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News: Abgewehrte Abstoßungsreaktion

Eine Schwangerschaft ist ein immunologisches Rätsel: Obwohl die genetische Grundausstattung des entstehenden Kindes zur Hälfte aus dem Erbgut des Vaters besteht, stößt das Immunsystem der Mutter den Embryo nicht als Fremdkörper ab, wie es unweigerlich bei transplantierten Geweben oder Organen von anderen Personen geschähe. Um sich erfolgreich in der Gebärmutter einzunisten, produziert die befruchtete Eizelle offenbar das so genannte Corticotropin-freisetzende Hormon, mit dessen Hilfe sie über eine Reaktionskaskade die körpereigenen Abwehrmechanismen der Mutter aushebelt.
Als vielzellige Kugel erreicht die befruchtete Eizelle (Zygote) nach ihrer Wanderung durch den Eileiter schließlich die Gebärmutter. Deren Schleimhautdrüsen ernähren den noch unverankerten Keim, bis er in seinem Inneren eine Hohlkugel mit einem Durchmesser von zwei Millimetern gebildet hat. Etwa sieben Tage nach der Empfängnis schlüpft diese so genannte Blastocyste aus der Eihülle und versenkt sich in die Gebärmutterschleimhaut.

Noch immer gibt dieser Prozess der Einnistung den Wissenschaftlern Rätsel auf, denn eigentlich wäre zu erwarten, dass das Immunsystem der Mutter mobilisiert wird und den "Eindringling" erfolgreich abwehrt – schließlich stammt die Hälfte seines Erbgutes vom Vater und demnach sind zahlreiche chemische Marker auf der Oberfläche seiner Zellen dem molekularen Verteidigungssystem der Mutter unbekannt. Und tatsächlich betrachtet dieses die Zygote zunächst als Fremdkörper – wie das entzündet aussehende Gewebe von Schwangeren nahelegt.

Um herauszufinden, welche Mechanismen aber letztendlich derartige Abwehrreaktionen des mütterlichen Organismus unterdrücken und es dem Embryo somit ermöglichen, sich ungestört weiterzuentwickeln, führten nun George Chrousos und seine Kollegen vom National Institute of Child Health and Human Development, National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases und weiterer Institute eine Reihe ausgeklügelter Versuche durch. Im Brennpunkt ihrer Untersuchungen standen Kulturen menschlicher Trophoblasten – frühen embryonalen Zellen, aus denen ein Teil der späteren Plazenta hervorgeht – sowie ihnen ähnelnde Krebszellen.

Wie die Forscher enthüllten, produzieren beide Zelltypen große Mengen eines Botenstoffs, der auch die Antworten unseres Körpers auf Stresssituationen steuert. Dabei handelt es sich um das so genannte Corticotropin-freisetzende Hormon (CRH). Und damit nicht genug: Sowohl die Trophoblasten als auch die Krebszellen weisen auf ihrer Oberfläche Strukturen auf, an denen CRH-Moleküle andocken können. Demnach liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Zellen über eigene Rezeptoren für jene selbsthergestellte Substanz verfügen und als Reaktion auf deren Bindung weitere molekulare Schritte in die Wege leiten.

In weiterführenden Experimenten fügten die Wissenschaftler verschiedene Mengen des besagten Hormons ihren Zellkulturen hinzu. Die Trophoblasten und Krebszellen antworteten auf diese Behandlung, indem sie ein Protein namens Fas Ligand (FasL) absonderten. Und je höheren CRH-Dosen die Zellen ausgesetzt waren, desto mehr FasL produzierten sie. In ähnlicher Weise reagierten auch gezüchtete Zellen aus der Gebärmutterschleimhaut: Unter dem Einfluss des Hormons CRH sezernierten sie ebenfalls verstärkt FasL.

Im nächsten Schritt gaben die Forscher zu den Trophoblastenkulturen aktivierte T-Zellen – Verteidigungszellen des Immunsystems, die im Kampf des Körpers gegen unerwünschte Eindringlinge eine wichtige Rolle spielen. Um für diese Aufgabe gut ausgerüstet zu sein, besitzen sie auf ihrer Oberfläche einen Rezeptor für FasL – im Gegensatz zu inaktiven T-Zellen, denen jene Struktur fehlt und die gewöhnlich keine Krankheitserreger attackieren. Wie die Versuche zeigten, starben annähernd 15 Prozent der aktivierten T-Zellen in Gegenwart der Trophoblasten ab. Diese Zahl erhöhte sich sogar um ein Vielfaches auf 68 Prozent, wenn die Trophoblasten zuvor mit CRH behandelt wurden.

Inaktive T-Zellen aus Kontrollexperimenten überlebten hingegen in Gegenwart von Trophoblasten, unabhängig davon, ob die Forscher ihnen zuvor das Hormon CRH zusetzten. Das von den Trophoblasten produzierte FasL dockte somit nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Rezeptoren der aktivierten T-Zellen an und löste deren programmierten Selbstmord aus. Diesem Prozess kommt in der Schwangerschaft vermutlich eine wesentliche Bedeutung zu, denn indem die Trophoblasten die T-Zellen außer Gefecht setzen, verhindern sie gleichzeitig, dass diese den sich entwickelnden Embryo angreifen.

Wie wesentlich dieser Mechanismus für das Zustandekommen einer Schwangerschaft ist, verdeutlichten die Wissenschaftler in einer weiteren Versuchsreihe, wo sie den Prozess gezielt ausschalteten. Dazu behandelten sie weibliche Ratten innerhalb von sechs Tagen, nachdem sich die Tiere gepaart hatten, mit verschiedenen Mengen von Antalarmin – einer Substanz, die an den CRH-Rezeptor bindet und ihn somit für andere Moleküle blockiert. Auch das Corticotropin-freisetzende Hormon hinderten sie auf diese Weise daran, an den entsprechenden Rezeptoren anzudocken und somit die Produktion von FasL auszulösen. Ohne FasL waren die Rattenembryonen jedoch schutzlos den Zellen des mütterlichen Immunsystems ausgeliefert: Je mehr Antalarmin die Muttertiere erhielten, desto unwahrscheinlicher war es, dass sich die Embryonen in die Gebärmutter einnisten. Sie gingen schließlich zugrunde. Der Nachwuchs jener weiblichen Nager, die denselben Hemmstoff erst innerhalb von sechs bis zwanzig Tagen nach der Paarung erhielten, entwickelte sich hingegen normal.

Wie die Versuchsergebnisse andeuten, ist das funktionierende Wechselspiel zwischen CRH und FasL nur im sehr frühen Schwangerschaftsstadium für den entstehenden Embryo lebensnotwendig. Im späteren Verlauf übernimmt vermutlich ein anderes hormonell gesteuertes System diese wichtige Aufgabe. Basierend auf den neuen Erkenntnissen erhoffen die Forscher nun weitere Aufschlüsse über die Gründe zu erhalten, die zu ungewollter Kinderlosigkeit sowie zu der lebensbedrohlichen Schwangerschaftserkrankung Präeklampsie führen. Und nicht zuletzt könnten weitergehende Forschungen über die Wechselwirkungen zwischen CRH und FasL hilfreich bei der Entwicklung neuer Krebsmedikamente sein, da bestimmte Krebsarten – ähnlich wie die Trophoblasten in die Gebärmutterschleimhaut – in Körpergewebe eindringen.

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