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Wissenschaft im Alltag: Anpfiff für "Teamgeist"

Wenn "König Fußball" über Medien und Stammtische herrscht, findet einer vermutlich kaum Beachtung: der Ball selbst. Doch angenommen, beim Finale regnet es. "Das Leder" hat bereits zwei anstrengende Halbzeiten hinter sich, es geht in die Verlängerung. Könnte der - natürlich deutsche - Stürmer vor der schwierigen Aufgabe stehen, einen feuchten und nicht mehr voll elastischen Ball ins gegnerische Tor befördern zu müssen? Zum Glück nicht.
Unter dem Chefschreibtisch - wir wünschen eine schöne WM!
Helmut Rahn kickte noch einen Ball aus handvernähten Lederstreifen, als er 1954 das "Wunder von Bern" vollbrachte und Deutschland Weltmeister wurde. Ein solcher Ball war nicht gleichmäßig rund, das Leder konnte sich mit Wasser voll saugen und es machte durchaus einen Unterschied, ob der Fuß auf eine Lederfläche oder eine steife Naht traf. Die ideale Kugelform rückte aber dann 1970 in Reichweite: Zur WM in Mexiko wurden erstmals zwölf schwarze Fünfecke und zwanzig weiße Sechsecke miteinander vernäht. Das Muster hatte einen großen Vorteil: Der neue Ball war im Schwarz-Weiß-Fernsehen besser zu erkennen.

In den nächsten Jahren ergänzten und ersetzten wasserdichte Kunststoffe das Leder. Seit der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich macht überdies eine Schicht aus "syntaktischem Schaum" den Ball noch strapazierfähiger und formbeständiger. Diese dichte Lage aus gasgefüllten, geschlossenen Poren wandelt die Wucht, die der Ball beim Kicken aufnimmt, besser in kinetische Energie um, macht ihn mithin schneller.

"Teamgeist", der neue Ball zur Fußball-WM | Bei "Temgeist", dem offiziellen WM-Ball, besteht die Außenhaut der Panels aus einer eigens entwickelten Polyurethanmischung, die den idealen Mix aus Abriebfestigkeit, Weichheit und Wasserfestigkeit bietet. Darunter befindet sich Kunststoffschaum, dessen millimetergroße, gasgefüllte Poren auch bei den starken Belastungen während des Spiels nicht platzen. Der Unterbau, Karkasse genannt, besteht aus besonders strapazierfähigem Polyester und Baumwolle. Er wird durch Neoprenschaum mit den Panels verklebt. Eine Latexblase hält die Luft. Muster und Schriftzüge werden von hinten auf eine transparente Folie gedruckt. Diese wird schließlich als Außenschicht auf den Ball geklebt, damit bei Feuchtigkeit kein Schmierfilm entsteht.
Völlig glatt wäre ein Fußball übrigens unbrauchbar. Denn eine absolut glatt polierte Stahlkugel schleppt beim Flug große Wirbel mit, die sie abbremsen. Die Rauheiten der Fußballoberfläche dagegen verursachen direkt an der Grenzfläche zur Luft viele winzige kleine Wirbelchen, die sich sehr schnell ablösen und deshalb weit weniger geschwindigkeitsvermindernd wirken.
Für die Weltmeisterschaft in Deutschland hat sich der Hersteller Adidas eine weitere Optimierung einfallen lassen. Der Fußball mit dem schönen Namen "Teamgeist" besteht nicht mehr aus ebenen, sondern aus 14 unterschiedlich geformten Flicken, so genannten Panels. Damit entspricht das Spielgerät noch besser der Kugelform und damit den neuen Regeln des Deutschen Fußballbunds. Weitere Vorteile dieses Designs: Während bei herkömmlichen Bällen an 60 Punkten drei Elemente aufeinander stoßen, sind es beim "Teamgeist" nur noch 24; die Gesamtlänge der Stoßkanten verringerte sich von 405 um mehr als 15 Prozent auf knapp 340 Zentimeter. Zudem wird dieser Ball erstmals nicht mehr genäht, sondern geklebt. Alle diese Faktoren zusammen sorgen für konstante mechanische Eigenschaften über das ganze Rund. Deshalb verhält sich der Ball bei jedem Schuss absolut identisch, ganz egal, wie er gerade liegt und wo er getroffen wird.

