Direkt zum Inhalt

Xenotransplantation

Die erste endlich wirklich erfolgreiche Verpflanzung einer Niere geschah 1954. Inzwischen sind zigtausendfach menschliche Zellen, Gewebe und Organe übertragen worden. Doch mit den Erfolgen der Transplantationsmedizin wuchs der Bedarf noch schneller. Abhilfe würden tierische Ersatzteile schaffen; an der Überwindung der Art-Barriere wird intensiv gearbeitet.

Blut und Blutgefäße, Knochen und Knochenmark, Haut, Nervenfa- sern und Faszien, Gehörknöchelchen und Augenhornhaut sowie eine Vielzahl innerer Organe – all dies lebenden oder toten Menschen zu entnehmen und Kranken einzusetzen oder zu übertragen ist zumindest technisch schon fast Routine. Die Verträglichkeit zwischen fremdem Gewebe und Empfängerorganismus läßt sich immer genauer erkennen, eine Abstoßung immer besser beherrschen; die Operationsverfahren werden verfeinert, die Indikationen erweitert, die Komplikationen mehr und mehr beherrscht. Das ganze Transplantationswesen ist nationenübergreifend organisiert, und die rechtlichen Probleme sind einigermaßen geregelt.

Eben darum wird das Mißverhältnis von medizinisch Möglichem und den Hoffnungen auf Rettung vor chronischem Leiden, Siechtum oder alsbaldigem Tod nur um so krasser. Der Mangel an Spendermaterial ist gravierend – dermaßen, daß sich immer wieder graue kommerzielle Kanäle auftun und Menschen in armen Ländern verlockt werden, sich für etwas Geld eine Niere entfernen zu lassen.

Noch ist dies Utopie: Tag um Tag entnimmt ein Chirurgenteam speziell gezüchteten oder gar gentechnisch veränderten Schweinen Herz, Lungen, Leber, Nieren und Bauchspeicheldrüse. Die Organe werden sofort auf ihre Eignung geprüft, mit einem Konservierungsmittel durchspült, samt solcher Lösung in sterile Plastikbeutel gepackt, gekühlt und in Isolierboxen eiligst zu den Kliniken des Versorgungsgebietes geschafft. Die Ärzte dort stehen bereit, unheilbar geschädigte menschliche Organe, die vollends zu versagen drohen, gegen die gesunden tierischen auszutauschen.

Die Wissenschaft ist auf dem Wege, dies zu verwirklichen. Schon ist sie zum Beispiel mit Herzklappen von Schweinen und Rindern, die immunologisch keine sonderlichen Schwierigkeiten machen, über das Experimentierstadium hinaus. Die systematische Nutzung von Tieren als lebenden Organbanken mag manchem als Hybris erscheinen; indes ist es auch ein ethisches Problem, daß Tausende von Sterbenskranken vergeblich darauf warten, daß ein anderer gesunder Mensch mit hinreichender Gewebeverträglichkeit zu Tode kommt, der einen Spenderausweis bei sich trägt oder dessen Angehörige einer Organentnahme zustimmen. Aber Xenotransplantationen (nach griechisch xenos, fremd, in diesem Zusammenhang artfremd) dürften außer dem Austausch von Organen auch die Therapie mangelhafter Körperfunktionen mit bestimmten Geweben oder Zellen erleichtern; dies beträfe etwa Bluter, bei denen die Gerinnung gestört ist, oder Diabetiker, deren insulinbildende Langerhans-Inseln in der Bauchspeicheldrüse versagen, vielleicht sogar Parkinson- und Alzheimer-Kranke, deren Gehirnfunktionen zunehmend ausfallen.


Schritte über die Artgrenze

Die Vorstellung, daß die Trennung zwischen den Spezies aufgehoben werden könne, ist in der Menschheit seit alters her durchaus weit verbreitet. In fast allen Mythen kommen Mischwesen vor – in der ägyptischen Antike verherrlichten Sphingen aus Löwenkörper und Frauenkopf den Pharao und symbolisierten dann sogar den Sonnengott, und die Griechen schrieben den Kentauren aus Pferdeleib und menschlichem Oberkörper nicht nur animalische Wildheit, sondern auch Bildung und freundliches Wesen zu.

