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Genetik: Amerikas Besiedlungsgeschichte wird umgeschrieben

Die Einwanderung nach Amerika erfolgte wohl in drei Phasen

Die Besiedelung Amerikas ist eindeutig das am stärksten umstrittene Kapitel der Geschichte menschlicher Wanderbewegungen. Noch immer – und trotz Jahrzehnten intensiver Forschung – ist nicht klar, wer wann und wie als Erster seinen Fuß auf den Doppelkontinent setzte. Jetzt liefern gleich zwei aktuelle Studien zentrale, neue Erkenntnisse: Ein großes Wissenschaftlerteam um den Genetiker David Reich von der Harvard Medical School in Boston sorgte für den ersten umfassenden Genvergleich heutiger Ureinwohner [1], und Forscher um Dennis Jenkins von der University of Oregon in Eugene wiesen eindeutig nach, dass statt einer mindestens zwei Kulturen vor rund 14 000 Jahren Nordamerika bewohnten [2].

Laut den Untersuchungen von Reich und Kollegen, die aus der DNA von insgesamt 52 Gruppen amerikanischer Ureinwohner und 17 sibirischer Ethnien einen Stammbaum errechneten, drangen die eiszeitlichen Besiedler in mindestens drei Wellen von Asien ausgehend auf den Kontinent vor: Bei der ursprünglichsten und mitgliederstärksten Gruppe der "First Americans" lassen sich die genetischen Spuren einer schnellen Südexpansion erkennen; ihre Vertreter finden sich heute in sämtlichen Teilen Nord- und Südamerikas. Die zweite beschränkt sich bislang auf Angehörige der Chipewyan, einem Volk im Süden Kanadas, das rund zehn Prozent seines Erbguts einer zweiten Einwanderungswelle verdankt. Der dritte Zustrom hinterließ seine Gene bei Ost- und Westgrönländern und anderen Angehörigen der Inuit, deren Erbgut zur Hälfte aus dieser dritten asiatischen Beimischung besteht.

Die Wissenschaftler hatten für diese Untersuchungen nach so genannten SNPs (single nucleotide polymorphisms), also Ersetzungen einzelner "Buchstaben" in der DNA, gefahndet. Zusätzlich hatten sie statistisch den Einfluss europäischen und afrikanischen Erbguts herausgerechnet, das in der Neuzeit nach Amerika gelangt sein dürfte.

Die Einwanderung nach Amerika erfolgte wohl in drei Phasen | Die Genetik zeigt, dass Menschen wohl in drei Phasen nach Amerika einwanderten, wobei sie eine Küstenroute und eine Landroute nahmen. Vorfahren der Inuit ließen sich schließlich in den arktischen Regionen nieder. Der Weg aus Asien war möglich, weil der eiszeitlich niedrige Meeresspiegel eine Landbrücke in der Beringsee schuf.

Ihr Befund einer Besiedlung in drei Phasen dürfte einige Forscher überraschen. Zuletzt hatten Analysen unter anderem eine charakteristische Genvariante identifiziert, die allen amerikanischen Ureinwohnern gemein ist und die sich demnach bereits in der asiatischen Ursprungspopulation entwickelt haben müsste. Diese Wissenschaftler hatten daher nur eine einzige Einwanderungswelle angenommen. Insgesamt sind sich die heutigen Ureinwohner allerdings auch nach der Studie von Reich und Kollegen genetisch relativ ähnlich – es scheint, dass sich die Gruppe der "First Americans" mit ihrem Erbgut gegenüber den anderen deutlich durchgesetzt hat, was wiederum die früheren Ergebnisse erklären würde.

Andere Forscher dürften sich hingegen freuen: So formulierte der 2001 verstorbene Linguist Joseph Greenberg anhand sprachlicher Analysen eine Hypothese, die exakt der von Reich et al. beobachteten Verteilung entspricht. In seinem System spalten sich die indianischen Sprachen in die drei Gruppen der eskimo-aleutischen Sprachen, der Na-Dené-Sprachen (zu denen das Chipewyan zählt) und der restlichen, so genannten Amerindsprachen auf. Bereits Greenberg interpretierte diese Dreiteilung als Ergebnis dreier verschiedener Einwanderungswellen.

