Gründlichkeit unserer Forschungen". Er führt den "Erfolg des Buches" sowie das "eindeutige Ergebnis der Wissenschaftler vom Statistischen Bundesamt in ihrem Gutachten" auf diese Gründlichkeit zurück, wobei er besonders hervorhebt, daß die Gutachter seine Zusatzuntersuchungen "imaginärer Verteilungen" registriert und gewürdigt haben.

Die entscheidende Frage nach der Berechtigung einer kausalen Interpretation formuliert Sachs selbst, nachdem er einen statistischen Zusammenhang zwischen den Sternzeichen der Partner bei Eheschließungen festgestellt hat (Seite 72): "Es scheint eine unerklärliche Kraft am Werke zu sein, die die emotionale Bindung zwischen den Angehörigen bestimmter Sternzeichen in besonderem Maße beeinflußt. Aber hat das wirklich mit den Sternzeichen zu tun? Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, machten wir ein interessantes Experiment: ..."

Mit dem angekündigten Experiment ist die bereits skizzierte "Gegenprobe" in der Form von Modellrechnungen anhand "imaginärer Sternzeichen" gemeint, die Sachs in seiner Einführung so beschreibt (Seite 13):

"Wir mischten die Geburtsdaten aller Betroffenen wie ein Kartenspiel, quirlten sie im Computer durcheinander wie in einem Multimix, und teilten die durcheinandergewirbelten Daten dann wieder in zwölf Häufchen. Da-mit hatten wir zwölf künstliche Sternzeichen geschaffen, zwölf Gruppen, deren Angehörige sich ganz anders zusammensetzten als die wirklichen Sternzeichen. Mit diesem Material führten wir ebenfalls sämtliche Untersuchungen durch."

Der Leser muß wohl Sinn und Ziel dieses "interessanten Experiments" darin sehen, daß damit der in Frage stehende kausale Einfluß der Sterne auf den Menschen dann nachgewiesen wäre, wenn beim Rechnen mit den künstlichen Sternzeichen der statistische Zusammenhang verschwände, der bei Verwendung der tatsächlichen Sternzeichen nachweisbar ist. Dem entspricht das Gewicht, das Sachs in seinem Leserbrief auf dieses Experiment legt, und die damit erzeugte Spannung auf dessen Ausgang. Für das im Buch gewählte Beispiel für dieses Experiment, nämlich den Zusammenhang zwischen den Sternzeichen von Ehepartnern, beschreibt Sachs den Ausgang so (Seite 73):

"Jetzt waren wir sehr gespannt, ob sich auch hier signifikante Abweichungen zwischen Ist- und Erwartungswerten einstellen würden. Und siehe da, mit dem Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest war insgesamt keine signifikante Abhängigkeit mehr nachweisbar."

Doch leider gilt: Der geschilderte Ausgang dieses Gegenprobe-Experiments hat keinerlei Bedeutung für die Frage, ob nun die Sternzeichen oder irgendein anderer Faktor den behaupteten Einfluß ausüben oder ob der nachgewiesene statistische Zusammenhang auf irgendeine schwer durchschaubare Weise – etwa durch Zusammenlegen mehrerer Populationen – künstlich zustande kommt. Der Grund ist, daß die rein zufällige Einteilung der Stichproben-Personen in willkürliche Gruppen, die bei der statistischen Auswertung als "imaginäre Sternzeichen" fungieren, jeden denkbaren statistischen Zusammenhang zerstört, also auch einen Zusammenhang, der etwa durch den Jahresgang der Sonne erzeugt würde oder durch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung (zum Beispiel bei der Partnerwahl). Das gleiche gilt natürlich auch für die oben angeführten instruktiven Beispiele, etwa das viel strapazierte mit den Störchen.

