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Trinkwasserqualität: Vater Rhein – ein Fluss gesundet

Schlechte Wasserqualität war einst das Problem unseres größten Flusses. Inzwischen gilt der Rhein als Beispiel einer gelungenen Sanierung.


In Deutschland herrscht an Wasser kein Mangel. Die Wasserwerke könnten Jahr für Jahr 180 Milliarden Kubikmeter aus Brunnen, Quellen und Flüssen schöpfen, benötigen aber nur rund 50 Milliarden Kubikmeter, wovon Industrie und Landwirtschaft 87 Prozent nutzen. Auch in Zukunft droht kein Engpass: Klimatologen prophezeien für Zentraleuropa im Zuge der weltweiten Erwärmung eine Zunahme der Niederschläge. Vor allem im Winter soll es häufiger regnen und schneien, sodass Überschwemmungen mehr Sorgen bereiten als Dürren.

Doch mit der Qualität des Wassers hapert es: Durch viele Flussbetten strömt dreckige Brühe, und ins Grundwasser sickern Industriegifte, Pestizide, Herbizide und Düngemittel. Und das, obwohl die Zeiten der schlimmsten Umweltsünden vorbei sind. Geradezu ein Musterbeispiel für die Fortschritte in Sachen Umweltschutz wie für die noch anstehenden Probleme bietet der Rhein, einer der bestuntersuchten Flüsse weltweit, der seine Rolle als Trinkwasserlieferant auch in trüben Zeiten nie verloren hat.

Er verbindet als europäische Wirtschaftsachse die Schweiz, Deutschland, Frankreich und die Niederlande. Sein Einzugsgebiet teilen sich zudem noch Italien, Liechtenstein, Österreich, Luxemburg und Belgien. 50 Millionen Menschen wohnen auf diesen 185000 Quadratkilometern, und 20 Millionen beziehen ihr Trinkwasser aus dem Rhein, meist aus Uferfiltrat, also aus flussnahem Untergrund. An seinen Ufern stehen Industriewerke dicht an dicht, darunter die Chemie- und Pharmariesen BASF, Bayer, Novartis und Hoechst – die größte Dichte solcher Unternehmen weltweit. Auch bei der Schifffahrt glänzt der Fluss mit Rekorden: In Duisburg hat er den größten Binnen- und in Rotterdam den größten Seehafen der Welt.

Könnte ein Zeitgenosse Goethes heute den Oberlauf zwischen Basel und Bingen bereisen, er würde den Rhein nicht wiedererkennen. Aus einem reich mäandrierenden Strom mit weitläufigen Auenlandschaften, mit Prall- und Gleithängen, Sand- und Kiesbänken ist ein geradliniger, befestigter Kanal geworden. Längst vorbei sind die Zeiten, als es genügte, das Wasser zu filtern, um es als Lebensmittel aufzubereiten. Auch das Spektrum der Tierarten, die im Fluss leben, hat sich erheblich reduziert. Vor 200 Jahren tummelten sich noch 800 bis 1000 Arten von Kleinlebewesen im Rhein, wie Biologen aus Fossilien und zeitgenössischer Literatur herausgelesen haben. Heute sind es nur noch rund 200. Positiver Nebeneffekt: Auch die Moskitos sind verschwunden, die noch zur Zeit des Dichterfürsten Malaria übertrugen.

Der Niedergang der Urstromlandschaft begann Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Begradigung, die dem badischen Ingenieur Tulla den Beinamen "Bezwinger des Rheins" einbrachte, verschwand ein Großteil der Auen – und mit ihnen viele Tierarten. Zugleich begannen die Städte, ihren Unrat über eine Kanalisation zu entsorgen und das Abwasser ungeklärt in den Rhein zu leiten. Obendrein belasteten immer mehr Industriebetriebe das Wasser mit Salzen, Schwermetallen und organischen Spurenstoffen. Und aus den Feldern sickerten Pflanzenschutzmittel sowie Stickstoff- und Phosphor-Nährstoffe in das Gewässer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Fluss zwar noch einmal kurz aufatmen, weil viele Industriebetriebe zerstört waren. Doch mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder verkam der Rhein vollends zur Kloake. Schaumberge hinter den Staustufen machten das Desaster für jedermann sichtbar. In den sechziger und frühen siebziger Jahren, als die Verschmutzung ihren Höhepunkt erreichte, lebten kaum noch 30 Arten von Kleintieren im Fluss. Der im Wasser gelöste Sauerstoff wurde selbst für diese Überlebenskünstler knapp. Im trockenheißen Sommer 1971, als der Rhein besonders wenig Wasser führte, drohte der Kollaps. Der Sauerstoffgehalt sank unter die kritische Marke von vier Milligramm pro Liter, die für höheres Leben nötig ist. Bei Koblenz wurde 24 Stunden lang überhaupt kein Sauerstoff gemessen. Damals verendeten zwischen der Main-Mündung und Köln unzählige Tiere.

