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Umwelt: Am Tropf

Der Wasserspiegel des Toten Meers sinkt unaufhaltsam. Nachschub aus dem Roten Meer soll Abhilfe schaffen und gleichzeitig neue Möglichkeiten zur Strom- und Trinkwassergewinnung erschließen. Ein wirtschaftliches Wagnis mit unkalkulierbaren Umweltfolgen.
Rotes Meer und Arava-Tal
Das Tote Meer siecht dahin. In den letzten dreißig Jahren ist sein Wasserspiegel um mehr als 25 Meter gesunken. Bis 2020 könnten weitere 13 Meter verloren gehen, warnte Anfang 2006 die Umweltstiftung Global Nature Fund (GNF) und erklärte das Binnenmeer zum "Bedrohten See des Jahres 2006". Bis 2050 sei er womöglich vollständig ausgetrocknet, befürchtet der Geologische Dienst von Israel (GSI).

Der Hauptfeind des einzigartigen Salzsees ist die übermäßige Nutzung des Jordans, des größten Süßwasserzuflusses. Seine Anrainer zapfen Wasser für die Industrie, Wasser für die Landwirtschaft und Trinkwasser. Fürs Tote Meer bleibt inzwischen kaum mehr als ein Rinnsal – ein minimaler Zufluss, den die natürliche Verdunstungsrate längst weit übersteigt.

Vorsicht Einsturzgefahr

Als tiefster Punkt der Landoberfläche zieht das Tote Meer das Grundwasser aus der Umgebung an. Der sinkende Wasserspiegel erzeugt im Untergrund einen zunehmenden Sog, und Süßwasser strömt nun verstärkt nach – jährlich etwa 850 Millionen Kubikmeter Trinkwasser, das besonders in Jordanien fehlt. Damit nicht genug. Das Süßwasser löst die Salze im Untergrund, der bislang von salzigem Grundwasser durchspült und dadurch vor diesem Prozess geschützt war. "Erst bilden sich unterirdische Hohlräume. Irgendwann werden die überlagernden Schichten zu schwach und brechen ein", erklärt Geowissenschaftler Stefan Geyer vom Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle (UFZ), der die Grundwassergegebenheiten um den Salzsee untersucht. "Von einem Tag auf den anderen klaffen plötzlich 15 bis 20 Meter tiefe Löcher." Über 2000 solcher Dolinen übersäen mittlerweile die Uferumgebung.

Kanaltrasse | Ein etwa 200 Kilometer langer Kanal soll aus dem Roten Meer Wassernachschub für das austrocknende Tote Meer fließen lassen: Ein wirtschaftliches Wagnis mit unkalkulierbaren Umweltfolgen.
Ein Projekt der Superklasse soll dies nun aufhalten: Der Red-Sea-Dead-Sea-Kanal (RSDSC). Eine Pipeline soll für neue Wasserzufuhr aus dem Roten Meer sorgen. Der Plan: Aus dem Golf von Akaba wird Ozeanwasser den Ufergrat hoch gepumpt und von hier – 100 bis 200 Meter über dem Meeresspiegel – durchs Aravatal fließen, bis es schließlich hinab stürzt ins Tote Meer, dessen Oberfläche mittlerweile auf etwa 417 Meter unter Null gesunken ist. Ein zwischengeschaltetes Kraftwerk soll die dabei frei werdende Energie in elektrischen Strom wandeln und eine Entsalzungsanlage zur Trinkwassergewinnung antreiben.

Die Idee, aus dem Höhenunterschied zwischen den Randmeeren und dem Totem Meer Energie zu gewinnen, taucht seit Anfang des letzten Jahrhunderts immer wieder auf. Vor allem während der Energiekrise der 1970er Jahre erdachten Ingenieure die verschiedensten Vorhaben. Fast immer handelte es sich um eine Verbindung zum nur 70 Kilometer entfernten Mittelmeer. 1977 kam der Vorschlag einer Verbindung zum Roten Meer auf, doch wurde er, da ungleich teurer, rasch wieder verworfen. Aufgerieben zwischen politischen Scharmützeln wurde das Projekt seitdem nicht mehr weiter verfolgt.

Lösung aus der Schublade?

Vor zwei Jahren aber trieb die Wassernot Israelis, Palästinenser und Jordanier erneut an einen Tisch: Geboren wurde der "Friedenskanal", ein Tropf zum Roten Meer, der die Einigkeit im Nahen Osten zementiert – eine politische Streckenführung entlang der israelisch-jordanischen Grenze. Der Name verspricht Finanzhilfe: Die Weltbank sagte Ende 2006 zu, eine 15 Millionen US-Dollar-Machbarkeitsstudie zu tragen. Elf Firmen aus den USA, Kanada, Japan, Deutschland, Großbritannien sowie den Niederlanden buhlen um den Zuschlag. Mitte Juli wollen sie den Vertragspartnern des Projektes ihr Studienkonzept präsentieren. Der Bau selbst würde vermutlich vier bis fünf Milliarden Dollar verschlingen.

Totes Meer | Massive Wasserentnahme im Einzugsgebiet lassen den Spiegel des Toten Meeres dramatisch sinken. Deshalb wurde es von der Umweltorganisation Global Nature Fund als "Bedrohter See des Jahres 2006" gewählt.
"Die Studie soll die politische Entscheidung einer mindestens dreimal längeren Trasse kaschieren", vermutet Herbert Wendt. Zusammen mit seinem Kollegen Wieland Kelm veröffentlichte der deutsche Ingenieur 1975 im Fachmagazin Wasserwirtschaft selbst einen Projektplan – auf Basis der Mittelmeerroute. Eine Verbindung zum Roten Meer hatte das Team wegen technischer und wirtschaftlicher Überlegungen verworfen. "Allein die hohe Pumpleistung am Golf von Akaba und der weite Transport zehren den erwarteten Energiegewinn auf." Eine weitere Hürde sei der Reibungswiderstand, den der Kanal dem Wasserfluss entgegensetzt. Dadurch ginge noch einmal der Gewinn von mindestens 100 Metern Fallhöhe verloren. "Eine zusätzliche Energieabgabe und Meerwasserentsalzung sind illusorisch", folgert Wendt.

