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Gravitationswellen: "Als ob die Menschheit ein neues Sinnesorgan entwickelt hätte"

Die Quantengravitationsexpertin Sabine Hossenfelder vom Frankfurt Institute for Advanced Studies ist nicht überrascht über die Entdeckung von Gravitationswellen. Spektrum.de sprach mit ihr über die Konsequenzen für die Zukunft der Physik, einen möglichen Nobelpreis und dessen Bedeutung.
Gravitationswellen

Frau Hossenfelder, vor fast genau 100 Jahren hat Albert Einstein mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationswellen vorhergesagt. Wie groß war Ihre Überraschung über die Entdeckung der Gravitationswellen mit LIGO am Ende tatsächlich?

Die Überraschung war nicht, dass Gravitationswellen existieren. Die Überraschung war, dass das Signal so schön und extrem klar gemessen wurde. Es entsprach wunderbar dem, was man nach den sehr komplexen numerischen Simulationen erwartet hatte.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus den Messungen?

Die neuen Messungen testen die allgemeine Relativitätstheorie (ART) in der unmittelbaren Nähe des Ereignishorizonts der Schwarzen Löcher, was zuvor mit dieser Genauigkeit nicht möglich war. Das Ergebnis zeigt, dass wir die ART auch in diesem Bereich korrekt verstanden haben und anwenden können.

Sabine Hossenfelder | Sabine Hossenfelder forscht am Frankfurt Institute for Advanced Studies zur Phänomenologie der Quantengravitation.

Sehen Sie irgendwelche wissenschaftlichen Probleme oder Schwächen bei den nun verkündeten Messungen?

Nein. Aber ich bin Theoretikerin und kann zu den experimentellen Details ehrlicherweise nicht allzu viel sagen.

"Vielleicht werden unsere Nachfolger Gravitationswellen zur Navigation und Kommunikation in der Milchstraße benutzen"

Was bedeuten die Ergebnisse für die Zukunft unseres Wissens?

Es ist schwer, diese Frage in einem kurzen Interview zu beantworten. Ich will es dennoch versuchen. Diese erste direkte Messung von Gravitationswellen ist so, als ob die Menschheit kollektiv ein neues Sinnesorgan entwickelt hätte – wir haben nun mehr Möglichkeiten, die Realität wahrzunehmen. Man kann das mit der Nutzung elektromagnetischer Strahlung durch den Menschen vergleichen – von der ersten primitiven Sinneswahrnehmung des Auges zu Beginn der Evolution bis zur Anwendung für nun omnipräsenten kabellosen Datentransfer. Ich denke daher nicht an die nächsten fünf Jahre, sondern an die nächste Million Jahre. Und in einer Million Jahren, wer weiß, werden unsere Nachfolger vielleicht Gravitationswellen zur Navigation und Kommunikation in der Milchstraße benutzen.

Wie wird sich die Entdeckung auf die großen theoretischen Modelle der Physik zur Beschreibung von Raum und Zeit im Großen und Kleinen auswirken?

Wir wissen, dass unser Wissen über die Gravitation unvollständig ist, denn sie verträgt sich nicht mit der Quantenmechanik. Jedes Mal, wenn wir neue Bereiche der Gravitation erkunden können – so wie jetzt mit den Gravitationswellen –, bietet das die Möglichkeit, dass wir einen Hinweis darauf finden, wie sich dieser Widerspruch lösen lässt. Zu dieser Frage wird es vermutlich in den nächsten Jahren sehr viele Datenanalysen geben.

Viele Forscher und Journalisten sprechen bereits von der neuen Ära der Gravitationswellenastronomie. Wie wird der Nachweis von Gravitationswellen die Astronomie praktisch verändern?

Das ist keine Veränderung, die jetzt plötzlich stattfindet, sondern eine Veränderung, die schon vor Jahrzehnten begonnen hat und sicherlich noch weiter fortschreiten wird mit den weiteren Gravitationswellendetektoren, die noch im Bau sind. Aber das bedeutet nicht, dass der Rest der Astronomie nun unwichtig ist. Die Messungen zur 21-cm-Wasserstofflinie in der Radioastronomie zum Beispiel laufen gerade erst an. Wir erwarten uns davon neue Einsichten über das frühe Universum.

Sollte es aus Ihrer Sicht einen Nobelpreis für den Nachweis von Gravitationswellen geben? Und wenn ja, wer von den vielen Beteiligten sollte ihn bekommen?

Klar sollte es dafür einen Nobelpreis geben. Aber wer den bekommen soll, diese Frage überlasse ich lieber Stockholm. Und es wird zwar immer mal wieder kritisiert, dass der Nobelpreis an maximal drei Leute ausgegeben werden kann, und das in einer Zeit, in der Tausende von Leuten an Experimenten beteiligt sind. Ich halte diese Kritik aber für sinnlos. Der Nobelpreis hat für die Wissenschaft selbst hauptsächlich politische Bedeutung. Da geht es darum, eine beeindruckende Demonstration von Genie zu wählen und zu zeigen, dass manche Wissenschaftler mit ihren Ideen und ihrer Willensstärke ganz große Durchbrüche schaffen. Solche persönlichen Geschichten erreichen wesentlich mehr Leute als Gleichungen und Daten. Wenn man den Preis nun auf Tausende von Wissenschaftlern aufteilt, dann verliert man diesen Bezug zum Individuum, und das führt dann nur dazu, dass der Preis generell weniger interessant wird für die Öffentlichkeit. Davon haben wir in der Wissenschaft auch nichts. Irgendwann hätten wir so viele Wissenschaftler, die mal einen Teil vom Nobelpreis hatten, dass das Ganze bedeutungslos würde.

Vielen Dank für das Gespräch.

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