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News: Alles Schicksal

Ob die Evolution des Lebens mit darwinistischer Konsequenz von Zufällen bestimmt war oder doch in geordneten Bahnen verlief - neue theoretische Gedankengebäude liefern zumindest Stoff zum Nachdenken.
Nicht nur ein paar Milliarden Jahre trennen die Moleküle der einst brodelnden Ursuppe und das vernunftbegabte Wesen Mensch heute – selbst wenn man es einmal nur rein chemisch betrachtet. Aber auch aus einem so vereinfachten Blickwinkel ist die Frage nach dem Sein und Entstehen des Lebens auf unserer Erde nicht leicht beantwortet: Wieso hat das Kaleidoskop der Evolution gerade zu jener Lebewelt geführt, zu der auch wir zählen?

Wieder rein chemisch gesehen, meinen nun Robert Williams von der Oxford University und José da Silva vom Instituto Superior Téchnico in Lissabon, musste es wohl zwangsläufig so kommen, wie es kam. Damit unterstützen die beiden Forscher die vielfältige Kritik an der alteingesessenen darwinistischen Vorstellung, nach der die Evolution letztlich rein zufällig verläuft – und daher also auch die Welt, wie wir sie kennen, nur eine verwirklichte Alternative ist aus den unzählig denkbaren, die zuvor aber dem Zufall eben zum Opfer gefallen waren.

Williams und da Silva sehen in ihren theoretischen Überlegungen – unter den chemischen Bedingungen der frühen Erde und ausgehend von den ersten lebenden Zellvorläufern – nur wenige Alternativen zu der Entwicklung, die auch tatsächlich stattgefunden hat: Die gegebenen chemischen Gesetzmäßigkeiten hätten die Entwicklung des Lebens auf vorgegebene Bahnen gezwungen.

Der erste DNA- oder RNA-haltige Zellreaktionsraum, das Ur-Cytoplasma der frühesten Lebensformen, war beispielsweise, so die Forscher, ein Spiegelbild der herrschenden Umgebungsverhältnisse – und blieb bis heute in lebenden Zellen eine chemisch reduzierende Umgebung wie die Ozeane und Uratmosphäre der Erde. Seit den ersten Stoffwechselversuchen entzogen frühe bakterielle Lebensformen diesem Milieu Wasserstoff und produzierten damit dann in ihrer Umgebung höher oxidierte Verbindungen: Ammoniak wurde etwa zu molekularem Stickstoff, Metallsulfide zu Metallen und Sulfide zu Sulfaten – und Wasser lieferte Sauerstoff, wodurch die Atmosphäre selbst zunehmend oxidierend wurde.

Zwangsläufig reagierten die Organismen auf diese selbstgemachte Umweltänderung und entwickelten Mittel und Wege, die nun immer häufiger werdenden, oxidierten Verbindungen selbst zu nutzen. Allerdings mussten sie andererseits ihr inneres, reduzierendes Milieu gegen die zunehmend oxidierende Wirkung ihrer Außenwelt und der neuen Stoffwechselprodukte schützen. Und dafür, so folgern Williams und da Silva, gab es nur eine Möglichkeit: das Entwickeln von abgetrennten Reaktionsräumen oder Kompartimenten. Der erste, entscheidende Schritt zu den Zellorganellen und Organismen mit Zellkern war getan – und damit der Ausgangspunkt für die vielfältige Lebewelt, welche die Evolution letztendlich hervorbrachte. Und der auslösende Faktor war pure Chemie: der steigende Gehalt an Sauerstoff.

Auch die folgenden Entwicklungen beruhten nach Ansicht der Forscher auf chemischen Zwängen. So mussten Zellen beispielsweise eine Art Kommunikation untereinander und innerhalb ihrer einzelnen Reaktionsräume aufbauen. Nun strömen Calcium-Ionen ständig in Zellen ein – und müssen darum wieder hinausbefördert werden. Aus der Not wurde eine Tugend, denn damit war ein hervorragender Kandidat als Botschaftenträger über Membranen hinweg gefunden. Außerdem erwiesen sich die oxidierten Verbindungen als geeignete Bausteine für zahlreiche höhermolekulare Substanzen – von Lignin über Kollagen bis zu Chitin –, mit denen sich vielzellige Strukturen der Pflanzen und Tiere zusammensetzen und -halten ließen.

War also die Chemie der Umgebung der bestimmende Faktor der Evolution und damit eine Richtung vorgegeben? Von Zufall keine Spur? Das möchten selbst Williams und da Silva nicht behaupten. Sie betonen aber, dass biologische Systeme viel langsamer reagieren als chemische – und daher Änderungen der herrschenden Umgebungsbedingungen immer eine darauf abgestimmte Anpassung der Lebewesen nach sich gezogen habe. Zufall spielte also eine Rolle, der von außen ausgeübte Zwang wäre aber entscheidend gewesen, meinen die Forscher.

Die Ansichten der Kollegen sind gespalten: Endlich würde die überholte darwinistische Zufälligkeit der Entstehung des Lebens mehr und mehr durch ein von klaren wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gesteuertes Gedankengebäude ersetzt, meint etwa Harold Morowitz von der George Mason University. David Krakauer vom Santa Fé Institute dagegen findet wenig Neues in der Arbeit von Williams und da Silva – außer einer Zusammenfassung einiger chemischer Prozesse, die mit entsprechenden evolutionären Anpassungen von Organismen zusammenfallen. Dies sei aber kein Beweis dafür, dass die chemischen Umwälzungen diese Anpassungen auch ausgelöst hätten.

Auch nach Meinung von David Deamer von der University of California in Santa Cruz enthält die theoretische Darstellung zwar einige stimmige Punkte, sicher aber könnten oxidativ-chemische Prozesse nicht alle Evolutionsschritte vom Prokaryonten bis zur Entstehung des Menschen erklären. Evolution beruht wohl doch auf mehr als reiner Chemie.

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