Ärzte haben sich offenbar bereits vor Jahrhunderten an Xenotransplantationen gewagt. So sollen 1682 einem russischen Adligen nach einer Schädelverletzung Knochenstücke eines Hundes eingesetzt worden sein – angeblich mit Erfolg. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts allerdings mehrten sich solche Eingriffe. Beispielsweise übertrug 1905 ein französischer Chirurg einem schwer nierenkranken Kind Stücke von Kaninchennieren mit "anfangs hervorragendem Ergebnis," wie er selber schrieb; doch das Kind starb nach zwei Wochen.

Andere unternahmen, ebenfalls vergeblich, Therapieversuche mit Organen von Schweinen, Ziegen, Schafen und Affen. Warum diese Experimente scheitern mußten, begann man erst besser zu verstehen, nachdem der britische Zoologe Peter B. Medawar (1915 bis 1987) in den vierziger Jahren Gesetzmäßigkeiten der Immunabwehr bei körperfremdem Gewebe aufgedeckt hatte; er erhielt 1960 den Nobelpreis für seine Forschungen zur erworbenen Immunität, die er mittels Transplantationsversuchen an Mäuseembryonen entdeckte.

Wegen der regelmäßigen Mißerfolge hatten viele Mediziner aber das Interesse an Transplantationen verloren – auch an solchen von Mensch zu Mensch, die anfangs (mit Ausnahme der Bluttransfusionen nach Entdeckung der Blutgruppen 1901 und der Einführung der serologischen Prüfung) nicht minder problematisch schienen. Nur wenige Forscher gaben die Versuche nicht auf, und 1954 glückte Joseph E. Murray am Peter Bent Brigham Hospital in Boston (Massachusetts) die erste wirklich erfolgreiche Nierentransplantation: Er hatte die Abstoßungsreaktion vermieden, indem er dem Kranken das Organ seines genetisch – mithin auch in den immunologischen Merkmalen – identischen Zwillingsbruders übertrug; der Empfänger lebte damit noch 24 Jahre. Bald lernte man auch, die Abwehrkräfte bei Transplantationen zwischen Geschwistern zu beherrschen, deren Gewebemerkmale sich teilweise unterscheiden. Und allmählich fand man sogar Mittel, die Immunreaktionen derart zu unterdrücken, daß Organe oder Zellen nichtverwandter menschlicher Spender verwendet werden konnten. (Murray erhielt für seine Beiträge dazu 1990 den Nobelpreis; Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1990, Seite 23.)

Weltweit waren schon bis 1990 rund 130000 Nieren, 12600 Herzen, 3000 Lebern und mehr als 2000 Bauchspeicheldrüsen verpflanzt worden, zum Teil auch Herz und Lungen in Kombination. Neun von zehn Herzempfängern und drei von vier Leberempfängern überlebten den Eingriff länger als ein Jahr.

Doch rascher noch als die Zahl erfolgreich behandelter Fälle wächst die der Kandidaten. Deswegen fehlt es zunehmend an Spenderorganen. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel hat nicht einmal jeder zweite unter den jährlich Zehntausenden, denen ein Transplantat am ehesten helfen würde, Aussicht darauf. In Deutschland warteten nach Erhebungen für 1996 rund 15000 Patienten auf einen Organaustausch, aber nur etwa 3500 konnten operiert werden. Im internationalen Durchschnitt starb um 1990 jeder vierte Anwärter auf eine Lungentransplantation wegen der langen Fristen. Dieser Notstand dürfte noch wesentlich schlimmer werden, wenn man erst Diabetiker im Kindes- und Jugendalter routinemäßig mit Spender-Inselzellen zu kurieren vermag, was einfacher ist als die Transplantation der gesamten Bauchspeicheldrüse (Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 72); doch benötigte man wohl für jeden Patienten mehrere Spender.


