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Infektionsbiologie: Warten auf die Katastrophe

Forscher haben veränderte Vogelgrippeviren erzeugt, die sich von Mensch zu Mensch verbreiten könnten. Nun debattieren Experten über die Freiheit und Verantwortung der Wissenschaft.
Kann ein künstlicher Vogelgrippeerreger bei einer Pandemie ähnlich viele Opfer fordern wie eine Atombombe?

Im Frühjahr 1983 brach auf Geflügelfarmen im Osten Pennsylvanias die Vogelgrippe aus. Tiermediziner hatten das verursachende Virus zunächst als relativ harmlos eingestuft, doch während der Erreger sich in den Zuchtbetrieben ausbreitete, entstand ein neuer Virusstamm. Zahlreiche Tiere starben daran, und die Farmer begannen, um ihre Existenz zu bangen. In ihrer Not bat die Regierung Pennsylvanias das US-Landwirtschaftsministerium um Hilfe, worauf die Behörde Experten entsendete, die in einer Einkaufsmeile außerhalb der Stadt Lancaster eine Zentrale einrichteten. Um die Epidemie einzudämmen, ließ das Ministerium in den Gegenden von Pennsylvania bis Virginia insgesamt 17 Millionen Vögel töten.

Zu dieser Zeit traf Yishihiro Kawaoka, ein junger Wissenschaftler aus Japan, in den USA ein und begann am St. Jude Childrens Research Hospital in Memphis zu forschen. Sein Chef, der Virologe Robert Webster, vermutete, dass menschliche Grippeerreger aus Vogelviren entstehen. Seiner These zufolge kursieren die Vorläuferviren unter Enten und Gänsen, ohne für uns gefährlich zu sein – bis irgendwann ein Stamm aus ihnen entsteht, der sich in den oberen Atemwegen des Menschen vermehren kann. Webster meinte, man müsse erst die Vogelgrippe besser verstehen, bevor man die Influenza beim Menschen effektiver bekämpfen könne. Als er im November 1983 erfuhr, dass die Geflügelseuche in Pennsylvania bedrohliche Dimensionen annahm, ließ er alles stehen und liegen und eilte ins Zentrum der Epidemie.

Kawaoka blieb derweil in Memphis, um Proben zu untersuchen, die er aus dem Seuchengebiet erhalten hatte. Er extrahierte daraus die Viren und züchtete sie im Labor. Dann infizierte er damit gesunde Hühner und wartete ab, was passieren würde. Das schockierende Ergebnis: Sämtliche infizierten Tiere starben – eine Mortalitätsrate von hundert Prozent. Als Kawaoka die verendeten Tiere untersuchte, stellte er fest, dass der Erreger beinahe alle Organe angegriffen hatte, ähnlich wie es manche Stämme des Ebolavirus beim Menschen tun.

Warum waren die Viren noch im April 1983 harmlos gewesen und hatten sich bis zum November in Killer verwandelt? Bei einem genauen Vergleich entdeckte Kawaoka, dass zwischen den Stämmen vom April und November nur minimale Unterschiede bestanden. "Tatsächlich war die neue, brandgefährliche Virusvariante infolge einer einzigen Mutation entstanden", erinnert er sich heute. "Das bedeutet, dass hochpathogene Influenzaviren jederzeit unvermittelt auftauchen können."

Kawaoka erkannte: Die Wissenschaftler mussten dringend mehr darüber herausfinden, unter welchen Umständen die Vogelgrippe für Menschen gefährlich werden kann. Nur dann wäre es möglich, bedrohliche Entwicklungen früh zu erkennen und rechtzeitig mit Impfungen und anderen Maßnahmen gegenzusteuern. Besonders interessierte ihn, ob ein tödliches Vogelgrippevirus wie jenes, das 1983 auf den Hühnerfarmen wütete, auch auf den Menschen überspringen könnte – und wie sich das Erbgut des Erregers hierfür verändern müsste.

Erst drei Jahrzehnte später fand der japanische Forscher eine Antwort ...

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  • Infos

Lupiani, B., Reddy, S. M.: The History of Avian Influenza. In: Comparative Immunology, Microbiology and Infectious Disease 32, S. 311–323, 2009

Reid, A. H. et al.: Evidence of Absence: The Genetic Origins of the 1918 Pandemic Influenza Virus. In: Nature Reviews Microbiology 2, S. 909 – 914, 2004

Steinbruner, J. et al.: Controlling Dangerous Pathogens. Bericht des Zentrums für internationale und sicherheitsrelevante Studien in Maryland (CISSM), School of Public Policy, University of Maryland, März 2007

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