Mancher mag Wendt Eigeninteresse vorwerfen, doch er ist keineswegs der einzige Kritiker. Auch Umweltschützer haben Zweifel. Die Machbarkeitsstudie konzentriere sich auf Wirtschaft und Technik, kritisieren die Friends of the Earth Middle East (FoEME). Laut Ausschreibungstext soll die Studie zwar Umwelt- und Sozialaspekte berücksichtigen, diesen würde jedoch viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. In der Tat erwähnt der Ausschreibungstext mit keinem Wort die menschengemachten Ursachen für das Schwinden des Toten Meeres oder die Prüfung möglicher alternativer Lösungsansätze.

Mangelnde Details

Überhaupt liefert er kaum konkrete Informationen über die Baupläne. Ohne Detailkenntnisse aber können Wissenschaftler die Auswirkungen auf die Umwelt nur vorsichtig schätzen. Im Mai 2007 veröffentlichte FoEME eine Zusammenfassung mehrerer Parallelstudien vom Geologischen Dienst von Israel (GSI) und vom Umweltforschungszentrum der Königlichen Wissenschaftlichen Gesellschaft Jordaniens (RSS).

Kanaltrasse im Satellitenbild | Im Satellitenbild lässt sich das Arava-Tal erkennen, durch die die teils als Pipeline, teils als offener Kanal geplante Verbindung führen soll.
Die Installation der Rohrverbindung und der ständige Sog durch das Abpumpen von jährlich immerhin 1900 Millionen Kubikmeter Wasser zerstöre das Bodenleben im Golf von Akaba, schreibt ein RSS-Wissenschaftlerteam um den Sedimentologen und Geochemiker Nedal Al Ouran. Steigende Strömungsgeschwindigkeiten verringerten möglicherweise die Sedimentstabilität und erschwerte es Bodensiedlern, sich festzuheften. Andere Organismen behinderten die neuen Bedingungen möglicherweise beim Beutezug.

Weniger bedroht scheint die thermohaline Zirkulation. Für das entnommene Golfwasser ströme zwar wärmeres und salzärmeres Wasser aus dem Roten Meer nach, sodass sich ein neues Gleichgewicht einstellen wird. Innerhalb eines Jahres, vermuten Al Ouran und seine Kollegen, steigt die Wassertemperatur im Golf um etwa ein halbes Grad, und der Salzgehalt sinkt um 0,1 Gramm pro Liter – zu wenig, als dass es die Wasserzirkulation beeinflussen würde.

Für das Tote Meer wären die Folgen wesentlich einschneidender. Wird Wasser aus den Anrainermeeren eingeschleust – egal, ob aus dem Roten Meer oder dem Mittelmeer –, könnte sich die Chemie im Salzsee ändern, befürchten GSI-Forscher um Ittai Gavrieli. "Meerwasser ist kalziumreich. Trifft es auf das sulfathaltige Wasser im Toten Meer, flockt Gips aus", bestätigt Geyer.

Ein Risiko kommt selten allein

Zudem besteht die Gefahr, dass sich die beiden Wässer nicht mischen, sondern in mehreren Schichten übereinander schwimmen: Auf Grund seiner zehnfachen Salzkonzentration könnte sich das ungleich schwerere Wasser des Toten Meeres unten absetzen. In der tieferen Wassersäule käme kein Sauerstoff mehr an, und das Sulfat würde sofort in Schwefelwasserstoff umgewandelt. Eine Gefahr für Anwohner und Touristen: Das giftige Gas blockiert den Geruchssinn, die Betroffenen merken nicht, wie sie es einatmen. Stefan Geyer ist zuversichtlicher: "Ich glaube, die beiden Wassermassen mischen sich, zumindest auf lange Sicht." Für die nötigen Turbulenzen sorge allein schon der Wind, vermutet der Geologe.

Die Risikoliste wird dadurch kaum kürzer. Der geplante Riesenbau liegt mitten in seismisch aktivem Gebiet. Bekäme der Kanal bei einem Erdbeben ein Leck oder bräche er womöglich, würde salzhaltiges Ozeanwasser das rare Grundwasser im Arava-Wüstental verseuchen. Diese Gefahr bestünde nicht, verliefe die Verbindung zum Mittelmeer – dann würde er erdbebensichereres Gebiet queren.

Die Weltbankstudie läuft planmäßig bis Herbst 2009, die Bauzeit wird auf zwölf bis zwanzig Jahre geschätzt. Möglich, dass die Studie zu einem Negativergebnis kommt und vom Bau abrät. Neue Pläne und Machbarkeitsanalysen wären die Folge, während die Bevölkerung der Region buchstäblich auf dem Trockenen sitzt und die Frage nach einem Wasserkonzept mehr und mehr drängt. Anstatt ausschließlich auf Seewasser aus den Anrainermeeren zu setzen, sollten die Anrainerländer parallel unbedingt Wassersparmaßnahmen oder Möglichkeiten der Wiederverwertung prüfen, mahnen die Umweltschützer von FoEME. Solche Alternativen könnten in jedem Fall zügiger umgesetzt werden.

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