Der prompte erste Abwehrschub

Die Beherrschung der Unverträglichkeit tierischer Gewebe erwies sich als so schwierig, daß Therapieversuche mit ihnen eine Zeitlang in den Hintergrund traten, besonders als Überpflanzungen von Mensch zu Mensch (fachlich allogene oder homologe Transplantationen genannt) immer besser gelangen. Doch die Wissenschaft hat die Xenotransplanta-tion nie völlig aufgegeben.

Generell wird Gewebe einer entfernten Art vehement abgewehrt, oft schon binnen Minuten oder spätestens Stunden. In den sechziger Jahren erkannte man eine der hauptsächlichen Ursachen dafür: Im Blut zirkulieren Antikörper, die sich gewöhnlich gegen infektiöse Mikroorganismen richten, sich nun aber sogleich an die fremden Zellen heften; dadurch aktivieren sie Komplementproteine der Immunabwehr, woraufhin das Transplantat angegriffen wird. Im Falle eines Organs werden als erstes dessen Blutgefäße zerstört, so daß es rasch an Blutungen, Gerinnseln und Ödemen zugrunde geht.

Diese hyperakute Abstoßung medikamentös zu unterdrücken erweist sich als sehr schwierig. In den letzten Jahren eröffnen sich aber dank der Gentechnik Alternativen, insbesondere der Zucht – vor allem des Klonens – von Tieren mit menschlichen Genen.

David J. G. White und seinen Kollegen von der Universität Cambridge (England) beispielsweise gelang es 1992, Schweine-Embryonen mit einem Gen zu versehen, das in den Wandungen der Blutgefäße für die Bildung eines Hemmproteins gegen menschliches Komplement sorgt. Noch weiß man nicht, ob im menschlichen Organismus die Komplementreaktion gegen Gewebe von solchen Schweinen unterbleiben würde. In Affen blieben deren Organe immerhin bis zu zwei Monate lang funktionstüchtig. Zumindest vor der allerersten Angriffsphalanx des Primaten-Immunsystems waren sie offenbar gefeit.

Die hyperakute Attacke ließe sich wohl noch auf andere Weise unterdrücken. Einer von uns (Cooper) hat 1991 zusammen mit Kollegen die speziellen Antigene von Schweinegewebe identifiziert, gegen die sich die menschlichen Antikörper richten: Es handelt sich um eine bestimmte Zuckergruppe auf den Zellen, welche die Blutgefäße auskleiden (Bild 1 links).

Man müßte demgemäß Schweine gentechnisch so manipulieren, daß ihnen diese spezifischen Molekülkomponenten fehlen. Zum Beispiel könnte man es dabei auf das Enzym absehen, das den Zucker den Zellmembranen anheftet. Alternativ würde das Gen für ein Enzym nützen, das den Zucker durch ein nur ähnlich gebautes Molekül ersetzt, das die Antikörper aber nicht erkennen. Dazu würde sich etwa das menschliche Blutgruppenantigen Typ 0 eignen (Bild 1 rechts). Im Prinzip könnte man es auch mit dem Gen für ein Enzym versuchen, das den Zucker einfach abbaut.

Eine völlig andere Strategie wäre, das Immunsystem des Empfängers sozusagen an das fremde Gewebe zu gewöhnen. Auch dafür sind wiederum verschiedene Verfahren denkbar. Zum Beispiel ließen sich zunächst aus seinem Blut mit Standardmethoden sämtliche gegen das Schweine-Antigen gerichteten Antikörper entfernen. Oder man eliminiert zeitweilig die Komplementproteine beziehungsweise unterbindet ihre Aktivierung. In Tierexperimenten hat sich erstaunlicherweise ergeben, daß dann manchmal eine gewisse Duldung des fremden Organs bestehenbleiben kann: Es arbeitet weiter, auch wenn Antikörper und Komplementproteine wieder normale Mengen erreicht haben. Wie das geschieht, ist noch nicht erklärlich, zumal von einer Toleranz des Immunsystems im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein kann.