Verheerend wirkte sich auf diesen hochbelasteten Strom jeder Störfall in einem Industriebetrieb aus, der auf einen Schlag erhebliche Mengen Schadstoffe in den Rhein schwemmte. Als im Juni 1969 Insektizide aus unbekannter Quelle in den Main gelangten, starben bis zur niederländischen Grenze Millionen Fische, ein Großteil des Bestandes. 17 Jahre später, am 1. November 1986, trieben abermals unzählige Fische mit dem Bauch nach oben. Bei der Schweizer Pharmafirma Sandoz war eine Lagerhalle in Brand geraten, und das Löschwasser hatte 10 bis 30 Tonnen Pestizide in den Rhein gespült. Die Giftfahne, die bis in die Niederlande nachgewiesen wurde, vernichtete allein mehrere 100000 Aale. Der Bestand ging auf einer Flusslänge von 500 Kilometern völlig zu Grunde, von Basel bis Koblenz. Die Wasserwerke längs des Rheins stoppten vorsorglich ihre Wasserentnahme. So blieb wenigstens das Trinkwasser unbelastet.

Das Sandoz-Desaster hatte in der Öffentlichkeit empörte Proteste ausgelöst und die Politiker aufgerüttelt. Vor allem die 119 Rheinwasserwerke zwischen der Schweiz und den Niederlanden drängten darauf, den Fluss wirkungsvoller zu schützen und die Wasserqualität zu verbessern. Schließlich sind sie auf halbwegs sauberes Wasser angewiesen. Bereits im darauf folgenden Jahr, am 1. Oktober 1987, unterzeichneten die Rhein-Minister den so genannten "Aktionsplan Rhein" und verknüpften ihn mit dem ehrgeizigen Ziel, den Lachs bis zur Jahrtausendwende wieder anzusiedeln. Der Wanderfisch, von dem die Rheinfischer im Jahr 1885 noch 250000 Exemplare gefangen hatten und dessen letzte Vertreter im Jahr 1958 gesichtet worden waren, stellt hohe Ansprüche an die Wasserqualität – der Grund, weshalb er zum Bannerträger des Umweltprogramms gewählt wurde.

Heute gilt der Rhein als Paradebeispiel einer gelungenen Sanierung. Andere Flüsse – wie etwa die Weser – sollen seinem Beispiel folgen. Selbst der Leiter des WWF-Auen-Instituts in Rastatt, Emil Dister, spricht von einer "dramatischen Verbesserung der Wasserqualität". Der Rhein habe einen Zustand wie in den zwanziger und dreißiger Jahren erreicht. Aus dem schwer kranken Strom ist ein Rekonvaleszent geworden, in dem an heißen Sommertagen mancher unerschrockene Anwohner wieder badet. Fast alle 45 Fischarten, die vor 200 Jahren darin lebten, sind zurückgekehrt. Sie finden zwar keinen optimalen, aber einen erträglichen Lebensraum vor: Der Sauerstoffgehalt erreicht vom Bodensee bis zur Nordsee das ganze Jahr über ein passables Niveau, und die Schadstoffkonzentrationen gingen seit 1985 drastisch zurück.

Die Erholung ist vor allem dem Bau hochwirksamer mechanisch-biologischer Kläranlagen zu verdanken. Kaum noch ein abgelegener Weiler oder Einödhof im riesigen Einzugsgebiet, der nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen ist. Außerdem haben die Industriebetriebe große Summen in die Abwasserreinigung investiert. Ein aufwendiger Warn- und Alarmdienst sorgt außerdem dafür, dass sich eine Katastrophe wie die von Sandoz aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wiederholen wird.

Unsichtbare Feinde

Sogar der Traum vom Lachs im Rhein scheint wahr zu werden. Die Anliegerstaaten haben unter der Leitung der "Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins" (IKSR) alle in Frage kommenden Laichgewässer im Rhein-Einzugsgebiet kartiert und präpariert, haben Millionen junger Salmoniden ausgesetzt und viele Staustufen mit Fischleitern ausgerüstet, um sie für Wanderfische passierbar zu machen. Die aufwändigste Aufstiegshilfe bei Iffezheim, die im Juni 2000 in Betrieb ging, hat schon mehr als 15 Millionen Mark gekostet. Mit einem Hydromodell optimiert, sorgt hier eine eigens installierte Turbine für eine ständige Strömung, um die Tiere zum Einlass zu locken. Schon im ersten halben Jahr kämpften sich 81 Lachse, 330 Meerforellen, 540 Nasen sowie tausende Brachsen und Barben die 300 Meter lange Betonrinne hinauf.

