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Psychopharmaka: Abwasser offenbart Volkspsyche

Die internationale Finanzkrise traf 2010 die Griechen mit voller Wucht. Wie sehr das ihre Psyche in Mitleidenschaft zog, zeigen chemische Analysen des Abwassers.
Dunkle Wolken über der Akropolis und Athen

Im Jahr 2010 rutschte Griechenland in eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Ende noch nicht absehbar ist. Und auch wenn die Arbeitslosenquote langsam zurückgeht, so suchen dennoch 25 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung eine feste Anstellung. Dass diese düsteren Aussichten ihre Spuren in der Psyche der Griechen hinterlassen, überrascht wenig. Welches Ausmaß dies jedoch in den Jahren nach dem Crash angenommen hat, offenbaren wohl erst die Abwasseranalysen von Nikolaos Thomaidis von der Universität Athen und seinem Team. Die Wissenschaftler untersuchten zwischen 2010 und 2014 Proben aus den Kläranlagen der griechischen Hauptstadt auf Spuren verschiedener Drogen und Pharmazeutika. Vorherige Studien hatten bereits gezeigt, dass beispielsweise während Musikfestivals oder an Wochenenden die Rückstände illegaler Rauschmittel wie Kokain in die Höhe schnellten. Thomaidis und Co übertrugen dieses Verfahren auf die Staatskrise ihres Landes und testeten dabei auf insgesamt 148 verschiedene Substanzen und Abbauprodukte.

Seit 2010 schnellte demnach der Gebrauch von beruhigenden Neuroleptika um das 35-Fache, von Benzodiazepinen um das 19- und von Antidepressiva um das 11-Fache in die Höhe. Zudem schluckten die Bewohner Athens häufiger Mittel gegen Magengeschwüre, Bluthochdruck und Epilepsie, während Antibiotika und entzündungshemmende Arzneien seltener genommen wurden – Letzteres womöglich wegen der drastischen Einsparungen im Gesundheitswesen. Auf der anderen Seite verdoppelte sich der Konsum illegaler, aber stimulierender Methamphetamine, zu denen beispielsweise Crystal Meth zählt.

Alle Befunde sprächen dafür, dass sich der Gesundheitszustand der griechischen Bevölkerung in den letzten Jahren deutlich verschlechtert habe, so Thomaidis. Vor allem psychische Störungen hätten zugenommen – zumindest in Athen, wo ein Drittel der Staatsbürger lebt. Auf dem Land, von wo keine Abwasserdaten vorliegen, könnte die Situation jedoch besser sein, weil hier die Krise weniger stark durchgeschlagen habe, so die Forscher. Dort fingen Familien wirtschaftliche Probleme besser auf. Immerhin weisen die Daten darauf hin, dass sich die Umstände langsam wieder besserten. Im letzten Vergleichsjahr 2014 stieg die Konzentration vieler Mittel in den Wasserproben nicht mehr – parallel zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes.

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