Parallelgesellschaften in Nordamerika

Dass mindestens zwei verschiedene Einwanderungen stattgefunden haben müssen, legen nun auch die Funde der Paisley-Höhle in Oregon nahe, die eine Gruppe um Dennis Jenkins jetzt im Detail analysierte und datierte.

Lange war man der festen Überzeugung gewesen, dass Angehörige der so genannten Clovis-Kultur das erste uramerikanische Volk stellten. Nach damaliger Lehrmeinung waren sie vor rund 13 000 Jahren über die Beringstraße nach Nordamerika vorgedrungen, wo sie sich nahezu blitzartig ausbreiteten. Dann wurden erhebliche Zweifel an dieser Hypothese laut – jetzt müsse sie wohl endgültig als widerlegt gelten, meinen Jenkins und Kollegen. Sie entdeckten, dass Vertreter einer Kultur namens "Western Stemmed Tradition" zeitgleich mit den frühen Clovis den Westen Nordamerikas besiedelten.

Hinterlassenschaften früher Westküstenbewohner | In Oregon stießen Archäologen auf diese Steinspitzen, die der Western-Stemmed-Tradition zuzurechnen sind. Anders als bislang geglaubt, lebten die Hersteller dieser Obsidianwerkzeuge zeitgleich mit den Clovis, waren aber wohl nicht mit ihnen verwandt.

Beide Kulturen sind – das zeigen die von ihnen verwendeten Techniken der Werkzeugherstellung – nicht näher miteinander verwandt. Während die Clovis große, flache Steinspitzen bevorzugten, die sie mit enormem Aufwand produzierten, fertigten die Angehörigen der Western-Stemmed-Kultur aus Klingenabschlägen vergleichsweise dicke, kleine Projektile.

Die Archäologen stützen sich bei ihrer Datierung auch auf versteinerte menschliche Exkremente – so genannte Koprolithen –, die sie in der Paisley-Höhle in Oregon fanden und auf ein Alter von über 13 000 Jahren datierten. Schon zuvor galten diese Funde als wichtiger Hinweis auf eine präcloviszeitliche Besiedlung Nordamerikas, allerdings waren die Datierung und kulturelle Einordnung umstritten. Genetische Tests zeigten außerdem, dass die DNA in den Koprolithen auf einen asiatischen Ursprung dieser Menschen hindeutet.

Auf Grund anderer Funde an der Westküste, die ebenfalls nicht den Clovis zugerechnet werden können, hatten Forscher schon in den vergangen Jahren immer wieder gemutmaßt, dass mindestens zwei Wanderbewegungen stattfanden: Gegen Ende der Eiszeit, als noch ein massiver Eispanzer im heutigen Kanada den Zugang nach Nordamerika von Sibirien aus versperrte, scheinen Menschen entlang der Küste weit nach Süden gezogen zu sein. Über 14 000 Jahre alte Hinterlassenschaften dieser Menschen finden sich sogar im heutigen Chile.

Als die Gletscher schließlich abschmolzen und ab 14 000 Jahren vor heute einen eisfreien Korridor freizugeben begannen, könnte – diesmal auf dem Landweg – eine zweite Wanderbewegung stattgefunden haben, deren Teilnehmer als Na-Dené-Sprecher heutzutage noch immer den Südrand des ehemaligen Eispanzers bewohnen. Und schließlich deuten die Ergebnisse der aktuellen Genanalyse darauf hin, dass sich zu einem noch späteren Zeitpunkt sibirischstämmige Angehörige der Inuit in die Polarregionen aufmachten.

Wo in diesem Szenario die Vorfahren der Clovis einzuordnen sind, ist nicht völlig klar. Möglicherweise lassen sie sich mit der von Reich und Kollegen identifizierten zweiten Einwanderungswelle in Verbindung bringen. Da Kandidaten für sehr frühe Clovis-Vorläuferkulturen aber nur an der Ostküste gefunden wurden, nicht aber in Asien, und eine den Clovis sehr ähnliche Kultur in Westeuropa lebte, haben einige Forscher sogar vorgeschlagen, dass die Ahnen der Clovis aus Europa stammen könnten und über das Packeis nach Amerika wanderten - eine bislang noch immer höchst umstrittene Theorie.

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