Anhand des Zusammenhangs zwischen den Sternzeichen von Ehepartnern kann man dessen Zerstörung durch Randomisierung der Stichprobendaten in folgendem Gedankenexperiment erkennen: Angenommen, jeder Mensch versucht – astrologisch motiviert – bei seiner Partnerwahl stets mit Erfolg zu erreichen, daß die Sternzeichen der Partner übereinstimmen, so daß zum Beispiel jeder der x Prozent Widder-Männer eine Widder-Frau bekäme und es also x Prozent Widder-Widder-Ehepaare gäbe. Dies wäre ein hochsignifikanter Zusammenhang, der nicht durch die Sterne erzeugt worden wäre, sondern von den Menschen. Ordnet man jetzt gemäß dem Sachsschen Experiment etwa den Frauen zufällig künstliche Sternzeichen zu – die Männer dürfen sogar ihre tatsächlichen behalten –, so erhalten jetzt alle Frauen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit zum Beispiel das künstliche Sternzeichen Widder (unabhängig von den Sternzeichen ihrer Männer!), und zwar sowohl jede Frau eines Widder-Mannes als auch jede Frau eines Nicht-Widder-Mannes. Damit ist der durchschnittliche Anteil von Männern mit Widder-Frauen (A) bei Widder-Männern (B) genau so groß wie bei Nicht-Widder-Männern (Nicht-B), was sowohl anschaulich als auch nach mathematischer Definition statistische Unabhängigkeit der Merkmale A und B bedeutet.

Damit ist gezeigt, daß das "interessante Experiment" mit "imaginären Sternzeichen" keinerlei Beitrag zu der anstehenden Frage der kausalen Interpretation eines statistischen Zusammenhangs liefert. Das Experiment kann allerdings dazu dienen, zu überprüfen, ob das verwendete statistische Testverfahren auf Unabhängigkeit tatsächlich das tut, was es tun soll: Es sollte nämlich bei Verletzung der Unabhängigkeitshypothese die Hypothese verwerfen und im Falle ihres Zutreffens – wofür im Sachsschen Experiment gesorgt wird – sie nicht verwerfen, abgesehen von zum Beispiel 5 Prozent Fehlsignifikanzen, bei Verwendung einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent. Kurz: Das Sachssche Experiment ist nur eine Probe darauf, ob man den richtigen Test richtig verwendet hat.

Hätten übrigens die Sachsschen Mitarbeiter diese Probe auf die vielen im Buch untersuchten Zusammenhänge zwischen einzelnen Sternzeichen und menschlichem Verhalten (Testen in einer Vier-Felder-Tafel) hinreichend oft angewendet, so hätten sie den von mir im "Skeptiker" aufgezeigten Einseitigkeitsfehler bemerkt – sie haben einseitige Tests durchgeführt, obwohl die Fragestellung zweiseitige Anwendung erfordert –, denn bei Verwendung etwa des Signifikanzniveaus 5 Prozent hätten sie wegen des Einseitigkeitsfehlers durchschnittlich 10 Prozent Fehlsignifikanzen erhalten, was bei der Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent nicht sein darf. Verwunderlich ist darum, daß nach Aussage von Sachs (im Leserbrief und in den Medien) die Gutachter vom statistischen Bundesamt die Untersuchung der "imaginären Sternzeichen" offenbar nur positiv gewürdigt haben.

Die von Sachs gewählte Form von Gegenproben mit Hilfe "künstlicher" oder "imaginärer" Sternzeichen verfehlt also das Ziel, eine bestimmte Erklärungshypothese als zutreffend auszuzeichnen, weil die "Gegenproben" bei jeder denkbaren Anwendung immer zum gleichen Ergebnis gelangen und damit keinerlei Selektionswirkung haben. Dies liegt daran, daß die benutzten "künstlichen" Sternzeichen rein zufällig besetzt wurden, wobei jeder denkbare Zusammenhang verlorengeht. Demgegenüber läßt sich das Ziel, mit Hilfe von "Gegenproben" zwischen konkurrierenden Erklärungshypothesen eine Entscheidung zu treffen, durchaus erreichen, wenn man nur die "künstlichen" Sternzeichen geeignet bildet.