Insgesamt sind bis Ende 2000 etwa 600 laichreife Lachse von ihrer mehrjährigen Atlantik-Reise in den Rhein zurückgekehrt. Das ist zwar ein erfreuliches Ergebnis, reicht aber für eine sich selbst erhaltende Population noch nicht aus. Die Sanierung des Rheins ist noch nicht abgeschlossen. Während die großen Abwassereinleitungen, die ehemals schlimmsten Verschmutzer, weitgehend entschärft sind, tritt ein anderes Problem in den Vordergrund: die diffusen Schadstoffeinträge. Auf unzähligen Schleichwegen gelangen die Gifte in den Rhein: Regen wäscht sie aus der Atmosphäre, die Strömung spült sie aus der Flusssohle und bei jedem Platzregen strömen sie aus Drainagen, Regenüberläufen und Trennkanälen.

Nach einer Bilanz der Schadstoffeinträge, von der IKSR vorgelegt, stammen inzwischen fast alle Pflanzenschutzmittel und mehr als die Hälfte der Schwermetalle, die im Fluss nachgewiesen werden, aus diffusen Quellen. Die "punktuellen Einleitungen" von Schadstoffen gingen dagegen zwischen 1985 und 1996 geradezu sensationell zurück: Chrom zum Beispiel um 95 Prozent von 600 auf 32 Tonnen, Zink um 72 Prozent, Blei um 80, PCB um 99 und Phosphor um 69 Prozent. Professor Wolfgang Kühn, Geschäftsführer des für die Rheinwasserwerke zuständigen "Technologiezentrums Wasser" in Karlsruhe, bringt den Wandel auf den Punkt: "Früher war die Produktion das Problem, jetzt sind es die Produkte."

Das Rheinwasser genügt denn auch – trotz aller Erfolge – noch immer nicht dem Qualitätsmaßstab, den sich die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins selbst gesetzt hat. Von 76 Einzelstoffen, die derzeit regelmäßig kontrolliert werden, übersteigen sieben die gültigen Grenzwerte: die Schwermetalle Quecksilber, Cadmium, Kupfer und Zink, das Insektizid Lindan, das Herbizid Diuron sowie polychlorierte Biphenyle (PCB). Das Fluss- in hochwertiges Trinkwasser zu verwandeln, erfordert noch immer erheblichen Aufwand.

Einige Wasserwerke – vor allem in der Schweiz, den Niederlanden und im Wiesbadener Raum – nehmen diese Mühe auf sich. Sie speisen ihre Anlagen nicht mit Uferfiltrat, sondern entnehmen das Wasser direkt aus dem Fluss. Das Nass muss einen Marathon absolvieren, ehe es in die Trinkwasserleitungen eingespeist werden kann: Im Sandfang und im Sedimentierbecken verliert es zunächst seinen gröbsten Dreck, beim Stürzen über eine Treppe bekommt es eine belebende Sauerstoffinfusion, und Chemikalien trimmen es auf einen neutralen pH-Wert. Flockungsmittel binden Schadstoffe, und Aktivkohle, die Wunderwaffe der Wasserwerker, macht störende Geruchs- und Geschmacksstoffe, Kohlenwasserstoffe und selbst Pestizide unschädlich. Anschließend wird das Wasser ins Erdreich gepumpt, das als nachgeschaltete, natürliche Kläranlage fungiert. Wenn es nach mehreren Wochen, mit Grundwasser angereichert, wieder ans Tageslicht kommt, durchläuft es abermals eine Aufbereitungstour. Erst danach genügt es der Trinkwassernorm.

Doch selbst diese aufwändige Prozedur entfernt nicht alle Schadstoffe. Den Wasserwerken machen derzeit vor allem Arzneimittel zu schaffen. "Endokrin wirksame Substanzen sind das Problem der Zukunft", warnt der WWF-Experte Dister. Hormone, Antibiotika, Mittel gegen Kopfschmerzen oder übermäßiges Blutfett, auf Rezept verschrieben, machen sich mehr und mehr im Oberflächenwasser breit. Denn ein Teil der Wirkstoffe passiert den Körper unverändert und gelangt mit den Ausscheidungen ins Abwasser und in die Flüsse. Obendrein werfen viele Menschen überzählige Pillen einfach in die Toilette. Die biologisch hochwirksame Fracht hat bei Fischen schon zu Geschlechtsumwandlungen geführt. Menschen scheinen aus heutiger Sicht nicht unter ihr zu leiden, Meldungen über geringere Fruchtbarkeit konnten nicht bestätigt werden. Im Trinkwasser sind die Dosierungen zu gering für einen therapeutischen Effekt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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