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Dichtkunst der Renaissance: 450 Jahre altes Liebesgedicht war in Buch versteckt

450 Jahre altes Liebesgedicht war in Buch versteckt

Aus einer Zeit, in der die Geschicke Englands in den Händen von Frauen lagen und die größten Dramen von Männern geschrieben wurden, hat auf Papier eine kleine Liebesgeschichte mehr als 450 Jahre überdauert. Die Mediävistin Elaine Treharne und ihre Studenten entdeckten das Gedicht aus der Zeit der englischen Renaissance in einer Bibliothek der West Virginia University in Morgantown. Die Zeilen in lateinischer Sprache waren im Buchrücken einer Werkausgabe von Geoffrey Chaucer aus dem Jahr 1561 versteckt – und stellen für jene Epoche das bislang einzige bekannte Gedicht auf Lateinisch dar, das aus der Feder einer Frau stammt.

Für Anthony Cooke ... | ... "Ich versuche mich zu verabschieden. Doch kann meine Zunge dies nicht äußern. Doch meine Augen blicken zurück zu dir." Diese Sätze bilden den Anfang des Liebesgedichts. In 14 Versen schrieb die Autorin über ihre unerwiderte Liebe. Es handelt sich dabei um das erste bekannte Gedicht aus der Zeit der englischen Renaissance, das von einer Frau in lateinischer Sprache verfasst wurde.

Die Übersetzung des Textes half Treharne die Biografie der Autorin zu rekonstruieren, die ihre Zeilen mit dem Namen Elizabeth Dacre unterzeichnete. Wie Treharne vermutet, verfasste diese das Gedicht 1553 für Anthony Cooke, der den jungen König Edward VI. und weitere Adelskinder unterrichtete – darunter auch die damals 17-jährige Elizabeth Dacre. In 14 Versen beschrieb sie ihre Treue und Gefühle für den Geliebten, zeigte sich aber auch bekümmert darüber, dass ihre Zuneigung unerfüllt blieb und in Adelskreisen nicht gestattet worden wäre. "Dieses Gedicht ist prächtig. Es ist wunderschön und zugleich traurig – und sehr zweideutig", so die Mittelalterhistorikerin von der Florida State University. Ungewöhnlich ist, dass diese leidenschaftlichen Zeilen auf Latein verfasst wurden – einer Sprache, die damals nur wenige Frauen beherrschten.

Elizabeth Dacre war gläubige Katholikin zu einer Zeit, als eine protestantische Königin auf dem Thron saß. Sie war mit Lord Dacre verheiratet, dem sie in zehn Jahren Ehe fünf Kinder gebar. Nach dessen Tod heiratete sie erneut, diesmal einen engen Verwandten von Königin Elisabeth I., den Duke of Norfolk, und war möglicherweise bald wieder schwanger. "Ich denke, es war eine politisch motivierte Hochzeit", so Treharne. "Die Heirat mit dem Duke und der folgende Zusammenschluss ihrer Länder waren wohl das Vernünftigste." Dacre starb 1567, ihr Hauslehrer Cooke längst verwitwet fast zehn Jahre später.

Zu Elizabeth Dacres Lebzeiten war eine breite Bildung adeliger Frauen nicht selbstverständlich. Erst infolge der Reformation, zu Beginn der Regierungszeit von König Edward VI. (1547-1553), blieb ihnen der Zugang zu höherer Bildung nicht mehr verwehrt. Allen voran genoss die spätere Königin Elisabeth I. (1558-1603) eine umfassende schulische Erziehung.

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  • Quellen
Eine englische Übersetzung des Gedichts finden Sie hier (ganz am Ende der Seite).

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