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Interview : Wie die Zeit vergeht

Neben seiner Tätigkeit als Koordinator am Exzellenzcluster Universe forscht Andreas Müller weiterhin auf dem Gebiet der Schwarzen Löcher. Besonders interessiert ihn der Zusammenhang zwischen Raum und Zeit. Dazu hat er kürzlich ein Buch geschrieben.

Sterne und Weltraum: Herr Müller, vielen Dank, dass Sie etwas Zeit für dieses Gespräch mitgebracht haben.

Andreas Müller: Gerne.

Womit wir auch schon bei einem interessanten Thema wären: Sie haben gerade ein Buch geschrieben mit dem Titel »Raum und Zeit«. Würden Sie uns in ein paar Worten erläutern, in welcher Form Sie darin den Zeitbegriff thematisieren?

In dem Buch geht es darum, dass wir Zeit als unbeeinflussbar erleben, und es fasst das aktuelle Weltbild zusammen. Auch spannt es den Bogen zur Geschichte der Zeitrechnung, wie sie aus der Astronomie entstanden ist – da gibt es die kosmischen Zyklen und Perioden, die wir ablesen können: Tage, Monate, Jahre ... das ist der Ausgangspunkt, und es leitet dann über zu dem modernen Weltbild von Raum und Zeit. Dabei geht es um Albert Einsteins Relativitätstheorie, mit der man momentan Raum und Zeit recht gut beschreiben kann. Aber ich versuche auch, darüber hinauszugehen und die ganz modernen Entwicklungen aufzugreifen und ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass es vielleicht mehr als nur die drei Raumdimensionen gibt.

Welche Fragen treten dabei heutzutage auf?

Zum einen wie gesagt, ob es Extradimensionen gibt. Dies kann man in diversen Experimenten messen. Etwa wenn es Abweichungen zum bekannten Gravitationsgesetz gibt, in das das Quadrat des Abstandes eingeht. Bei mehr als drei Dimensionen würde der Abstand in einer höheren Potenz in dem Gesetz vorkommen. Das andere ist die Frage, ob die Zeit auch quantisiert sein kann. Da gibt es moderne Theorien wie die so genannte Loop- oder Schleifenquantengravitation und die Stringtheorie, die sich aber noch nicht experimentell bewährt haben. Sie werden in dem Buch kurz skizziert, und deren Vorhersagen und wie man diese messen könnte, beschrieben.

Könnten Sie eine kurze Definition für Zeit im klassischen physikalischen Sinn geben?

In der klassischen Mechanik tritt Zeit als Parameter in den Bewegungsgleichungen auf. Dann gilt es herauszufinden, warum Zeit überhaupt eine Richtung hat. Da spielt die Wärmelehre eine Rolle, es geht also auch um Zeitpfeile. Im Gegensatz zu den Raumdimensionen hat man bei der Zeit das Problem, dass man nicht einfach zurückgehen kann. Wir müssen akzeptieren, dass die Zeit voranschreitet. Analysiert man das genauer, kommt man darauf, dass das mit der Entropie zusammenhängt. Diese thermodynamische Größe gibt der Zeit eine Richtung. Auch in der Kosmologie gibt es einen Entwicklungsparameter, der eng mit der Entropie zusammenhängt.

Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Dieses Thema hat mich schon seit einigen Jahren sehr interessiert und nie ganz losgelassen. Ich hatte auch schon einen Essay verfasst mit dem Titel »Was ist Zeit?« und Vorträge darüber gehalten. Irgendwann dachte ich dann, es wäre schön, darüber auch ein Buch zu schreiben. Durch den guten Kontakt zum Verlag und der dortigen Reihe »Astrophysik aktuell« hat es sich dann ergeben, das Thema aufzugreifen.

Zeit hat aber doch auch eine sehr subjektive Komponente: Haben Sie selbst eine ganz persönliche Definition von Zeit?

Es gibt diese psychologische Zeitwahrnehmung, die auch im Buch angerissen ist. Dazu sagt Einstein recht schön, dass einem die Zeit ziemlich lang vorkommen kann, wenn man auf einem zu heißen Ofen sitzt, aber wenn man mit einer netten Dame auf einer Bank sitzt und sich gut unterhält, dann verfliegt die Zeit nur so. Das ist das persönliche Erleben von Zeit.

Wenn man sich so intensiv mit dem Thema Zeit auseinandersetzt, gibt es einem dann nicht umso mehr zu denken, dass die Welt um uns herum immer schnelllebiger wird?

Auf jeden Fall. Die Vergänglichkeit ist natürlich ein Aspekt. Was ich dabei aber beruhigend finde: Wenn man sich naturwissenschaftlich mit der Zeit befasst, stellt man fest, dass alles auf irgendwelchen Zeitskalen existiert. Wir als Menschen sind natürlich vergänglich und werden vielleicht 100 Jahre alt. Aber das beruhigende ist, dass es im Universum einem Stern nicht besser geht. Das sind andere Zeitskalen, aber der Grundgedanke ist, dass auch der Stern irgendwann verschwindet. Die Sonne wird irgendwann zu einem Roten Riesen werden und später zu einem Weißen Zwerg in sich zusammenstürzen. Dann wird sie völlig anders sein als heute. Und das Universum selbst offenbar auch. Es gab einen Anfang vor ungefähr 14 Milliarden Jahren, und wie es aussieht, wird das ganze Universum einmal einem Kältetod zustreben. Das ist zunächst keine schöne Aussicht, aber es zeigt, dass es nicht nur dem Menschen so geht, sondern dass alle Dinge in der Welt vergänglich sind – sogar der Kosmos.

Worüber haben Sie selbst geforscht, bevor Sie die Stelle als wissenschaftlicher Koordinator angenommen haben?

