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Verhaltensforschung: Angriffe im Saharasand

Schnurstracks laufen die Tunesischen Wüstenameisen nach erfolgreicher Beutejagd zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Begegnen sie auf dem Heimweg Artgenossen anderer Kolonien, sagen sie ihnen mitunter den Kampf an – je nach Entfernung zum Nest.
Cataglyphis fortis
In den Sanddünen der Sahara sind nur wenige Millimeter große Navigationskünstler heimisch: die Tunesischen Wüstenameisen (Cataglyphis fortis). Auf ihren Beutezügen jagen die pechschwarzen Insekten in windungsreichen Suchläufen durch das eintönige Gelände – infolge der Futterknappheit bis zu 100 Meter von ihrem Zuhause entfernt. Und trotz der geschwungenen Pfade kehren sie in Luftlinienrichtung zum Startpunkt ihres Ausflugs zurück, wo sie von einer unscheinbaren Öffnung im Sandboden – dem Eingang zum unterirdischen Nest – verschluckt werden.

Cataglyphis fortis | Die Tunesische Wüstenameise (Cataglyphis fortis) findet zielstrebig zu ihrem Nest zurück.
In dessen Nähe sind die Tiere extrem angriffslustig gegenüber den Mitgliedern anderer Ameisenkolonien: Sie drohen, beißen oder versprühen gar giftige Säure. Ihre Aggressivität klingt indes ab, wenn sie sich weiter als einige Meter von der Behausung fort bewegen. Ist dieses Verhalten der Ameisen auf die Gegenwart des Nestes, seine verräterischen Dufthinweise und Landmarken in der Umgebung zurückzuführen? Oder ist allein der Wegintegrator ausschlaggebend – ein interner Navigations-Werkzeugsatz, mit dem die Wüstenbewohner die eingeschlagenen Richtungen und bewältigten Distanzen zum Rücklaufvektor verrechnen?

Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, trainierten Markus Knaden und Rüdiger Wehner von der Universität Zürich zunächst die Jägerinnen von vier Staaten auf vier verschiedene Futterplätze – jeweils 20 Meter nördlich vom Nesteingang entfernt. Als die Ameisen die Nahrungsquellen erreichten, markierten die Forscher die Individuen mit koloniespezifischen Farbpunkten und verfrachteten sie in ein abgelegenes Testgelände. Sofort steuerten die Tiere Richtung Süden und liefen eine Strecke, die der zurückgelegten Distanz von 20 Metern vor ihrer Versetzung entsprach. Dann brachen sie ihren geradlinigen Heimweg ab und suchten systematisch nach dem nicht existierenden Nest.

Für ihre Experimente teilten die Wissenschaftler ihre Versuchstiere in zwei Gruppen ein: Während die einen Ameisen bereits die gesamte Strecke durch das unbekannte Terrain bewältigt hatten und gerade nach der vermeintlichen Position ihrer Behausung Ausschau hielten, waren die anderen beim Wiedereinfangen erst 5 Meter weit gelaufen, so dass noch 15 Meter vor ihnen lagen. Im Labor unterzogen die Forscher die Insekten einem Aggressivitätstest: Individuen aus jeder Gruppe konfrontierten sie eine Minute lang auf einem "Schlachtfeld" miteinander – einer acht mal zehn Zentimeter großen Box – und filmten deren Verhalten.

Wie die Auswertung enthüllte, mündeten 29 von 34 Ameisen-Begegnungen mindestens in Bedrohungen mit geöffneten Mandibeln, 21 von 34 Zusammentreffen wuchsen gar zu Kämpfen aus, bei denen es zu Bissen und dem Versprühen von Ameisensäure kam. Diejenigen Insekten, die bereits die ganze Wegstrecke zum vermeintlichen Nest zurückgelaufen waren, begannen die aggressiven Auseinandersetzungen und provozierten die eskalierenden Kämpfe.

Da die Versuchsbedingungen für beide Gruppen identisch waren – außer der bewältigten Entfernung –, beeinflusste der Wegintegrator das Aggressivitätsniveau der Insekten: Erreichten die Ameisen das Nest, führte dies zu maximalem Angriffsverhalten. "Unser Bericht zeigt, dass kurzfristige Veränderungen im Aggressionsniveau ausschließlich von einem internen Zustand des Tieres abhängen können, statt von äußeren Hinweisen wie das umgebende Territorium oder die Größe des Gegenübers", betonen Knaden und Wehner. Möglicherweise – spekulieren sie weiter – spielen die biogenen Amine Serotonin und Octopamin, welche die Motivation zum Kampf und Rückzug bei Insekten mit ausbalancieren, auch bei deren Wegintegrator eine Rolle.

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