Bislang läßt sich eine solche Anpassung (Akkomodation) nicht einmal bei Tieren verläßlich induzieren. Zuversichtlich stimmt aber, daß Guy Alexander und seine Mitarbeiter von der Universität Löwen (Belgien) mit dieser Methode bei einigen Patienten Erfolg hatten, die Organe von menschlichen Spendern mit einer inkompatiblen Blutgruppe erhielten; ähnlich wie bei einer Xenotransplanta-tion tritt nämlich auch dabei gewöhnlich eine hyperakute Abstoßung auf. Die Experten setzen darauf, daß sich die Gefahr unmittelbar nach dem Eingriff mit einer Kombination der genannten Verfahren kontrollieren lassen wird.


Die späteren Immunattacken

Gleichermaßen muß man sich allerdings mit verzögerter auftretenden Attacken des Immunsystems befassen, die nicht weniger fatale Folgen haben können. Oft erst nach Tagen oder Wochen bauen sich die Abwehrkräfte auf, die auch bei einer Allotransplantation in der Regel lebenslange Medikation erfordern. Insbesondere die zelluläre Immunantwort unter Beteiligung weißer Blutkörperchen dürfte von tierischem Gewebe mindestens so heftig stimuliert werden wie oft von einem Humantransplantat. Unter Umständen müßte der Empfänger eines Tierorgans auf unabsehbare Zeit hohe Dosen immunsuppressiver Mittel bekommen – und alle Folge- und Nebenwirkungen in Kauf nehmen, etwa Vergiftungserscheinungen, starke Infektanfälligkeit und erhöhtes Krebsrisiko.

Neue Wirkstoffe werden wohl diese Risiken mindern; aber wiederum sollte es lohnen, nach Alternativen zu suchen. Vereinzelt haben Empfänger menschlicher Transplantate spontan eine Toleranz entwickelt, so daß die Immunsuppression allmählich reduziert und schließlich sogar abgesetzt werden konnte. Auf diesem Feld wird intensiv geforscht. Paradoxerweise mag die Handhabe bei Xenotransplantationen sogar leichter gelingen, weil man dann nicht auf Notsituationen reagieren müßte, sondern Zeit hätte, das Immunsystem des Patienten spezifisch umzuprogrammieren.

Eine solche immunologische Toleranz wäre etwa gezielt zu erzeugen, indem man vorab Knochenmark des Spendertiers überträgt. Knochenmark enthält die Stammzellen für sämtliche Blutzellen – auch der vielfältigen weißen Blutkörperchen, darunter jener, die Antikörper produzieren. Wenn die fremden Stammzellen sich im menschlichen Körper einnisten und zu den verschiedenen Typen heranreifen, entsteht ein chimärenhaftes Immunsystem, eines mit Merkmalen von Empfänger und Spender. Die Kunst bestünde darin, das Abwehrsystem des Patienten zu überlisten, so daß es die tierischen Zellen nicht als etwas Fremdes erkennt – und mithin später auch nicht das eigentlich benötigte Transplantat vom selben Tier.

Diese Strategie erprobten David H. Sachs und seine Kollegen vom Massachusetts General Hospital in Boston an Pavianen, denen sie Knochenmark von Schweinen injizierten (Bild 2). Die Affen hatten sie zuvor bestrahlt, um die Immunabwehr zeitweilig zu unterdrücken, und aus ihrem Blut die gegen Schweinegewebe gerichteten Antikörper entfernt; zudem erhielten die Paviane für kurze Zeit Immunsuppressiva. Zugleich mit dem Transplantat wurden Substanzen verabreicht, die Wachstum und Teilung von Knochenmarkszellen anregen. Zwar starben die meisten der übertragenen Zellen schließlich doch aufgrund von Immunattacken ab, doch in einem der Tiere hielten sich welche immerhin fast ein Jahr. Bemerkenswert war dabei, daß die aggressiven T-Killerzellen des Pavians die Schweinezellen nicht mehr als fremd behandelten.


