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Astronomie: Wohlgenährte Sterne auch bei schwerer Kost

Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte widerlegen bisherige Theorien, wonach extrem massereiche Sterne nur in Regionen entstehen können, die arm an schweren Elementen sind.


Sterne mit hundert und mehr Sonnenmassen spielen eine besondere Rolle in der Entwicklung der Galaxien. Beim Urknall sind nur leichte Elemente wie Wasserstoff, Helium und Lithium-7 entstanden. Erst massereiche Sterne erzeugen durch Kernfusionsprozesse während ihres Lebens und durch die unausweichliche Supernova-Explosion bei ihrem fulminanten Ende auch die schwereren Elemente. Außerdem beeinflussen sie mit ihrer enormen Gravitationskraft die Materieverteilung in Galaxien. Und schließlich wirbeln sie durch ihre intensive Strahlung, ihren starken Sternenwind und ihre gewaltige finale Explosion die Molekül-, Gas- und Staubwolken in ihrer Umgebung heftig durcheinander.

Nach bisherigen Theorien können solche Sternriesen jedoch nicht in Regionen des Weltalls entstehen, in denen als Erbe früherer Sterngenerationen bereits größere Mengen schwerer Elemente vorkommen – Astronomen sprechen von »Metallen«. Die Begründung dafür klingt durchaus plausibel. Während Sterne aus einer Gas- und Staubwolke kondensieren, strahlen sie stark. Schwere Elemente absorbieren diese Strahlung besonders gut. Dadurch erhalten sie jedoch einen Impuls, der sie von dem jungen Stern wegtreibt. Die schweren Elemente werden also gleichsam davongeblasen. Dabei reißen sie in gewissem Ausmaß auch die leichteren Atome in der Gaswolke mit sich fort. Auf diese Weise schneiden sich die frisch gebackenen Sterne selbst von der Zufuhr an Materie ab, die sie bräuchten, um zu echten Schwergewichten mit mehr als 20 Sonnenmassen heranzuwachsen – so jedenfalls die Theorie.

Die Praxis sieht aber offenbar anders aus. Ein internationales Astronomenteam um Daniel Schaerer aus Toulouse hat jetzt erstmals auch in metallreichen Regionen, deren Gehalt an schweren Elementen ebenso hoch ist wie im Sonnensystem oder sogar noch höher, Sterne mit mindestens 60 bis 90 Sonnenmassen gefunden. Damit sind die bisherigen Vorstellungen nicht länger haltbar. Wo der Fehler steckt, ließ sich vorerst allerdings nicht klären.

Eigentlich wollten die Forscher nur einen Blick in die Sternen-Kinderstube von fünf Galaxien des etwa 50 Millionen Lichtjahre entfernten Virgo-Clusters werfen. Dazu untersuchten sie so genannte H-II-Regionen: Gaswolken, die sich durch hohe Konzentrationen an Wasserstoff auszeichnen, der durch die Strahlung junger Sterne ionisiert wurde. Sie sind extrem leuchtschwach und deshalb äußerst schwer zu beobachten. Dennoch gelang es mit dem 8,2-Meter-Teleskop Antu der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile und einem hochemfindlichen Spektrometer, optische Spektren davon aufzuzeichnen.

In nur einer Nacht konnten die Wissenschaftler auf diese Weise 85 metallreiche H-II-Regionen untersuchen. Zu ihrem eigenen Erstaunen entdeckten sie bei 27 davon den klaren spektralen Fingerabdruck so genannter Wolf-Rayet(WR)-Sterne und bei weiteren 15 zumindest Hinweise da­rauf. Aus unserer Milchstraße sind diese Objekte, die nach den französischen Astronome Charles Wolf und Georges Rayet benannt wurden, bestens bekannt als späte Entwicklungsstadien besonders massereicher Sterne. Ihre Vorläufer haben durch noch nicht ganz geklärte Prozesse ihre wasserstoffreiche Hülle verloren und zeigen nun quasi ihren nackten Kern, an dessen Oberfläche die Produkte des Wasserstoff- oder Heliumbrennens zu sehen sind.

WR-Sterne verhalten sich geradezu selbstmörderisch: Sie senden heiße, dichte Sternwinde aus, die Endgeschwindigkeiten bis zu 3000 Kilometer pro Sekunde erreichen, und verlieren so pro Jahr ein Zehntausendstel einer Sonnen- oder das 33fache der Erdmasse. In ihrem Spektrum dominieren bis zu zehn Nanometer breite, sehr starke Emissionslinien. Sie überlagern ein blaues, zu kurzen Wellenlängen ansteigendes Kontinuum, das extrem hohen Temperaturen bis zu 90000 Grad Celsius entspricht. Dadurch heben sich WR-Sterne deutlich von anderen Sternarten ab.

Man unterscheidet drei Subtypen. Je nachdem ob sie die Emissionslinie von Stickstoff (N), Kohlenstoff (C) oder Sauerstoff (O) zeigen, spricht man von WN-, WC- oder WO-Sternen. Meist treten mehrere Ionisationsstufen gleichzeitig auf, beispielsweise in WC-Sternen die Linie für zweifach ionisierten Kohlenstoff (C III) bei 569,8 und für die dreifach ionisierte Form (C IV) bei 580,8 Nanometern.

In unserer Galaxis haben WC-Sterne bisher etwa zehn Millionen Sonnenmassen an Kohlenstoff geliefert. Diese machen, durch die Sternwinde in den interstellaren Raum geweht, fast den gesamten Kohlenstoffgehalt der Milchstraße aus. Daraus wird die überragende Bedeutung von Wolf-Rayet-Sternen bei der Elemententstehung und der chemischen Entwicklung von Galaxien ersichtlich. Wenn sie auch in metallreichen Regionen entstehen können, hat das also gravierende Auswirkungen.

In den nun erstmals untersuchten H-II-Regionen des Virgo-Clusters zeigen 14 der 27 Gebiete mit Wolf-Rayet-Signatur die für WC-Sterne charakteristische C-IV-Emission. Auch hier sind demnach verschwenderische Kohlenstoff-Schleudern in Aktion. Sollte also jemals Erdöl auf einem extrasolaren Planeten in einer der Virgo-Galaxien gefunden werden, ist das nicht zuletzt den WC-Sternen zu verdanken.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2003, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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