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Aviäre Influenza: Aktenzeichen H5N1

Immer noch - oder immer wieder - erschrecken Ausbrüche der Vogelgrippe die Republik: In immer neuen Regionen Deutschlands finden Veterinäre tote, mit H5N1 infizierte Wildtiere. Neue Untersuchungen und Daten deuten verstärkt auf bestimmte Vogelarten als Überträger hin, doch die letzte Gewissheit fehlt weiterhin.
Vogelflug
In einem anfänglich relativ unbeachteten Artikel meldete die Fachzeitschrift Science am 2. März, dass sich die Anzeichen auf eine länderübergreifende Ausbreitung des Geflügelpesterregers H5N1 durch wandernde Wildvögel verdichteten [1]. So lassen sich laut noch nicht publizierter, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch vorliegender Daten, die in Russland, Kasachstan, Türkei, Irak und sogar Nigeria nachgewiesenen H5N1-Stämme auf den gleichen Erregertyp zurückführen, der bereits im letzten Frühling 6000 Wildvögel am Qinghai-See in China tötete.

Auf Grund dieser offenkundigen Stabilität des Virus vermutet die WHO, dass die hochgradig pathogene Form des Vogelgrippeerregers sich nunmehr zumindest an bestimmte Wasservogelarten angepasst hat und diese nicht mehr tötet. Auf diese Weise könnte H5N1 dann mit den Tieren wandern und neue Regionen erreichen. Diese Einschätzung wird auch durch eine Veröffentlichung von Virologen um Robert Webster vom St. Jude Childern's Research Hospital in Memphis, Tennessee geteilt, die seit 2003 mehr als 13 000 Kot- und Abstrichproben von Wildvögeln – darunter 5000 Enten – untersucht hatten und tatsächlich in sechs offenkundig gesunden Tieren das Virus fanden [2].

Für Wolfgang Fiedler, den Leiter des Max-Planck-Insituts für Ornithologie in Radolfzell, kommt dies allerdings nicht überraschend, da es auch für den Vogelgrippeauslöser nicht vorteilhaft ist, wenn er seine Wirte zu schnell tötet – hemmt oder verhindert er doch dadurch seine Ausbreitung. Vielmehr sei es vorhersehbar, dass sich deshalb bald weniger pathogene Stämme durchsetzen. Diese abgemilderte Virulenz bezieht sich allerdings mehr auf Wildvögel und besagt noch nichts über die entsprechend tödliche Wirkung bei Hausgeflügel oder in den seltenen Fällen von Ansteckungen bei Menschen.

Webster und seine Kollegen schließen aus ihren Untersuchungen, dass deshalb H5N1 nicht nur unter Wildvögeln zirkuliert, sondern durch diese auch über weite Strecken transportiert werden kann. Folglich wäre eine Ost-West-Ausbreitung von China nach Westeuropa durch Zugvögel durchaus denkbar. Dem widerspricht allerdings Wolfgang Fiedler jedoch dezent, denn es gibt keine Vogelart, die direkt vom Epizentrum der Aviären Influenza unter Wildvögeln – dem Qinghai-See – nach Westsibirien zieht: "Eine etappenweise Übertragung von Ost nach West, also quer zu den Hauptzugrichtungen, wäre jedoch denkbar. Allerdings würde diese mehrere Herbst- und Frühjahrszugsaisons fordern, zwischen den Qinghai-Ausbrüchen und Rügen lag aber weniger als ein Jahr."

Ebenfalls nicht auszuschließen sei ein unheilvolles Zusammenwirken zwischen menschlichem Handeln – illegale Geflügel-, Feder- oder Hühnermisttransporte – und tierischem Zugverhalten, die wechselweise das Virus weiter westwärts getragen haben könnten. Und natürlich ist es auf Grund der Ergebnisse von Webster durchaus möglich, dass H5N1 nun doch schon länger unentdeckt in Wildvögeln zirkuliert und dort, ohne dabei hohe Sterblichkeit auszulösen, früher seinen Weg nach Europa angetreten hat.

Die gegenwärtigen Ausbruchsmuster in Mitteleuropa lassen sich nach Fiedler auch nur dadurch erklären, "dass das Virus spätestens im letzten Herbst antransportiert worden sein muss". Denn danach habe es keinen weiteren Zustrom von Zugvögeln mehr aus bekannten Vogelgrippegebieten gegeben. Auch die These, dass H5N1 durch Reiher- und Tafelenten aus Westsibirien gen Deutschland gebracht wurde, hält der Max-Planck-Forscher für plausibel.

Allerdings muss dieser Transport ebenfalls bereits im letzten Herbst stattgefunden haben, denn sie erreichten ihre Rast- und Überwinterungsgebiete schon im Oktober und sind in höchster Zahl dort im November zu finden. Erst als dann der lange harte Winter die Wildvögel unter hohen Druck setzte, der etwa durch sehr hohe Vogeldichten in wenigen kleinen freien Eislöchern zu erhöhtem Ansteckungsrisiko führte, kam es zu einem größeren Sterben der Tiere.

Ob dies allerdings immer primär durch die Vogelgrippe verantwortet wurde, steht für Fiedler noch nicht zweifelsfrei fest: "Die Sterblichkeitszahlen sind an keiner dieser Stellen ungewöhnlich hoch. Einjährige Höckerschwäne erleiden in harten Wintern eine Mortalität von bis zu 40 oder sogar 50 Prozent, und es waren wie jeden Winter weit über tausend einjährige unter den 10 000 Höckerschwänen im Gebiet der Wittower Fähre anwesend." Fiedler möchte aber nicht ausschließen, dass die zögerliche Entfernung der Kadaver die Infektionsrate anderer Vögel – gerade der Aasfresser – erhöht habe.

Zweifelsfrei wurden jedoch laut dem Friedrich-Löffler-Institut – der Forschungseinrichtung des Bundes für Tierseuchen – in einigen der Schwäne pathogene Veränderungen der inneren Organe festgestellt, die eindeutig für die aviäre Influenza üblich sind. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Webster fehlen in Europa allerdings immer noch H5N1-Nachweise in lebenden Wildvögeln, obwohl in den letzten Jahren, und gerade seit dem letzten Herbst, unzählige Proben untersucht wurden. Das gilt ebenso für die beiden verdächtigen Entenarten. Eine mögliche Nachweislücke könnte die trotz allem geringe Beprobungsdichte in Europa sein – oder aber die Ergebnisse sind noch nicht öffentlich zugänglich, was bereits von verschiedenen Forschern moniert wird.

Wolfgang Fiedler hält zudem auch immer noch auch andere Einschleppungswege für möglich: illegale Transporte von Wild- und Hausgeflügel, Geflügelprodukten oder sogar von Hühnermist, der aus China importiert wird. Bezeichnenderweise brach die Seuche in Nigeria, der Türkei, Indien oder Ägypten in großen Geflügelzuchtbetrieben aus, während infizierte Wildtiere dort erst später oder gar nicht gemeldet wurden.

Diese Fälle erklären jedoch nicht das Auftreten von H5N1 in Bayern, Brandenburg oder auf Rügen. Viele Fragen bleiben weiterhin ungeklärt; deshalb mahnt Wolfgang Fiedler weiterhin erhöhten Forscheifer an. Sollte es sich dann tatsächlich erweisen, dass die Geflügelpest bereits seit letztem Herbst (unbemerkt) in Mitteleuropa weilt, so könnte dies auch eine gewisse Entspannung der Situation bedeuten: Das Risiko eines Überspringens der Krankheit von Wild- auf Hausgeflügel wäre geringer als bislang vermutet.

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