Verstecken des Transplantats

Auch wenn solche Forschungen Fortschritte erwarten lassen, dürfte die Entwicklung anwendbarer Methoden noch Jahre dauern. Hingegen wird die Immunisolierung bereits klinisch erprobt. Dazu schirmt man das fremde Gewebe durch eine Membran ab, die große Moleküle wie Antikörper nicht passieren können, erst recht nicht Zellen wie weiße Blutkörperchen; sie ist aber durchlässig für Nährstoffe, Sauerstoff und bestimmte Medikamente.

Die Methode eignet sich allerdings nur für Zellaufschlüsse oder kleinere Gewebestücke, nicht für ganze Organe. Ein Vorteil ist, daß man solche Präparate längere Zeit außerhalb des Körpers funktionsfähig halten und somit leichter handhaben und manipulieren kann. Krankheiten, die mit immunisolierten Transplantaten zu kurieren wären, gibt es genug.

So sind in letzter Zeit klinische Tests vielversprechend verlaufen, bei denen verkapselte Tierzellen gegen Leberversagen, chronische Schmerzen und amyotrophische Lateralsklerose (eine zunehmende Lähmung infolge Schädigung der zentralen Willkürmotorik) eingesetzt wurden. Zudem wird man möglicherweise schon bald mit Versuchen beginnen können, im Organismus von Blutern den fehlenden Gerinnungsfaktor von abgeschirmten Tierzellen bilden zu lassen. Auf gleiche Weise hofft man, die Produktion von Nervenwachstumsfaktoren bei gewissen neurodegenerativen Störungen in Gang zu bringen.

Einige Experten arbeiten intensiv darauf hin, demnächst Diabetes mit abgeschirmten Inselzellen von Schweinen behandeln zu können (Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 72). Einer von uns (Chick) hat als erster mit flachen membranumhüllten Implantaten experimentiert, die an ein Blutgefäß angeschlossen wurden. Doch davon ist man wieder abgekommen, weil Patienten durch eine größere Operation belastet würden und Blutgerinnsel das Präparat leicht verstopfen. Als Alternativen wurden feinste zellgefüllte Schläuche oder Kügelchen vorgeschlagen, die – ohne Verbindung zu einem Blutgefäß – einfach unter die Haut implantiert werden sollten. Das wäre für Diabetiker zwar zunächst weniger belastend. Nur müßte man den Eingriff sicherlich des öfteren wiederholen, sobald die fremden Inselzellen nicht mehr arbeiten; und außerdem ist unsicher, ob die Patienten den Kunststoff auf Dauer vertragen.

Deswegen haben wir (Lanza und Chick) zusammen mit Kollegen von der Firma BioHybrid Technologies als Behältnisse kleine, biologisch abbaubare Kapseln entwickelt, die sich unter die Haut oder in die Bauchhöhle applizieren lassen. Weniger als ein Gramm Zellen von Schweinen, eine immer noch riesige Menge, sollte zur Versorgung mit normalen Konzentrationen des fehlenden Hormons ausreichen. Ein solches Implantat ist mitsamt Membranhülle nur wenige Dutzend Kubikzentimeter groß (Bild 3).

In Hunden haben derart verkapselte Inselzellen von Rindern kürzlich sechs Wochen lang überlebt (bis der Versuch abgebrochen wurde). Dies sowie Tests mit Ratten, Mäusen und Kaninchen lassen annehmen, daß immunisolierte Inselzellen vom Schwein im menschlichen Körper jeweils zumindest mehrere Monate, wenn nicht ein Jahr oder länger, Insulin abgeben. Schließlich würde die Hülle aufgelöst; man brauchte keinerlei Rückstände zu entfernen, sobald der Patient eine neue Kapsel benötigt. Mit der klinischen Erprobung der Methode möchten wir in etwa einem Jahr beginnen.


