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Wissenschaftspolitik: The Politics of Excellence

Behind the Nobel Prize of Science
Freeman, New York 2001. 379 Seiten, $ 30,–


Was hat den größeren Einfluss da-rauf, wer den Nobelpreis bekommt: die wissenschaftliche Leistung des Kandidaten oder politisches Kalkül? Pünktlich zum hundertsten Geburtstag des Nobelpreises beleuchtet der amerikanische Wissenschaftshistoriker Robert Marc Friedman die Hintergründe der Preisverleihungen der ersten fünfzig Jahre, mit Schwerpunkt auf den Disziplinen Physik und Chemie. Mehr Unterlagen konnte der Autor nicht vom Staub der Zeit befreien, denn die Akten unterliegen einer Sperrfrist von einem halben Jahrhundert. Friedman folgt mit seinen Nachforschungen alter amerikanischer Tradition, die auf Wissenschaftsgeschichte seit jeher mehr Wert legt als die europäische.

Im ersten Kapitel beschreibt er minutiös, wie schwierig es war, das Testament des Stifters Alfred Nobel umzusetzen. Die Testamentsvollstrecker mussten zunächst gegen die Widerstände der Familie Nobel, der Königlichen Akademie und anderer Parteien ankämpfen. Die weiteren Kapitel konzentrieren sich exemplarisch auf strittige und häufig fragwürdige Entschei-dungen des Nobelkomitees und der Akademie der ersten fünfzig Jahre. Es ist kaum einzusehen, dass der Schwede Nils Gustaf Dalén den Physik-Nobelpreis 1912 für seine Leuchtturm-Beleuchtungsregler (siehe die vorstehende Rezension) erhielt, während Lise Meitner, die gemeinsam mit Otto Hahn die Kernspaltung entdeckte, leer ausging.

Die Schwierigkeit, die Hintergründe der Entscheidungen ohne Zeitzeugen zu analysieren, hat Friedman mit einigen interessanten und plausiblen Hypothesen umgangen (allerdings neigt er dazu, hin und wieder moralisch in seinen Ausführungen zu werden). So behauptet er, dass zu Beginn des letzten Jahrhunderts schwedische Wissenschaftler durch die Ausbildung an deutschen Universitäten und auch durch den deutschen kulturellen Einfluss auf das schwedische Bürgertum eine Affinität für deutsche Kandidaten hatten. Einige Nominierungen spiegeln berufliche Präferenzen schwedischer Wissenschaftler wie zum Beispiel für Perfektionierungen von Messinstrumenten wider; einen fundamentalen Fortschritt sucht man in diesem Zusammenhang vergeblich. Oder Nationenproporz spielte eine Rolle:

Charles G. Barkla (Physik 1917) war ein schwacher Kandidat: Er hatte zwar die "charakteristische Röntgenstrahlung von Elementen" entdeckt, die viel bedeutendere Interpretation hatten jedoch andere geleistet. Nur musste die britische Wissenschaft auch mal einen Preis abbekommen.

In der Kategorie Chemie wollten die Komiteemitglieder häufig ihre Doktor-väter ehren, während nicht wenige ihrer Kollegen aus der Physik Schwierigkei-ten hatten, die Forschungsergebnisse aus Quantenmechanik und Relativitätstheorie zu akzeptieren, geschweige denn zu verstehen.

Über einen anderen Fehler geht Friedman zu knapp hinweg: Enrico Fermi bekam den Physik-Preis 1938 unter anderem für die Erzeugung von Transuranen durch Beschuss von Uran-Atomkernen mit Neutronen. Wenig später stellte sich heraus, dass Fermi sich geirrt und statt dessen eine Kernspaltung beobachtet hatte.

Bemerkenswert und überraschend ist, dass gerade neue Mitglieder im Nobel-komitee viele steinige Wege freigeräumt haben. Auf ihre Initiative hin wurden überfällige Verleihungen und komiteeintern blockierte Nominierungen, zum Beispiel für Albert Einstein, Wolfgang Pauli, Walter Nernst und Otto Stern, auf den Weg gebracht.

Friedman zeichnet interne Konflikte und persönliche Auseinandersetzungen von Widersachern im Nobelkomitee und in der Akademie nach. Die Argumentationen um die Bedeutung wissenschaft-licher Entdeckungen und Erfindungen werden neu aufgerollt. Daneben diskutiert Friedman auch die Schwierigkeiten innerhalb des Komitees, die Physik von Teilgebieten wie Meteorologie und Astronomie sowie die Schwerpunkte in der Chemie voneinander abzugrenzen.

In den ersten fünfzig Jahren der Nobelpreisverleihungen erschütterten zwei Weltkriege die Menschheit. Die Zwischenkriegszeit war geprägt vom Boykott der deutschen Wissenschaft durch die alliierten Mächte, was für die Nobelstiftung eine große Herausforderung darstellte. Die Verleihung der Nobelpreise direkt nach dem Ersten Weltkrieg an Deutsche löste bei den alliierten Forschern und Medien Unmut aus. Friedman beschreibt detailliert die Verleihung an Fritz Haber, die auf Grund seiner Beiträge für die chemische Kriegsführung ein Politikum war.

Der Autor spart auch einen handfesten Skandal nicht aus: In den 1920er Jahren wurden etliche Preise verspätet oder gar nicht vergeben; der Zinsgewinn beziehungsweise das eingesparte Geld kam dem Fonds für schwedische Forschungsprojekte und damit einzelnen schwedischen Wissenschaftlern zugute.

Friedman bezweifelt auch, dass Ernest E. Lawrence den Physik-Preis 1939 für die Entdeckung und Weiterentwicklung des Zyklotrons wirklich verdient hat, und vermutet ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Immerhin bekam wenig später der Schwede Karl M. Siegbahn dank der Unterstützung von Lawrence sein Zyklotron und damit ein neues Arbeitsgebiet.

Das letzte Kapitel gibt einen Ausblick auf die Verleihungspolitik nach 1950, die von Lobbyismus und Forschungsförderung geprägt ist.

Das Buch bietet viele Hintergrund-informationen der Forschungsgeschichte, besonders auch der deutschen Forschungslandschaft. Meilensteine sind hier der Boykott der deutschen Wissenschaft durch die Alliierten, Unterschriftenlisten der deutschen Wissenschaftler zur Unterstützung der nationalen Anstrengungen im Ersten Weltkrieg, die Aktivitäten der Rockefeller Foundation und Hitlers Verbot für deutsche Wissenschaftler, Nobelpreise anzunehmen.

In Friedmans Buch fehlt leider eine wissenschaftliche Literaturliste im Anhang; Quellenangaben aus dem Archiv sind pro Buchseite jeweils in einem Absatz zusammengefasst. Das Buch bietet dennoch eine detaillierte, plausible und kritische Zusammenfassung der Nobelpreisgeschichte, welche in anderen Büchern so nicht zu finden ist.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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