Ich habe auf dem Gebiet Schwarzer Löcher geforscht, und ich mache das auch immer noch, sofern mir die Zeit bleibt. In meiner Diplomarbeit war die Fragestellung, wie sich Strahlung am Rande eines Schwarzen Lochs ausbreitet. Das habe ich in der Theorie analysiert und mir überlegt, mit welchen Beobachtungen man das überprüfen könnte. Als Postdoc in der Röntgengruppe von Günther Hasinger in München habe ich angefangen, diese Theorien auf Beobachtungsobjekte zu übertragen.

Sie betreiben im Moment noch aktive Forschung?

Ja, ich versuche schon, den Kontakt zu den Kollegen zu halten. Wir haben erst kürzlich ein Papier veröffentlicht, in dem es darum geht, die Alternativen von Schwarzen Löchern zu testen.

Können Sie einen Ausblick auf diese Alternativen geben?

In der Schleifenquantengravitation zum Beispiel ist es so, dass die Raumzeit quantisiert ist. Es gibt keine Extradimension, aber es gibt Raum- und Zeitatome. Diese kleinsten Entitäten von Raum und Zeit verändern die Eigenschaften der Raumzeit, wenn man sie komprimiert. Bei einem Sternkollaps etwa würden dann neue Druckkräfte auftreten, die sich dagegen wehren, dass diese Raumzeit weiter zusammengedrückt wird. Das ist etwas komplett Neues. Das Modell steckt noch in den Kinderschuhen, doch es macht ganz interessante Vorhersagen, nämlich, dass der Kollaps von einem massereichen Stern zu einem Schwarzen Loch angehalten werden könnte!

Was hat Sie dazu bewogen, hauptberuflich aus der aktiven Forschung herauszugehen und als wissenschaftlicher Koordinator am Exzellenzcluster Universe tätig zu werden?

Letztlich mein Profil in der Arbeit: Es macht mir Spaß, Wissenschaft zu kommunizieren, aber auch zu koordinieren und neue Projekte anzustoßen, Brücken zu bauen. Auch interessieren mich sehr viele Dinge, nicht nur die reine Astronomie.

Welche Themenbereiche deckt der Exzellenzcluster ab?

Jene Gebiete, die das Universum als Ganzes betreffen. Es gilt also, den Mikrokosmos mit dem Makrokosmos zu verbinden. Es gibt einerseits die Kern- und Teilchenphysik, die das frühe Universum oder auch kompakte Objekte im Inneren sehr gut beschreiben. Die Frage ist, woher die Teilchen, woher die vier fundamentalen Kräfte kommen? Wie bildeten sich Atome und letztendlich auch die Hintergrundstrahlung? Was ist überhaupt Strahlung? Bereits drei Minuten nach dem Urknall gab es die leichten chemischen Elemente Wasserstoff und Helium – und Dunkle Materie. Das war die Startbedingung für den Makrokosmos, die Astronomie. So konnten sich Sterne und Galaxien bilden, ein Vorgang, bei dem offenbar die Dunkle Materie eine wichtige Rolle spielte. Auf all diesen Gebieten forschen die Wissenschaftler hier.

Außerdem liegt es Ihnen auch sehr am Herzen, die aktuelle Forschung an die Öffentlichkeit weiterzugeben ...

Das ist der andere Aspekt, der mich ziemlich reizt. Dabei ist mir eigentlich jedes Mittel recht, sei es ein Buch oder ein Schülervortrag oder auch eine Lehrerfortbildung. Letzteres hat zudem einen multiplikativen Effekt: Man kann viele Lehrer für das Thema begeistern, die das wiederum an die Schüler weitertragen.

Sie haben auch ein Webportal »Astrowissen« aufgebaut. Was beinhaltet dieses Projekt?

Zum einen gibt es darin ein Lexikon, das etwa 550 Begriffe aus der Astrophysik, der Kosmologie aber auch der Teilchenphysik erläutert. Daneben enthält es Essays zu Themen, die mich abseits der Naturwissenschaften interessiert haben, aber auch zur Grundlagenforschung im Allgemeinen.

Stößt man beim Thema Grundlagenforschung, gerade wenn es sehr theoretisch wird, in der Öffentlichkeit nicht rasch auf Kritik?

In der Tat war es mir da ein Anliegen, als Gegenposition von der Seele runterzuschreiben, was mir in der Argumentation der Kritik nicht so gefällt. Bei dem Large Hadron Collider etwa werden kritische Stimmen laut, weil das Projekt einige Milliarden Euro verschlingt. Aber man muss sehen, dass es in vielerlei Hinsicht – und bei der Astronomie ist es genau so – etwas bringt: Das ist Grundlagenforschung par excellence, man hat zunächst einmal keine Anwendung, aber man hat natürlich eine Erkenntnis. Das ist ein ideeller Zugewinn an Wissen, wir lernen die Natur ein bisschen mehr kennen. Und vielleicht springt dabei doch irgendwann einmal etwas in der Anwendung heraus. Man muss nur in der Wissenschaftsgeschichte 100 Jahre zurückgehen, als das Prinzip des Lasers entdeckt wurde. Damals wusste auch niemand, was man damit machen sollte, und heutzutage ist er in aller Hände: Jeder hat einen Laserpointer, einen CD-Brenner. Auch die industrielle Materialbearbeitung wird mit Lasern gemacht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Ausbildung: Wir bekommen bei diesen Projekten technologisch hoch spezialisiertes Personal. Diese Leute können dann andere spannende Tätigkeiten übernehmen, und wir werden sie brauchen, um drängende Probleme im Bereich Klima und Energie anzugehen – sei es als Wissenschaftler oder als Bundeskanzlerin.

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