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Weiße Affen am Roten Meer. Das soziale Leben der Wüstenpaviane


Hans Kummer, Professor für Ethologie an der Universität Zürich, ist einer der Pioniere der Feldforschung an nichtmenschlichen Primaten. Als einer der ersten hat er bereits vor drei Jahrzehnten freilebende Affen an sich und seine Mitarbeiter gewöhnt. Ohne distanzierenden Schutz, etwa durch ein Auto, wurde er ein Teil des Lebens der beobachteten Mantelpavianherden; gleichzeitig bestimmten sie auch sein Leben. In dem vorliegenden Buch stellt Kummer dementsprechend nicht nur seine Paviane vor, sondern läßt den Leser auch an seiner Biographie teilnehmen, bis hin zu einer sehr persönlichen Schilderung seiner Gefühle und Gedanken.

In dem Buch wird das faszinierende Sozialsystem des Mantelpavians (Papio hamadryas) beschrieben. Wir lernen zum einen den komplexen Aufbau der Herden kennen: Mehrere Familien mit jeweils nur einem erwachsenen Mann bilden einen Klan, mehrere Klans ei- ne Bande, mehrere Banden schließlich die Herde. (Kummer spricht durchweg von "Weibchen" und "Männern", "nicht weil ich ein Sexist wäre, sondern weil die ärgerliche Verkleinerungsform für Tiere auf diese Männer wirklich nicht paßt".) Wir erfahren des weiteren, warum sich dieses Sozialsystem unter den kargen Bedingungen der äthiopischen Wüste gebildet hat.

Die Ergebnisse sind nicht neu; Kummer selbst hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder neugewonnene Erkenntnisse mitgeteilt. Aber das Buch ist über seinen wissenschaftlichen Gehalt hinaus auch eines über Menschen: den Autor selbst, seine Familie, seine Mitarbeiter und über die vielen Genannten und Ungenannten, die ihm halfen, sein Projekt durchzuführen. "Ob Gouverneur, Bettler, Polizeioberst, Nomadenhäuptling, Dirne, Diplomat, griechischer Garagist oder französischer Bahnbeamter, sie alle machten das ,Projekt Hamadryas' zu einem Fest meines Lebens" (Seite 15). Allen dankt er, beschreibt aber auch liebevoll ihre Qualitäten und ihre letztlich vorteilhaften Schwächen.

Unter der Betreuung von Heini Hediger, dem damaligen Direktor des Züricher Zoos, konnte Kummer von 1955 an Mantelpaviane in Gefangenschaft beobachten; er lernte "Mantelpavianisch", die Laute und Gebärden, mit denen sich die Tiere zu verständigen pflegen, unter den Bedingungen des Zoos. Dabei machte er auch Bekanntschaft mit sozialen Taktiken, zu denen die freilebenden Artgenossen keine Zeit haben.

Im Jahre 1960 begann dann sein eigentliches Abenteuer in der nordostafrikanischen Hügelsteppe. Allerdings mußte er dieses aufregende Freilandexperiment 1977 wegen des Bürgerkrieges in Äthiopien beenden.

Aus dem Vergleich von Zooaffen und freilebenden Artgenossen gewann Kummer den Befund, das Sozialleben luxuriere in der reichen unnatürlichen Umgebung, die Tiere reagierten übernormal; hingegen dörre es unter kargen Bedingungen aus. Dafür gibt er viele überzeugende Beispiele. Er diskutiert zudem die Fragwürdigkeit der Freisetzung von in Menschenobhut geborenen Tieren: "Tiere gefangenzuhalten bedeutet Verantwortung, sie freizulassen ebenfalls. Oder würden Sie gerne mit ein paar Steinwerkzeugen in der Eiszeitlandschaft unserer Vorfahren ausgesetzt? In Ihren herrlichen, natürlichen, angestammten Lebensraum...?" (Seite 132).

Kummer hat in seinem Forscherleben durch die Offenheit seiner Gedanken immer wieder neue Anregungen gegeben, speziell auch mir. Er hat stets auf die Wichtigkeit von Einzelbefunden verwiesen, die er selbst dann weitergibt, wenn sie bei Fachkollegen Skepsis erwecken könnten. So beschreibt er hier die aktive Verhinderung eines Steinschlages durch ein Pavianmännchen. Andere hätten sich nicht getraut, über eine solche Beobachtung zu berichten, die nach herkömmlichen wissenschaftlichen Kriterien nicht gesichert ist und kaum jemals zu sichern ist. Durch die Gesamtschau kann der Leser vieles lernen.

Nur an wenigen Stellen kann ich dem Autor nicht zustimmen. Er beschreibt das aufwendige Liebeswerben seiner Mantelpaviane und fährt fort: "Das Liebeswerben höherer Primaten ist allgemein eine eher ärmliche Angelegenheit" (Seite 274). Hätte er eine andere Art so intensiv beobachtet wie Paviane, hätte er bei vielen anderen Vergleichbares gefunden. Auch gegen die Aussage "Den meisten Primaten fehlt ein genetisches Programm für das Geben" (Seite 316) sprechen zumindest anekdotenhafte Berichte; Beobachtungen in unserer Kolonie deuten darauf hin, daß jedenfalls südamerikanische Primaten aktiv geben. Ein Brüll- und ein Kapuzineraffe haben sogar mehrfach versucht, uns Menschen zu füttern.

Dieses Buch, das an dem sympathischen Lebensweg dieses Pioniers der Verhaltensforschung an Primaten teilnehmen läßt, setzt kein besonderes Fachwissen voraus; es vermittelt aber, wie Fachwissen entsteht, wie durch gut überlegte, klare Fragestellungen und sorgfältig geplante Experimente Mosaikstein für Mosaikstein zusammengetragen wird, bis sich schließlich ein komplettes Bild rundet. Die Chance, an der Freude des erfolgreichen Forschers teilzuhaben, fragen zu lernen und Antworten zu bekommen, die zum Weiterfragen veranlassen, sollte man sich nicht entgehen lassen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 123
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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