Damit wird "Teamgeist" auch den strengen Anforderungen der Fifa (Fédération Internationale de Football Association) gerecht. Die verlangt als Rundheitskriterium, dass der Durchmesser an 16 Punkten nicht mehr als 1,5 Prozent vom Durchschnittswert abweicht. Außerdem darf der Ball während des Spiels nicht mehr als zehn Prozent seines Eigengewichts an Wasser aufnehmen.

Die etwa 2000 Tritte während eines Spiels sollten ihn unbeeindruckt lassen, was an Probeexemplaren einer Serie getestet wird, die man je 2500-mal mit 50 Kilometern pro Stunde gegen eine Stahlplatte schießt. Wie elastisch sich der Ball verhält, erweist sich, wenn er zehnmal aus zwei Meter Höhe auf eine Stahlplatte fällt. Die Differenz zwischen dem höchsten und niedrigsten Rückprall darf höchstens zehn Zentimeter betragen. Gehen zudem nicht mehr als zehn Prozent des Luftdrucks von 0,6 bis 1,1 Atmosphären in drei Tagen verloren, sind die wichtigsten Fifa-Normen erfüllt. Der neue WM-Ball genügt all diesen Kriterien ohne Einschränkungen und deshalb können sich die Zuschauer sicher sein, dass bei jedem Spiel "Teamgeist" auf dem Rasen herrscht.



Wussten Sie schon?

  • Die gekrümmte Flugbahn einer "Bananenflanke" macht sich nicht nur optisch gut, sie ist für den Gegner auch schwer einzuschätzen. Kognitionsforscher der Queen’s-Universität in Belfast vermuten, dass unser Sehsinn mit rotierenden Bällen wenig anzufangen weiß, da dergleichen in der Natur nicht vorkommt. Es nutzt auch nichts, die Physik dahinter zu verstehen: Indem ein Spieler den Ball nicht mittig trifft, versetzt er ihn in Rotation. Wo das Leder sich wegdreht, also in die Richtung der von vorn anströmenden Luft, wird diese beschleunigt und umgekehrt. So entsteht ein Luftdruckunterschied zwischen beiden Seiten, der die Flugbahn krümmt.

  • Pakistan produziert etwa achtzig Prozent aller Fußbälle dieser Welt, das sind 40 bis 43 Millionen pro Jahr. Pro Ball benötigen die Näher zirka drei Stunden und verdienen dabei 60 Cent. Um Kinderarbeit einzuschränken, beauftragen einige Sportartikelkonzerne nur noch Firmen, die ihre Arbeiter zentral in großen Fabrikhallen unter kontrollierten Arbeits bedingungen beschäftigen. Andere hingegen verlagern die Produktion nach China, wo niedrigere soziale Standards locken. Auch die neuen Kunststoffbälle bedrohen die Einkommen Zehntausender Pakistani, da sie nicht mehr vernäht, sondern vollautomatisch verklebt werden.

  • Schon 300 bis 400 Jahre vor Christus wurde in China eine mit Haaren und Federn gefüllte Lederkugel gekickt. Im mittelalterlichen Europa stopfte man eine solche Hülle oder eine Schweinsblase mit Gras oder Lumpen aus. Erst ab 1863, als in England Fußballregeln festgelegt wurden, mussten Bälle rund sein. Dafür sorgten luftgefüllte Gummiblasen. Doch der abdichtende Knoten verformte die Lederhülle und machte Kopfbälle riskant. Dieses Problem lösten Ventile im Jahr 1963.
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