Optimaler Spender: das Schwein

Da die Xenotransplantation nun machbar scheint, kommen auch Bedenken auf. Besonders ernst zu nehmen ist die Gefahr, daß Spendertiere unerkannte potentielle Erreger beherbergen, die beim Menschen Krankheiten verursachen und sich vielleicht sogar, nachdem ein Organempfänger damit infiziert ist, in der Gesellschaft ausbreiten. Schwer beherrschbare Situationen wie jüngst mit dem Ebola-Virus oder dem Erreger des Rinderwahnsinns BSE sind unbedingt zu vermeiden. Höchstwahrscheinlich stammt auch das AIDS verursachende HI-Virus von Affen; offenbar hat es irgendwann – auf nicht erklärte Weise – die Artgrenze zum Menschen überwunden. Nach unserer Einschätzung dürften die Risiken der Übertragung etwa von Viren, die erst bei Tranplantationspatienten pathogen werden, gerade im Falle des Schweines eher geringer sein als bei uns stammesgeschichtlich näherstehenden Spendertieren. Der Mensch lebt schließlich seit vielen tausend Jahren in engem Kontakt mit diesem Haustier, ist aber dennoch – außer vielleicht mit einigen Grippestämmen – offenbar kaum mit Erregern in Kontakt gekommen, die bei ihm neuartige ernste Erkrankungen auslösen.

Schweine wären aus verschiedenen Gründen als Transplantatspender besonders geeignet. Zum einen lassen sie sich leicht halten und vermehren, zum anderen sind sie in Größe – auch der Organe – und Physiologie dem Menschen vergleichbar. Es gibt zudem bereits Zuchten, die von bestimmten bekannten Pathogenen freigehalten werden. Nicht unwesentlich für die Akzeptanz der Xenotransplantation in der Bevölkerung ist zudem, daß diese Tiere ohnehin von jeher für die Ernährung geschlachtet werden, so daß ihre Verwendung für medizinische Zwecke sicherlich weniger Bedenken erzeugt, als wenn man dafür Primaten nähme.

Indes sind noch viele Hürden zu überwinden, bevor Transplantationen vom Schwein auf den Menschen vorgenommen werden können. Es genügt nicht, daß ein Tierorgan nicht abgestoßen wird – es muß auch physiologisch richtig funktionieren. Herzen oder Nieren von Schweinen haben im Körper von Affen bereits mehrere Wochen gut gearbeitet; mithin dürfte ihre Verpflanzung in Menschen weniger problematisch sein. Hingegen ist fraglich, ob eine Schweineleber all die vielen spezifisch humanen Stoffwechselfunktionen zu übernehmen vermag. Eventuell ließe sich gleichwohl damit kurzzeitig ein lebensbedrohlicher Ausfall des menschlichen Organs überbrücken, bis sich dieses erholt hat.

Es wird noch lange dauern, bis die eingangs entworfene Utopie zu verwirklichen ist und Transplantationskliniken routinemäßig auf Tierorganbanken zurückgreifen können. Hingegen steht die Therapie mit tierischen Zellen und Geweben wohl nahe bevor. Wir sind jedenfalls optimistisch, daß sich die von der Evolution aufgebauten Artbarrieren überwinden lassen.

Literaturhinweise

- Hirntod und Organverpflanzung. Ethische, medizinische, psychologische und rechtliche Aspekte der Transplantationsmedizin. Herausgeben von Johann S. Ach und Michael Quante. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1997.

– Barriers to Xenotransplantation. Von F. H. Bach und anderen in: Nature Medicine, Band 1, Heft 9, Seiten 869 bis 873, September 1995.

– Xenotransplantation and Xenogeneic Infections. Von L. E. Chapman, T. M. Folks, D. R. Salomon, A. P. Patterson, T. E. Eggerman und P. D. Noguchi in: New England Journal of Medicine, Band 333, Heft 22, Seiten 1498 bis 1501, 30. November 1995.

