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News: Anders als gedacht

Bisher ging man davon aus, dass Supraleitung in exotischen Metallverbindungen auf einer rein magnetischen Kopplung der Elektronen beruht. Doch jetzt haben Wissenschaftler Hinweise gefunden, dass die Supraleitung auf zwei unterschiedlichen, rein elektronischen Kopplungsmechanismen beruhen könnte.
Magnetismus und Supraleitung gehören auch heute noch zu den faszinierendsten Eigenschaften der Materie. In unserem von vielerlei Technik geprägten Alltag sind beide Phänomene in zahlreichen Anwendungen in der Medizin-, Computer- und Sensortechnik allgegenwärtig und – wegen ihres hohen technologischen Potenzials – auch unverzichtbar geworden. Bei ihrer Erforschung eröffnet sich den Wissenschaftlern eine extrem komplexe Welt, die von den Wechselwirkungen der Elektronen eines Festkörpers untereinander sowie mit den Atomrümpfen des Kristallgitters geprägt ist. Ein solch komplexes, in sich verwobenes System aus sehr vielen Teilchen mathematisch exakt zu beschreiben, ist bisher nicht möglich. Sollte es gelingen, würde es ungeahnte Möglichkeiten eröffnen, um Materialien mit gewünschten Eigenschaften gezielt herzustellen.

Auf dem Weg dahin ist die experimentelle Erforschung von immer neuen chemischen Verbindungen unverzichtbar. Ein Beispiel ist die Entdeckung der Supraleitung in der Schwere-Fermionen-Verbindung CeCu2Si2 durch Frank Steglich im Jahre 1979. Verbindungen mit schweren Fermionen enthalten Elemente aus der Gruppe der "Seltenen Erden" oder Lanthanoiden, die in metallischer Umgebung bei Zimmertemperatur lokale magnetische Momente aufweisen. Die Wechselwirkung von Leitungselektronen mit diesen lokalen Momenten führt dazu, dass die Bewegung der Elektronen (Fermionen) behindert wird, sie somit – bildhaft gesprochen – träge und damit schwer erscheinen.

Die Zahl der bekannten Schwere-Fermionen-Verbindungen mit ungewöhnlichen elektrischen und magnetischen Eigenschaften wächst beständig. Bis heute hat man fast zwanzig Verbindungen gefunden, die bei Temperaturen kleiner als 3 Grad Kelvin supraleitend werden. Diese Eigenschaft, den elektrischen Strom ohne "Energieverlust" zu tragen, entsteht durch die koordinierte Bewegung zweier Elektronen, welche ein so genanntes Cooper-Paar bilden.

In klassischen Supraleitern entsteht diese Koordination durch die elastische Kopplung der Elektronen an die Bewegung der Atome im Kristallgitter. Bei Schwere-Fermionen-Supraleitern vermutet man hingegen, dass die Bewegung der "schweren Elektronen" durch ihre Kopplung an die Bewegung der magnetischen Momente koordiniert wird. Doch dieser Mechanismus scheint nicht nur der Supraleitung in Metallen mit schweren Fermionen zugrunde zu liegen. Viele Forscher glauben, dass in ihm auch der Schlüssel zum Verständnis der Hochtemperatursupraleiter zu finden ist, welche ein hohes technologisches Potenzial besitzen.

Die neuen Experimente der Forscher vom Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe unterstützen nun die Vorstellung, wonach Supraleitung durch einen rein elektronischen Kopplungsmechanismus verursacht wird. Historisch betrachtet favorisierte man dafür zuerst einen magnetischen Kopplungsmechanismus, da Untersuchungen an einer Reihe von Polykristallen, deren chemische Zusammensetzung man nur geringfügig variierte, zum Ergebnis führten, dass sich die Verbindung CeCu2Si2 nahe an einem magnetischen quantenkritischen Punkt befindet. Dabei lässt sich die Nähe zum quantenkritischen Punkt durch Variation externer Parameter, wie der chemischen Zusammensetzung, dem Druck oder dem Magnetfeld einstellen. Für Cer-haltige Verbindungen gilt dabei, dass ein großer Abstand zwischen den Cer-Atomen den magnetisch geordneten Zustand stabilisiert, während mit abnehmendem Atomabstand stets ein paramagnetischer Zustand erreicht werden kann.

Experimente unter Hochdruck hatten bereits gezeigt, dass sich die Supraleitung – ausgehend von einem magnetisch geordneten Zustand – bei Annäherung an den quantenkritischen Punkt so stabilisiert, wie es unter Annahme des oben beschriebenen Modells erwartet wird. Unerklärt blieb jedoch, warum sich die Supraleitung im paramagnetischen Bereich nicht wieder abschwächt, sondern vielmehr in deutlicher Entfernung zum quantenkritischen Punkt zusätzlich stabilisierte.

Zum Verständnis dieses Phänomens gelang den Max-Planck-Forschern nun der Durchbruch: Sie stellten eine Reihe von Einkristallen der Verbindung CeCu2Si2 her, bei denen schrittweise die kleineren Atome von Silicium durch größere Germanium-Atome ersetzt wurden – CeCu2(Si1-xGex)2. Durch diese schrittweise Substitution war es möglich, den unkonventionellen supraleitenden Zustand aufgrund des Effekts der Paarbrechung durch Streuung an Störstellen kontrolliert zu schwächen.

Mit wachsender Substitution nahm aber zwangsläufig auch der Abstand zwischen den Cer-Atomen zu. Diesen größer werdenden Atomabstand kompensierten die Wissenschaftler durch externen Druck. Sie waren auf diese Weise in der Lage, den Einfluss der Paarbrechung auf die Supraleitung unabhängig von der Entwicklung der Atomabstände zu studieren. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass der supraleitende Zustand für die Verbindung CeCu2Si2 nicht nur bei einem, sondern bei zwei ganz bestimmten Atomabständen jeweils besonders stabil ist. Dies führt dazu, dass in Proben mit entsprechend großer Anzahl von Germanium-Störstellen als Funktion des Drucks (Abstands) zwei voneinander getrennte Bereiche im Phasendiagramm des Supraleiters auftreten.

Diese Entdeckung ist für die Wissenschaftler besonders faszinierend, weil sie erstmals Hinweise liefert, dass nicht nur einer, sondern zwei verschiedene, rein elektronische Kopplungsmechanismen für die Supraleitung existieren. Danach beruht die Supraleitung bei großem Atomabständen darauf, dass die hochfrequenten Anteile der magnetischen Fluktuationen am magnetischen quantenkritischen Punkt die Elektronen zu Cooper-Paaren koppeln. Kommen sich jedoch die Atome immer näher, so kann sich ein bisher fest gebundenes Elektron allmählich befreien. Im vorliegenden Fall verläuft dieser Prozess der Ladungsänderung des Atoms nicht monoton, sondern diskontinuierlich. In der Umgebung dieser sprunghaften Veränderungen entstehen Ladungsfluktuationen, welche offenbar auch Supraleitung erzeugen können.

In weiteren Experimenten wollen die Forscher jetzt dem zweiten Supraleitungsmechanismus auf den Grund gehen und dessen Existenz in weiteren Hochdruck-Experimenten an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle (ESRF) zweifelsfrei beweisen. Gleichzeitig werden die Forscher auch in anderen chemischen Verbindungen untersuchen, ob dort ähnliche Phänomene auftreten. Ziel der Forscher ist es letztlich, die Grundlagen dafür zu liefern, damit man eines Tages vorhersagen kann, aus welchen chemischen Elementen man bei welchen Temperaturen und welchen Atomabständen supraleitende Materialien maßschneidern kann.

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