Ein Test-Vorschlag



Das betrifft insbesondere die Entscheidung zwischen der von Sachs stets gewählten astrologischen Erklärungshypothese vom "Einfluß der Sterne auf uns Menschen" und der von vielen Kritikern von vornherein genannten konkurrierenden naturwissenschaftlich-biologischen Sonnenstandshypothese, der zufolge der jahreszeitliche Sonnenstand über das Geburtsdatum einen kausalen Einfluß auf vorgeburtliche und frühkindliche Entwicklungsstadien des Menschen ausübt. Mit Hilfe folgender Konstruktion künstlicher Sternzeichen erscheint es aussichtsreich, zwischen diesen beiden Erklärungshypothesen eine Entscheidung zu treffen: Man wähle als künstliche Sternzeichen 12 Geburtszeiträume im Jahr, die aus benachbarten Hälften der 12 tatsächlichen Sternzeichen bestehen, so daß die tatsächlichen Sternzeichen zerstört werden, aber die so gebildeten künstlichen Sternzeichen nach wie vor den Jahresgang des Sonnenstandes korrekt wiedergeben.

Beispielsweise werden dabei von den Nachbarn Steinbock und Wassermann die in der zweiten Hälfte von Steinbock Geborenen und die in der ersten Hälfte von Wassermann Geborenen zu einem künstlichen Sternzeichen zusammengefaßt; es vermag den darin Geborenen offenbar keine eindeutig astrologisch definierbaren Eigenschaften zuzuordnen, da jedes tatsächliche Sternzeichen aus astrologischer Sicht einen eigenen Charakter besitzt und aus zwei Charakteren bekanntlich kein Mittelwert sinnvoll gebildet werden kann. Bei der statistischen Auswertung darf man jetzt gespannt sein: Sachs muß hoffen, daß bei Verwendung dieser künstlichen Sternzeichen kein statistischer Zusammenhang mehr nachweisbar ist, was ein schlagendes Argument gegen die Sonnenstandshypothese wäre. Ließe sich dagegen mit diesen künstlichen Sternzeichen nach wie vor ein statistischer Zusammenhang nachweisen, so wäre das ein schlagendes Argument zugunsten der naturwissenschaftlich-biologischen Sonnenstandshypothese und gegen die astrologische Erklärung, denn dann beruhte der vorher von Sachs nachgewiesene Zusammenhang offenbar auch auf dem Sonnenstand.

Ein anderer Weg sinnvoller "Gegenproben" wäre, sich dagegen abzusichern, daß – wie oben geschildert – durch Zusammenlegen von Populationen künstlich statistische Zusammenhänge entstehen. Dies kann in der Weise erfolgen, daß man die Gesamtmenge der Stichproben-Personen etwa in Teilpopulationen von einzelnen Jahrgängen aufgliedert oder regionale Teilpopulationen bildet und sodann in den jeweiligen Teilpopulationen die Unabhängigkeitshypothese testet. Diese Möglichkeit hat auch Sachs gesehen und teilt in der Einleitung seines Buches kurz mit (Seite 13), daß "für einige Untersuchungen" die gesamte Datenmenge für "etwa 1987 bis 1994" getrennt in die "Jahrgänge 1987 bis 1990 sowie 1991 bis 1994 gruppiert wurde" und sich dabei "das Ergebnis für den gesamten Zeitraum bestätigte".

Da Sachs keine weiteren detaillierten Angaben zu einzelnen Testergebnissen macht, lassen sich diese knappen Hinweise bezüglich ihrer Relevanz nicht beurteilen. Vielleicht gibt es ja dazu in einer von mir bereits im "Skeptiker" angeregten "Akte II" von Sachs mehr zu lesen!

Insgesamt werden wohl viele Zeitgenossen Sachs bei seinen hurtigen und etwas ungezügelten astrologischen Interpretationen der nachgewiesenen statistischen Zusammenhänge zugute halten, daß man in unserer Medien-Welt mit ihren besonderen Gesetzen schon etwas ungezügelt daherkommen müsse – auch wenn man mit einem seriösen Anliegen wahrgenommen werden möchte. Zu diesen Zeitgenossen und Sachs-Lesern zähle auch ich mich. Allerdings füge ich hinzu, daß ich es schön und angemessen fände, wenn Herr Sachs in seinen Äußerungen gegenüber Kritikern gelegentlich etwas mit den Augen zwinkern würde


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1999, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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