– Yearbook of Cell and Tissue Transplantation 1996/1997. Herausgegeben von R. P. Lanza und W. L. Chick. Kluwer Academic Publishers, 1996.

– Xenotransplantation: The Transplantation of Organs and Tissues between Species. Zweite Auflage. Herausgegeben von D. K. C. Cooper, E. Kemp, J. L. Platt und D. J. G. White. Springer, Berlin 1997

Kasten

(siehe Bilder)

Kasten: Blinde Passagiere

Trotz des jahrtausendelangen engen Kontakts mit Schweinen sind Menschen kaum von ihnen mit Mikroorganismen oder Viren infiziert worden, die neuartige Krankheiten verursachten. Dennoch sind die Meinungen geteilt, ob von Xenotransplantaten ein Risiko durch bislang unbekannte Erreger ausgehe.



Gefährlich wären vor allem Retroviren, zu denen auch das AIDS auslösende humane Immunschwächevirus HIV gehört. Eine Umschrift ihrer Erbsubstanz (von RNA in DNA) kann in das Wirtsgenom integriert werden und dann unter Umständen als genetische Information für die Produktion neuer infektiöser Partikel dienen. Im Falle von Xenotransplantationen stimmt bedenklich, daß die Zellen aller Säugetiere solche Proviren enthalten – diejenigen des Menschen



zu etwa einem Prozent ihrer DNA. Die Infektion liegt oft weit zurück; weil aber die Viren dabei auch die Keimzellen befielen, wird seitdem ihr Genmaterial in der Wirtspopulation weitervererbt. Meist schadet es offenbar nicht, weswegen man das Vorhandensein von gleichsam schlafenden Retroviren beim Menschen erst spät erkannte (Spektrum der Wissenschaft, September 1993, Seite 15).



Auch die meisten dieser blinden Passagiere in Tierzellen sind mit der Zeit für den Träger harmlos geworden. Weil einige aber ein gewisses Aktivitätsvermögen behalten haben, ist nicht völlig auszuschließen, daß sie nach der Übertragung mit einem Transplantat auf einen Organismus fremder Art diesen infizieren (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1997, Seite 15). Zudem werden die Abwehrkräfte von Organempfängern absichtlich stark unterdrückt; dies böte einem potentiellen Pathogen erst recht Entfaltungsmöglichkeiten. Vorstellbar ist ferner, daß Retroviren von Schweinen im menschlichen Körper mutieren beziehungsweise sich mit schon vorhandenen zu einem völlig neuen Krankheitserreger kombinieren, beispielsweise zu einem potentiell krebsauslösenden, der lebenslang gefährlich bleibt.



Derzeit werden alle Anstrengungen unternommen, im Genom von Schweinen solche möglicherweise bedenklichen Proviren aufzuspüren. In Zuchten für medizinische Zwecke müßten sie eliminiert werden, was ebenfalls noch intensiver Forschung bedarf, damit Xenotransplantate einst ein sicherer Ersatz für menschliche Organe werden können.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1997, Seite 70
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Der Tischtennis-Effekt

Steife Muskel, verlangsamte Bewegungen, unkontrollierbares Zittern - und trotzdem Tischtennis-Profi? Was es mit dem Tischtennis-Effekt bei Parkinson auf sich hat, lesen Sie in der aktuellen »Woche«. Außerdem: Eine neue Form von Kohlenstoffatomen krempelt das Konzept der Aromatizität um.

Spektrum Gesundheit – Sonne – Wie viel ist gesund? Ab wann schadet sie?

Wie man mehr aus seinem Urlaub rausholt, nachhaltig entspannt und die positiven Effekte der Sonne ohne Reue genießen kann, lesen Sie ab sofort in »Spektrum Gesundheit«.

Spektrum - Die Woche – Ein Windrad hinter dem Gemüsebeet

In dieser Ausgabe geht es um kleine Windräder hinter dem eigenen Haus, die Dimensionen unseres Universums sowie um die Frage, warum Impfdurchbrüche eher nicht tragisch sind.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.